Garmisch-Partenkirchen und seine jüdischen Bürger  -  1933-1945

 

 

 

 

 

Luise von Leyden

Luise von Leyden (1883-1976) war eine geb. Reichenheim; sie kam aus einer großbürgerlichen Berliner Familie assimilierter Juden in Deutschland. Ihr Ehemann  Victor von Leyden (1880-1963) war Jurist und Ministerialdirektor im preußischen Innenministerium, schließlich Senatspräsident beim Oberverwaltungsgericht in Berlin. Im Oktober 1933 wurde er wegen seiner jüdischen Ehefrau aus dem Amt entlassen. [1]

Vier Söhne und eine Tochter gingen aus der Ehe hervor. Luise hatte eine Ausbildung als "höhere Tochter" in Haushaltführung sowie Sprachen (Englisch und Französisch, Literatur, Kunst, Geschichte) erhalten. 1907 unternahm sie zusammen mit ihrem Ehemann eine Weltreise - u. a. nach Indien und China; sie war die erste Europäerin, die den Berg Ararat in der Türkei bestieg.

Vier von Luises fünf Geschwistern emigrierten in den 1930er Jahren nach England, USA, Frankreich, Rhodesien/Südafrika. Der älteste Bruder Luises, wegen nicht standesgemäßem Lebenswandel und ebensolcher Heirat aus der Familie ausgeschlossen, kam in Auschwitz um.

Von den fünf Kindern blieben Ernst (1903-1945), der älteste, und Victoria (*1908), gen. Biba, die jüngste, in Berlin. Ernst ist seit dem Sturm der Russen auf Berlin im April 1945 vermisst. Victoria und ihr Mann Otto Veit, ebenfalls Halbjude, überlebten den Krieg in Berlin. Zwei Söhne emigrierten 1927 bzw. 1933 nach Indien (Bombay). Albrecht (*1905), gen. Bär, als Geschäftsmann, Rudi (*1908), der Geologe, wurde Werbefachmann, Karikaturist und einflussreicher Förderer junger indischer Künstler. Wolfgang (*1911), Student der Philosophie und der Kunstgeschichte, exilierte 1933 nach Florenz, 1939 weiter nach England.

 

 

 

Oben links: Reisepass für "Juden", ausgestellt am 02.12.1938

Oben rechts: Ehepaar Victor und Luise von Leyden 1949 auf der Terrasse ihres Hauses in Garmisch-Partenkirchen, Hölzlweg 11

Unten rechts Wohnhaus der Familie von Leyden in Garmisch-Partenkirchen

 

 

 

 

Bilder und biographische Angaben von Prof. Dr. Flora Veit-Wild (Berlin, 22.01.2014), Enkeltochter von Luise und Victor von Leyden

 

1934/35 übersiedelten Luise und Victor von Leyden nach Garmisch-Partenkirchen. Victor war begeisterter Alpinist und Freund der Schnitzkunst; Luise sorgte für den Zusammenhalt der zerstreuten Familie. Am 10. November 1938 wurden sie wie alle in Garmisch-Partenkirchen lebenden jüdischen Frauen und Männer vom örtlichen NS-Kreisleiter Johann Hausböck bedroht und zur Flucht gezwungen.[2] Eine SA- oder eine SS-Wache behielt das unbewohnte Haus im Auge, verantwortlich zeichneten Polizeiobermeister Volnhals, Hauptwachtmeister Schulz und Polizeimeister Ott.

Am 8. März 1939 wurde das Haus der von Leydens am Hölzlweg 11 in das "Verzeichnis (nach dem Grundbuch gefertigt) des jüdischen Grundbesitzes im Landkreis Garmisch-Partenkirchen" eingetragen.[3]

Nach einem Zwischenaufenthalt in der Schweiz emigrierte das Ehepaar im März 1939 nach Bombay zu seinen Söhnen. Im September 1939 wurde Victor als „enemy alien“ interniert und erst nach sechs Wochen mit Hilfe der Jewish Relief Association entlassen. In seiner indischen Emigrationszeit wurde er Mitglied der britischen Kolonialgesellschaft und der deutsch-österreichischen Exilgemeinde.

1948 wurden Kunstwerke von vier Familienmitgliedern der von Leydens ausgestellt und verkauft: Aquarelle von Luise, Holz- und Tonskulpturen von Victor, Ölbilder von Albrecht und Karikaturen von Rudi. Der Erlös ging an den Artist Aid Fund. Danach kehrten Luise und Victor von Leyden nach Deutschland in ihr altes Haus in Garmisch-Partenkirchen am Hölzlweg 11 zurück. Die beiden Söhne blieben bis Mitte der 1960er Jahre in Bombay.

 

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[1] Victor von Leyden hat viele juristische Standardwerke verfasst. Die wichtigsten Titel:

Preussische Verwaltungsreform

Das preußische Gemeindewahlrecht seit der Staatsumwälzung

Probleme und Möglichkeiten eines preußischen Finanzausgleichs

Der künftige Finanz- und Lastenausgleich

[2] Diese Liste umfasste neben Haus und Grund von Leyden auch den Grundbesitz der Familien Ladenburg, Fechheimer, Kohn, Wallach, Guttsmann, Hirsch, Ottenstein, Kohtz, Schneider, Blum, Seligmann, Pringsheim, Stern, Berolzheimer, Rosenthal, Lehmann, Hartmann, Ollendorf, Zuntz, Landauer, Mayer, Grünsfelder, Schlohmann, Kroner und Hoffmann

Das "Absperren des Wassers, Entleerung der Rohrleitungen, Entleerung der Heizungen, Abmontieren der Klosetts und Aufbewahren derselben in den Kellern" wurde mit Schreiben vom 10.01.1939 an die NS-Kreisleitung geregelt, der die Arbeiten ausführende Installateur wurde mit insgesamt 76.- RM entlohnt.

Am 12.03.1939 schrieb der Garmisch-Partenkirchner Landrat Dr. Reinhard Wiesend an das Präsidium der Regierung von Oberbayern: "Die … aufgeführten Judenhäuser sind seit der Judenaktion am 10.11.1938 völlig unbewohnt und unbetreut. Frost-, Schnee- und Wasserschäden erheblichen Ausmaßes sind durchaus wahrscheinlich. Es ist dringend notwendig, dass endlich ein Treuhänder aufgestellt wird, der sich um diesen Judenbesitz und seine Überführung in arische Hände annimmt. Als Treuhänder wurde im Benehmen mit dem Kreisleiter und mit dem Bürgermeister des Marktes Garmisch-Partenkirchen der beim Markt Garmisch-Partenkirchen beschäftigte Verwaltungsamtmann Meyer bereits vorgeschlagen…“

Am 01.05.1939 erhielt ein örtlicher Schlossermeister von der NS-Kreisleitung 4.50 RM für das Auf- und Zusperren von Zimmertüren, Schränken Koffern und Behältern "im Hause Ottenstein und Lyden Partenkirchen Hölzlweg"

[3] s. http://members.gaponline.de/alois.schwarzmueller/juden_in_gap_ereignisse/1938_11.htm

 

Quellen:

Staatsarchiv München LRA Garmisch-Partenkirchen 61665 – Jüdische Grundstücke 1939-1941

Staatsarchiv München LRA Garmisch-Partenkirchen 61664 – Jüdische Grundstücke 1940-1944

Staatsarchiv München LRA Garmisch-Partenkirchen 63049 – Emigranten 1936-1941

Staatsarchiv München LRA Garmisch-Partenkirchen 63212 – Verzeichnis jüdischer Haushalte mit arischen weiblichen Hausangestellten (angelegt durch Ortsbürgermeister Dez. 1935)

Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen - Schachtel 35 - Nr. 07-072/1767 - Ersatzansprüche gegenüber den Stationierungsstreitkräften

 

Literatur:

Flora Veit-Wild, "Es ist kein Traum, Dir auf Deinen richtigen Brief zu antworten..." Luise von Leyden als Chronistin jüdischen Exils in Indien - In: Das Ende des Exils? Brief von Frauen nach 1945 - Band 7 der Reihe Frauen und Exil, Herausgegeben von Irene Below, Inge Hansen-Schaberg, Maria Kublitz-Kramer (München, 2014) S.88-104

 

 

© Alois Schwarzmüller 2014