4. "Es handelt sich
ausschließlich um die olympische Idee!" -
Der Judenboykott vor den olympischen
Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen
Im Frühjahr 1935 brach der
erste organisierte Massensturm über die jüdischen Bürger und Kurgäste
des Bezirksamts Garmisch mit einer Wucht herein, daß am Ende selbst die
lokalen Verantwortlichen und ihre Münchner und Berliner Hintermänner
verunsichert waren, weil es lange Zeit so schien, als habe sich
dieser Terror verselbständigt und gefährde ernsthaft die olympischen
Spiele sowohl in Garmisch-Partenkirchen als auch in Berlin.
Die Ereignisse begannen mit
der sogenannten "Saarfeier", einem reichsweiten Propagandafest
anläßlich der Rückkehr des Saarlandes in das Gebiet des Deutschen
Reiches am 1. März 1935. Enttäuscht von der geringen Resonanz, die diese
Feier bei der Bevölkerung Garmisch-Partenkirchens gefunden hatte,
schrieb der Leiter des Bezirksamts, Landrat Dr. Wiesend, an die
Regierung von Oberbayern:
"Bei der Saarfeier ...
zeigte sich so recht wieder die Interesselosigkeit grosser
Bevölkerungskreise hier in Garmisch-Partenkirchen an nationalen
Feiern. Die Teilnahme der von der Parteiorganisation nicht erfaßten
Kreise an der abendlichen Übertragungsfeier war eine auffallend
geringe, die Aufmerksamkeit eine sehr geteilte. Der internationale
Fremdenverkehr am Platze und im Zusammenhang damit der bloß auf
mühelosen Gelderwerb gerichtete Sinn der meisten Leute sind die
Ursachen dieser unangebrachten Zurückhaltung... Ich halte es daher für
dringend notwendig, daß in diesem Jahr der olympischen Vorbereitung auf
allen Gebieten die Bevölkerung auch psychologisch und weltanschaulich
auf die Aufgaben, die sie hier dem Ausland gegenüber zu erfüllen hat,
eingehend vorbereitet wird."[28]
Desinteresse an den
Propagandaritualen der Nazis und mangelhafte ideologische Verankerung
waren also die Ursachen dafür, daß seit April 1935 eine den ganzen
Bezirk erfassende "Judenaktion" durchgeführt werden mußte.
Erstes Opfer wurde Ende des
Monats die in der Riesserkopfstr. 35 wohnende Katharina Hirsch, an
derem Hause Zettel mit der Aufschrift "Juden sind hier nicht
erwünscht" angeschlagen wurden.[29]
Nur wenige Tage später
sprach Emil Fechheimer, der das Anwesen Höllentalstr. 56 schon seit
vielen Jahren besaß, bei Bürgermeister Thomma vor und beklagte sich,
"daß auf seinem Grundstück an der Höllentalstraße an einer
Telegrafenstange eine Tafel angebracht wurde "Juden sind hier nicht
erwünscht". Wer die bezügliche Tafel angebracht hat, sei ihm nicht
bekannt. Fechheimer erwähnte noch, daß er und seine Vorfahren es in
Nürnberg zu höchsten Ehren gebracht haben und fragte, wo er denn
hinsolle."[30]
Im Mai wurden diese
Einzelaktionen generalstabsmäßig zu einer Geheimaktion der
Hitler-Jugend ausgeweitet - im gesamten Bezirk wurden an allen
Ortseinfahrten Tafeln, weiß mit roter Umrandung und schwarzer
Aufschrift "Juden sind nicht erwünscht", angebracht. Die Gendarmerie,
die zunächst aufklären wollte, wer diese Schilder aufgestellt hatte, zog
sich schon bald aus den Ermittlung mit der Feststellung zurück, "der
Anbringer ist nicht bekannt, doch dürften Angehörige der NSDAP in
Betracht kommen."[31]
Ganz so leicht konnte und
wollte es sich der Präsident des Organisationskomitees für die
Olympischen Spiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen, Ritter von Halt,
nicht machen. Er wandte sich Mitte Mai 1935 empört an das
Reichsministerium des Innern und brachte seine Bedenken zum Ausdruck.
Ich möchte diesen Brief wegen seiner Bedeutung ganz zitieren. Er
lautet:
"Mit wachsender Sorge
beobachte ich in Garmisch-Partenkirchen und Umgebung eine planmäßig
einsetzende antisemitische Propaganda. Wenn sie bis vor wenigen Monaten
geschlummert hat und nur hin und wieder in Reden zum Durchbruch gekommen
ist, so wird jetzt systematisch dazu übergegangen, die Juden in
Garmisch-Partenkirchen zu vertreiben. Am 1. Mai hat der Kreisleiter
Hartmann in seiner Rede dazu aufgefordert, alles Jüdische aus
Garmisch-Partenkirchen zu entfernen.
Ich war selbst Zeuge, wie
derselbe Kreisleiter einen anscheinend jüdischen Gast aus der Garmischer
Post entfernt hat. Ich sehe seit vergangenem Samstag an allen möglichen
Stellen in Garmisch-Partenkirchen und vor allem auf der gesamten
Landstraße von München nach Garmisch-Partenkirchen große Tafeln
angebracht mit Inschrift "Juden sind hier unerwünscht". Der Leiter der
Deutschen Arbeitsfront in Garmisch hat in einer Hotelier-Versammlung
zum Ausdruck gebracht, daß jeder Gaststättenbesitzer aus der Partei
ausgeschlossen würde, der einen Juden als Gast aufnehme. Sofern er
nicht Parteigenosse wäre, würde mit anderen Mitteln gegen ihn
vorgegangen werden.
Ich könnte diese Beispiele
durch eine Unzahl von Episoden vervollständigen, die sich in
Garmisch-Partenkirchen. ereignet haben... Wenn die Propaganda in dieser
Form weitergeführt wird, dann wird die Bevölkerung von
Garmisch-Partenkirchen so aufgeputscht sein, daß sie wahllos jeden
jüdisch Aussehenden angreift und verletzt. Dabei kann es passieren, daß
Ausländer, die jüdisch aussehen und gar keine Juden sind, beleidigt
werden. Es kann passieren, daß ein jüdisch aussehender
Auslandspressevertreter angegriffen wird und dann sind die schlimmsten
Konsequenzen zu befürchten. Das Olympia-Verkehrsamt weiß heute schon
nicht mehr, wie es die Unterbringung vornehmen soll, wenn es sich um
nichtarische Athleten handelt...
Herr Staatsminister Wagner
hat ... die Erklärung abgegeben, daß er sofort Weisung geben wird, daß
in der Judenfrage im Garmisch-Partenkirchner Gebiet und seinem Umkreis
auf die Abmachung des Reiches mit dem IOC Rücksichten zu nehmen sind.
Herr Staatssekretär, ich bitte davon überzeugt zu sein, daß ich diese
meine Sorge nicht deshalb äußere, um den Juden zu helfen, es handelt
sich ausschließlich um die olympische Idee..."[32]
Wie einfach es doch war,
Humanität und olympische Idee gegeneinander auszuspielen!
Ab August verließen nicht
nur Gäste, sondern auch "Juden, die hier schon seit längerer Zeit
ansässig waren", den Ort. Im September stellte die Polizei erneut fest,
"die Juden werden im Bezirk weniger. In letzter Zeit sind viele
weggezogen."[33]
Die Ablehnung durch die Plakate habe mehrere Juden, die sich zur Kur im
Bezirk aufhielten, zur Abreise veranlaßt.
Diese Vorgänge blieben auch
dem Ausland nicht verborgen: Die Bayerische Politische Polizei teilte
dem Garmischer Bezirksamt mit, "daß englische Zeitungen von ihren
Berichterstattern aus Deutschland dahingehend unterrichtet wurden, daß
z.Zt. aus dem Ort Garmisch-Partenkirchen alle Juden vertrieben werden.
An den Parkeingängen sollen Schilder mit der Aufschrift angebracht
sein "Es ist Juden nicht gestattet, hier einzutreten". Derartige Tafeln
wurden von den Insassen ausländischer Kraftfahrzeuge photographiert
und in ausländischen Zeitungen veröffentlicht." Weil man an höherer
Stelle nun plötzlich "im Hinblick auf die bevorstehende Winter-Olympiade
ein offenes Vorgehen gegen die dort zureisenden Juden für unangebracht"
hielt, - vor allem die Amerikaner drohten mit dem Boykott der Spiele in
Deutschland - sollten nun die "zuständigen Dienststellen der NSDAP und
die Bevölkerung" veranlaßt werden, "Einzelaktionen gegen Juden unter
allen Umständen" zu unterlassen, und die Schilder an den Parkeingängen
zu entfernen.[34]
Obwohl sich sogar
Reichsinnenminister Frick einschaltete, wurden weiterhin Plakate mit der
Aufschrift "Juden nicht erwünscht" angebracht. Die Weisungs- und
Befehlsstränge zwischen parteiamtlichen Stellen der NSDAP und
staatlichen Institutionen waren - aus vielerlei Gründen - schlecht
koordiniert. Frick hatte zwar - auf Weisung Hitlers - anfang Dezember
ausdrücklich angeordnet, "daß an der Straßen- und Eisenbahnstrecke
zwischen München und Garmisch-Partenkirchen und in ihrer Nähe
sämtliche Schilder, Transparente und ähnliche Hinweise, die die
Judenfrage betreffen, beseitigt werden."[35] Aber noch wenige Tage vor
Beginn der Winterspiele entdeckte der IOC-Präsident Baillet-Lacourt
auf seiner Fahrt nach Garmisch-Partenkirchen antisemitische Plakate,
die beispielsweise Geschwindigkeits-Beschränkungen vorschrieben, aber
Juden davon ausnahmen und sie damit gleichsam zum Selbstmord
aufforderten.
Erst Adolf Wagner, Gauleiter
und Innenminister, gelang es, am 15. Januar 1936 die Beseitigung der
antijüdischen Schilder und der Schaukästen mit "Stürmer"-Plakaten
durchzusetzen. Seine Begründung für die schwerhörigen
Garmisch-Partenkirchner Judenvertreiber war einfach: "Die Judenfrage ist
durch die Nürnberger Gesetze geregelt. Einer über die Nürnberger
Gesetze hinausgehenden Abwehr bedarf es im Augenblick nicht. Ständige
Aufklärung über die Judenfrage im Rahmen der gesamten Rassenfrage wird
dafür sorgen, daß die Bevölkerung immer mehr den Juden von sich aus
ablehnt." Darüber hinaus befürchtete er, daß "die Ausländer, die
unseren Gau bereisen" und dabei "immer wieder die oben genannten
Schilder sehen, auf den Gedanken kommen, daß wir in der Judenfrage
doch noch Schwierigkeiten haben. Dies ist unerwünscht."[36]
Noch sieben Tage vor Beginn
der Spiele in Garmisch-Partenkirchen klagte Hitlers Stellvertreter Hess,
daß "unter den Schildern und Tafeln, in denen Kreise, Gemeinden,
Gasthäuser usw. darauf hinweisen, daß Juden unerwünscht seien, sich
zum Teil oft wenig geschmackvolle Darstellungen" befänden. Er bat daher
ganz ernsthaft, "darauf zu achten, daß nur solche Schilder und Tafeln
angebracht werden, die ohne besondere Gehässigkeit zum Ausdruck
bringen, daß Juden unerwünscht sind." Außerdem sei zu berücksichtigen,
"daß die in Deutschland reisenden Ausländer unsere Maßnahmen gegen die
Juden aufmerksam verfolgen. Die Mehrzahl dieser Fremden begrüßen im
Grunde genommen die deutschen Maßnahmen gegen das Weltjudentum. Das
deutsche Ansehen im Ausland wird daher auch nicht durch die Tatsache
unserer Judengesetzgebung, wohl aber durch eine im Einzelfall
übertriebene und geschmacklose Darstellung oder Ankündigung geschädigt
werden."[37]
Eine saubere, ordentliche, niveauvolle Judenaustreibung sollte es sein,
eine, mit der man sich vor dem Ausland nicht blamieren mußte. Diese Art
von Feingefühl und Gesittung machte später in Auschwitz das
Nebeneinander von Beethoven-Konzerten und Zyklon-B mühelos möglich.
Nachdem sich also mit Hess,
Frick und Wagner höchste Nazi-Funktionäre für ein befristetes
Stillhalten eingesetzt hatten, wurde der Alltagsterror gegen die
jüdischen Einwohner und Gäste am Olympiaort wenigstens für die Dauer
der sportlichen Wettkämpfe, also vom 6. bis zum 16. Februar 1936,
eingeschränkt.
Nicht vollständig freilich:
Zum Flaggenschmuck der Hotels während der Winterolympiade ordnete die
Außenstelle Garmisch-Partenkirchen der Bayerischen Politischen Polizei
an, daß "Juden als Gaststätten-, Hotel- und Pensionsinhaber die
deutsche Flagge nicht zeigen dürfen."[38]
[28]
LRA Garmisch 61613, 06.03.1935
[29]
LRA Garmisch 61613, 30.04.1935
[30]
Archiv der Marktgemeinde
Garmisch-Partenkirchen VII/5/8, 18.05.1935
[31]
LRA Garmisch 61613, 14.05.1935
[32]
Bundesarchiv Potsdam L382846
(Abschrift)
[33]
LRA Garmisch 61613, 02.09.1935
[34]
LRA Garmisch 61613, 01.10.1935
[35]
LRA Garmisch 61613, 03.12.1935
[36]
Staatsarchiv für Oberbayern: NSDAP
545, 10.01.1936 und 15.01.1936
[38]
LRA Garmisch 61971, 21.01.1936
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