Die Kreisleiter der NSDAP in Garmisch-Partenkirchen
 – „Politische Frontoffiziere der Bewegung“

 

 

 

 

 

Jakob Scheck: „Lassen wir das, was zurückliegt“!

 

„Jetzt schlägt´s 13!“ – Der Versorgungsfall Scheck

Sie wurde ein weiteres Mal geführt, als Scheck 1954 erstmals Ansprüche auf eine Beamtenpension für seine Tätigkeit als 1. Bürgermeister des Marktes Garmisch-Partenkirchen geltend machte und seine Rechtsansprüche überprüfen ließ. Es ging dabei darum, ob die Ernennung zum Bürgermeister „ursächlich“ und „ausschlaggebend“ auf eine enge Verbindung mit dem Nationalsozialismus zurück­zuführen war.

Für Bürgermeister Josef Zwerger (CSU) waren die Spruchkammerbescheide der eindeutige Beleg dafür, dass Scheck „nur 1. Bürgermeister geworden ist, weil er als Gründungsmitglied der NSDAP eine besondere Bevorzugung genoss.“ Bei einer Neuwahl wäre Scheck „nach menschlichem Ermes­sen nie 1. Bürgermeister geworden.“[1]

In der Öffentlichkeit wurde die Debatte über Schecks Pensionsansprüche erregt geführt. Ein Flugblatt wandte sich unter der Überschrift „Jetzt schlägt`s 13!“ an die Bürger von Garmisch-Partenkirchen: „Millionen unschuldiger Menschen haben ihr Leben auf den Schlachtfeldern lassen müssen, Millionen Krüppel, Millionen haben ihr Hab und Gut los, unsagbares Unglück wurde durch die Nazi-Partei und dessen Führer über die Welt gebracht. Und einer dieser schuldigen „Mitläufer“ will dafür jetzt eine Rente auf Lebenszeit!“[2]

In der 36. Öffentlichen Sitzung des Marktgemeinderates Garmisch-Partenkirchen am 8. April 1954 wurde mit 24 Stimmen gegen 1 Stimme beschlossen, dass die Ernennung Schecks zum hauptamtli­chen Bürgermeister am 1. Januar 1935 „wegen seiner engen Verbindung zum Nationalsozialismus vorgenommen worden“ sei. Der Versorgungsanspruch sei daher unbegründet.[3] Bürgermeister Zwer­ger vertrat die Auffassung, die engen Beziehungen Schecks zum Nationalsozialismus seien doku­mentiert, die „Wahl“ sei von der Bestätigung durch Kreisleiter Hartmann abhängig gewesen. Scheck solle froh darüber sein, dass er „bei der Spruchkammer so gut weggekommen“ sei.[4] Bürgermeister Maderspacher (Bayernpartei) setzte sich ebenfalls „leidenschaftlich“ für eine Ablehnung ein.[5] Altbür­germeister Schütte sagte, er finde es „unfair von Scheck und einen schlechten Dienst seinen Anhä­ngern und Mitbetroffenen gegenüber nun zu erklären, er habe mit der NSDAP eigentlich nichts zu tun gehabt.“ Es hieße die Dinge auf den Kopf stellen, wenn man jetzt von einer „Wahl“ Schecks spreche – „wir hatten doch nicht mehr den Hauch von einer Demokratie!“[6] Gemeinderat Edelwald Hüttl (BHE) sah dagegen in einer Ablehnung des Pensionsanspruchs einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrund­satz. Wie sei es möglich, fragte er, "dass heute Leute im diplomatischen Dienst sind, die mindestens die gleiche Rolle wie Scheck gespielt haben?“[7] Außerdem sei Scheck „nur durch Intervention des Internationalen Olympischen Komitees“ zum Bürgermeister gemacht worden, nicht durch die NSDAP.

Dem Beschluss des Gemeinderats folgte der Bescheid.[8] Die geltend gemachten Versorgungsansprü­che Schecks wurden „wegen enger Verbindung zum Nationalsozialismus“[9] als unbegründet bezeichnet. Dass Scheck mit dem Spruch der Spruchkammer vom 9. September 1948 als „Mitläufer“ eingestuft wurde, dürfe nicht dazu führen, „die enge Verbindung zum NS. zu vernei­nen.“[10] Ein so wichtiges Amt wie das eines Kreisleiters der NSDAP, das Scheck von 1939 bis 1943 ausübte, „konnte – zumal während der Kriegszeit – nur einem Mann übertragen werden, bei dem seit langem eine enge Verbindung zum NS. bestand.“ Diese enge Verbindung sei der ausschlaggebende Grund dafür gewesen, dass Scheck bereits am 25. April 1933 zum 1. Bürgermeister der Marktge­meinde Partenkirchen gewählt worden sei.[11] Das galt nach Auffassung der Gemeinde auch für die „Wahl“ am 4. Januar 1935. Die Einschaltung des Beauftragten der NSDAP sei ein weiterer Beweis für das „Vorwiegen politischer Gesichtspunkte.“[12] Die Bürgermeisterernennungen Schecks seien damit „rechtsunwirksam.“

Das Landratsamt Garmisch-Partenkirchen folgte der Rechtsauffassung der Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen nicht und erkannte die Versorgungsansprüche von Jakob Scheck an. Die Sache ging 1958 an das Bayerische Verwaltungsgericht München.

Die Münchner Richter machten sich ein Bild mit neuen Zeugen – die meisten aus der ehemaligen Naziszenerie des Olympiaortes. Engelbert Freudling, ehemals NSDAP-Ortsgruppenleiter Garmisch-Partenkirchen und Beigeordneter, sagte aus, Scheck sei deshalb Bürgermeister geworden, weil „die radikaler eingestellte Führung der Gemeinde Garmisch“ mit Josef Thomma und Hans Hartmann in den Augen des Olympischen Organisationskomitees der weniger geeignete Gesprächspartner gewe­sen sei. In Garmisch sei auf „die Heraushebung der besonderen Programmpunkte der NSDAP, unter anderem Judenfrage, gesteigerter Wert gelegt“ worden.[13] Immerhin - es gab also doch Antisemitis­mus im Olympiaort, wenn auch anscheinend nur in Garmisch.

Der Zeuge Hans Hartmann, ehemals Kreisleiter von 1932 bis 1937, sagte aus, Scheck sei zweifellos Bürgermeister geworden, weil er „alter Parteigenosse“ gewesen sei. Er sei aber auch vom Olympi­schen Organisationskomitee unterstützt worden.[14]

Karl Ritter von Halt, ehemals Chef des Organisationskomitees der Winterspiele 1936, nannte Hart­mann als Bürgermeisterkandidaten „untragbar“, weil er „die Politik nicht von den Spielen trennen wollte.“ Bei Scheck sei man sich sicher gewesen, „dass insoweit nichts passiert.“ Ihm sei es auch zu verdanken, dass „so gut wie keine Uniformen in Erscheinung getreten“ seien.[15] William S. Shirer schrieb in seinem „Berliner Tagebuch“ über das gleiche Ereignis: „Zuviel SS und Militär überall; doch die Szenerie der Bayerischen Alpen superb.“[16]

Fritz Doehlemann, Schatzmeister des Organisationskomitees, teilte mit, Scheck sei bei der Entfernung der „Judenschilder“ 1934 beteiligt gewesen („soweit ich mich erinnern kann“), Gauleiter Wagner habe dagegen die Entfernung der „Judenverbotsschilder“ nicht unterstützt („soweit ich mich erinnern kann“).[17] Tatsächlich wurden die „Judenabwehrschilder“ 1935 angebracht und erst in der zweiten Januarhälfte 1936 nach einer Anweisung Wagners entfernt.[18] Scheck hätte sich also ziemlich lange Zeit gelassen dafür. Dabei waren diese Schilder der gefährlichste Stein des Anstoßes für einen Boy­kott der Spiele. Die englische Tageszeitung „Manchester Guardian“ veröffentlichte im Dezember 1935 ein Foto aus dem Partenkirchner Kurhaus, zugleich Olympia-Verkehrsamt. Es zeigte eine Tafel mit der Aufschrift „Juden Zutritt verboten“ – mitten in Schecks kommunalem Zuständigkeitsbereich.[19]

Josef Thomma, 1933 1. Bürgermeister von Garmisch, ab 1935 2. Bürgermeister von Garmisch-Par­tenkirchen, SA-Führer, berichtete, dass Innenminister und Gauleiter Adolf Wagner bei einem Ge­spräch über die Zusammenlegung von Garmisch und Partenkirchen auch die Bürgermeisterfrage ent­schieden habe. Er habe wörtlich gesagt „Scheck wird 1. Bürgermeister, Thomma 2.“ Thomma vermu­tete, „dass Scheck das bessere persönliche Verhältnis zu Wagner hatte.“[20]

Weitere „Persilscheine“ lieferten Dr. Reinhard Wiesend (Landrat von 1935 bis 1945), Josef Dillis (SA-Sturmführer, NS-Gemeinderat Garmisch), Ritter von Lex (Reichsinnenministerium) und Pater Johan­nes Albrecht (Cellerar des Klosters Ettal).

Die Marktgemeinde konnte sich mit ihrer Position, dass bei der Wahl und Ernennung von Scheck zum Bürgermeister von Partenkirchen und dann von Garmisch-Partenkirchen die parteipolitischen Gründe die sachlichen überwogen hätten, kein Gehör verschaffen. Die Klage des Marktes gegen die Ent­scheidung des Landratsamtes wurde vom Verwaltungsgericht München am 18.09.1959[21] abschlägig beschieden. Zwar lehnte das 131er-Gesetz Versorgungsansprüche ab, wenn die Ernennung zum Beamten wegen enger Verbindungen zum Nationalsozialismus erfolgte. Die Münchner Richter wollten aber im Fall Scheck „aus dem Fehlen einer entsprechenden Vorbildung nicht auf ein Überwiegen der politischen Beweggründe“ schließen. Ihrer Auffassung nach war Scheck nicht von der NSDAP, son­dern vom Organisationskomitee der Olympischen Winterspiele zum Bürgermeister gemacht worden -- trotz eindeutiger und enger Verbindungen Schecks zur NSDAP. Scheck erhielt eine Nachzahlung in Höhe von 99960.- DM und ein monatliches Ruhegehalt von 1027.- DM zugesprochen.

Der Rechtsstreit zwischen Scheck und der Marktgemeinde endete erst 1961 mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, mit dem die Beschwerde des Marktes gegen die Nichtzulassung der Re­vision durch das Verwaltungsgericht München abgeschmettert wurde.

Der Ex-Kreisleiter, NSDAP-Hoheitsträger, SA-Führer Scheck blieb in seinem Versorgungsfall Sieger. Das mag ihn bestätigt haben, sich auf den Weg zurück in die Gemeindepolitik zu machen, als Bür­germeister zu kandidieren, als Gemeinderat. „Weiß man denn nicht“, sagte er, „dass in maßgebenden Stellen des Bundes, der Länder und Landkreise bis zu den Gemeinden tüchtige Männer aus jener Zeit eingesetzt wurden, ohne dass dadurch das Ansehen jener Amtsstellen im Ausland gelitten hat?“[22]

 

 

Flugblatt - 1959 (Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen)

 

 

[1] MA Garmisch-Partenkirchen – Akt Jakob Scheck

[2] ebd.

[3] MA Garmisch-Partenkirchen – Sitzungsbuch / 08.04.1954

[4] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 10.04.1954 – „Jakob Scheck nur durch NS-Verbindung Bürgermeister“

[5] ebd.

[6] ebd.

[7] ebd.

[8] MA Garmisch-Partenkirchen – Akt Jakob Scheck

[9] Ebd. S. 3

[10] Ebd. S. 4

[11] ebd. S. 5

[12] ebd. S. 8

[13] MA Garmisch-Partenkirchen – Akt Jakob Scheck / Sitzung des Bayerischen Verwaltungsgerichts München am 13.08.1958 in Garmisch-Partenkirchen – Aussage Freudling – S. 2

[14] ebd. Aussage Hartmann – S. 3

[15] ebd. Aussage Ritter von Halt – S. 5

[16] William S. Shirer, Berliner Tagebuch (Leipzig, 1995) S. 44

[17] MA Garmisch-Partenkirchen – Akt Jakob Scheck / Sitzung des Bayerischen Verwaltungsgerichts München am 22.08.1958 in München – Aussage Doehlemann – S. 3

[18] Anordnung von Staatsminister Adolf Wagner am 10. Januar 1936: „Ich ordne hiermit an: Sämtliche Schilder, Transparente usw. mit der Aufschrift "Juden sind hier unerwünscht" oder ähnlich sind unverzüglich - längstens bis 15. Januar 1936 - zu entfernen. Die Ausländer, die unseren Gau bereisen, müssen, wenn sie immer wieder die oben gen. Schilder sehen, auf den Gedanken kommen, dass wir in der Judenfrage doch noch Schwierigkeiten haben. Dies ist unerwünscht.“

[19] Manchester Guardian 12.12.1935

[20] MA Garmisch-Partenkirchen – Akt Jakob Scheck / Sitzung des Bayerischen Verwaltungsgerichts München am 09.12.1958 – Aussage Thomma 06.10.1954

[21] MA Garmisch-Partenkirchen – Akt Jakob Scheck

[22] zit. nach Spiegel 23/1961 S. 23

 

 

© Alois Schwarzmüller 2012