Garmisch-Partenkirchen und seine jüdischen Bürger  -  1933-1945

 

 

 

 

 

Klara, Lotte und Reinhold Kohtz

Klara Kohtz (*5.6.1857 in Königsberg oder 5.2.1857 in Danzig, geb. Simon, evangelisch) war verheiratet mit dem Sanitätsrat Benjamin Kohtz (*15.05.1852, + 15.05.1918). Das Ehepaar zog im Oktober 1909 von Berlin nach Partenkirchen in die Partnachstraße 46 (alt: 1 1/20 / Fl.Nr. 2414, 0,142 ha).Benjamin und Klara Kohtz hatten zwei Kinder, die nach der NS-Rassensystematik als „Halbjuden" galten: Lotte (*16.8.1887 in Danzig) kam mit der Mutter 1909 nach Partenkirchen. Reinhold (*21.08.1889 in Danzig, +1978 in Garmisch-Partenkirchen) war technischer Kaufmann und Kapitänleutnant.Am 23.1.1919 wandte sich Klara Kohtz mit der Bitte „um Aufnahme in die bayerische Staatsangehörigkeit" an den Magistrat Garmisch. Am 25.1.1919 stimmten der Gemeinderat und der Arbeiterrat Garmisch dem Antrag zu.

 

Reinhold KohtzDie Pogrom-Ereignisse in Garmisch-Partenkirchen schilderte Reinhold Kohtz in einem Bericht für die US-Militär-Regierung am 22.05.1945: 
"Am 9. Nov. 1938 erhielt ich plötzlich von einer Freundin meiner in Garmisch-Partenkirchen lebenden Mutter und Schwester ein Telegramm: "Mutter und Lotte nach Basel abgereist bitte sofort kommen."
Da an diesem Tage auch in Danzig die Judenverfolgungen in geradezu abscheulicher Form eingesetzt hatten, lag die Annahme nahe, daß die Abreise meiner fast 82-jährigen Mutter und meiner 51-jährigen Schwester Lotte auch mit ebensolchen Vorgängen im Reich im Zusammenhang stünden. Die von meinem Vater erbaute Villa Partnachstr. 46 durfte ich nicht betreten. Sie stand unter Bewachung der SA.
Von meinen Freuden hörte ich nun die Vorgänge der letzten Tage: Ein Pöbelhaufen meist ortsfremden Gesindels war am Morgen des 10. Nov. vor die elterliche Villa gekommen und hatte unter dauernden unflätigen Beschimpfungen meine alte Mutter und Schwester zur Kreisleitung der NSDAP gebracht. Dort wurde meiner Mutter eröffnet, daß sie sofort deutschen Boden zu verlassen habe, andernfalls sie in ein Konzentrationslager überführt werden würde. Da meine Schwester angab, meine Mutter unter keinen Umständen verlassen zu wollen, wurde die Drohung auch auf sie ausgedehnt...
Nach kurzer Haft wurden die beiden Frauen, die nicht das geringste bei sich hatten, nach dem Bahnhof durch ein Spalier spuckender Menschen gebracht und unter Bewachung von SA in einen über Innsbruck nach der Schweiz fahrenden Zug gebracht. Jede von ihnen hatte RM 10.- bei sich, ihre Ausweise waren ihnen abgenommen worden. Da die Bewachung bald hinter Garmisch den Zug verließ, beschlossen die beiden Frauen in ihrer Verzweiflung, sich weiteren Quälereien nicht weiter aussetzen zu wollen, sondern gemeinschaftlich den Tod zu suchen..."

Spruchkammer Garmisch-Partenkirchen gegen NS-Kreisleiter Hans Hausböck - A4-1711/3024/48

 

Im Verfahren gegen Hans Hausböck vor der Lagerspruchkammer Dachau sagte Reinhold Kohtz am 22.9.1948 als Zeuge aus:
"... Ich nahm Rücksprache mit ihm (Hausböck, d.V.), der mir nur im großen und ganzen über den Verbleib meiner Angehörigen Auskunft gab. Wegen der Erlaubnis, das Haus betreten zu dürfen rief er telefonisch beim Gau München an und sagte am Telefon: "Die Alte hat sich umbracht", wie es wohl in bayerischer Mundart gesprochen wird ...
In Innsbruck wollte man mir ein Flugzeug zur Verfügung stellen, um niedrig über den Inn zu fliegen und die Leiche meiner Schwester noch aufzufinden, was aber nicht durchführbar war. Meiner Schwester Leiche fand man erst im Juli 1939 6 km südlich von Innsbruck. Die Leiche meiner Mutter habe ich nach München überführt und einäschern lassen. In Garmisch eröffnete mir der Kreisleiter, daß meines Bleibens als Hausbesitzer ein Ende sei, ich hätte das Haus zu verkaufen, ein Käufer wurde mir zugewiesen ... Die Art und Weise, wie der Betroffene an jenem Unglückstag vorging, habe ich als unmenschlich und gewissenlos geschildert. Daß es nicht nötig war, sich so gegen arme schuldlose Menschen zu Verhalten, zeigen die Vorgänge in Murnau und Weilheim. Zeugen von dort hörten bei der Münchner Polizei, daß das Vorgehen des Kreisleiters in Garmisch völlig gesetzlos war.
1939 wurde ich von der Gestapo in Danzig wegen Hochverrat verhaftet, vor ein Kriegsgericht gestellt und in Handschellen nach Berlin gebracht. Entlassen nach 8 Wochen, kehrte ich nach Danzig zurück, um mein im Waisenhaus untergebrachtes Kind zu holen, was mir Mühe kostete, da man mir offiziell als Halbjude das Erzieherrecht absprach. Noch ein zweites Mal stellt man mich vor das Kriegsgericht, entließ mich aber wieder. Um mein Kind aus dem Waisenhaus herauszubekommen, mußte ich mich einer dreimonatigen Untersuchung auf Rassenmerkmale unterziehen... Seit dem Umschwung bin ich wieder im Westen. In Garmisch wurde mir mein elterliches Haus wieder zugewiesen."

Spruchkammer Garmisch-Partenkirchen gegen NS-Kreisleiter Hans Hausböck - A4-1711/3024/48

 

Zeugenaussage von Anneliese Wollenburg (geb. 30.10.1895, Garmisch-Partenkirchen, Zweigstr. 5) beim Spruchkammerverfahren gegen NS-Kreisleiter Hans Hausböck am 18. März 1949:

"Ich ging mit meiner Freundin gegen 1/2 10 Uhr einkaufen und kam die Ludwigstraße herunter und habe wahrgenommen, daß die Schaufen­sterscheibe des Juden Liebenstein zerschlagen war. Dies wunderte mich aber nicht sonderlich, weil es schon öfter der Fall war. Im Laden meines Kaufmannes hörte ich dann, daß die Juden verhaftet und auf die Kreisleitung gebracht werden. Mein erster Gedanke war, daß ich sofort zu Kohtz mußte, um diese fortzubringen. Ich bin dann zur Partnachstraße geradelt und mußte feststellen, daß die Familie schon mit dem Auto zur Kreisleitung geholt war. Ich gab den Bescheid, daß die Familie Willig, die im gleichen Hause wohn­ten, mich benachrichtigen sollten, falls Kohtz wieder zurück sind. Mittags bekam ich dann den Bescheid, daß die Familie Kohtz um 1/2 1 Uhr zurückgekommen sind, völlig gebrochen, und sie sollten Gar­misch verlassen. Ich habe daraufhin Lebensmittel eingekauft und brachte diese zur Familie K. Die beiden Damen waren sehr aufgeregt und konnten mir wenig erzählen. Sie sagten nur immer: "Ich kann nicht mehr leben und will nicht mehr leben." Schließlich erzählten sie dann, daß sie mit einem Auto zur Kreisleitung gefahren wurden, hier hatte sich eine große Menschenmenge eingefunden, die gespuckt und geschimpft haben, sie wurden in einen Saal geführt und wurden dann ins Zimmer zum Kreisleiter gerufen. Frl. Kohtz fiel nicht unter das Gesetz, weil sie Halbjüdin war. Sie wollte aber ihre alte Mutter nicht allein lassen und ist deswegen mitgegangen. Beim Kreisleiter sagte sie dann, "er möchte doch Rücksicht auf die 82jährige Frau nehmen." Er sagte, "von mir aus 100." Sie fragte ihn dann weiter, was geschehen wird, wenn sie bleiben. Sicher kom­men Sie ins KZ, sagte er, und sie mußten dann einen Zettel unter­schreiben und sind dann gegen 12 Uhr mit dem Begleitmann wieder in die Wohnung gebracht worden. Sie durften mitnehmen, was sie woll­ten und erreichten daher erst den Zug um 1/2 5 Uhr. Gegen 3 Uhr erschien ein Gestapomann und kontrollierte das Gepäck ...

Um 1/2 5 Uhr begleitete ich die Damen zur Bahn, und hier angekom­men, standen viele Frauen von der Frauenschaft und sahen sich das an. Als ich sie in den Zug setzte, wußte ich, daß ich diese nicht mehr sehen werde. Als ich nun den Bahnsteig verließ, wurde ich heftig beschimpft. Ich wurde dann später angerufen und hörte, daß die beiden Damen in Richtung Innsbruck, Schweizer Grenze gefahren seien. Am 11. abends zwischen 8 -9 Uhr rief mich Herr Reiser an und sagte, daß eine weibliche Leiche in Innsbruck aus dem Inn gezogen worden sei und ob es Frl. Kohtz sein könnte. Herr Reiser hatte sehr menschlich damals gehandelt."

Spruchkammer Garmisch-Partenkirchen gegen NS-Kreisleiter Hans Hausböck - A4-1711/3024/48

 

Das von Benjamin Kohtz erbaute Haus Partnachstraße 46 wurde „arisiert". Im „Verzeichnis der in Garmisch-Partenkirchen vorhandenen Anwesen jüdischer Besitzer" vom 17.08.1939 heißt es: „Kohtz, Klara, geb. Simon, am 11.11.1938 verstorben, Partnachstr. 46, Wohnhaus - Verkauft an Röckl Luise, München, Wiedenmayerstr. Nr. 25"

Am 09.09.1939 verfügte der Regierungspräsident von Oberbayern an den Notar Dr. Ernst Schmidhuber, München 2, Karlsplatz 10/1: „Betr. Einsatz des jüdischen Vermögens; hier Grundstücksverkauf Pl. No. 2414. Stgde. Garmisch-Partenkirchen, Hausnummer 40 Partnachstrasse in Garmisch-Partenkirchen Kohtz Reinhold, Kohtz Lotte, Günther Israel, Helga Maria Sara Reiss in Berlin Charlottenburg, Windscheidstrasse 17 an Röckel Luise in München. Der zu Urkunde des Notars Dr. Ernst Schmidhuber in München vom 4. Mai 1939 No. 1470 abgeschlossene Kaufvertrag wird gemäss § 8 der VO. über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3.12.38 R.G.Bl.I S. 1709 genehmigt unter der Auflage, dass sämtliche Zahlungen aus dem Kaufvertrag auf ein für den Verkäufer zu errichtendes Sonderkonto zu leisten sind, über das nur mit Zustimmung des Oberfinanzpräsidenten München (Überwachungsabteilung) sowie der Finanzämter Zoppot, Garmisch-Partenkirchen, Berlin Charlottenburg, Berlin-Dahlem verfügt werden darf. Ausserdem wird zur Auflage gemacht, dass aus dem Kaufpreis der Betrag von R.M. 113.- auf das Konto des Treuhänders bei der Bayr. Vereinsbank in München No. 208007 für Bewachung des Anwesens einbezahlt wird. Für diese Entschliessung wird ein Gebühr von R.M. 110.- nebst einem Zuschlag von 20 % angesetzt. Gez. Gareis" Landratsamt Garmisch-Partenkirchen und Bürgermeister des Marktes Garmisch-Partenkirchen wurden von dem Vorgang in Kenntnis gesetzt.

Eintragung im Adressbuch 1939: "Partnachstr. 46, Kohtz`s Erben, Hausbesitzer,"

Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 105426, 61668, 61665

 

https://pogrom-erinnern.at/

https://pogrom-erinnern.at/pdfs/24_de.pdf

 

 

© Alois Schwarzmüller 2006