Garmisch-Partenkirchen und seine jüdischen Bürger  -  1933-1945

 

 

 

 

 

Martha und Paul von Gahlen-Kempe

Martha von Gahlen-Kempe, geboren am 25.2.1887 in Freiburg i.B., zog am 1.10.1922 aus München nach Partenkirchen. Ihre Eltern Jakob und Babette Nelson ließen sie im evangelischen Glauben taufen und erziehen. Sie war seit 1921 mit dem Major a.D. Paul Leo von Gahlen-Kempe verheiratet und wohnte mit ihrem Mann seit dem 27.8.1922 im Haus von Frau Anna Steub in Partenkirchen, Mittenwalderstraße 21. Paul von Gahlen-Kempe, geboren am 8.2.1884, stammte aus Groothusen im Kreis Emden. Am 20. 9.1923 stellte das Ehepaar ein Gesuch um Aufnahme in den bayerischen Staatsverband, das vom Gemeinderat Partenkirchen am 3.10.1923 gebilligt wurde. Haus Mittenwalderstr. 21 (Foto 2009)Am 27.11.1938 wurden Martha und Paul von Gahlen-Kempe dazu gezwungen, Garmisch-Partenkirchen zu verlassen. Sie zogen nach München mit dem Gedanken, sich in Südafrika niederzulassen. Die Auswanderung scheiterte aber daran, dass ihnen vom Bezirksamt Garmisch schon am 10.11.1938 die Reisepässe abgenommen worden waren und nicht mehr zurückgegeben wurde.

Paul von Gahlen-Kempe wehrte sich am 10. November 1938 mutig mit dem Revolver in der Hand gegen die SA-Meute, die seine Ehefrau in das Haus der NSDAP bringen wollte. Die Wohnung in der Mittenwalderstraße 21 wurde von einer Garmisch-Partenkirchner SA-Wache und einer auswärtigen SS-Gruppe bewacht.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrten Martha und Paul von Gahlen-Kempe wieder nach Garmisch-Partenkirchen zurück. Am 22.6.1956 starb Paul von Gahlen-Kempe, am 25.4.1958 seine Frau.

 

Über die antisemitischen Ereignisse im November 1938 in Garmisch-Partenkirchen berichtete Frau von Gahlen-Kempe in einer eidesstattlichen Erklärung vom 21.09.1948:
"Bei Bei den hiesigen Pogromen in der Nacht vom 8. zum 9. November 1938 wurde ich als Jüdin auf Veranlassung des damaligen Kreisleiters Hausböck, Garmisch-Partenkirchen, morgens gegen 7 Uhr durch eine organisierte größere Demonstration vor unserem Haus geweckt, die 1 1/2 bis 2 Stunden anhielt. Dann erlöste uns die herbeigerufene Polizei, die mich beschützte und mit dem Leiter der Demonstranten zum bereitstehenden Wagen geleitete, der uns (mein Mann ging mit) ins Haus der Nationalsozialisten brachte, wo Hausböck schon auf die armen Opfer - es waren dies alles Juden aus Garmisch und Umgebung - wartete. Wir wurden einzeln aufgerufen und erklärte uns Hausböck, daß der Ort sofort innerhalb weniger Stunden von sämtlichen Juden geräumt werden müsse. Wir sollten uns sofort entschließen, was wir zu tun gedenken. Entweder käme ich auf 3 - 4 Jahre in ein KZ oder ich müßte innerhalb 24 Stunden ins Ausland abwandern. Als Mein Mann (der Arier ist, mich aber keine Sekunde allein ließ) etwas zu diesem unseligen Vorschlag einwenden wollte, wurde ihm jedes weitere Wort in schroffer Weise verboten. Wir unterschrieben dann beide eine in Schreibmaschinenschrift vorgeschriebene Erklärung, daß wir niemehr nach Garmisch-Partenkirchen zurückkehren und innerhalb 24 Stunden aus Deutschland gehen werden. Wir mußten den Zug um 1 Uhr mittags nehmen, eine Droschke nach München war uns nicht erlaubt."
Unterschrift Martha von Gahlen, geb. Nelson

 

Paul Leo von Gahlen-Kempe sagte als Zeuge im Spruchkammerverfahren gegen Hans Hausböck, den NSDAP-Kreisleiter, am 18.03.1949 aus: a
"Ich Ich habe den 9.11. persönlich mitgemacht, da meine Frau auch festgenommen wurde. Ich wachte an dem bewußten Tage auf und hörte Stimmen, die sich näherten. Schließlich hörte ich rufen "Raus mit den Juden und an den Galgen." Da merkte ich, was los war. Auf der Straße und im Garten hatte sich eine Menschenmenge eingefunden. Nun versuchten sie ins Haus zu kommen, wo wir schon 25 Jahre wohnten. Ich dachte, nun ist es Zeit und nahm meinen Revolver und sah auch schon, daß jemand auf meinem Balkon war. Ich veranlaßte diesen mit dem Revolver, den Balkon zu verlassen und er zog es vor, dies zu tun. Ich rief nun die Polizei an und es kamen auch 2 Mann. Sie forderten die Menschen auf, sich zurückzuziehen, andernfalls machen sie von ihrer Waffe Gebrauch. Wir wurden dann im Auto zur Kreisleitung gefahren. Wir kamen in einen Saal und fanden schon einige Leidensgenossen vor. Wir kamen dann zum Kreisleiter und dieser verlas 2 Vordrucke und sollten wir uns entscheiden, entweder in 24 Stunden ins Ausland zu reisen, oder 3 - 4 Jahre KZ. Wir entschlossen uns, ins Ausland zu reisen und erlaubte mir noch die Bemerkung, dies ist doch unmöglich, denn wir brauchen doch einen Paß. Es wurde uns bedeutet, dafür werde die Partei schon sorgen. Wir bekamen dann einen PG mit, der uns nach Hause begleitete. Um 1 Uhr sollten wir wieder abgeholt werden. Wir fingen nun zu packen an und tatsächlich um 1 Uhr wurden wir abgeholt und fortgefahren. Uns persönlich ist auf dem Wege zur Kreisleitung nichts geschehen, weil es noch zu früh war. Von einer Volksmenge haben wir nichts gesehen. Um 9 Uhr früh war noch alles vor der Kreisleitung ruhig. Wir gingen dann nach München und von dort aufs Land. Nach dem Krieg sind wir dann wieder hierhergekommen.
Vors.: Ihre Frau ist also unbehelligt geblieben?
Zeug.: Später mußte sie in einem Geschäft arbeiten, doch hatte sie es sehr gut.
Vors.: Hatte der Kreisleiter Sie bedroht?
Zeug.: Nein. Er machte mir nur den Vorwurf, warum ich seine Leute mit der Waffe bedroht hätte. Ich sagte, ich nahm an, daß es Einbrecher wären. Uns ist nichts passiert.
Vors.: Hatte er Sie gezwungen, die Erklärung zu unterschreiben?
Zeug.: Ich hatte mich zu entscheiden, für das eine oder das andere."

Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 105390, 63049, 63212

 

© Alois Schwarzmüller 2006