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Berta Schneider - Olympiagastgeberin und
Opfer des Holocaust
Paula Zehntner
(13a Solnhofen, Mittelfranken, US-Zone) beschrieb am 26.02.1948 in einem
Brief an den niederländischen Rechtsanwalt Dr. M.S.A.van Wien (Fred.
Hendrikplantsoen 40, Amsterdam-W.) das Schicksal ihrer Freundin Berta
Schneider dar:
„Sehr geehrter Herr Doktor!
... Über den Verkauf der Häuser wissen wir nicht viel mehr als das, was
Ihnen im letzten Brief mitgeteilt wurde. Nötigenfalls könnte ich
versuchen, Erkundigungen einzuziehen, wenn Sie mir mitteilen, was Sie zu
wissen wünschen. Belege über Verkäufe oder Bankguthaben haben wir nie
gesehen, auch wissen wir nicht, wem Frau Schneider solche zur
Aufbewahrung gegeben haben könnte. Wir wissen nur, dass Frau Sch.
Jeweils Beträge abheben konnte, die von den Nazibehörden erlaubt waren;
diese Beträge waren verhältnismäßig klein, da ich Frau Sch. Des oefteren
aushelfen musste, obwohl sie, besonders in den letzten Jahren, sehr
bescheiden lebte. Mit welcher Bank sie arbeitete, kann ich nicht mit
Bestimmtheit sagen, meines Erinnern war es die Bayer. Vereinsbank in
München. In Garmisch, wohin sie nach ihrer Flucht niemehr fuhr, dürfte
sie kein Conto unterhalten haben. Frau Sch. war einmal in Strassburg, zu
einer Zeit, in der es noch möglich war, auszureisen; da ihr geschiedener
Gatte dort ein Zweiggeschäft unterhielt, wäre es möglich, dass sie ihre
Papiere dorthin gebracht hat, es erscheint mir dies aber auch
zweifelhaft, denn damals dachte eigentlich niemand an den katastrophalen
Ausgang.
Silber und andere Wertsachen mussten bei einer
staatlichen Stelle abgeliefert werden, wurden sehr nieder geschätzt, der
errechnete Betrag auf ihr Sperrkonto überwiesen; ich glaube mich
entsinnen zu können, dass die Ablieferungsstelle in der Pfandhausstrasse
in München gewesen ist. Frau Sch. erzählte mir bei ihren Besuchen bei
mir davon; die damalige Zeit war gejagt von immer neuen Massnahmen gegen
die jüdische Bevölkerung, dazu kamen die Kriegsereignisse mit
Sirenengeheul und ständig wachsenden Aufregungen, so dass nicht alle
Einzelheiten im Gedächtnis geblieben sind. Frau Sch. hatte viel
wertvolles Silber, soviel ich mich erinnere, waren auch 2 kostbare
Leuchter dabei; es muss also ein beträchtlicher Wert gewesen sein. Die
Behörden mimten anfangs noch so eine Art von „gesetzlicher" Erledigung;
ein Teil der rechtzeitig Ausreisenden konnte auch, nach der Bezahlung
der Reichsfluchtsteuer, Geldbeträge mitnehmen. In München wurden
jüdische Wohnungen einfach beschlagnahmt und ausgeräumt; es gab eine
besondere Stelle zur Erfassung jüdischen Hausrates bei einer Abteilung
des Finanzamtes. Ich nehme an, dass Frau Hess durch ihre Eltern bis 1939
auf dem Laufenden gehalten wurde. Die Fa. Ambrunn in der
Theatinerstrasse wurde, wie mir Frau Sch. erzählte, einfach dadurch
„arisiert", dass ein früherer Zuschneider, der bei der SA war, im
Geschäft erschien, die Inhaber mit Fusstritten hinauswarf und sich der
ganzen Firma bemächtigte.
Herr Julius Ambrunn, dessen Gattin schwer leidend war, amtierte längere
Zeit für die jüdischen Interessen, wenn ich nicht irre, sogar noch im
Lager Ismanning, wurde dort des öfteren misshandelt und verlor, wie alle
anderen, sein gesamtes Vermögen. Frau Sch. erzählte uns, dass er sich
geradezu heldenhaft für die Lagerinsassen eingesetzt habe, trotz aller
persönlichen Chikanen durch die Nazis. Bei jedem Besuch berichtete uns
Frau Sch. über neue Massnahmen gegen die jüdische Bevölkerung und über
begangene Ungeheuerlichkeiten. Die armen Betroffenen litten unsagbar
unter dem Terror und waren schliesslich alle so gut wie vogelfrei.
Herrn Hans BAUER, ein sehr tüchtiger, intelligenter Mann,
kannten wir sehr gut. Er war beim Finanzamt in Garmisch angestellt. Durch
seine freundschaftlichen Beziehungen zu Frau Schneider wurde er vom Amt
entlassen und kam mit knapper Not um drastische Massnahmen gegen seine
Person herum. Wir haben ihn nicht mehr gesehen und auch bis heute nichts
mehr von ihm gehört. Frau Sch. erzählte mir sr.Zt., er habe sich nach
seinem Ende 1934 erfolgten Wegzug von Garmisch als
Steuerprüfer in München selbständig gemacht. Herr B. soll vor seiner
Tätigkeit in Garmisch beim Finanzamt in Krumbach oder München gearbeitet
haben. Da er Schwabe war, kann es sich nur um das Krumbach (13b) in
Schwaben handeln. Vermutlich wohnen seine Eltern noch dort. Ich glaube
nicht, dass Herr B. Ihnen mit Auskünften dienen kann, denn alle
Beziehungen mussten ja bereits ab November 1934 abgebrochen werden, als
er Garmisch verliess; ich weiss, dass zwischen den Beiden auch jeder
Briefverkehr vermieden wurde. Wahrscheinlich aber ist, dass Herr Bauer
noch weiss, mit welcher Bank Fr. Sch. in München gearbeitet hat; auch
wird er genau über die Kosten im Bilde sein, die der Kauf und Ausbau des
Hauses an der Angerstrasse, sowie der Neubau des 2 stöckigen Mietshauses
in Garmisch erforderten, denn er beschäftigte sich damals viel mit
diesen Angelegenheiten.
Die Kultusgemeinde in München, Abteilung Kaulbachstrasse, Leiter Herr
Gift, müsste Ihnen Auskunft geben können, wie damals Wertgegenstände,
Silber usw. bewertet wurden. Ministerialrat Troberg vom
Sonderministerium, der, so viel ich hörte, die Ueberlebenden von
Theresienstadt zurückholte, müsste auch in diesen Dingen Bescheid
wissen, da er während der ganzen Nazizeit in München war.
Frau Schneider erhielt bei ihrer Scheidung von Carl Schneider, m. E.
Vermögenswerte in Höhe von etwa RM. 2OO,OOO.-. Die Einrichtung der
Wohnung an der Güllstrasse überliess sie Herrn Schneider, mit Ausnahme
von Wäsche, Silber und Geschirr, soweit er dies zur Aufrechterhaltung
seines Haushaltes brauchte. Von 1928 bis 193O oder 32 war Frau
Schneider nervenkrank. Der Aufenthalt in verschiedenen Sanatorien und
die Consultation vieler Aerzte kosteten viel Geld. Ausserdem
unterstützte sie laufend ihre Verwandten, besonders ihre alte Mutter.
Das Haus in der Angerstrasse in Partenkirchen kostete damals, soviel ich
weiss RM. 4O,OOO.- (Anbau und Einbau nicht mitgerechnet. Was der Bau des
Miethauses und der Grund dazu in Garmisch gekostet haben entzieht sich
meiner Kenntnis. Die Einrichtung der Pension im Hause Angerstrasse war
erstklassig und beanspruchte deshalb viele Neuanschaffungen. Wie gross
ihr Bankkonto nach Abschluss dieser Neugestaltung ihres Daseins war,
weiss ich nicht, jedenfalls verfügte sie nicht über sehr viel Bargeld um
privatisieren zu können, denn sonst hätte sie nicht durch die Führung
einer Pension nötig gehabt ihren Unterhalt zu bestreiten. Was sie dann
für die beiden Häuser erlöste, wurde ihr von den Behörden weggenommen,
dazu ein Grossteil ihrer Habe. Daraus dürfte sich das hinterlassene
Vermögen einigermassen errechnen lassen. Was von der Einrichtung der
Pension an den Käufer des Hauses überging weiss ich auch nicht.
Frl. Lina Lengenleicher aus Wielenbach bei Weilheim (13b) war längere Zeit
Stütze im Hause der Frau Schneider in Partenkirchen. Sie ist eine
ausserordentlich tüchtige Persönlichkeit und war Frau Schneider restlos
ergeben. Nach der Flucht von Frau Schneider wurde sie von der SS
verhaftet, misshandelt und gefangengesetzt, da man sie zwingen wollte,
den Aufenthaltsort von Frau Sch. zu verraten. Sie sagte aber trotz aller
Drohungen nichts aus und wurde später wieder freigelassen. Das Wenige,
das Frau Sch. noch aus der Angerstrasse retten konnte, war lediglich Frl
Lina`s Tatkraft und Unerschrockenheit zu verdanken. Frau Sch. erzählte
uns dies alles selbst. Als das Partenkirchner Haus dann verkauft wurde,
nahm Frl. Lina eine Stellung in München an und ging dann wieder nach
Wielenbach auf den väterlichen Hof. -- Herrn Dr. Rosenthal hat mein Mann
noch kennengelernt, ich habe ihn nie gesehen. - Dies ist alles was ich
Ihnen mitteilen kann & hoffe Ihnen damit ein wenig geholfen zu haben.
Sollte uns noch etwas Wichtiges einfallen, werden wir Ihnen berichten."
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