1933 - Der Beginn der nationalsozialistischen Diktatur in Garmisch-Partenkirchen

 

 

 

Die Gleichschaltung von Presse, Kultur und Vereinen

 

Presse

Die Zeitungslandschaft im Werdenfelser Land war vielfältig – vier Lokalzeitungen versorgten die Leserinnen und Leser mit regionalen und überregionalen Nachrichten: Die „Mittenwalder Grenzpost" (Verleger Josef Neumayer in Mittenwald), die „Ammergauer Zeitung" (Verleger Heinrich Uhlschmid in Oberammergau), der „Werdenfelser Anzeiger" (Verleger Gottlieb Bierprigl, Partenkirchen) und das „Garmisch-Partenkirchner Tagblatt" (Verleger Alois Adam, Garmisch). Seit 1931 erschien mit der „Wetterstein-Wacht" ein lokales Blatt, das von der NSDAP herausgegeben wurde.

Auf Betreiben der NSDAP, wahrscheinlich des Münchner Gaupresseamtes, mussten der Werdenfelser Anzeiger, die Mittenwalder Grenzpost und die Ammergauer Zeitung 1938 ihr Erscheinen einstellen.

Das Garmisch-Partenkirchner Tagblatt wurde zur Hauptnachrichtenquelle für den lokalen Bereich. Verleger Alois Adam war kein Anhänger des Nationalsozialismus. Im Juni 1933 zögerte er, einen Aufruf der Garmischer NSDAP-Führung zum „Fest der Jugend" zu veröffentlichen. Bürgermeister Thomma sah sich „gezwungen, in ähnlichen Fällen ein Einschreiten des Herrn Sonderkommissars herbeizuführen." NS-Sonderkommissar Karl Hartmann setzte seit Beginn der Naziherrschaft im Bezirk Garmisch den Willen der neuen Machthaber durch. Solchen Drohungen waren Verlag und Verleger nicht gewachsen. Adam sah sich gezwungen, der NSDAP beizutreten. Mit der Einsetzung des politisch zuverlässigen „Hauptschriftleiters" Fritz Brunner wurde die Zeitung auf NS-Linie gebracht. Der Totalitätsanspruch der Nazis ließ keine andere Entwicklung zu.

 

Kino

Kurz nach der Reichstagswahl im März 1933 wurde die Gendarmerie vom Bezirksamt Garmisch angewiesen, die örtlichen Filmtheater – Kur-Lichtspiele, Lamm- und Hochlandkino – zu kontrollieren. Auf der Verbotsliste standen 35 Filmtitel, unter ihnen so bekannte und berühmte Filme wie „Kuhle Wampe", „Panzerkreuzer Potemkin" und „Im Westen nichts Neues".

Das Programm der Kur-Lichtspiele am Bahnhof zeigte im April 1933 Film „Die Fahnen hoch – Hitlers Aufruf an das deutsche Volk", „Dr. Goebbels rechnet mit der SPD ab", „Bilder aus den Tagen der deutschen Revolution in München" und „Hitlerjugend in den Bergen".

 

Musik

Im Juni 1933 wurde auch die Musik „gesäubert": Der Gemeinderat Garmisch beschloss auf Antrag der Fraktionen der NSDAP und der Kampffront Schwarz-weiß-rot, die Hotel- und Gaststättenbesitzer von Garmisch zu veranlassen, „dass bei Spielen der Kapelle im Freien nur mehr Deutsche Musik geboten wird unter Hinweglassung von Saxophon und derartigen Instrumenten."

 

Katholische Volksbücherei Garmisch

Quellen

Katholische öffentliche Büchereien waren und sind eine „Schnittstellen zwischen lesender Kirche und säkularer Gesellschaft". Diese katholische Büchereiarbeit blickt in Deutschland auf eine 150-jährige Geschichte zurück. Der örtliche „Katholische Preßverein" als Träger der Volksbüchereien wurde am 14. März 1909 im Hotel „Bayerischer Hof" in Partenkirchen gegründet. Am Kirchweihsonntag 1909 wurde die Garmischer Leihbücherei mit einem Erstbestand von 400 Büchern eröffnet. Kurze Zeit danach zog sie in das neue Kurhaus am Marktplatz. 1911 gründeten die Partenkirchner eine eigene Bibliothek.

Den Nationalsozialisten war diese Leihbücherei sehr bald schon ein Dorn im Auge – mit Sicherheit aus ideologischen Gründen. Vielleicht auch aus einem anderen Grund: 1933 befand sich die Geschäftsstelle der NSDAP noch im Bunten Haus an der Landschaftsstraße. Vielleicht hatte man schon damals ein Auge auf das Kurhaus geworfen, das dann 1935 tatsächlich zum „Haus der NSDAP" umgewandelt wurde. Und deshalb wollte man die Bücherei entfernen. Und zwar mit allem Nachdruck und mit allen Nadelstichen, die eine Diktatur aufbieten kann.

Die politische Kontrolle dieser Volksbücherei im Zentrum von Garmisch und in unmittelbarer Nähe zur Pfarrkirche St. Martin wurde schon Ende April 1933 angeordnet. Der Mühlenbesitzer und Gemeinderat Karl Betz und der Zahnarzt Dr. Frank Heinz, Leiter der NS-Ortsgruppe des „Kampfbundes für Deutsche Kultur", suchten im Auftrag von Bürgermeister Thomma eifrig nach „bolschewistischem und marxistischem Schrifttum."

Es dauerte ein halbes Jahr, dann wurde der Bürgermeister wieder aktiv und wandte sich an den Büchereibeauftragten der Pfarrei St. Martin, Kaplan Dick, mit dem Ansinnen, „bei den Neuanschaffungen für die Volksbibliothek auf nationale Bücher und Zeitschrift besonderen Wert zu legen." Auf der dieser Aufforderung beigelegten Liste fanden sich alle „Bestseller" der NS-Literatur – von Adolf Hitlers "Mein Kampf" bis zu Will Vespers Roman "Das harte Geschlecht".

Im November des Jahre 1933 erfolgte ein zweiter Kontrollgang durch die Bücherei, wiederum angeordnet von Bürgermeister Thomma. Vorgenommen wurde die nationalsozialistische Visitation diesmal durch den Arzt und Gemeinderat Dr. Karl Friedrich. Außerdem musste jedes neu erworbene Buch gemeldet werden. Dr. Friedrich sandte die Liste der überprüften Bücher an die „Prüfstelle München für Schund- und Schmutzliteratur" mit der Bitte, ihm doch mitzuteilen, „welche Bücher zu entfernen wären." Im Dezember entschied die Bayerische Politische Polizei, München, dass die Erzählung „Wolfsblut" von Jack London, Dostojewskijs Roman „Schuld und Sühne", Thomas Manns „Königliche Hoheit" und Maxim Gorkis Novellen „der näheren Prüfung" bedürfen.

Außerdem wurde in einer Entschließung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus noch einmal nachdrücklich darauf hingewiesen, dass Bücher der Volksbücherei nicht zur nationalsozialistischen Weltanschauung in Gegensatz stehen dürfen und dass „unterhaltende und belehrende Bücher nationalsozialistischer Werte zu führen" seien.

Der entscheidende Satz ging aber weit über die inhaltliche Zensur hinaus. Mit der Feststellung, dass „die Leitung einer solchen Bücherei" nicht „Verbänden mit Bekenntnisgepräge überlassen" werden könne, wurde praktisch angekündigt, dass die Bücherei in die Hände der Gemeinde übergehen werde.

Kaplan Dick reagierte am 17. Januar 1934 auf diese Drohung mit der Verstaatlichung der Katholischen Volksbücherei Garmisch mit einem neuen Schachzug: Er teilte Bürgermeister Thomma mit, dass „die Pressvereinsbibliothek Garmisch" als Pfarrbücherei weitergeführt werde.

Die Auseinandersetzung eskalierte nun von Monat zu Monat: Im April wurde dem Katholischen Pressverein mitgeteilt, dass der unentgeltliche Strombezug eingestellt werde, im Juni wurden die Räume im Kurhaus am Marktplatz gekündigt – mit der Begründung, die Gemeinde brauche diese Räumlichkeiten für die Gemeinderegistratur. Im Juli teilte die Katholischen Pfarrbibliothek der Öffentlichkeit mit, dass „die Bücherei in Zukunft nicht mehr als Volksbücherei geführt werden darf und die Weisung erhalten hat, ihre Bücherbestände aus dem Bibliotheksraum im Rathaus zu entfernen." Bürgermeister Thomma verwahrte sich gegen den „Eindruck, als ob der Gemeinderat Garmisch gegen die Kirche oder die kath. Religion sich wenden wollte", hielt aber daran fest, dass das Katholische Pfarramt die Schuld an der ganzen Sache trage, wolle es doch weiterhin „eine rein katholische Bibliothek unter Aufsicht und Führung der kath. Geistlichkeit unterhalten." Die Parallele zur Entfernung von Josef Reiser aus dem Gemeinderat Garmisch ist deutlich: So wenig ein sozialdemokratischer Gemeinderat Gemeinderat bleiben durfte, so wenig durfte eine katholische Bücherei Bücherei bleiben.

Noch einmal wehrte sich das Katholische Pfarramt im Oktober 1934. Kaplan Dick pochte darauf, dass der Kaufvertrag für das Kurhaus, in dem die Bücherei seit 1909 untergebracht war, eine Klausel enthalte, derzufolge „das Bibliothekslokal des Kath. Pressvereins" ein dauerhaftes Wohnrecht habe. Es nützte ihm nichts. Der Bürgermeister setzte sich darüber hinweg. Er bot dem Katholischen Pfarramt zum Hohn an, im Büchereiausschuss der Gemeinde doch „durch Beratung und Anregung" mitzuwirken.

Die Verwaltung der jetzt gemeindlichen Volksbücherei übernahm zunächst der Hauptlehrer Johann Fromm. Ihm folgte im November 1934 der Hilfslehrer Ernst Friedrich von der Knabenschule Garmisch.

 

Kultur

Im April 1933 wurde von Dr. Frank Heinz, Zahnarzt, der „Kampfbund für Deutsche Kultur – Ortsgruppe Garmisch-Partenkirchen" gegründet. Den „Ewigkeitswert unserer Rasse und unseres Volkstums" wollte er damit auch in Garmisch-Partenkirchen sichern, Liberalismus und Marxismus „bekämpfen" – „Kampf" wurde überhaupt das Grundmuster aller kulturellen Entwicklung.

Im Juni 1933 wurde vom Gemeinderat Garmisch auf Antrag der NSDAP-Fraktion beschlossen, dass künftig „sämtliche Straßennamen nur in deutscher Schrift, ähnlich der gotischen Schrift, ausgeführt werden sollen."

 

Schule und Jugend

Nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 wurde in Garmisch-Partenkirchen das Verbot der Beteiligung von Schülern an HJ, BdM, NS-Schülerbund, Jungstahlhelm und Scharnhorst-Bund aufgehoben. Die Schulbibliotheken wurden überprüft, „ob sich in ihnen Bücher und Schriften bolschewistischen, marxistischen, international-pazifistischen und atheistischen Inhalts vorfinden." Alle Bücher dieser Art waren „sorgfältig auszuscheiden". Auch die Anschauungsmittel einschließlich des Wandschmucks mussten kontrolliert werden..

Georg Gutbrod gründete im April eine örtliche nationalsozialistische Jugendbetriebszelle für Jungarbeiter, Lehrlinge und Berufsschüler.

Zum „Fest der Jugend" rief Bürgermeister Thomma im Juni des Jahres „alle Schulen, Jugendvereine, Turn- und Sportvereine, Wehrverbände und sonstige nationale Vereine (SA, SS, Stahlhelm, Kyffhäuser Bund, Hitlerjugend usw.) zur Teilnahme auf. Höhepunkt war eine groß angelegte „Jugendsonnwendfeier".

 

Freie Gewerkschaften und Radfahrerverein „Solidarität"

Quellen

Am 9. März 1933 wandte sich der Ortsausschuss Garmisch-Partenkirchen des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) an seine Mitglieder zu beruhigen. Der Vorsitzende des ADGB Bayern habe von Staatskommissar Adolf Wagner die Zusicherung erhalten, dass die Gewerkschaftsarbeit nicht gestört werde und dass die Gewerkschaften und ihre Einrichtungen auch weiterhin staatliche Anerkennung genießen würden. Das Gewerkschaftsbüro in Garmisch-Partenkirchen bleibe weiter geöffnet, nach wie vor könne kostenlose Auskunft über Sozialrecht, Arbeitsrecht und Tarifrecht eingeholt werden.

Dass diese Zusicherungen reine Täuschungsmanöver waren, sollte sich schon bald zeigen. Das Heim der Eisenbahnergewerkschaft in Hammersbach wurde schon zwei Tage später von SA und Gendarmerie nach Waffen durchsucht – „Waffen wurden wider Erwarten nicht gefunden." SA und Stahlhelmleute begaben sich auch zum Reintalerhof, der sich im Besitz des Deutschen Metallarbeiterverbandes befand, um dort ebenfalls nach Waffen zu suchen. Auch hier wurden die neuen Machthaber nicht fündig.

Am 23. März 1933 wurde das Hammersbacher Eisenbahnerheim vollständig geschlossen, nachdem seit 11. März „auf Antrag des Kreisleiters Hartmann" nur noch Angehörige der Gewerkschaft aufgenommen werden durften und Abhaltung von Gewerkschaftskursen völlig verboten wurde. Anfang April wollte das Bezirksamt Garmisch von der Regierung von Oberbayern Auskunft darüber, „ob diese beiden Heime dauernd vollständig und endgültig polizeilich zu sperren wären."

Der gewerkschafts- und SPD-nahe Arbeitersportverein „Solidarität" wurde am Mai 1933 Opfer des Gesetzes über die „Enteignung von zu antinationalem Zweck verwendetem Gut". Neben den rein politischen Organisationen - KPD, SPD und ADGB - gehörten „alle Turn- und Sportvereine, Vereinigungen zur Körperpflege jeder Art, Wirtschafts- und Wohlfahrtsverbände, Sänger- und Musikvereinigungen, Gesellschaften zur Pflege der Geselligkeit" dazu. Es wurde von der Gendarmerie und dem Bezirksamt Garmisch recherchiert, wie die Vermögensverhältnisse der einzelnen Organisationen waren.

Das Ergebnis der Untersuchungen wurde bald vorgelegt: Die KPD besaß demnach weder Vermögen noch Besitz. Bei den Sozialdemokraten konnte nicht festgestellt werden, "ob Vermögen oder Besitz vorhanden ist". Der sozialdemokratische Touristenverein „Die Naturfreunde" war Eigentümer einer Unterkunftshütte am Kramer und des Gasthofes „Edelweiß" in Partenkirchen, Martinswinkelstraße. Beim gewerkschafts- und SPD-nahen Arbeiter-, Rad- und Kraftfahrerbund „Solidarität" mit Sitz in Partenkirchen – Vorsitzender war Josef Brandl aus Partenkirchen, Kassier der Garmischer Martin Lanz - konnte gleichfalls nicht festgestellt werden, „ob Vermögen oder Besitz vorhanden ist." Im Vereinslokal Gasthof „Stadt-Wien" beschlagnahmte NS-Kreisleiter Karl Hartmann persönlich die „Solidaritäts-Standarte nebst Fahnenstange." Außerdem wurden vier Saalräder und zwei Einräder eingezogen. Die „Solidarität" war damit zwangsaufgelöst, der zweite Radfahrerverein, die „Concordia", hatte sich ebenfalls aufgelöst.

 

 

 

© Alois Schwarzmüller 2006