Garmisch-Partenkirchen und seine jüdischen Bürger - 1933-1945 |
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Anna Riemer
Anna Riemer (geb. Adler, *1.12.1893 in Krefeld,
evangelisch, jüdischer Abstammung) war mit ihrem Ehemann, dem
Studienprofessor a.D. Dr. Otto Paul Riemer (*17.6.1883 in Düsseldorf) am
28.10.1938 aus Saarbrücken nach Garmisch-Partenkirchen, Burgstr. 34, bei
Familie Bader, zugezogen. Dr. Otto Riemer starb am 3.3.1939 an den
Folgen eines Unfalls in München.
Am 2.12.1938 wandte sich Dr. Otto Paul Riemer an das Einwohnermeldeamt Garmisch, Rathaus, Zi 9:
„Ich ... habe Ihre Karte erhalten, bin aber im Augenblick nicht in der Lage zu
erscheinen. Mir ist jede Aufregung streng verboten. Durch alles, was ich
in den letzten Jahren erlebt habe, ist mein Gesundheitszustand u. vor
allem das Herz derart angegriffen, daß ich schon mehrfach Zusammenbrüche
erlebte u. mit Herzschlag rechnen muß. Ihre vorige Ladung hat diese
Befürchtung nur bestärkt. Als ich im Rathaus erschien, kam ich zuerst
vergeblich. Ich kam am Nachmittag wieder, u. mußte mir eine Behandlung
gefallen lassen, wie ich sie bisher nur einmal erlebt hatte u. deren
Wiederholung ich vermeiden möchte. Ich gab dem Beamten die
Zustellungskarte ab und antwortete auf die an mich gerichteten Fragen
wahrheitsgemäß. Kaum hatte ich meine Angaben gemacht, da zerriß der
Beamte in brüsker Weise die Karte, warf die Reste mit verächtlicher
Miene auf den Boden u. sagte mir, ich könne gehen. Ich übersah das
zunächst u. fragte in höflichem Tone, ob alles erledigt sei, Er
antwortete barsch, ihn ginge das nichts mehr an. Ich solle beim
Kreisleiter anfragen. Im übrigen sei ich unerwünscht. Das war um so mehr
eine Kränkung, als mehrere Leute so nahe standen, daß sie das hören
konnten. Das ist eine Art, auf die ich aufs heftigste protestiere. Ich
war selbst über dreißig Jahre Staatsbeamter u. weiß, wie man sich
gegenüber dem Publikum zu verhalten hat. Ich bin kein Verbrecher,
sondern arischer reichsdeutscher Bürger, der verlangen kann, von einem
zumal viel jüngeren Beamten achtungsvoll behandelt zu werden. Ich war
Jahre lang Frontsoldat, verwundet u. habe mir durch den Krieg ein
dauerndes Leiden zugezogen, habe mich im Saarkampf jahrelang an
führender Stelle im nationalen Sinne betätigt u. brauche mir eine solche
Behandlung nicht gefallen zu lassen, die mich derart aufregte, daß ich
das Schlimmste befürchten mußte.
Am 9.12.1938 nahm der Gemeindebeamte F.H. zu den Vorwürfen des Dr. Riemer Stellung:
Am 19.12.1938 teilte der Bürgermeister des Marktes Garmisch-Partenkirchen, Jakob Scheck, Josef Bader, Maurer, Garmisch-Partenkirchen, Burgstr. 34, unter der Überschrift „Jüdische Hausinwohner" mit: „Die Ehefrau des Studienprofessors a.D. Dr. Riemer ist Jüdin. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie eine Jüdin in Ihrem Hause nicht behalten wollen und bestehende Mietverhältnis lösen."
Der
NS-Kreisleiter Hans Hausböck drohte am 5.1.1939 mit der Einschaltung der
Gestapo:
Ein halbes Jahr später, am 16.6.1939, gab Bürgermeister Scheck zum Vollzug des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden in Garmisch-Partenkirchen bekannt:
„Im ... Hause Burgstrasse 34, Besitzer Bader Josef, wohnt noch die Jüdin Anna
Riemer, Professorswitwe. Der Vermieter Bader kann zur Kündigung des
Mietverhältnisses auf Grund § 1 des Ges. v. 30.4.1939 veranlasst werden,
wenn durch die Gemeindebehörde eine anderweitige Unterbringung in einem
jüdischen Haus nachgewiesen werden kann. –
Der geplante Wohnungszwangstausch Riemer / Messner scheiterte am 17.07.1939. Bürgermeister Scheck stellte fest:
„Die Wohnung der Jüdin Anna Riemer im Hause Burgstr. 34 besteht aus 5
Zimmern, Küche und Bad. Der Mietpreis beträgt 130.- RM monatlich. Die
Wohnung Messner, hier, Rissackerstrasse 54, besteht aus 1 Schlafzimmer,
1 Küche u. Keller, sowie Mitbenützung des Bades u. Speichers. Messner
hat keine Miete zu entrichten, dafür leistet er Gartenarbeiten. Sein
einkommen beträgt wöchentlich 30 – 35.- RM. Eine Mietung der ganzen
Wohnung Riemer kommt für Messner nicht in Frage. Ein Austausch der
Wohnung Messner mit Riemer ist nicht möglich.
Am 14.08.1939 verfügte Bürgermeister Scheck entsprechend dem „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden":
"Laut Grundbucheintrag befindet sich das Anwesen Maximilianstr. 52 im
Besitz der jüdischen Geschwister Wallach in Erbengemeinschaft. Wallach
Reinhold, der Mitbesitzer ist, besitzt die amerikanische
Staatsangehörigkeit. Im November 1941 richtete der Landrat des Kreises Garmisch-Partenkirchen eine Beschwerde an die Kriminalpolizei, weil "die Jüdin Riemer ... ohne den vorgeschriebenen Zionsstern in der Öffentlichkeit auftritt". Die Kripo Garmisch-Partenkirchen antwortete: „Die gen. Anna Riemer ist aufgrund vorliegender Umstände (Ehefrau eines Nichtjuden) nicht verpflichtet, den Judenstern zu zeigen." Auf der Meldekarte der Gemeinde Garmisch-Partenkirchen für Anna Riemer geben zwei Eintragungen Auskunft über das weitere Schicksal von Anna Riemer: „weggezogen am 21.7.1942 - unbekannt wohin, von der Gestapo Frankfurt/M. in Haft genommen"; „Gestorben am 23.2.1943 in Auschwitz."
Quellen: Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 61621 Bundesarchiv: Gedenkbuch - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945
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