Garmisch-Partenkirchen 1945-1949 - Die ersten Jahre nach Diktatur und Krieg

 

 

 

Entnazifizierung - Selbstreinigung oder Selbstbetrug?

Johannes Müller (*1864 Riesa; †1949 Elmau) war protestantischer Theologe und Philosoph. In zahlreichen Aufsätze in seinen "Grünen Blättern" 1 und "Grünen Blätter" 2 setzte er sich - auch als Religionsintellektueller - für ein neues Christentum ein. 1912 erwarb Müller das Einödanwesen Elmau bei Garmisch, Vier Jahre später wurde Schloss Elmau so vollendet, wie wir es heute noch kennen. Hier glaubte er mit einer „Freistätte persönlichen Lebens“ den „Menschen von heute“ zu einem Leben verhelfen zu können, das seinem Wesen entspricht und im Sinne der Ethik Jesu geführt wird. Mit Nachdruck bekannte er sich 1933 zur „Wiedergeburt des deutschen Volkes“. Er pries Hitler als „das Empfangsorgan für die Regierung Gottes" und rechtfertigte in seinem 1934 erschienenen Werk Das Deutsche Wunder und die Kirche die gewaltsamen kirchenpolitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten und der Deutschen Christen, einschließlich der Einführung des „Arierparagraphen“.
Johannes Müller musste sich 1946 auf Veranlassung des bayerischen Staatskommissars für rassisch, religiös und politisch Verfolgte, Philipp Auerbach, einem Spruchkammerverfahren unterziehen. Aufgrund seiner „Verherrlichung von Hitler in Wort und Schrift“, so der Vorwurf, wurde er als Hauptschuldiger verurteilt. Schloss Elmau wurde 1945 von der US-Armee beschlagnahmt. 1947 übernahm es der bayerische Staat durch seinen Staatskommissar und richtete bis 1951 ein Erholungsheim für Displaced Persons ein.. 1948 gestand Johannes Müller bei der Entnazifizierung, dass er sich geirrt habe. Schloss Elmau wurde 1951 zurückgegeben. Johannes Müller starb 84-jährig am 4. Januar 1949.

 

10.12.1946

Dr. Johannes Müller: Hauptschuldiger - Urteil der Spruchkammer Garmisch-Partenkirchen

"Der Erbauer und Gründer der Kulturstätte „Schloss Elmau“ in Klais bei Garmisch -Partenkirchen, Kulturphilosoph Dr. Johannes Müller, wurde am 10. Dezember von der Garmischer Spruchkammer als Hauptschuldiger verurteilt Der jetzt 82Jährige, der im Jahre 1918 mit der Gräfin Elsa von Waldersee die bekannte Kulturstätte „Schloss Elmau“ gründete, und der durch seine zahl­reichen Vorträge in Deutschland in Oslo, Kopenhagen, Helsinki, Wien, Zürich zu einer prominenten Persönlichkeit wurde, war weder Mitglied der NSDAP noch Angehöriger einer ihrer Organisationen. Müller war seit 1898 Verleger und Schriftleiter der „Grünen Blätter", die eine Auflage von 6000 Exemplaren erreichten und vornehmlich unter der Intelligenz verbreitet waren. Ferner hielt der Be­troffene in Schloss Elmau vor seinen meist sehr zahlreichen Gästen regelmäßig Wochenvorträge.

Bis zur Machtübernahme verhielt sich Dr. Johannes Müller dem Nationalsozialismus gegenüber neutral, ja er zeigte sogar eine kritische und ablehnende Haltung. 1933 wurde er aber plötzlich und spontan ein kompromissloser, glühender Hitler-Anhänger, ja Anbeter. Diese Wandlung zeigt sich zum ersten Male im 35. Band seiner "Grünen Blätter" in dem Aufsatz: „Nationale Revolution und das deutsche Schicksal". Selbst im Februar 1945 noch kannte Müllers Begeisterung "für den „Führer" und sein Werk keine Grenzen."

Als Hauptbeweis dienten der Kammer umfassende Auszüge aus Dr. Johann Müllers Vorträgen und Schriften. In seinem Silvester-Vortrag 1936 sagte Dr. Müller:

„Heute ist es so, dass zwar Millionen an den Führer glauben - aber wie viele von diesen Millionen glauben denn auch an sein Werk? Wer an diesem Werk zweifelt, der verwirft den Führer. Wenn wir aber an den Führer glauben, so glauben wir an Gott, denn wir glauben an sein Werkzeug, das er uns Deutschen geschickt hat, um uns zu retten. Wer also nicht an den Führer und sein Werk glaubt, der lehnt sich auf gegen Gott.“

Wir entnehmen einem seiner Vorträge im März 1939 folgendes: „Wenn es sich um un­seren Führer handelt, so stelle ich die Frage: Ist er ein Werkzeug dieser schöpferischen Macht? Und das ist mir überhaupt gar keine Frage. Ich habe nach der Machtübernahme gesagt: Er ist das gottgesandte Werkzeug zur Rettung Deutschlands. Sie haben doch selbst miterlebt, wie wir wieder zu Wohlstand gekommen sind, wie die Armut fast verschwunden ist. Hat es denn in der Weltgeschichte jemals ein derartiges nationales Werk der Barmherzigkeit gegeben wie die Winterhilfe? Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet das Christentum sich sträubt, Hitler als Werkzeug Gottes anzuerkennen und ihm zu gehorchen. Das ist es, was ich gegen das Christentum habe, was mich von ihm trennt.“

Am 18. Februar 1945 sprach Dr. Johannes Müller in Elmau: „Ich bin zu einem Abschluss gelangt, nämlich zu dem Ergebnis, dass wir keine Wahl hätten, und es keine andere Möglichkeit gäbe, als die, dass Deutschland bis zu dem Punkte kämpft, wo die Gegner aufgeben, es zu vernichten. Die Deutschen, die sich selbst aufgeben, sind nicht wert, Deutsche zu sein. Zu unseren Gunsten spricht auch noch, was für ein furchtbares Chaos die Engländer, Amerikaner und Russen in Europa überall dort angerichtet haben, wo sie das Land besetzten. Dass Deutschland erfüllt ist von einer derartigen patriotischen Leidenschaft der Hingabe, das ist für mich Bürgschaft dafür, dass man uns niemals unterkriegen wird.“

In seiner Verteidigungsrede führte Müller u. a. aus: „Die Rede von Potsdam machte auf mich einen ungeheuren Eindruck. Ich hielt Hitler nicht mehr für einen Scharlatan, sondern für einen wahren und wirklich großen Staatsmann. Ich bin kein Politiker und wusste nichts von den Gräueln und Perversitäten des Nationalsozialismus.“

Alle Entlastungszeugen bezeichneten den Betroffenen als einen charakterlich hochstehenden Mann, der aber politisch nicht ernst genommen wurde. Sein Verteidiger, Dr. Peter Heckert, legte 23 eidesstattliche Versicherungen vor als Beweis, dass Müller niemals als Nazi handelte. Unter ihnen befand sich auch eine von einer nach London ausgewanderten jüdischen Familie.

Das Einkommen des Betroffenen, das 1932 rund 42000 Mark betrug, steigerte sich in der Folgezeit bis auf etwa 187000 Mark im Jahre 1942. Die Kammer sieht in Müller also auch einen Nutznießer des nazistischen Systems.

Der Antrag des öffentlichen Klägers lautete auf Einreihung des Betroffenen in Gruppe I. Nach mehr als siebenstündiger Verhandlung fällte die Kammer folgenden Spruch: Der Betroffene ist Hauptschuldiger. Sein Vermögen ist als Beitrag zur Wiedergutmachung einzuziehen. Es ist dem Betroffenen nur der Betrag zu belassen, der zum Lebensunterhalt erforderlich ist. Er unterliegt laufenden Sonderabgaben, soweit er ein Einkommen bezieht. Es wird ihm auf die Dauer von zehn Jahren untersagt, in einem freien Betrieb zu arbeiten. Der Streitwert beträgt 750000 Mark.“

Hochland-Bote 10.12.1946

 

11.04.1947

Schloss Elmau wird Heim für Opfer politischer Verfolgung

"1947 wird Schloss Elmau, das einst dem als Hauptschuldigen verurteilten Dr. Johannes Müller gehörte, von den politisch, rassisch und religiös Verfolgten übernommen und zum Erholungsheim umgebaut, zunächst soll das Heim mit 200 Personen belegt werden, und zwar 75 politisch Verfolgte, 75 religiös und rassisch Verfolgte und 50 Flüchtlinge… am 15. Mai in Betrieb genommen… Leitung Hotelfachmann Weiß aus Wiesbaden…“

Hochland-Bote 11.04.1947

 

Dr. Johannes Müller (Elmau) stirbt am 4. Januar 1949

 

29.03.1951

Wiedergutmachung an Schloss Elmau - Wiedererstehen eines internationalen Kulturzentrums?

"Garmisch-Partenkirchen. Auch ohne die Absetzung Dr. Philipp Auerbachs wird Schloss Elmau, so nimmt man allgemein an, in Kürze seinen recht­mäßigen Besitzern zurückgegeben werden. Zufällig läuft der letzte Pachtvertrag mit Dr. Auerbach am 31. März 1951 ab. Nach Kenntnis der amtlichen Unterlagen muss man zu dem Ergebnis kommen, dass es sich hier zweifel­los um die Wiedergutmachung eines offenkundigen dop­pelten Unrechtes handelt und zwar sowohl an den NS Verfolgten als auch an den Verfolgten von heute kaum noch fassbaren Methoden der Dienststelle Auerbach.

Vier Jahrzehnte lang war Elmau unter der Leitung von Johannes Müller als Sanatorium gleichzeitig ein internationaler geistiger Mittelpunkt von aner­kanntem Rang. Wissenschaftler und Künstler, Diplo­maten und Schriftsteller, aber auch einfache Men­schen ohne Rang und Ruhm suchten und fanden in diesem 1100 m hoch unweit Garmisch gelegenen Be­sitz des Kulturphilosophen eine einzigartige Gemeinschaft, deren Wesen heute noch an manchen ausländischen Universitäten weiterlebt. Graf Hermann Keyserlink, Adolf von Harnack, Wil­helm von Scholz, Rathenau, Elly Ney und Wilhelm Kempf gehörten, nur, um einige wenige Namen zu nennen, zu Elmaus ständigen Gästen.

Wer auch nur flüchtig die Schriften des Schlossherrn von Elmau gelesen hat, weiß, dass dieser sein ganzen Leben lang ein Freund .der Juden gewesen ist. Der Antisemitismus wurde von ihm leidenschaft­lich bekämpft. Als der Nationalsozialismus 1933 zur Macht kam, verstärkte sich zunächst der an sich große Anteil der Juden an den Elmauer Gästen be­deutend. Bis zum Jahre 1940 hielten sich zahlreiche Juden im Schloss Elmau als offiziell eingetragene Kurgäste auf und als ein ausdrückliches Verbot der NSDAP diesen Zustand beenden wollte, wurde Elmau zu einer geheimen Zufluchtsstätte von Antifa­schisten aller Art, die hier Unterkunft und Hilfe fan­den. Johannes Müller sah sich jahrelang zahlreichen Zwangsmaßnahmen ausgesetzt, und nur mit Rücksicht auf seinen internationalen Namen wurde nachweis­bar von einer Verbringung ins KZ abgesehen. Von den elf Kindern Johannes Müllers sind zwei Söhne gefallen, dazu ein Schwiegersohn; neun Kinder und 36 Enkel blieben am Leben.

Dieser Mann nun wurde am 10. Dezember 1948 als Hauptschuldiger in die Gruppe I eingestuft durch die Garmischer Spruchkammer. Eine Woche zuvor hatte Dr. Philipp Auerbach die Beschlagnahme des Schlosses zugunsten der von ihm Betreuten ausge­sprochen. Seine Beauftragten besichtigten kurz vor dem Spruch zusammen mit Angehörigen des Spruch­kammer-Gremiums den Besitz und der einzige ernsthafte Belastungszeuge gestand, dass er unter großem Druck der VVN aussagte und dass das Urteil vorher feststand. Es war dies ein Kommunist, der Lehrer Fritz Richter, den Johannes Müller nach seiner KZ-Zeit in sein Haus aufgenommen und mit Wohltaten überhäuft hatte. Wenig später ging Richter in die Ost­zone, wo er es bald zum Schulrat brachte. Die Berufungsverhandlung reihte Dr. Müller  unter die Aktivisten mit 30 Prozent Vermögenseinzug ein und auch die Eingabe an den Kassationshof bracht keine Änderung.

Es besteht gar kein Zweifel, dass sich Dr. Auerbach sogar gegen den Protest von UNNRA und American Joint seinerzeit auf widerrechtliche Weise in den Besitz des Schlosses gebracht hatte, nachdem am 7 Februar 1945 das bayerische Innenministerium eine Aufhebung der Beschlagnahme verfügte. Die Besetzung des Schlosses am 8. Mai 1947 selbst zugunsten der Dienststelle Auerbach geschah mit östlichen Me­thoden. Einige Lastwagen mit Rotfrontkämpfern aus dem spanischen Bürgerkrieg, teilweise aus Russland kommend, fuhren vor. Durch die Bäckerei im Keller des Hauses drangen sie ins Schloss ein und versuch­ten einen derartigen Terror auszuüben, dass schließ­lich amerikanische Behörden der ersten Periode der Diebstähle und Plünderungen ein Ende setzten. Un­ter dem jetzigen Direktor Taglio wird Ordnung ge­halten und es herrscht Sauberkeit. Der Ruf der Anfangszeit „Heil Moskau!" ist verstummt, wennschon des öfteren sogar Berliner Kommunisten in Elmau Aufnahme fanden.

Nachdem die Auerbachsche Machtergreifung durch Überrumpelung gelungen war, ist nun Elmau keineswegs in vollem Umfang zugunsten von Opfern des Nationalsozialismus ausgenützt worden. Eine volle Belegung der 200 Betten kam ganz selten vor. Der Durchschnitt liegt bei 45 Prozent! Dabei ließ man zeitweise durch rheinische Reisebüros für Elmau werben, bei sehr hohen Pensionspreisen, und auf diese Weise kamen Leute dorthin, die mit Wiedergutmachung nicht das geringste zu tun hatten. Dr. Auer­bach setzte die Pacht herab, und der einst großartig eingerichtete Besitz verschuldete und verkümmerte immer mehr. In der schlechten Belegung erblicken gerade die von der Dienststelle Auerbach Betreuten eine große Unfähigkeit, zumal bei der vorher be­stehenden Verwaltung durch den Schwiegersohn von Johannes Müller eine volle Ausnutzung des Sanatoriums zugunsten von NS-Verfolgten gewährleistet war.

Schloss Elmau, ein Millionenobjekt, gehört nur zur Hälfte der Familie Müller, zur anderen Hälfte der völlig unbelasteten Gräfin Waldersee. Eine Durchführung des Spruchkammerentscheides würde bei der vorhandenen Schuldenlast wahrscheinlich eine Ver­steigerung herbeiführen, die Vernichtung eines ein­stigen international anerkannten Kulturzentrums, das die unbelasteten Erben, unter denen sich krasse Fälle von politischer Verfolgung befinden, mit besten Kräften  wiederzuschaffen  bemüht sind.- Dg."

Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 29.03.1951

 

29.03.1951

Landkreisverwaltung befürwortet Gnadengesuch

"Der Kreisausschuss richtete in diesem Zusammenhang an das Bayer. Staatsministerium für Sonderaufgaben z. Hd. von Senatspräsident Dr. Bodenstein folgendes Schreiben, das von Landrat Renk, 2. Bürgermeister Ferchl (Mittenwald) und 1. Bürgermeister Schütte (Garmisch-Partenkirchen) unterzeichnet ist:

Gegen den verstorbenen Dr. Johannes Müller, Schloss Elmau, wurde im Verfahren nach dem Befreiungsgesetz unter Einstufung als Hauptschuldiger eine Sühne von rd. 300 000 DM einschl. Verfahrenskosten verhängt. Die Erben des Dr. Johannes Müller haben, wie sie dem Landratsamt mitteilten, nachdem der Kassationshof ihre Beschwerde zurückgewiesen hat, sich an den Gnadenausschuss des Bayerischen Staatsministeriums für Sonderausgaben gewandt, um das seinerzeit gegen Dr. Müller ergangene Urteil in seinen Folgen zu revidieren. Die Landkreisverwal­tung befürwortet das Gnadengesuch der Dr. Müllerschen Erben und weist darauf hin, dass es sich bei dem Erholungsheim „Schloss Elmau“ um ein in Deutschland einmaliges Unternehmen handelt, das aus Gründen des Fremdenverkehrs für den Land­kreis Garmisch-Partenkirchen erhalten bleiben muss. Das Landratsamt befürwortet das Gnadengesuch der Müllerschen Erben insbesondere deshalb, weil durch die Beschlagnahme des Schlosses im und nach dem Kriege bereits erhebliche Schäden und Verluste entstanden sind…

In der Sitzung des Kreisausschusses vom 16. März 1951 kam zum Ausdruck, dass Dr. Müller im Spruchkammerverfahren im Verhältnis zu anderen Exponenten des Dritten Reiches als zu hart behandelt erscheint, so dass auch aus diesen Erwägungen heraus das Gnadengesuch der Dr. Müllerschen Erben unterstützt wird."

Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 29.03.1951

 

01.12.1951

„… fordert Hilfe für Elmau“

"Wir richten an die Vertreter des Volkes und des Staates die Frage, was bisher geschehen ist oder geschehen wird, um dieses in Deutschland wirklich einzigartige Hochtal wieder zu neuem Leben zu erwecken? Sein Wiederaufstieg würde dem Staat Steuern und Devisen bringen, den Erholungssuchenden jedoch jene Höhenlage wieder erschließen, die es in Deutschland kein zweitesmal gibt. Wenn jemals eine Strafe angebracht gewesen wäre, so ist sie durch die jahrelange staatliche Nutzung, besser gesagt Abnutzung, reichlich bezahlt. Wenn sich auch die Tore von Schloss Elmau bereits wieder geöffnet haben, so ist doch eine rasche und nachhaltige Hilfe dringend erforderlich. Als beauftragte Vertreter des Kreises Garmisch-Partenkirchen richten die Unterzeichneten an die Abgeordneten in Abänderung des bekannten Satzes den Hilferuf und die Bitte: Der Schäden sind genug geschehen, lasset endlich Taten sehen.“

Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 29.03.1951

 

 

 

© Alois Schwarzmüller 2015