"Im Großen und Ganzen willig und brauchbar"
Zwangsarbeit in Garmisch-Partenkirchen 1940-1945

 

 

 

Zwangsarbeiter aus Russland, Weißrussland und der Ukraine

Im Arbeitsamtsbezirk Weilheim, zu dem auch der Landkreis Garmisch-Partenkirchen mit einer Neben­stelle gehörte, waren 1944 7651 ausländi­sche Arbeiter - 4474 Män­ner und 3177 Frauen[1] - in „kriegs­wichtigen“ Produktions­stätten, in der Landwirtschaft, im Hotel- und Gaststättengewerbe und in vielen andere Betrieben tätig. Sie haben die Lücken an den Werkbänken, in den Lazaretten, auf dem Feld und im Stall und in der Versorgung der Bevölkerung geschlossen. Die parteiamtliche Sprache nannte sie, verschleiernd und herabsetzend, „Zivil­arbeiter“ oder „Ostarbeiter“. Mit Hilfe eines Stücks Stoff, das bei harter Strafandrohung äußerlich sichtbar getragen werden musste, wurden sie besonders entwür­digend kenntlich gemacht.

 

 

Kennkarte für Marzelina Sewastjanowa, ukrainische Landarbeiterin aus Kujawa im Kreis Kamensk-Podols - eine der 330 Frauen und Männer, die seit Oktober 1941 als "Zivilarbeiter" nach Garmisch-Partenkirchen gebracht wurden.

Sie war 31 Jahre alt, als sie im März 1943 als Landarbeiterin auf den Pölstererhof in Mittergraseck  kam.

Josef Zahler, der Besitzer des Hofes, erlag im Oktober 1943 den Verletzungen, die er als junger Soldat im Ersten Weltkrieg erlitten hatte. Sein Sohn Josef, den Hitlers Wehrmacht zu diesem Zeitpunkt schon eingezogen hatte, fiel im Alter von 21 Jahren 1944 in Frankreich.

Mit der 16-jährigen Tochter und mit der ukrainischen Helferin Marzelina Sewastjanowa bewirtschaftete die Witwe Anna Zahler den Hof so gut es ging.

Von September bis Dezember 1944 verbarg sie den von der Gestapo gesuchten Widerstandskämpfer Albrecht Haushofer auf ihrem Hof.

 

 

Im Staatsarchiv München werden von der damaligen Ortspolizeibehörde Garmisch-Partenkirchen sorgfältig ausgefüllte Kennkarten mit Daten von 330 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern und ihren Kindern aufbewahrt. Sie kamen aus Russland, Weißrussland und der Ukraine und wurden von 1941 bis 1944 in den Olympiaort Garmisch-Partenkir­chen gebracht. Die Passfotos zeigen Gesichter von ängstlichen Mädchen und Jungen, von wütenden Frauen und Männern, von resignierten, ausge­lieferten Menschen. Geburtsdaten, Angaben zum Wohnort, der Ankunftstag in Garmisch-Partenkir­chen, Fingerabdrücke und der zugewiesene Arbeitsplatz geben knappe Auskunft über sie. Unter ihnen sind 14 mit dem Zusatz „Kind“, mal mit Vater oder Mutter, mal mit Schwester oder Bruder. Und viele im Alter von 14, 15, 16, 17 Jahren, auch sie noch halbe Kinder, aber von der deutschen Besatzungsbüro­kratie zu vollwertigen Arbeitskräften erklärt.[2]

 

Alter und Geschlecht

Der älteste „Ostarbeiter“ in Garmisch-Partenkirchen hieß Konrad Nitschiporuk. Am 28. Juli 1944, dem Tag, an dem er in Garmisch-Partenkirchen ankam, war er 73 Jahre alt. Mit ihm und am glei­chen Tag kam Maria Nitschiporuk, vielleicht seine Tochter, vielleicht seine Enkelin, geboren am 30. September 1924. Beide wurden als Landarbeiter dem Lager der Deutschen Reichsbahn am Schlacht­hof Gar­misch-Partenkirchen zugewiesen.

Vier Prozent der 330 Ukrainer, die zwischen 1941 und 1945 in Garmisch-Partenkirchen lebten, waren im Kindesalter, 56 Prozent zwischen 11 und 20 Jahre alt, 22 Prozent zwischen 21 und 30, fünfzehn Prozent zwischen 30 und 60.

77 Prozent waren Frauen und Mädchen, 23 Prozent Männer und junge Burschen.[3]

 

Wohn- oder Geburtsort

Aus 80 verschiedenen Dörfern und Städten, aus Provinznestern und Großstädten Russlands, Weiß­russlands und der Ukraine wurden diese 330 Frauen und Männer „rekrutiert“ und nach Garmisch-Partenkirchen deportiert – mit Verträgen und Versprechungen, mit List und Gewalt.

Sie kamen aus städtischen Zentren wie Gomel (14), Kiew (44) und Minsk (22), aus dem Oblast Lenin­grad (18) und dem Oblast Moskau (1), aus dem ukrainischen Oblast Sumska (20), aus der polnisch-ukrainischen Grenzstadt Przemysl (7), aus Rostow (7) und aus Rzytomierz (20), Zentrum chassidisch-jüdischer Kultur seit dem 18. Jahrhundert, ausgelöscht durch SS-Einsatzgruppen 1941, aus bekann­ten Städten wie Brest-Litowsk, Dnjepropetrowsk, Kursk, Lemberg, Mogilev, Nishni-Nowgorod, Poltawa, Tarnopol, Smolensk, Uman, Winniza, Witebsk, Charkow, aus dem litauischen Wilna und aus alten Landschaften und Provinzen wie Weißruthenien und Wolhynien - und aus zahllosen unbekann­ten, aber nicht namenlosen Dörfern.

 

Ankunft der Transporte

1941, nur wenige Monate nach dem Überfall auf die Sowjetunion, kamen die ersten 19 Frauen und Männer – 10 im Oktober, 7 im November und 2 im Dezember.

1942 stieg die Zahl auf 117 - 16 im April, 7 im Mai, 18 im Juni, 23 im Juli, 24 im August, 4 im Septem­ber, 13 im Oktober, 5 im November, 7 im Dezember.

Im Kriegsjahr 1943 waren es 85 – 1 im Januar, 7 im März, 5 im April, 5 im Mai, 21 im Juni, 17 im Juli, 5 im August, 2 im September, 11 im Oktober, 7 im November und 4 im Dezember.

Bis zur Mitte des vorletzten Kriegsjahres 1944 wurden noch einmal 105 Frauen und Männer, mehr als je zuvor, als Zwangsarbeiter in den Olympiaort ge­bracht – 3 im Januar, 2 im Februar, 3 im März, 16 im April, 3 im Mai, 36 im Juni, 41 im Juli und 2 im August. Über 70 noch zu einem Zeitpunkt, als die sow­jetische Armee bereits unweit der Grenze zu Ostpreußen stand.

 

Arbeit und Arbeitgeber

Ganz selten waren „Ostarbeiter“ in Garmisch-Partenkirchen im Handwerk beschäftigt, als Bäcker (1) und Friseur (1), als Koch (1) und Hilfsgärtner (2), als Schneiderin (1) und Schumacher (3). Der größte Teil wurde im Hotel- und Gaststättengewerbe als Spüler (4), Hausbursche (2), Hausmädchen (103) und Küchenmädchen (79) eingesetzt. In der Landwirtschaft arbeiteten 17 Männer und 48 Frauen. Als Hilfsarbeiter waren 14, als Kohlenträger 11, im Steinbruch 10 und bei der Reichsbahn 59 Zwangsar­beiter tätig.

In den Gaststätten und Cafés Almaspitz, Alpengruß, Aule Alm, Bahnhof, Bauer, Bayerischer Hof, Bay­ernstüberl, Bischoff, Drei Mohren Partenkirchen, Edelweiß, Ettaler Mandl, Grasberg, Hof­bräustüberl, Kainzenfranz, Kantine Artilleriekaserne, Melber, Olympia Haus, Panorama, Partnach­klamm, Schalmei, Schatten, Schützenhaus, Stadt Wien, Tiroler Weinstube, Weißes Rößl, Werdenfel­ser Hof, Werdenfelser Michl, Zum Rassen, Zur Linde und in den Berggasthöfen Eckbauer, Grasberg, Kochelber­galm, Kreuzeckhaus, Münchner Haus, Partnachalm und Wankhaus waren insgesamt 62 Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigt.

 

 

 

 

Bild links: Anni Andruschenko, geb. am 1. März 1926 in Andrejewka (Kreis Schytomir, Ukraine), mit drei der vier Kinder der Familie Nöhmeier, um die sie sich gekümmert hat. Sie arbeitete seit dem 7. Juli 1943 auf dem Berggasthof Grasberg. (Privatphoto)

Bild rechts: Der Familie ist in Erinnerung geblieben, wie Anni nach Garmisch-Partenkirchen gekommen ist: "...1943 wurde Mama zum Bahnhof geschickt, um sich ein Hausmädchen auszusuchen. Ein Zugwagon voll Mädchen zwischen 16 u. 20 Jahren kam aus der Ukraine, dort auf dem Feld von deutschen Soldaten zusammengefangen, verstört und traurig hier an. Mama hat aus Sympathie Anni ausgesucht. Sie war von nun an unsere Hilfe in der Familie u. Wirtschaft. Sie fühlte sich sehr schnell wohl bei uns und für mich war sie wie eine große Schwester. In kürzester Zeit sprach sie perfekt Deutsch. 1945, als die Amerikaner kamen und der Krieg zu Ende war, hat sie schweren Herzens von uns Abschied genommen. Sie hat 2 Jahre nichts von zu Hause (Schitomier) gehört. Wir haben nie erfahren, ob sie dort auch wieder angekommen ist."

 

 

In den Pensionen Förtsch, Haus Regina, Hausberg, Kustermann, Miramontes, Ro­seneck, Schell, Schöneck, Viktoria und Witting und in den Hotels Drei Mohren Garmisch, Husar, Marktplatz, Clausings Posthoel Garmisch, Post Partenkirchen, Roter Hahn, Schneefernerhaus und Vier Jahreszeiten waren 34 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter tätig.

Die in der Landwirtschaft eingesetzten Frauen und Männer arbeiteten auf Höfen in Garmisch-Partenkir­chen, Wamberg, Schlattan, Höfle, Kaltenbrunn und Mittergraseck.

In den Sägewerken Betz, Dillis und Zerhoch war je ein „Ostarbeiter“ beschäftigt, in der Forstverwal­tung waren es vier, im Kreide- und Kalksandsteinwerk Kaltenbrunn 15, in den örtlichen Kohlenhand­lungen 17, im Krankenhaus Garmisch zwei, im Pädagogium Alpinum vier.

Auch im Standortlazarett und in den sogenannten Teillazaretten des Ortes – meist große Hotels - wurden vielfach Zwangsarbeiter eingesetzt: Im Standortlazarett 2, in den Teillazaretten Haus St. Hil­degard 7, im Haus Partenkirchen 5, im Hotel Schönblick 2, im Hotel Eibsee 1, im Teillazarett Gsteig­straße 2, im Hotel Rießersee 4, im Hotel Roter Hahn 2, im Hotel Sonnenbichl 3.

31 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden dem Haushalt von Offi­zieren, Rechtsanwälten, Ärzten, Einzelpersonen und Familien, kleineren Handwerksbetrieben und verschiedenen Einrichtun­gen wie z.B. dem Todt-Heim zugewiesen.

 

 

 

 

Diese Bilder zeigen Tatjana Pawlowna Sawschenko (Savchenko). Sie wurde im Juni 1943 im Alter von 18 Jahren aus dem Kreis Sumskaja nach Garmisch-Partenkirchen deportiert und musste im Teillazarett Roter Hahn als Küchenmädchen arbeiten. Das rechte Bild zeigt sie (2. von rechts) bei einem Ausflug. Die Aufnahmen tragen auf der Rückseite den Stempel "6. Nov. 1944 - Atelier Rudolf Rudolphi Garmisch-Partenkirchen".

Diese Bilder verdanke ich Elena Efimenko (Garmisch-Partenkirchen), die sie im Moskauer Informations- und Aufklärungszentrum MEMORIAL gefunden hat.

 

 

 

 

Der größte „Arbeitgeber“ war die Deutsche Reichsbahn. In ihrem „Lager Schlachthof“ waren 59 Frauen und Männer als Zwangsarbeiter beschäftigt. Sie wohnten auch in diesem Lager. Für die übrigen Arbeitskräfte musste der Arbeitgeber Wohn- oder Schlafraum zur Ver­fügung stellen.

 

[1] Mark Sporer, NS-Zwangsarbeiter im Deutschen Reich. Eine Statistik vom 30. September 1944 nach Arbeitsamtsbezirken. Die ausländischen und die protektoratsangehörigen Arbeiter und Angestellten im Großdeutschen Reich nach Arbeitsamtsbezirken am 30. September 1944 - In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 49. Jahrgang 2001, 4. Heft, (München 2001) S. 665-684

[2] StA München - LRA 63235-63237 Ausländer / Russland A-J, K-P, R-Z

[3] Auswertung der 330 Dateiblätter im Staatsarchiv München mit Zwangsarbeitern aus „Russland“ nach Alter , Geschlecht, Wohnort, Tag der Ankunft in Garmisch-Partenkirchen und Arbeitgeber

 

 

 

© Alois Schwarzmüller 2012