Ein Kriegsende - Garmisch-Partenkirchen in den letzten Apriltagen 1945

 

 

 

 

 

Michael Pössinger

Auszug aus einem Vortrag vom 27.11.1995 mit dem Titel „Die letzten Kriegsjahre – Bericht eines Zeitzeugen mit Fronterfahrung"

 

"... Die Vorsehung hat es trotz allem gut mit mir gemeint. Ende März 1945, nach meiner 7. Verwundung, wollte es der Zufall, daß ich am Hafen in Pillau zwei Schnellbootkommandanten traf, mit denen ich zusammen beim Unternehmen "Seelöwe" (Einsatz gegen die Steilküste vor England) 1940 geübt hatte. Nach Rücksprache mit meinem Divisionskommandeur und Ausstellen eines Marschbefehls durch ihn, nahmen die beiden mich in ihrem Schnellboot nach Swinemünde mit. Es war eins der letzten, die dort rauskamen. Von dort und nach Umwegen erreichte ich nach ca. 4 Tagen Ga-Pa, wo ich mich ins Lazarett (Husar) begab.

Mitte April bat mich Pater Johannes Albrecht aus Ettal um ein persönliches Gespräch. Als Einheimischer und Ettaler Schüler, mit immer gutem Kontakt zum Kloster, ersuchte er mich, alles nur Menschenmögliche zu unternehmen, um nicht noch in den letzten Kriegstagen eine Tragödie heraufzubeschwören, denn der Einmarsch der US Army konnte nicht mehr lange dauern. Von diesem Gespräch unterrichtete er Herrn RA Dr. Rösen und Herrn Schütte in Ga-Pa, mit denen ich gleichzeitig Verbindung aufnahm. Die gemeinsame Absprache lautete, die Lazarettstadt Ga.-Pa. mit ca. 12000 Verwundeten, die Einwohner und Flüchtlinge (Frauen und Kinder), sowie den Landkreis Werdenfels zu schützen. Nach mehrmaligen Besuchen in der Genesenden-Kompanie in der Jägerkaserne, traf ich viele meiner "alten" Kriegskameraden vom Gebirgsjägerregiment 98, deren Kommandeur ich war. Aus der Unterhaltung mit ihnen konnte ich schließen, daß auch sie der Meinung waren, der Krieg sei endgültig verloren. Da wußte ich, daß mir etliche zur Seite stehen würden.

Nun vertraute ich mich dem Standortkommandanten, Oberst Hörl, an, der mir als "Hitlergegner" bekannt war. Er ließ mir für alle Aktionen, die ich vorhatte, freie Hand und ernannte mich zum Kommandeur einer übergeordneten Heeresstreife. Ab 19. April 1945 suchte ich mir ca. 40 einsatzbereite und vertrauenswürdige Gebirgsjäger aus, die mir nun Tag und Nacht unterstellt waren. Ab sofort führte ich weitere Gespräche mit Freunden und Bürgermeistern (darunter so bekannte Namen wie Herr Alfred Bierling, Herr Melchior Breitsamter, Ogau, Herr Dr. Geissler, Oberau etc.) in Füssen, Steingaden, Schongau, Oberammergau, Oberau usw., die bei den Einwohnern für Ruhe und Ordnung sorgen sollten beim Vormarsch der Amerikaner.

Große Unterstutzung erfuhr ich ebenfalls von Franz Rappenglück, Walter Clausing, Walter Werneck, sowie von meinem Kradmelder Listl (ehem. Feinkostladen) aus Partenkirchen.

Alle diese Vorhaben mußten unter strengster Geheimhaltung ausgeführt werden, weil bei der Aufdeckung höchste Gefahr für alle, besonders für mich als Initiator bestand:

Also entweder aufgehängt oder standrechtlich erschossen zu werden. Siehe dazu auch die Ereignisse in Penzberg! Außerdem wären auch all diese Bemühungen umsonst gewesen.

Mittlerweile wurden die älteren Ettaler Schüler mit Waffen von der SS versorgt, um sich im Ernstfall zu verteidigen, wovon mich Pater Johannes sofort verständigte und ich ihnen mit meinem Einsatzkommando die Gewehre wieder abnahm.

Dazu kam am 27.4.1945 ein Hilferuf aus Schlehdorf, weil dort SS-Leute der Junkerschule Bad Tölz erschienen, um das Walchenseekraftwerk zu sprengen. Nach heftigen Auseinandersetzungen konnte ich sie nur so davon abhalten, in dem ich vortäuschte, daß meine Gebirgsjäger bereits Sprengsätze angebracht hätten, die sie zu gegebener Zeit zünden würden.

Da in diesen Tagen die zurückflutenden Stäbe mit Benzingutscheinen auch alle Tankstellen geplündert hätten, stellte ich jeweils Posten auf und befahl, nur mit meiner Unterschrift versehene Scheine anzunehmen. Wie wichtig das im Nachhinein war, stellte sich erst nach dem Einmarsch und der Sprengung der Bahnlinie Murnau - Ga-Pa heraus, denn mit diesem so erhaltenem Betriebsstoff konnte die Versorgung der Bevölkerung mit Kraftfahrzeugen sichergestellt werden.

An der alten Ettaler Bergstraße und am westlichen Ortsausgang Oberau lagen zu dieser Zeit zwei Kompanien für die Verteidigung bereit. Die beiden Kompaniechefs waren mir als zuverlässig bekannt, sie sollten nur meinen persönlichen Anweisungen gehorchen.

Am 29.4.1945 erreichte mich die Nachricht, daß die Spitze der US Panzer kurz vor Unterammergau stünde.

Gegen Mittag meldete ich mich bei Oberst Hörl und ersuchte ihn, die vorbereitete kampflose Übergabe vorzunehmen. Er erklärte mir in Garmisch unabkömmlich zu sein, da er hier für Ruhe und Ordnung sorgen wollte. Er beauftragte mich, der ich alles in die Wege geleitet hatte, selbst nach Oberammergau zu fahren um dort zu verhandeln.

Als Parlamentär sollte ich mit Oberlt. Licht und Gisbert Palmié als Dolmetscher versuchen Ga-Pa und Teile des Landkreises ohne Blutvergießen zu übergeben.

Wir fuhren um 13.00 Uhr los bis zur Panzersperre an der Bärenhöhle vor Oberammergau. Bei dieser Fahrt unterrichtete ich die beiden Kompaniechefs vom bevorstehenden Einmarsch und befahl die Soldaten aus den Stellungen abzuziehen, die Waffen abzulegen und meine Rückkehr abzuwarten. Es durfte kein Schuß fallen!

Bei Ankunft "Bärenhöhle" befanden sich die ersten Panzer am Ortsausgang Oberammergau, Richtung Ettal.

In voller Uniform, mit weißer Parlamentärsfahne, traten wir, Herr Palmié in Zivil, vor die Panzersperre um auf der Straße in Richtung der amerikanischen Panzer zu gehen. Dabei wurde sofort auf uns geschossen. Wir ließen uns aber nicht abhalten und krochen im Graben neben der Straße weiter bis wir direkt vor dem ersten Panzer auftauchten. Wir wurden umringt und vor den Panzer gestellt. Ein amerikanischer Offizier wollte nicht mit uns verhandeln. Nach längerem hin und her erschien ein höherer Kommandeur, der uns kurz informierte, er habe den Befehl, hier anzuhalten, um die Bombardierung von Ga.-Pa. und Umgebung, sowie erneut von Innsbruck (Alpenfestung) mit je 100 Bombern abzuwarten und dabei die eigenen Verluste so gering wie möglich zu halten. Die Bomber sollten um 16.00 Uhr ab Ramstein starten. Es war jetzt kurz nach 14.00 Uhr! Ich versuchte ihm und den anderen klarzumachen, daß diese Bombardierung, insbesondere von Ga.-Pa., unnötig sei, weil ich alle Vorkehrungen getroffen hätte, sodaß keine Kampfhandlungen mehr stattfinden würden. Ich garantierte ihnen mit meinem Leben dafür einzustehen. Nunmehr versuchte der Kommandeur mir einzureden, aus nachrichten-technischen Gründen sei die Bombardierung nicht mehr aufzuhalten.

Durch zwei-stündige zähe und hartnäckige Verhandlungstaktik und aus sechsjähriger Kriegserfahrung heraus konnte ich ihn davon überzeugen, daß es Mittel und Wege gäbe, Nachrichten in kürzester Zeit bis zu den höchsten Stellen durchzugeben, um die Bomber doch noch aufzuhalten. Er respektierte meine Argumente und innerhalb der nächsten Stunde verständigte er mich, daß der Abflug vorerst gestoppt sei. Dazu zitiere ich aus dem Buch von Joachim Brückner: "Kriegsende in Bayern 1945", Seite 171, Fußnote Nr. 45: "Die Unit-History der 10. Panzerdivision bezeichnet Pössinger auf Seite 290 als "stiff-necked", halsstarrig. Damit wird die Haltung Pössingers beschrieben, der mit energischen Worten die Amerikaner zu einem Verzicht auf einen beabsichtigten Luftangriff gegen die Lazarettstadt Garmisch zu bewegen wußte. Dolmetscher bei diesem Gespräch war der Kunstmaler Palmié, der in den Lazaretten als Truppenbetreuer wirkte." Ende des Zitats.

Oberlt. Licht und ich wurden als Garanten auf den ersten Panzer gebunden und fuhren so bis Oberau - Ortsausgang, Richtung Ga.-Pa.. Die beiden Kompanien waren, wie von mir befohlen, angetreten und ergaben sich. Auf der Straße von Oberau nach Farchant stieß Oberst Hörl dazu, der von den Vorkommnissen verständigt worden war. Als Standortältester von Ga.-Pa. nahm er die offizielle Übergabe vor.

Ab Oberau setzten wir die Fahrt im Jeep der Amerikaner fort, Richtung Burgstraße, Marienplatz, Rathaus.

Die Straßenränder waren voller Menschen. Am Rathausplatz mußten wir aussteigen, dabei rissen die Amerikaner uns beiden Offizieren die Orden und Ehrenzeichen herunter, bevor sie uns im Rathaus gefangen setzten.

Im Rathaus befanden sich der Bürgermeister und einige Gemeinderäte, die die Übergabe des Ortes bestätigten. Gleichfalls anwesend waren die Herren Schütte, Kurdirektor Max Werneck, RA Dr. Rösen und Prof. Dr. Cap als Dolmetscher. Am 30.4.1945 setzten die Amerikaner den US Major Snap als Standortältesten ein, der Herrn Schütte als vorläufigen Bürgermeister berief und Oberst Hörl absetzte."

 

© Alois Schwarzmüller 2006