1944 - Der Professor, die Bäuerin und die Nazis: Albrecht Haushofer und Anna Zahler

 

 

 

 

 

W. Zellner, Eine Bäuerin wagt ihr Leben. Der Entschädigungsfall der Witwe Zahler: Sie half dem „Verräter" Prof. Haushofer - Süddeutsche Zeitung - 27.05.1953

München (Eig.Bericht) — „Ich bin so niedergeschlagen. Dass es mir lieber war, die Nazis hätten mich Im Gestapo-Gefängnis um einen Kopf kürzer gemacht, dann brauchte Ich jetzt nicht so zu betteln", schrieb die Witwe Anna Zahler aus Partenklrchen vor einigen Tagen an einen guten Freund. Nach dem mißglückten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 hatte sie den flüchtigen Professor Albrecht Haushofer, Beteiligter am Attentat, Widerstandskämpfer und Sohn des Geopolitikers Karl Haushofer, auf Ihrem Hof in Mittergraseck wochenlang vor den Spürhunden der Geheimen Staatspolizei versteckt.

Kurz vor Weihnachten ereilte sie das Schicksal: Haushofer wurde entdeckt und mit Frau Zahler in das Gestapo-Gefängnis in München eingeliefert. Ein Genickschuß löschte dann in Berlin das Leben Prof. Haushofers aus — einen Tag bevor die Russen einrückten. Seine Leidensgefährtin entging dem drohenden Tod. — Da das Landesentschädigungsamt jeden Anspruch abgelehnt hatte, rollte in diesen Tagen das Schicksal dieser Frau vor der Entschädigungskammer des Landgerichts I noch einmal ab:

Die Nazis suchten nach dem mißglückten 20. Juli fieberhaft nach den Verschwörern. Einer von ihnen war Prof. Albrecht Haushofer, der durch seinen Vater früh mit den Nationalsozialisten zusammengekommen war, sich aber bald von ihnen getrennt und aktiven Widerstand geleistet hat. Im überfüllten Garmisch-Partenkirchen saßen die Bonzen auf sonnigen Terrassen, redeten vom Endsieg und wünschten die „Volksverräter" an den Galgen. Haushofer, Beteiligter am Plan des Attentats, schlug sich bei Nacht und Nebel von der Reichshauptstadt nach dem Oberland durch und stand am 20. September 1944 in der ersten Morgendämmerung vor dem tausend Meter hohen Hof der Anna Zahler: — in schwarzem Umhang, stoppeligem Bart, dunkler Brille und wirrem Haar. „Voll Dreck und Speck, wie ein Gejagter", erinnert sich die Bäuerin. Das Sommerhaus seiner Eltern lag nur 45 Minuten entfernt. Doch dorthin wollte und konnte er nicht. „Ich muß mich verstecken", flüsterte er atemlos. Anna Zahler sagte nur: „Freili." Die beiden kannten sich und ihre politische Einstellung seit Jahren.

Zehn Wochen hauste der Professor in dem Versteck. Nicht einmal der betagte Vater der Bäuerin ahnte es. Die Nachbarn redeten „vom Haushofer" und davon, daß dem der Kopf runterkommt, der ihn versteckt. Die Nerven der beiden Menschen waren zum Zerreißen gespannt; jedes unerwartete Klopfen an der Haustür schreckte sie auf. Um den kräftigen Mann nicht verhungern lassen zu müssen, wurde schwarz geschlachtet. (Anna Zahler stand deshalb nach dem Krieg (!) vor Gericht.) Einige Tage nach dem 75. Geburtstag des „alten Herrn Haushofer" trug sie ihm ein Gockerl hinüber. Er weinte und hatte um seinen Sohn Angst. „Ich durfte ihm nichts sagen", berichtet die Witwe, deren eigener einziger Sohn noch jetzt in Frankreich vermisst ist.

Dann kam der Tag, an dem für sie die Welt unterzugehen drohte: der 7. Dezember 1944. Das Land lag tief verschneit da. Die Bäuerin arbeitete nur mit ihrer Tochter und einer Ukrainerin und kam um 13.30 Uhr erschöpft aus den Bergen zurück. Sie lief den drei Gestapo-Beamten und zwei Kriminalern direkt in die Arme. Haushofer stand gefesselt in der Stube und nickte ihr müde zu. Er hatte sich im Heu versteckt und wäre um ein Haar nicht entdeckt worden. Ein verräterisch in der Sonne blinkender Manschettenknopf aber lieferte ihn ans Messer. Auf dem Weg zum Bahnhof begegnete ihnen die 17jährige Tochter. „Wir schrien und fielen uns um den Hals", erzählt Frau Zahler mit erstickter Stimme und Tränen steigen ihr in die Augen. „Ich hatte mit dem Leben abgeschlossen." Am gleichen Abend saß sie in einer der gefürchteten Zellen des Münchner Gestapo-Gefängnisses. Haushofer kam bald nach Berlin; Anna Zahler wurde in einem zwölfstündigen Verhör „ausgequetscht". Vier lange, bange Monate saß sie im „Wittelsbacher Palais". Sie sah Blutlachen und Erhängte. Ein Mann werde sie bald holen, sagte man ihr. In Todesangst erwartete die Bäuerin ihre letzte Stunde. Nach zehn Wochen sah sie einer der Gestapo-Beamten, die sie verhafteten. „Was, bist du auch noch da", schnauzte er. „Ja, lassen S’ mich halt raus", klagte die Bäuerin. Doch der andere brüllte: „Was rauslassen, ich wünschte, du wärst ganz woanders!"

Es ist verblüffend, mit welcher Dankbarkeit die Frau trotz der grausamen Erlebnisse an zwei Beamte des Gefängnisses zurückdenkt. Ihnen verdankte sie ihr Leben, sagt sie dem Vorsitzenden der Entschädigungskammer im Landgericht I, Landgerichtsrat Dr. Herold. Nach 18-wöchiger Haft habe sie an der Hand eine Infektion gehabt, habe sich in ärztliche Behandlung begeben müssen und sei deshalb zwei Monate aus dem Gefängnis beurlaubt worden. „Ja, und inzwischen sind die Amerikaner gekommen."

Die monatelange drückende, seelische Belastung hat ihr zerrüttete Nerven und einen Herzknacks eingetragen. Sie konnte den Hof nicht mehr bewirtschaften und mußte ihn hergeben. Anna Zahler verlangte deshalb eine Entschädigung als politisch Verfolgte. Man lehnte ab, well sie „wegen Schwarzschlachtung" verhaftet worden sei. Landgerichtsrat Dr. Herold aber schien es doch zu abwegig, anzunehmen, daß drei Gestapo-Beamte extra aus München gekommen sein sollten, um ein schwarzgeschlachtetes Schaf oder Kalb anzuschauen. Der bayerische Staat erklärte sich deshalb in einem Teilvergleich bereit, Anna Zahler für jeden Tag der Haft 5 Mark zu geben. — Und die Mühlen der Behörden mahlen weiter. Die Frau soll jetzt beweisen, daß sie tatsächlich gesundheitliche Schäden erlitten hat. Die Aktendeckel sind noch nicht endgültig zugefallen.

Still geht die Bäuerin aus dem Gerichtssaal. In ihrer abgegriffenen, altmodischen Handtasche stecken die „Moabiter Sonette"; die Haushofer im Gefängnis schrieb. Auf der ersten Seite des Buches steht: „Der lieben Frau Zahler, die alles wagte, um das Leben Albrecht Haushofers zu erhalten. Dieses Buch als seinen letzten Gruß aus dem Gefängnis." Unterschrieben ist die Widmung von Dr. Rainer Hildebrandt, Leiter der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit in Berlin.

 

© Alois Schwarzmüller 2006