„… Juden sind hier nicht mehr aufhältlich.“
Die Ausgrenzung jüdischer Kurgäste in Garmisch-Partenkirchen
1937/38

 

 

 

1935 - „Scharfe Kampfansage an die Juden“

Zwei Jahre später drehte sich der Wind: Hans Hartmann, der lokale NS-Kreisleiter seit 1933, forderte in einer Rede am 1. Mai 1935 unverhohlen dazu auf, „alles Jüdische aus Garmisch-Partenkirchen zu vertreiben“, die HJ pflasterte die Straßen nach Garmisch-Partenkirchen mit judenfeindlichen Plakattafeln und der Ortsobmann der Deutschen Arbeitsfront drohte allen Vermietern, Hoteliers und Gaststättenbetreibern, die noch jüdische Gäste aufnahmen oder bewirteten, mit Ausschluss aus der NSDAP, also letztlich mit Boykott durch die Kurverwaltung bei der Zuweisung von Gästen.

Das zeigte Wirkung. Schon für die zweite Junihälfte 1935 stellte die Gendarmeriestation Garmisch fest, dass „zum Kuraufenthalt z.Zt. keine Juden festgestellt werden“ konnten. „Auf Grund der vor den Hotels an­geschlagenen Flugzettel, deren In­halt sich gegen den Aufenthalt der Juden in Garmisch-Partenkir­chen richtete, sind Juden, welche hier längere Zeit zum Kuraufenthalt verweilen wollten, abgereist." Das Bezirksamt Garmisch sprach von einer „scharfe(n) Kampfansage an die Juden“, die in der Sommersaison dazu geführt habe, dass viele jüdische Gäste vorzeitig abgereist seien. Bei den Vermietern und Wirten - „namentlich von demjenigen Teil der Bevölkerung, und das ist der Großteil, der vom Fremdenverkehr lebt“, so der Leiter des Bezirksamts - stieß die offizielle antijüdische Linie nach Beobachtung der Behörden nicht nur auf Zustimmung. Schließlich standen die Olympischen Winterspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen direkt vor der Eröffnung, das Fremdenverkehrsgewerbe hoffte auf gute Einnahmen. Anhaltende antjüdische Aktionen bedrohten diese Erwartungen.

Schon im April 1935 notierte Carl Diem, einer der wichtigsten Sportfunktionäre im Dritten Reich und häufig in Garmisch-Partenkirchen zur Besuch, in seinem Tagebuch, „dass seit zwei Monaten eine starke anti­semitische Propaganda einsetzt, Aus­hang der 'Stürmer-Kasten': 'Wir lassen Juden und Huren über den­selben Strick springen'. 'Wenn mir ein Jude ins Quartier kommt, fliegt das Fenster auf die Strasse'. Dies lässt ja manches erwarten, unter Umständen ein schwerer Rück­schlag für die Sommerspiele. Ich verspreche, dies dem Reichsinnen­ministerium nachdrücklich mitzu­teilen.“Quelle 7

Gleiches berichtete Ritter von Halt in einem Brief an Hans Pfundtner, Staatssekretär im Reichsinnenministerium: "Mit wachsen­der Sorge, “ heißt es da, „beobachte ich in Garmisch-Partenkirchen und Umgebung eine planmäßig einsetzende antisemitische Propa­ganda. Wenn sie bis vor wenigen Monaten geschlummert hat und nur hin und wieder in Reden zum Durchbruch gekommen ist, so wird jetzt syste­matisch dazu überge­gangen, die Juden in Garmisch-Partenkir­chen zu vertreiben. Am 1. Mai hat der Kreisleiter Hartmann in seiner Rede dazu aufgefordert, alles Jüdische aus Garmisch-Partenkirchen zu entfernen… Wenn die Propaganda in dieser Form weitergeführt wird, dann wird die Bevölkerung von Garmisch-Partenkirchen so auf­geputscht sein, dass sie wahllos jeden jüdisch Aussehenden angreift und verletzt. Da­bei kann es passie­ren, dass Ausländer, die jüdisch aussehen und gar keine Juden sind, beleidigt werden. Es kann pas­sieren, dass ein jü­disch aussehender Auslandspressevertreter an­ge­griffen wird und dann sind die schlimmsten Konsequenzen zu be­fürchten. Das Olym­pia-Verkehrs­amt weiß heute schon nicht mehr, wie es die Unterbrin­gung vornehmen soll, wenn es sich um nichta­ri­sche Athleten han­delt.“Quelle 8

Diems und von Halts Beobachtungen blieben monatelang ohne Konsequenzen, ob­wohl Halt ausdrücklich bemerkte, dass er seine Sorge „nicht deshalb äu­ßere, um den Juden zu helfen“, sondern „ausschließlich“ zum Schutz der olympischen Idee.

Weder von Halt noch Diem ging es um olympische Ideale und schon gar nicht um den Schutz der jüdischen Minderheit, sondern einzig und allein um die Sicherung der Spiele von Berlin. Hätte sich das Ausland im Februar 1936 oder schon vorher von Garmisch-Partenkirchen abge­wendet, dann wäre das zum Desaster für das große olympische Pro­pagandaspektakel von Berlin geworden. Dies zu verhindern galten die Anstrengungen der Funktionäre Carl Diem und Ritter von Halt.

Aber der seit den Nürnberger Gesetzen offen zur Schau gestellte antijüdische Ungeist ließ sich nicht so leicht­hin wieder in die Flasche zurückzwingen. Im Juni klagte der Garmi­scher Bezirksamtmann Wiesend über "das heimliche eigenmächtige Anbringen von Holztafeln mit der Aufschrift 'Juden sind nicht er­wünscht' durch die Hitler-Jugend." Wer hier die Fäden zog in diesem unwürdigen Spiel zwischen offener Diskriminierung und vordergrün­digem Bedauern ist nicht klar.

 

1935 - Das Jahr der Vorbereitung auf die Olympischen Winterspiele. Überall die gleichen Signale: "Juden unerwünscht" - Im Olympia-Verkehrsamt des Marktes Garmisch-Partenkirchen, in Beherbergungsbetrieben wie der Pension Antoniberg,  in den olympischen Wettkampfstätten und selbst auf der Hochalm und auf der Partnachalm

 

Man wandte sich schließlich nach ganz oben: Zunächst wurde Rudolf Heß um weitere Veranlassung gegen die "judenfeindlichen Propaganda im Be­zirk Garmisch-Partenkirchen und Um­gebung" gebeten. Ohne Ergeb­nis.

Zwei Monate vor Beginn der Spiele in Garmisch-Partenkirchen „er­suchte“ Reichsinnenminister Frick „mit Rücksicht auf die bevorste­henden olympi­schen Winterspiele zu veranlassen, dass an der Stra­ßen- und Eisenbahnstrecke zwischen München und Gar­misch-Parten­kirchen und in ihrer Nähe sämtliche Schilder, Transpa­rente und ähnli­che Hin­weise, die die Judenfrage betreffen, besei­tigt werden.“ Ohne Ergebnis.

Mitte Januar musste Adolf Wagner, NS-Gauleiter und Staatsminister des Innern, erneut anordnen, „sämtliche Schilder, Transparente usw. mit der Aufschrift 'Juden sind hier unerwünscht' unverzüglich - längstens bis 15. Januar 1936 - zu entfernen.“

Er versuchte seine SA-und HJ-Rabauken mit einer neuen Strategie von ihrem Tun abzubringen, indem er erklärte, „die Judenfrage ist durch die Nürnberger Gesetze geregelt. Einer über die Nürnberger Gesetze hinausgehenden Abwehr bedarf es im Augenblick nicht.“ Und fügte hinzu: „Ständige Aufklärung über die Judenfrage im Rahmen der gesamten Rassenfrage wird dafür sorgen, dass die Bevölkerung immer mehr den Juden von sich aus ablehnt.“ Ein letztes fast ver­zweifeltes Argument: Die Ausländer, die nach Garmisch-Partenkir­chen reisen, „müssen, wenn sie immer wieder die oben genannten Schilder sehen, auf den Gedanken kommen, dass wir in der Juden­frage doch noch Schwierigkeiten haben. Dies ist unerwünscht.“Quelle 9

Noch dreister formulierte Rudolf Heß. Er empfahl - eine Woche vor dem Erklingen der olympischen Fanfaren in Garmisch-Partenkirchen - darauf zu achten, „dass nur solche Schilder und Tafeln angebracht werden, die ohne besondere Gehässigkeit zum Aus­druck bringen, dass Juden unerwünscht sind.“Quelle 10

 

NS-Gauleiter Adolf Wagner
 

Reichsinnenminister Wilhelm Frick

Rudolf Hess, Stellvertreter Hitlers in der NSDAP

Heß, Frick, Wagner – die ganze Phalanx der NSDAP musste aufgebo­ten werden, um dafür zu sorgen, dass aus Garmisch-Parten­kirchen und Umgebung die antijüdischen Schilder von den Bänken der Kur­anlagen, aus den Auslagen der Geschäfte und vor den Ortseinfahrten wenigstens vorübergehend entfernt wurden.

Der weitere Weg war vorgezeichnet: Nach der widerwillig gewährten und nur kurz andauernden olympischen Ruhe an der antijüdischen Front der NSDAP wurden die Werdenfelser Kurorte wieder scharf ins Visier genommen und einzelne Gemeinden stellten ihre so genannten „Judenabwehrschilder“ sogleich wieder auf.

 

© Alois Schwarzmüller 2009