"Juden sind hier nicht erwünscht!"

Zur Geschichte der jüdischen Bürger in Garmisch-Partenkirchen von 1933 bis 1945

 

 

 

5. "Eine Gefährdung deutschen Blutes ist nicht ausgeschlossen" -
zum Vollzug der Nürnberger Rassengesetze im Bezirksamt Garmisch

 

Zu den Nürnberger Gesetzen - 15. September 1935 - nur so viel: Die dort vorgenom­mene Einteilung in "Staatsangehörige" mit vollem Bür­gerrecht und "Reichsbürger" mit minderem Status sollte die jüdi­schen Bürger rechtlich deklassieren, das "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes", das eheliche und nichteheliche Verbindungen zwi­schen Juden und Nichtjuden unter schwere Strafe stellte, sollte die jüdischen Bürger in ihrer Ehre treffen und zerstören.

Im Bezirksamt Garmisch ließen die Bürgermeister aller Gemeinden zum raschen Voll­zug des Gesetzes im November 1935 Listen anferti­gen mit den Namen der jüdischen Haushalte, in denen nichtjüdische weibliche Hausangestellte tätig waren. Es fanden sich dabei insge­samt etwa 20 Familien oder Einzelpersonen mit einer Hausgehilfin, die meisten davon in Garmisch-Partenkirchen, einige wenige in Oberammergau und in Untergrainau.

Zur Dokumentation des Wahns zitiere ich aus einigen Zeugnissen der Zeit - Briefe von Hausangestellten, Arbeitge­bern und Behörden:[39]

 

Dr. Michael und Melitta Berolzheimer, Untergrainau

Frau Berolzheimer an die Ortspolizei Untergrainau (am 28.12.1935)
"Auf Grund der Nürnberger Gesetzgebung scheiden meine beiden Haus­gehilfinnen am 1.1.36 aus meinen Diensten aus. Wir wohnen seit ca. 30 Jahren in Untergrainau, mein Mann, Hofrat Dr. Michael Berolzhei­mer wird am 22.II. 70 Jahre alt, ich selbst bin 68 Jahre.
Mein Mann kommt aus Fürth in Bayern; seine Familie war seit Jahr­hunderten in Fürth u. Nürnberg ansässig.- Meine Familie stammt gleichfalls aus Bayern und ist gleichfalls hunderte von Jahren an­sässig.
Mein Mann war jahrelang ehrenamtlich in der Ankaufskommission der Münchner alten Pinakothek u. des Graphischen Instituts tätig. Sein Vater war Ehrenbürger von Nürn­berg. Meine beiden Söhne waren wäh­rend des Krieges von Anfang bis zu ihrer Ver­wundung im Jahre 1917 stets an der Front, der eine als Arzt, der andere als Artillerie­offizier bis zur Verwundung im April 1918. Sie haben beide viele Auszeichnungen; der Artillerieoffizier hat sich neben vielen Aus­zeichnungen auch das E.K.I erworben.
Ich selbst habe während des Krieges mein Haus als Privatlazarett kostenlos zur Ver­fügung gestellt, das immer paritätisch von Offi­zieren u. Mannschaften belegt war.
... erlaube ich mir, den Antrag zu stellen, zwei Zugehfrauen, die schon bisher bei mir gearbeitet haben, behalten zu dürfen.
Ergebenst Melitta Berolz­heimer"

Gutachten des Bürgermeisters von Untergrainau in Sachen Berolzhei­mer, Unter­grainau, wegen Beschäftigungarischer Angestellter (am 30.12.1935)
"... wohnt seit 30 Jahren in der Gemeinde ohne zu irgendwelchen Beanstandungen Anlass zu geben. Er be­tätigte sich niemals poli­tisch, verhielt sich immer ruhig und ist als Mitbürger von den Einwohnern Grainaus wegen seiner großzügigen Art ge­schätzt."

Bezirksamt Garmisch-Partenkirchen an das Sonderbüro für Befreiung vom §3 des Blutschutzgesetzes im Reichsministerium des Innern, Berlin (am 2.1.1936)
"... erscheint eine Gefährdung deutschen Blutes ausgeschlossen. Nach dem Bericht des Bürgermeisters von Untergrainau war die jüdi­sche Familie in staatspolitischer und sittlicher Hinsicht nie zu beanstanden ... befürwortet..." (Dr. Wiesend, Landrat)

Reichsministerium des Innern an Bezirksamt Garmisch-Partenkirchen (am 9.1.1936)
"Dem Antrag des Berolzheimer auf Weiterbeschäftigung der Maria S. ist nicht ent­sprochen worden."

Bezirksamt Garmisch-Partenkirchen an Frau Melitta Berolzheimer (am 12.2.1936)
"... wird Ihnen mitgeteilt, daß nach den gepflogenen Erhebungen... auch die Weiter­beschäftigung der Marie L. unstatthaft ist." (Dr. Wiesend, Landrat)

 

Betty Braun, Garmisch

Schutzpolizei Garmisch-Partenkirchen an Bezirksamt Garmisch-Par­tenkirchen (am 28.1.1936)
"Im Haushalt der Jüdin Betty Braun hält sich zu den Hauptmahlzei­ten auch der verhei­ratete Sohn Gustav Braun geb. 13.9.1901, stän­dig auf."

Reichsministerium des Innern an Bezirksamt Garmisch-Partenkirchen (o.D.)
"Solange der Jude Gustav Braun in Garmisch-Partenkirchen im Haus­halt seiner Mut­ter die Hauptmahlzeiten einnimmt, ist er als zur Hausgemeinschaft gehörend anzuse­hen. Der Haushalt ist daher jü­disch. Die Beschäftigung einer deutschblütigen weibli­chen Person unter 45 Jahren ist daher im vorliegenden Falle unzulässig.  Dr. Knost"

NSDAP-Kreisleiter Hartmann an das Bezirksamt Garmisch-Partenkir­chen (am 4.11.1936)
"... Da in dem Haushalt Braun auch ein erwachsener Sohn sich auf­hält, ersuche ich gegen die Jüdin Braun Anzeige wegen Vergehens gegen die Nürnberger Gesetze ... zu erstatten."

 

Jakob Kohn, Garmisch

Reichsministerium des Innern an Bezirksamt Garmisch-Partenkirchen (am 18.12.1935)
"Zum Gesuch der Mathilde S., Zoeppritzstr. 4, ersuche ich um ergän­zenden Bericht, ob der 76jährige Hausherr noch rüstig oder alters­schwach gebrechlich ist.  Dr. Hasel­bacher"

 

Alfred Zuntz, Grainau

Hausgehilfin Elsa B. an die Gauleitung der NSDAP, München (am 3.12.1935)
"... Ich bitte deshalb nochmals in der Stellung bei Familie Zuntz verbleiben zu dürfen, und bin gegebenenfalls sogar bereit, mich einer Sterilisation zu unterwerfen."

Reichsministerium des Innern an das Bezirksamt Garmisch-Partenkir­chen (am 18.12.1935)
"Das Gesuch der Elsa B. in Untergrainau ist abschlägig be­schieden worden.  Dr. Ha­selbacher"

 

Hedwig Pringsheim, Garmisch

Arbeitsamt Nebenstelle Garmisch-Partenkirchen an Markt Garmisch-Partenkir­chen (am 28.11.1935)
"Die bei den Jüdinnen Hedwig Pringsheim und Margarete Kroner in Garmisch-Par­tenkirchen, Kramerhänge 10, beschäftigte Hausgehil­fin Karolin S. gibt an, daß in dem Haushalt männliche Angehö­rige nicht vorhanden sind. Ich bitte um gfl. Mitteilung, ob diese Angaben den Tatsachen entsprechen."

Schutzmannschaft Garmisch-Partenkirchen (am 30.11.1935)
"Mit der Feststellung in Rückvorlage, daß eine Gefährdung deut­schen Blutes nicht völlig ausgeschlossen ist, weil die verheirate­ten Söhne jedes Jahr 14 Tage, manchmal aber auch Wochen, bei der Mutter zu Besuch weilen."

Bezirksamt Garmisch-Partenkirchen (am 2.1.1936)
"... der Antrag der Karolin S. auf Befreiung von §3 des Blut­schutzgesetzes kann nicht befürwortet werden..."

 

Frieda Wallach, Garmisch

Hausgehilfin Senta S. an das Bezirksamt Garmisch-Partenkirchen (am 17.1.1936)
" ... erlaube ich mir anzufragen, ob die Möglichkeit besteht - vorläufig - bis sich etwas bietet, als hausangestellte (!) bei Frau Frieda Wallach ... verbleiben zu dürfen."

Bürgermeister Scheck, Gemeinde Garmisch-Partenkirchen, an Be­zirksamt Gar­misch-Partenkirchen (am 17.1.1936)
"Im fraglichen Haushalt halten sich jüdische Männer für dauernd nicht auf. Die Mög­lichkeit besteht jedoch, daß einmal für kurze Zeit einer der drei Söhne, die 1899, 1900 und 1902 geboren sind und in Mannheim, Rotterdam und Berlin leben, zu der Mutter zu Be­such kommt. Wann und ob dieser Fall eintritt, kann jedoch nicht gesagt wer­den."

 

[39] alle Quellen in diesem Kapitel: Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 63212