Die Kreisleiter der NSDAP in Garmisch-Partenkirchen
 – „Politische Frontoffiziere der Bewegung“

 

 

 

 

 

Heinrich Schiede: „Erziehung der Willigen, Ausschaltung der Abseitigen“

 

Geschichte und Gegenwart - Schiede beschwört die Ursprünge der „Bewegung“

Herbst 1943 - der Blick in die Zukunft war nach der Niederlage in Nordafrika, der Landung der Alliier­ten in Sizilien und der Kriegserklärung Italiens gefährlich. Schiede, geschulter „Reichsredner“ der NSDAP, wusste, dass ein Blick in die Vergangenheit Ablenkung von der düsteren Gegenwart gewähren konnte. Er nutzte die Tage im September 1943 zur Erinnerung an die 20 Jahre zurückliegende Gründung der NSDAP-Ortsgruppe Garmisch-Partenkirchen. Gegründet am 10. September 1923, eng mit dem Bund Oberland verbunden, galt Schiede die Ortsgruppe als „neue politische Glaubensbewegung“[1] im Wer­denfelser Land. Vom Scheitern der „nationalen Revolution“ am 9. November 1923 über die „Erfüllung am 30. Januar 1933“ bis in die Gegenwart des Jahres 1943 stellte er das „Bekenntnis zu Führer und Volk“[2] in den Mittelpunkt seines Appells im Olympia-Festsaal. Im Sitzungssaal des Rathauses war ein „Appell der Beamten, Angestellten und Arbeiter der Gemeinde“ vorausgegangen, um 15 Uhr folgte ein „Bekenntnis der Jugend zu Adolf Hitler“ mit einem Appell auf dem Adolf-Hitler-Platz (Rathausplatz). Ein Standkonzert des Gebirgsjäger-Regiments am Adolf-Wagner-Platz (Marienplatz) unterstützte die Erinnerung im Marschrhythmus.

Es dauerte nicht lange, dann musste sich Schiede wieder der Gegenwart zuwenden. Wenige Tage nach dem Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten versammelte der Kreisleiter seine Anhänger im Olympia-Festsaal zu einer weiteren „Großkundgebung“ unter dem Motto „Warum überhaupt Krieg?“ Diese für das Regime nicht ungefährliche Frage rumorte in den Köpfen. Schiedes Antwort war eine Gegenfrage: „Warum Sturm und Gewitter, warum Hochwasser und Erdbeben?“[3] Der Krieg als Naturge­walt, gegen die es kein Ankommen gibt – damit versuchte er, die Zweifler zu beruhigen. Im Krieg dürfe man nicht das Ende wollen, sagte er weiter, „sondern immer nur den Sieg.“[4] Alles andere sei „Dolchstoß“.

Dass diese propagandistische Rhetorik die Reihen nur mühsam zusammenhalten konnte, zeigte sich bei der nächsten „Großkundgebung“ im Festsaal. Die „Versammlungswelle“ Ende Oktober 1943 litt erstmals unter Besucherschwund. „Die Beteiligung seitens der Einwohnerschaft entsprach leider nicht der Bedeutung der Stunde und des zu behandelnden Stoffes“,[5] konnte man in der Zeitung lesen. Immer mehr „Volksgenossen“ drückten sich vor der „Aufklärung“. Ihre „politischen Leiter“ hielten sie „zum Verständ­nis der Gegenwartslage“ für erforderlich. Hinweise auf „mancherlei Rückschläge dieses Krieges“ wie „Stalingrad, Afrika, Sizilien und neuerdings die rückläufige Bewegung im Osten“ galten „als nicht sachkundige Kritik, die bösartig und daher gefährlich“[6] ist. Schiedes wöchentliche Dosis Antisemitis­mus und Kriegsgeschrei ließ aber in ihrer betäubenden Wirkung merklich nach. Immer wieder einmal musste „auf das Rücksichtsloseste“[7] gegen „Meckerer und Miesmacher“ vorgegangen werden.

Im Mittelpunkt der „Feierstunde der Kreisleitung am 9. November“ im Festsaal mit Kammersänger, Soloquartett, Rezitator und Regimentsmusik – Eintritt von 1.- RM bis 2.- RM – stand 1943 die Ehrung der Gefallenen des gegenwärtigen Krieges. Schiede ließ „die Fahnen des Sieges“ flattern und bekräf­tigte unermüdlich den „Glauben an Deutschland“.[8] An die Ereignisse von 1923, Hitlers gescheiterten Putsch, seine Flucht nach Uffing, den Niedergang der NSDAP bis 1925 wurde nicht mehr erinnert.

Ein neues Forum für Schiedes Propagandatiraden war die „Volksbildungsstätte Garmisch-Partenkir­chen“. Am 16. November 1943 sprach er über „Die deutschen Charakterwerte und ihre Auswirkungen im Kriege“, stellte dem Arier und dessen „Blutwerten des Aufbaus“ das jüdische „Ferment der Dekom­position“ gegenüber[9] und verglich die siegreichen deutschen „Kämpfer“ mit den unterlegenen Solda­ten anderer Nationen – der „Pole“ ein „von Versailles aufgepäppelter Gernegroß“, der „Poilu“ von der demokratischen Presse „entmannt“, dem Engländer „fehlt es an Geistigkeit“ und „den Russen mit uns in Vergleich zu setzen, hieße ihm zu viel Ehre anzutun.“[10] Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die deut­schen Truppen nach der Niederlage der „Operation Zitadelle“ auf dem Rückmarsch und die russi­schen begannen ihren Aufbruch in den Westen. Schiede konnte fabulieren was er wollte, seine Zuhö­rer waren gläubig oder stumm.

 


[1] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 07.09.1943

[2] ebd.

[3] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 17.09.1943

[4] ebd.

[5] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 25.10.1943

[6] ebd.

[7] ebd.

[8] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 10.11.1943

[9] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 18.11.1943

[10] Alle ebd.

 

© Alois Schwarzmüller 2012