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"Im Großen und Ganzen willig und brauchbar" |
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Zwangsarbeiter aus Russland, Weißrussland und der Ukraine Im Arbeitsamtsbezirk Weilheim, zu dem auch der Landkreis Garmisch-Partenkirchen mit einer Nebenstelle gehörte, waren 1944 7651 ausländische Arbeiter - 4474 Männer und 3177 Frauen[1] - in „kriegswichtigen“ Produktionsstätten, in der Landwirtschaft, im Hotel- und Gaststättengewerbe und in vielen andere Betrieben tätig. Sie haben die Lücken an den Werkbänken, in den Lazaretten, auf dem Feld und im Stall und in der Versorgung der Bevölkerung geschlossen. Die parteiamtliche Sprache nannte sie, verschleiernd und herabsetzend, „Zivilarbeiter“ oder „Ostarbeiter“. Mit Hilfe eines Stücks Stoff, das bei harter Strafandrohung äußerlich sichtbar getragen werden musste, wurden sie besonders entwürdigend kenntlich gemacht.
Im Staatsarchiv München werden von der damaligen Ortspolizeibehörde Garmisch-Partenkirchen sorgfältig ausgefüllte Kennkarten mit Daten von 330 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern und ihren Kindern aufbewahrt. Sie kamen aus Russland, Weißrussland und der Ukraine und wurden von 1941 bis 1944 in den Olympiaort Garmisch-Partenkirchen gebracht. Die Passfotos zeigen Gesichter von ängstlichen Mädchen und Jungen, von wütenden Frauen und Männern, von resignierten, ausgelieferten Menschen. Geburtsdaten, Angaben zum Wohnort, der Ankunftstag in Garmisch-Partenkirchen, Fingerabdrücke und der zugewiesene Arbeitsplatz geben knappe Auskunft über sie. Unter ihnen sind 14 mit dem Zusatz „Kind“, mal mit Vater oder Mutter, mal mit Schwester oder Bruder. Und viele im Alter von 14, 15, 16, 17 Jahren, auch sie noch halbe Kinder, aber von der deutschen Besatzungsbürokratie zu vollwertigen Arbeitskräften erklärt.[2]
Alter und Geschlecht Der älteste „Ostarbeiter“ in Garmisch-Partenkirchen hieß Konrad Nitschiporuk. Am 28. Juli 1944, dem Tag, an dem er in Garmisch-Partenkirchen ankam, war er 73 Jahre alt. Mit ihm und am gleichen Tag kam Maria Nitschiporuk, vielleicht seine Tochter, vielleicht seine Enkelin, geboren am 30. September 1924. Beide wurden als Landarbeiter dem Lager der Deutschen Reichsbahn am Schlachthof Garmisch-Partenkirchen zugewiesen. Vier Prozent der 330 Ukrainer, die zwischen 1941 und 1945 in Garmisch-Partenkirchen lebten, waren im Kindesalter, 56 Prozent zwischen 11 und 20 Jahre alt, 22 Prozent zwischen 21 und 30, fünfzehn Prozent zwischen 30 und 60. 77 Prozent waren Frauen und Mädchen, 23 Prozent Männer und junge Burschen.[3]
Wohn- oder Geburtsort Aus 80 verschiedenen Dörfern und Städten, aus Provinznestern und Großstädten Russlands, Weißrusslands und der Ukraine wurden diese 330 Frauen und Männer „rekrutiert“ und nach Garmisch-Partenkirchen deportiert – mit Verträgen und Versprechungen, mit List und Gewalt. Sie kamen aus städtischen Zentren wie Gomel (14), Kiew (44) und Minsk (22), aus dem Oblast Leningrad (18) und dem Oblast Moskau (1), aus dem ukrainischen Oblast Sumska (20), aus der polnisch-ukrainischen Grenzstadt Przemysl (7), aus Rostow (7) und aus Rzytomierz (20), Zentrum chassidisch-jüdischer Kultur seit dem 18. Jahrhundert, ausgelöscht durch SS-Einsatzgruppen 1941, aus bekannten Städten wie Brest-Litowsk, Dnjepropetrowsk, Kursk, Lemberg, Mogilev, Nishni-Nowgorod, Poltawa, Tarnopol, Smolensk, Uman, Winniza, Witebsk, Charkow, aus dem litauischen Wilna und aus alten Landschaften und Provinzen wie Weißruthenien und Wolhynien - und aus zahllosen unbekannten, aber nicht namenlosen Dörfern.
Ankunft der Transporte 1941, nur wenige Monate nach dem Überfall auf die Sowjetunion, kamen die ersten 19 Frauen und Männer – 10 im Oktober, 7 im November und 2 im Dezember. 1942 stieg die Zahl auf 117 - 16 im April, 7 im Mai, 18 im Juni, 23 im Juli, 24 im August, 4 im September, 13 im Oktober, 5 im November, 7 im Dezember. Im Kriegsjahr 1943 waren es 85 – 1 im Januar, 7 im März, 5 im April, 5 im Mai, 21 im Juni, 17 im Juli, 5 im August, 2 im September, 11 im Oktober, 7 im November und 4 im Dezember. Bis zur Mitte des vorletzten Kriegsjahres 1944 wurden noch einmal 105 Frauen und Männer, mehr als je zuvor, als Zwangsarbeiter in den Olympiaort gebracht – 3 im Januar, 2 im Februar, 3 im März, 16 im April, 3 im Mai, 36 im Juni, 41 im Juli und 2 im August. Über 70 noch zu einem Zeitpunkt, als die sowjetische Armee bereits unweit der Grenze zu Ostpreußen stand.
Arbeit und Arbeitgeber Ganz selten waren „Ostarbeiter“ in Garmisch-Partenkirchen im Handwerk beschäftigt, als Bäcker (1) und Friseur (1), als Koch (1) und Hilfsgärtner (2), als Schneiderin (1) und Schumacher (3). Der größte Teil wurde im Hotel- und Gaststättengewerbe als Spüler (4), Hausbursche (2), Hausmädchen (103) und Küchenmädchen (79) eingesetzt. In der Landwirtschaft arbeiteten 17 Männer und 48 Frauen. Als Hilfsarbeiter waren 14, als Kohlenträger 11, im Steinbruch 10 und bei der Reichsbahn 59 Zwangsarbeiter tätig. In den Gaststätten und Cafés Almaspitz, Alpengruß, Aule Alm, Bahnhof, Bauer, Bayerischer Hof, Bayernstüberl, Bischoff, Drei Mohren Partenkirchen, Edelweiß, Ettaler Mandl, Grasberg, Hofbräustüberl, Kainzenfranz, Kantine Artilleriekaserne, Melber, Olympia Haus, Panorama, Partnachklamm, Schalmei, Schatten, Schützenhaus, Stadt Wien, Tiroler Weinstube, Weißes Rößl, Werdenfelser Hof, Werdenfelser Michl, Zum Rassen, Zur Linde und in den Berggasthöfen Eckbauer, Grasberg, Kochelbergalm, Kreuzeckhaus, Münchner Haus, Partnachalm und Wankhaus waren insgesamt 62 Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigt.
In den Pensionen Förtsch, Haus Regina, Hausberg, Kustermann, Miramontes, Roseneck, Schell, Schöneck, Viktoria und Witting und in den Hotels Drei Mohren Garmisch, Husar, Marktplatz, Clausings Posthoel Garmisch, Post Partenkirchen, Roter Hahn, Schneefernerhaus und Vier Jahreszeiten waren 34 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter tätig. Die in der Landwirtschaft eingesetzten Frauen und Männer arbeiteten auf Höfen in Garmisch-Partenkirchen, Wamberg, Schlattan, Höfle, Kaltenbrunn und Mittergraseck. In den Sägewerken Betz, Dillis und Zerhoch war je ein „Ostarbeiter“ beschäftigt, in der Forstverwaltung waren es vier, im Kreide- und Kalksandsteinwerk Kaltenbrunn 15, in den örtlichen Kohlenhandlungen 17, im Krankenhaus Garmisch zwei, im Pädagogium Alpinum vier. Auch im Standortlazarett und in den sogenannten Teillazaretten des Ortes – meist große Hotels - wurden vielfach Zwangsarbeiter eingesetzt: Im Standortlazarett 2, in den Teillazaretten Haus St. Hildegard 7, im Haus Partenkirchen 5, im Hotel Schönblick 2, im Hotel Eibsee 1, im Teillazarett Gsteigstraße 2, im Hotel Rießersee 4, im Hotel Roter Hahn 2, im Hotel Sonnenbichl 3. 31 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden dem Haushalt von Offizieren, Rechtsanwälten, Ärzten, Einzelpersonen und Familien, kleineren Handwerksbetrieben und verschiedenen Einrichtungen wie z.B. dem Todt-Heim zugewiesen.
Der größte „Arbeitgeber“ war die Deutsche Reichsbahn. In ihrem „Lager Schlachthof“ waren 59 Frauen und Männer als Zwangsarbeiter beschäftigt. Sie wohnten auch in diesem Lager. Für die übrigen Arbeitskräfte musste der Arbeitgeber Wohn- oder Schlafraum zur Verfügung stellen. [1] Mark Sporer, NS-Zwangsarbeiter im Deutschen Reich. Eine Statistik vom 30. September 1944 nach Arbeitsamtsbezirken. Die ausländischen und die protektoratsangehörigen Arbeiter und Angestellten im Großdeutschen Reich nach Arbeitsamtsbezirken am 30. September 1944 - In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 49. Jahrgang 2001, 4. Heft, (München 2001) S. 665-684 [2] StA München - LRA 63235-63237 Ausländer / Russland A-J, K-P, R-Z [3] Auswertung der 330 Dateiblätter im Staatsarchiv München mit Zwangsarbeitern aus „Russland“ nach Alter , Geschlecht, Wohnort, Tag der Ankunft in Garmisch-Partenkirchen und Arbeitgeber
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