|
Martha und Paul von Gahlen-Kempe
Martha von Gahlen-Kempe, geboren am 25.2.1887 in
Freiburg i.B., zog am 1.10.1922 aus München nach Partenkirchen. Ihre
Eltern Jakob und Babette Nelson ließen sie im evangelischen Glauben
taufen und erziehen. Sie war seit 1921 mit dem Major a.D. Paul Leo von
Gahlen-Kempe verheiratet und wohnte mit ihrem Mann seit dem 27.8.1922 im
Haus von Frau Anna Steub in Partenkirchen, Mittenwalderstraße 21. Paul
von Gahlen-Kempe, geboren am 8.2.1884, stammte aus Groothusen im Kreis
Emden. Am 20. 9.1923 stellte das Ehepaar ein Gesuch um Aufnahme in den
bayerischen Staatsverband, das vom Gemeinderat Partenkirchen am
3.10.1923 gebilligt wurde.
Am 27.11.1938 wurden Martha und Paul von
Gahlen-Kempe dazu gezwungen, Garmisch-Partenkirchen zu verlassen. Sie
zogen nach München mit dem Gedanken, sich in Südafrika niederzulassen.
Die Auswanderung scheiterte aber daran, dass ihnen vom Bezirksamt
Garmisch schon am 10.11.1938 die Reisepässe abgenommen worden waren und
nicht mehr zurückgegeben wurde.
Paul von Gahlen-Kempe wehrte sich am 10. November
1938 mutig mit dem Revolver in der Hand gegen die SA-Meute, die seine
Ehefrau in das Haus der NSDAP bringen wollte. Die Wohnung in der
Mittenwalderstraße 21 wurde von einer Garmisch-Partenkirchner SA-Wache
und einer auswärtigen SS-Gruppe bewacht.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrten Martha
und Paul von Gahlen-Kempe wieder nach Garmisch-Partenkirchen zurück. Am
22.6.1956 starb Paul von Gahlen-Kempe, am 25.4.1958 seine Frau.
Über die
antisemitischen Ereignisse im November 1938 in Garmisch-Partenkirchen
berichtete Frau von Gahlen-Kempe in einer eidesstattlichen Erklärung vom
21.09.1948:
"Bei Bei den hiesigen Pogromen in der Nacht vom 8. zum 9. November 1938
wurde ich als Jüdin auf Veranlassung des damaligen Kreisleiters Hausböck, Garmisch-Partenkirchen, morgens gegen 7 Uhr durch eine
organisierte größere Demonstration vor unserem Haus geweckt, die 1 1/2
bis 2 Stunden anhielt. Dann erlöste uns die herbeigerufene Polizei, die
mich beschützte und mit dem Leiter der Demonstranten zum bereitstehenden
Wagen geleitete, der uns (mein Mann ging mit) ins Haus der
Nationalsozialisten brachte, wo Hausböck schon auf die armen Opfer - es
waren dies alles Juden aus Garmisch und Umgebung - wartete. Wir wurden
einzeln aufgerufen und erklärte uns Hausböck, daß der Ort sofort
innerhalb weniger Stunden von sämtlichen Juden geräumt werden müsse. Wir
sollten uns sofort entschließen, was wir zu tun gedenken. Entweder käme
ich auf 3 - 4 Jahre in ein KZ oder ich müßte innerhalb 24 Stunden ins
Ausland abwandern. Als Mein Mann (der Arier ist, mich aber keine Sekunde
allein ließ) etwas zu diesem unseligen Vorschlag einwenden wollte, wurde
ihm jedes weitere Wort in schroffer Weise verboten. Wir unterschrieben
dann beide eine in Schreibmaschinenschrift vorgeschriebene Erklärung,
daß wir niemehr nach Garmisch-Partenkirchen zurückkehren und innerhalb
24 Stunden aus Deutschland gehen werden. Wir mußten den Zug um 1 Uhr
mittags nehmen, eine Droschke nach München war uns nicht erlaubt."
Unterschrift Martha von Gahlen, geb. Nelson
Paul Leo von
Gahlen-Kempe sagte als Zeuge im Spruchkammerverfahren gegen Hans
Hausböck, den NSDAP-Kreisleiter, am 18.03.1949 aus: a
"Ich Ich habe den 9.11. persönlich mitgemacht, da meine Frau auch festgenommen
wurde. Ich wachte an dem bewußten Tage auf und hörte Stimmen, die sich
näherten. Schließlich hörte ich rufen "Raus mit den Juden und an den
Galgen." Da merkte ich, was los war. Auf der Straße und im Garten hatte
sich eine Menschenmenge eingefunden. Nun versuchten sie ins Haus zu
kommen, wo wir schon 25 Jahre wohnten. Ich dachte, nun ist es Zeit und
nahm meinen Revolver und sah auch schon, daß jemand auf meinem Balkon
war. Ich veranlaßte diesen mit dem Revolver, den Balkon zu verlassen und
er zog es vor, dies zu tun. Ich rief nun die Polizei an und es kamen
auch 2 Mann. Sie forderten die Menschen auf, sich zurückzuziehen,
andernfalls machen sie von ihrer Waffe Gebrauch. Wir wurden dann im Auto
zur Kreisleitung gefahren. Wir kamen in einen Saal und fanden schon
einige Leidensgenossen vor. Wir kamen dann zum Kreisleiter und dieser
verlas 2 Vordrucke und sollten wir uns entscheiden, entweder in 24
Stunden ins Ausland zu reisen, oder 3 - 4 Jahre KZ. Wir entschlossen
uns, ins Ausland zu reisen und erlaubte mir noch die Bemerkung, dies ist
doch unmöglich, denn wir brauchen doch einen Paß. Es wurde uns bedeutet,
dafür werde die Partei schon sorgen. Wir bekamen dann einen PG mit, der
uns nach Hause begleitete. Um 1 Uhr sollten wir wieder abgeholt werden.
Wir fingen nun zu packen an und tatsächlich um 1 Uhr wurden wir abgeholt
und fortgefahren. Uns persönlich ist auf dem Wege zur Kreisleitung
nichts geschehen, weil es noch zu früh war. Von einer Volksmenge haben
wir nichts gesehen. Um 9 Uhr früh war noch alles vor der Kreisleitung
ruhig. Wir gingen dann nach München und von dort aufs Land. Nach dem
Krieg sind wir dann wieder hierhergekommen.
Vors.: Ihre Frau ist also unbehelligt geblieben?
Zeug.: Später mußte sie in einem Geschäft arbeiten, doch hatte sie es
sehr gut.
Vors.: Hatte der Kreisleiter Sie bedroht?
Zeug.:
Nein. Er machte mir nur den Vorwurf, warum ich seine Leute mit der Waffe
bedroht hätte. Ich sagte, ich nahm an, daß es Einbrecher wären. Uns ist
nichts passiert.
Vors.: Hatte er Sie gezwungen, die Erklärung zu unterschreiben?
Zeug.: Ich hatte mich zu entscheiden, für das eine oder das andere."
Staatsarchiv
München - LRA Garmisch-Partenkirchen 105390, 63049, 63212
|