Ein Kriegsende - Garmisch-Partenkirchen in den letzten Apriltagen 1945

 

 

 

 

 

Aus den Berichten der Pfarreien über das Kriegsende

 

Pfarrei Unterammergau
Berichterstatter: Pfarrer Andreas Rusch
Datum: 31. Juli 1945

Der Einmarsch der Amerikaner (29. April 1945)

Etwa um die Mitte des April erschienen in der Gegend auffallend viele elegante Autos, noch mit Benzin fahrend, ebenso Lastwagen. Auch im Pfarrdorf tauchten sie auf. SS-Leute nahmen Quartier im Dorf und in der ganzen Gegend. Die Lastwagen hatten reiche Vorräte an Lebensmitteln, Kaffee, Tee, Reis, Mehl, Wein, Schnäpse, Zigaretten etc. Sie gaben auch davon an die Quartierleute. Die Gäste waren (davon abgesehen) nicht gerne gesehen. Man fürchtete sie. Man fürchtete vor allem, daß sie da bleiben und infolgedessen es in der Gegend zu Widerstand und Kampf kommen würde. Das Zentrum dieser Gesellschaft war ein SS-General, der in Linderhof seinen Sitz und seinen Stab hatte, bis zum 27. April, wo er sich in die Salzburger Gegend verzog. Auch aus dem Dorf verschwanden die Leute und Wagen, es scheint aber, daß sie sich zum Teil in die Berge und auf die Hütten zurückzogen. Einzelne Soldaten und Gruppen derselben erschienen dann und zogen nach Süden weiter. Am 26. April gab es schon Einquartierung für eine kleine Truppe, in den 2 folgenden Nächten war das Dorf schon belegt mit Soldaten. In der Nacht von Samstag, 28. April, auf Sonntag war alles voll im Dorf und noch mehr in Scherenau. Teils war es eine Wehrmachtstruppe mit bespannten Fahrzeugen, teils ganz jugendliche Arbeitsdienstler in Waffen.

Man hatte schon am Mittwoch für die Nacht den Feind erwartet, dann war man wieder weniger aufgeregt. Man wußte von der Sprengung [der] Lechbrücken bei Schongau und Lechbruck, wiederholt kam auch schon das Gerücht von der Sprengung der Echelsbacher Brücke, das sich aber zum Glück als falsch erwies.

Am Sonntag ging dann alles viel schneller als erwartet. Es überstürzte sich alles so, daß es gar nicht möglich ist, trotz vieler Umfrage die Einzelheiten in ihrem Verlauf festzustellen. Das im Dorf liegende Militär war über die Lage ohne jede verlässige Nachricht. Versprengte Soldaten mit und ohne Waffen, mit Stöcken zur Stütze, ermüdet, hungrig, schmutzig in armseligem Zustand zogen am Sonntag morgens [über] die Straße. Die armen Kerle taten uns leid. Wir hielten ganz normal die Frühmesse und den Pfarrgottesdienst. Ich hatte in der Predigt ermahnt, in christlicher Liebe zusammenzustehen und einander in den kommenden schweren Tagen zu helfen und um Gottes Hilfe zu beten.

Nach dem Gottesdienst hörte man schon, daß der Feind sehr nahe sei. Alles war auf den Straßen. Da ging ein Schießen an. Man rief: Tiefflieger! Eine Weile glaubte ich es auch. Aber man sah nur in ziemlicher Höhe 1 Flieger kreisen. Die Schießerei wurde lebhafter, kam näher, MG und Karabiner wechselten ab. Soviel ich erfragen konnte, hatten die Arbeitsdienstler und Soldaten unterhalb des Dorfes ein MG in Stellung gebracht und auf die ersten anrollenden amerikanischen Panzer geschossen oder deren Feuer erwidert. Ein Teil der Soldaten flüchtete nach Westen in die Berge und besonders nach Südwest in die Schleifmühlenklamm und weiter, ein anderer suchte noch schießend diese Flucht zu decken. Inzwischen aber brausten auf allen Straßen und Wegen und durch die Gärten über Zäune und Gräben hinweg die Panzer daher und in wenigen Minuten waren sie im Dorf und durch, überall und feuerten ihre MG-Garben nach. Andere waren inzwischen schon weiter gen Oberammergau. Zwischen Oberammergau und Ettal war eine sogenannte Panzersperre an der Kapellenwand errichtet. Dort mußte noch ein Truppenteil aus Mittenwald Widerstand leisten. Am Südende unseres Dorfes fuhr Artillerie auf und beschoß diese Stelle einige Zeit hindurch. Wir wußten den Grund nicht und glaubten an einen Widerstand in Oberammergau. Die Schießerei im Dorf hatte um 11.15 Uhr begonnen und nach etwa 20 Minuten geendet. Ein Schlossermeister namens Fuß und sein Sohn waren mit einer weißen Fahne den Amerikanern entgegengegangen. Sie sollen noch von einem deutschen Soldaten bedroht worden sein. Wie weit sie genau kamen, konnte ich nicht erfragen, sehr wahrscheinlich nur mehr zur Ammerbrücke. Sie sind der Überzeugung, daß sie das Dorf gerettet haben. Der Vater wurde sofort zum Bürgermeister ernannt und ist es bis heute. Der gehört linksradikalen Kreisen an, ist aber ein anständiger Mann.

 

Pfarrei Oberammergau"
Berichterstatter: Pfarrer Franz Xaver Bogenrieder
Datum: vor 28. Oktober 1945

… Am Sonntag, den 29. April, nach dem Pfarrgottesdienste berichteten Soldaten, daß die amerikanischen Panzerspitzen bereits die Echelsbacher Brücke überschritten hätten; kurz darauf, daß sie schon am Eingang unseres Dorfes stünden. Tatsächlich haben um 11.15 Uhr an der Kreuzlaine, wo eine Panzerfalle gebaut war, der 2. Bürgermeister Alfred Bierling und der Sägewerkmitteilhaber N.N. dem Kommandeur der vor dem Dorfe auffahrenden amerikanischen Truppen gemeldet, daß das Dorf nicht verteidigt würde, aber am anderen Ortsausgange (Panzerfalle unter der Bärenhöhle) mit Widerstand zu rechnen sei. Um 11.30 Uhr rollten die ersten Panzerspähwagen und anschließend 10 schwere Panzer am Pfarrhof vorbei. Wenige Minuten später setzte ein heftiges Maschinengewehrfeuer gegen die deutschen Stellungen am Fuße des Kofels und besonders am Schaffelberg über der Kapellenwand ein, das bald darauf von schwerer Artillerie, die von Unterammergau her über unser Dorf hinwegschoß, unterstützt wurde. Gegen 16.00 Uhr war der deutsche Widerstand gebrochen. Von den deutschen Verteidigern (Offizierschüler von Mittenwald-Luttensee) waren 6 gefallen (alle katholisch), 30 wurden verwundet, von denen einer (katholisch) nach einigen Tagen im Oberammergauer Reservelazarett starb. Die Gefallenen wurden von dem Berichterstatter auf dem Oberammergauer gemeindlichen Friedhof in einem gemeinsamen Grabe beerdigt und ihre Namen ordnungsgemäß im Sterbebuch der Pfarrei eingetragen. Außerdem wurden noch 2 Zivilpersonen (evangelisch) getötet. Die beiden folgenden Nächte und Tage rollten nun Panzer auf Panzer, motorisierte schwere und leichte Artillerie und ein Pionierpark von amerikanischem Ausmaße in und durch das Dorf. Das Dorf wurde besetzt…

 

Pfarrei Ettal
Berichterstatter: Stellvertretender Pfarrvikar R Benedikt Weingart OSB8
Datum: vor 28. Oktober 1945

… Am Tage des Einmarsches selbst (Sonntag, 29. April) hatte sich der Konvent eben zum Mittagstisch im Speisesaal eingefunden (ca. 35 Minuten nach 12 Uhr), als die Sirene Höchstbereitschaft ankündigte: „Sofort alles in den Keller! Die Amerikaner kommen!" hieß es. Das Mittagessen war in aller Eile noch eingenommen worden, dann ging es in den luftschutzsicheren Raum neben der Klosterküche, dort hielten sich die meisten dann auf bis ca. 5 Uhr (17 Uhr) nachmittags, als eben der Einzug erfolgte. (Das Allerheiligste war längst aus der Kirche entfernt und auch das Gnadenbild war gut geborgen worden.)

Bald schon ließ sich Geschützdonner hören, der ziemlich rasch näher kam. An der Straße von Oberammergau her war bei der Talenge am Kofel eine Panzersperre errichtet worden. 60 junge Leute aus einem Schulungslager bei Mittenwald waren (wie man später erfuhr) beredet worden, sich durch die Verteidigung dieser Sperre höchste Lorbeeren zu verdienen. Der Vormarsch der Amerikaner geriet in der Tat an jener Stelle ins Stocken: die Panzer beschossen die Stellung der Verteidiger, und dabei (so wurde wenigstens später erklärt) ging auch eine Anzahl von Geschoßen über die Laberhöhen hinweg und schlug im Dorfe Ettal ein. 12 Granateinschläge (alles kleine Kaliber) wurden im Dorf und der nächsten Umgebung gezählt, 4 davon im unmittelbaren Bereich des Klosters. Einen direkten Schaden verursachte im Kloster nur eine Granate, die durch das Dachgeschoß des gegen die Dorfstraße vorspringenden Westflügels durchschlug und das Dach beiderseits ziemlich beschädigte. Ein Geschoß traf im Klostergarten einen Baum, ein anderes schlug im Hof vor der Kirche ein: vom Luftdruck wurden dadurch im Schulheim etwa 200 Fensterscheiben zertrümmert und beschädigt (dort waren die Fenster nicht geöffnet worden!). Die Kirche ist vollkommen intakt geblieben; im Dorfe war bei einem Kleinbauern eine Kuh im Stalle bedenklich verletzt worden. Ein Menschenleben war in Ettal (dank des besonderen Schutzes der lieben Frau Stifterin) nicht zu beklagen. (Von den 60 „Helden" der Oberammergauer Sperre sollen 8 oder 9 gefallen sein; sie wurden in Oberammergau beerdigt). Beim Einzug (es war etwas nach 5 Uhr nachmittags) benahmen sich die Amerikaner sehr taktvoll gegen die Bevölkerung: Sie verschenkten Süßigkeiten an die Kinder und Rauchwaren an Erwachsene…

 

Pfarrkuratie Oberau
Berichterstatter: Pfarrkurat Georg Trübenbacher
Datum: 20. Juli 1945

Von den allerschlimmsten Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges blieb Oberau gottlob verschont. Es fiel keine einzige Bombe, es wurde kein Gebäude zerstört und kein Grundstück verwüstet. Auch die Zahl der Gefallenen und Vermißten ist relativ klein.

In moralischer Beziehung ist der Schaden groß: Die Kinder sind verwahrlost, Frauen und Mädchen haben die „deutsche Treue" vergessen, die Männer mit wenigen Ausnahmen getreu gehandelt, wie die Partei es befahl. Kirchenbesuch, Beteiligung an den Prozessionen und Sakramentenempfang haben sich jedoch von Jahr zu Jahr gebessert.

Der Einmarsch amerikanischer Truppen am 29. April 1945 gegen 16 Uhr vollzog sich zunächst in aller Ruhe und brachte eine Entspannung in der Aufregung der vorausgehenden Tage. Oberau sollte zunächst verteidigt werden, aber der Bau von Stellungen in der Nähe des Bergfriedhofes wurde wieder eingestellt, und die deutschen Truppen zogen in Richtung Garmisch ab...

 

Pfarrkuratie Farchant
Berichterstatter: Kurat Max de l'Espine
Datum: 1. August 1945

Am Sonntag, den 29. April 1945, abends halb 7 Uhr passierten die ersten amerikanischen Panzerspitzen das Dorf Farchant. Außer einer kleinen Schießerei auf fliehende deutsche Soldaten kam es zu keinen Kampfhandlungen. Garmisch-Partenkirchen mit nächster Umgebung wurde dem Feinde kampflos übergeben, und so blieb auch Farchant vor allem Schaden bewahrt. Ein vorhergehender Angriff aus der Luft erfolgte ebenfalls nicht, so war weder an Personen noch an Gebäuden irgendwelcher Schaden zu verzeichnen. In der Nacht vom 29. auf 30. April erfolgte dann die Besetzung des Dorfes durch amerikanische Truppen...

 

Pfarrei Garmisch
Berichterstatter: Pfarrer Josef Bittel
Datum: 30. Juli 1945

… Am Sonntag, 29. April, war der aufregende Tag, an dem Garmisch-Partenkirchen von den amerikanischen Truppen besetzt wurde. Es war in letzter Zeit sehr viel gebetet worden um Gottes Schutz und Segen für unsere Heimat; und Gott hat dieses Gebet erhört.

Oberst Hörl, der damalige Ortskommandant, erzählte über die fast dramatischen Vorgänge, die sich allerdings hinter den Kulissen abspielten, dem Unterzeichneten folgendes: General Kesselring hatte selber den Befehl erteilt, daß Garmisch-Partenkirchen verteidigt werden muß, obwohl ca. 6000 Verwundete in hiesigen Lazaretten lagen. Oberst Hörl und sein Adjutant Major Pössinger aus Ettal, zwei wahrhaft tapfere und heimatliebende Männer, beide Ritterkreuzträger, waren sich aber darüber klar, daß bei den tatsächlichen militärischen Machtverhältnissen ein Widerstand nur unnützes Blutvergießen und grausige Zerstörung der Heimat in letzter Stunde bedeutet. Darum legten sie alles darauf an, den Ort kampflos zu übergeben, aber sie mußten alles tarnen, damit die vielen SS-Offiziere ihre Absicht nicht merkten. Im Ort selbst sah man ein Hin und Her von Militärwagen aller Art und die Bevölkerung stand an jenem Sonntag nachmittags auf den Straßen in Erwartung der Amerikaner. In Wirklichkeit wäre beinahe der Hauptort des schönen Werdenfelser Landes in letzter Stunde noch ein Trümmerhaufen geworden. Oberst Hörl ließ zwischen Oberammergau und Ettal eine Verteidigungsstellung beziehen. Als aber die amerikanischen Panzer daraufhin mit ihrer Artillerie nach Ettal hineinschossen, ließ er den Widerstand einstellen und bezog zum Schein im Loisachtal herunten eine neue Verteidigungsstellung. Da kam von den Amerikanern der Befehl zur Übergabe; sonst würde Garmisch-Partenkirchen von mehreren Hundert Bombern angegriffen. Die Bomber seien startbereit. Oberst Hörl blieb am Befehlsstand, damit kein SS-Offizier sich dort hindrängen und großes Unheil anrichten kann. Er schickte seinen Adjutanten Major Pössinger als Parlamentär zu den Amerikanern, und als die Verhandlungen beendet waren, wurde er gerufen und mußte im ersten Auto an der Spitze der endlosen amerikanischen Panzer in den Ort hereinfahren zur Garantie, daß kein Widerstand geleistet werde. So konnte der Ort kampflos übergeben werden. Und das war gut so; denn die lange Reihe der einrückenden Panzer wollte gar kein Ende nehmen. Da wurde es allen Einsichtigen klar, daß trotz der Berge bei solch schwerer Bewaffnung ein Widerstand sinnlos gewesen wäre. Allerdings wurde dann zwischen Partenkirchen und Mittenwald Widerstand geleistet und auch Felsen und Brücken gesprengt, was zur Folge hatte, daß ungewöhnlich viele Truppen hier liegenblieben.

 

Pfarrei Partenkirchen
Berichterstatter: Pfarrer Karl Lorenzer
Datum: 26. Juli 1945

…Am Sonntag, den 29. April, abends 7 Uhr fuhren die ersten amerikanischen Panzer, über Garmisch kommend, in Partenkirchen ein. Mit großer Spannung und Beängstigung wurde von der ganzen Bevölkerung das Herannahen des Feindes erwartet. Der eine Umstand, daß Garmisch-Partenkirchen zu dieser Zeit ungefähr 12 Lazarette mit mehreren tausend Verwundeten hatte, war insofern günstig, daß unser Ort von jeglicher Beschießung durch die feindlichen Truppen verschont blieb. Der Ort wurde von Vertretern der Gemeinde und der Wehrmacht an der Straßengabelung zwischen Garmisch-Partenkirchen und Farchant übergeben. Nach dem Einrücken der Amerikaner wurden die Panzer und kleineren Wagen in sämtlichen Straßen verteilt. Ganz Garmisch-Partenkirchen bot das Bild eines Kriegslagers…

 

 

© Alois Schwarzmüller 2006