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Alois SchwarzmüllerBeiträge zur Geschichte des Marktes Garmisch-Partenkirchen im 20. Jahrhundert |
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„Ist doch für uns die Demokratie nicht bloß eine Staatsform, sondern eine Lebensform - ein Ideal. Dem Volke bleibt es überlassen, ob es uns sein Vertrauen geben will... Wir müssen zu einem sozialen Ausgleich kommen - zum klassenlosen Staat." (Georg Schütte, Juni 1946)
Georg Schütte – Mensch, Demokrat, Bürgermeister,
1. Herkunft und Beruf – 1895 bis 1918 Ein richtiger Münchner ist er gewesen: Katholisch, blaue Augen, stämmig. Geboren wurde dieser kleine Mann, aus dem ein großer Demokrat geworden ist, am 15. August 1895. Der Vater war Werkführer; die Mutter starb, als er 15 Jahre alt war. Seine Schulbildung nahm den üblichen Verlauf - zunächst Volksschule, dann Handlungsgehilfen- und Kaufmannsschule, im Anschluss eine Lehrzeit als Elektrokaufmann. Erste feste Anstellung fand er im technischen Büro der Siemens-Schuckert-Werke München. 1912 zog es ihn nach Partenkirchen. Dort übernahm er Buchhaltung und Lagerführung im Döllgastschen Elektrizitätswerk Partnach. Schließlich brachte er es zum Geschäftsführer dieser angesehenen Firma. Sie machte die Wasserkraft der Partnach nutzbar. Damit konnten Partenkirchen und Garmisch bei Nacht beleuchtet werden - mit Hilfe einer von der Maschinenfabrik Landes in München gelieferten Jonval-Turbine. Sie erzeugte 95 kWh für einen Wechselstromgenerator. Über vier Kilometer wurde der Strom auf Holzmasten in die Gemeinden geleitet. Auf diese Weise wurden ca. 900 Lampen sowie mehrere Elektromotoren betrieben. Schütte wohnte fürs erste in der Partenkirchner Römerstraße, dann am Hölzlweg und schließlich in der Ludwigstraße bei Schmöger.
1911 war er noch in
München Mitglied der Freien
Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands geworden. Beide waren eng miteinander verzahnt.
Die freien Gewerkschaften zählten etwa 1,6 Millionen Mitglieder, die SPD
ca. 400.000. Zwei große öffentliche Debatten könnte Schütte in
München noch am Rande miterlebt haben: die Neutralitätsdebatte und die
Massenstreikdebatte. In der Neutralitätsdebatte plädierten
Gewerkschaftsführer für mehr Selbständigkeit gegenüber der SPD. Sie
wurde von sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern ausgelöst, die angesichts der Erfolge der
christlichen Gewerkschaften für einen stärkeren Abstand zur SPD
plädierten. Bebel hatte in einer Grundsatzrede den Führungsanspruch der
Partei verringert, die Selbstständigkeit der Gewerkschaften aber anerkannt und
für eine parteipolitische Neutralität plädiert. Allerdings warnte er vor
einem Kurs weg von der SPD.
Im
Ersten Weltkrieg musste auch
Georg Schütte eine Uniform tragen. Im Juli 1915 wurde er zur
Königlich-Bayerischen Fernsprech-Ersatz-Abteilung München an der
Dachauerstraße eingezogen. Dort begegnete er Oberst Carl Ritter von Brug
(geb. 1855 in Augsburg, gest. 1923 in Garmisch), der seit 1897 in der Marktgemeinde
Garmisch lebte und sich um die Entwicklung des Ortes und vor allem des
Wintersportes große Verdienste erworben hatte. Die Marktgemeinde hat zum
Dank nach ihm eine Straße benannt, die noch heute seinen Namen trägt. Im
Januar 1916 wurde Schütte wegen eines Blinddarmdurchbruchs ins
Reservelazarett München eingeliefert und konnte gerade noch rechtzeitig
operiert und gerettet werden. Zwar wurde er im November 1916 aus der
Armee entlassen, musste sich aber im Mai 1918 im Garmischer Gasthof
Zugspitze beim Bezirkskommando Weilheim zur Nachmusterung melden. Danach
wurde er aus dem Heer entlassen. Erst von den Nationalsozialisten wurde er wieder eingezogen - 1935 zur
Landwehr I als Wehrpflichtiger im Beurlaubtenstand. Weitere Musterungen
erfolgten 1941, 1943 und 1944. U.k. gestellt wurde er 1942 als
Betriebsführer im Kohlengeschäft.
In Partenkirchen traf
Schütte 1912 den Hafnermeister
David Frischmann, Gründer und 1. Vorsitzender des 1907 ins Leben
gerufenen Sozialdemokratischen Vereins Garmisch-Partenkirchen. Schütte
und Frischmann arbeiteten von nun an für Jahrzehnte politisch eng zusammen.
Und beide waren auch schon bald wieder aktiv in verantwortungsvollen
Funktionen für die Arbeiterbewegung in Gewerkschaft und SPD. 1916 lernte Georg Schütte seine spätere Frau Anna Diller kennen und lieben. Sie heirateten, zwei Kinder, die Tochter Elisabeth und der Sohn Georg (Panzerhauptmann, gefallen 1941 bei Murmansk), gingen aus der Ehe hervor.
2. Aufregende Zeiten: Revolution und Räterepublik in Garmisch-Partenkirchen 1918 und 1919 geriet Georg Schütte in die Auseinandersetzung um Revolution
und Gegenrevolution. In München verlief alles schlagartig – am 7.
November 1918 die Flucht des bayerischen Königs, am 8. November 1918 die
Proklamation des Freistaates Bayern durch Kurt Eisner (USPD), am 21.
Februar 1919 die Ermordung Eisners. Johannes Hoffmann (SPD) wurde am
17.März 1919 bayerischer Ministerpräsident, musste aber sich und seine
parlamentarische Regierung nach Bamberg retten; am 7. April 1919 begann
die Räteherrschaft in München, eine Woche später wurde die
kommunistische Räterepublik ausgerufen. Bereits im April wurden erste
Volkswehren gegründet mit der Aufgabe, die rechtmäßige Regierung
Hoffmann gegen Aktionen der Münchner Räteherrschaft zu sichern.
Im Bezirk Garmisch wurde Ende November 1918 ein
Volksrat gewählt. Er setzte sich zusammen aus 42 Mitgliedern, davon
10 Vertreter der Bauern, 8 der Gewerbetreibenden, 12 Vertreter der
Arbeiter, 4 Vertreter der Beamten und Angestellten und 1 Vertreter der
Bürgerschaft. Georg Schütte,,
Buchhalter in Partenkirchen, Buchhalter in Partenkirchen,
war eines
der vier gewählten Mitglieder im Volksrat für die Angestellten.
Am 24. April 1919, als in München die Räterepublik herrschte, kam es am
Lahnewiesgraben zwischen
Mitgliedern der Volkswehr Garmisch und Anhängern der Räterepublik aus
Kochel zu einem heftigen Gefecht mit Toten und Schwerverwundeten. Die
Garmischer Volkswehr hatte davon erfahren, dass Anhänger der Münchner
Räterepublik den Versuch unternehmen wollten, Garmisch, Partenkirchen,
Mittenwald etc. für die Räterepublik einzunehmen. Dagegen brachte
sich die Volkswehr in Stellung..
Nach Abwehr der Kochler Rätearbeiter wurde Georg Schütte beschuldigt, er
stehe mit Georg Murböck, dem Anführer der am Lahnewiesbach aktiven Spartakisten, in Verbindung. Das war in der
Stimmung dieser Tage nicht nur ein ehrabschneidender, sondern ein
überaus gefährlicher Vorwurf.
Der Werdenfelser Anzeiger
berichtete am 7. Mai 1919 über diesen Vorgang:
„Gegen das Volksrat-Mitglied Gg. Schütte wurden von hetzerischen
Elementen Verleumdungen schwerer Art verbreitet. Unter anderem auch,
dass derselbe an die Spartakistenführer in Kochel die Liste der
festzunehmenden Personen gesandt hätte."
Schütte hat sofort selbst die Einsetzung einer Kommission verlangt,
welche die Angelegenheit genau nachprüften sollte. Aus den vorgefundenen
Papieren ging hervor, dass die Liste der Geiseln von Böcklein aus
Mittenwald stammt. "Es ist einwandfrei festgestellt, dass Herr Schütte mit all den
Vorkommnissen nichts zu tun hatte. Der Vollzugsausschuss wird im
Einvernehmen mit der Volkswehr gegen alle energisch vorgehen, welche
falsche Gerüchte verbreiten.“
Damit schien der Vorwurf gegen Schütte aus der Welt zu sein. Ein anonymer
Brief vom 11. Mai 1919 verschärfte aber die Lage: Gegen Böcklein und
Murböck wurde der Vorwurf erhoben, sie hätten aus persönlichen Gründen
beim Arbeiterrat in München
„Verhandlungen betrieben.“ Zusätzlich erwähnte der anonyme Brief
Schütte: „Außerdem bittet man die Untersuchungen in dieser Richtung auch gegen
das Volksrat-Mitglied Herrn Schütte aufzunehmen und zwar auf dessen
eigenen Antrag. Der Verdacht, der gegen Herrn Schütte, berechtigt oder
unberechtigt, ausgesprochen wird, beginnt für denselben gefährlich zu
werden und ist eine sofortige richterliche Klärung wegen der Sicherheit
der Person des Herrn Schütte unbedingt erforderlich.“ Schütte erklärte nach diesen Vorwürfen: „Nachdem Denunziationen gegen mich immer noch fortgesetzt werden u. sogar schon Bedrohungen meiner Person vorgekommen sind, habe ich mich gezwungen gesehen, die Angelegenheit selbst dem Staatsanwalt zur Untersuchung zu übergeben. Alle die nun glauben gegen mich Beweis führen zu können, wollen sich nun melden. Jedermann, der mich kennt, wird mein Vorgehen verstehen, denn wer könnte selbst länger zusehen, wie einem mit Gewalt die Ehre abgeschnitten werden soll.“ Die am 11. Mai 1919 von der Leitung der Volkswehren für den Bezirk Garmisch beantragte Untersuchung über die Rolle der örtlichen Sozialdemokraten durch die Münchner Staatanwaltschaft konnte keine Beweise für die Beschuldigungen finden und Schütte war von allen Vorwürfen und Verdächtigungen entlastet. Am 21. Mai 1919 ermahnte die Leitung der Volkswehren ihre Mitglieder, alle Denunziationen zu unterlassen.
3. Ansehen und Erfolg in Partenkirchen: Schütte wird 2. Bürgermeister
Diejenigen, die versucht hatten, das Ansehen Schüttes zu untergraben,
wurden bei den folgenden Wahlen Lügen gestraft: Bei den Gemeinderats-
und Bezirkstagswahlen 1924 wurde Georg Schütte als ehrenhafter Mann
bestätigt. Schütte hatte sich in wenigen Jahren in seiner neuen Heimat
großes Vertrauen erworben. Das mag der Anlass dafür gewesen sein, dass
er es jetzt wagte, sich mit der Gründung zweier Firmen auch beruflich
selbständig zu machen: 1925 eröffnete er in Partenkirchen sein Zigarren-Spezialgeschäft nahe der Sebastianskirche; e
Bereits im Jahr 1925 berief ihn das Vertrauen der
Partenkirchner Bevölkerung in den Gemeinderat. 1929 betraute man Schütte mit dem Amt des 2. Bürgermeisters des Marktes Partenkirchen. Das erste große Projekt der Gemeinde Partenkirchen in diesen Jahren, an dem er als 2. Bürgermeister entscheidend mitwirkte, war die Errichtung der neuen Bergbahn auf den Wank. Sie hat die kleine Gemeinde zwar finanziell fast überfordert, war aber eine Notwendigkeit geworden, seit die Touristen „in die Höhe“ wollten. Man konnte das ja feststellen und vergleichen am Erfolg der Kreuzeckbahn in Garmisch. Am 26. Juli 1928 beschloss der Marktgemeinderat Partenkirchen die Gründung der Gesellschaft. Das Protokoll: „In heutiger Sitzung des Marktgemeinderates, zu der von den sämtlichen vorschriftsmäßig geladenen 14 Mitgliedern 9 erschienen waren, wurde nach Vortrag und Beratung mit allen Stimmen beschlossen: Die Marktgemeinde Partenkirchen gründet zur Durchführung der Erbauung einer Seilschwebebahn von Partenkirchen auf den Wank mit den Herren Oskar Puchs, Korbinian Witting, David Frischmann und Josef Wohlfarth in Partenkirchen eine Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von 1.000.000 RM. Von dem Grundkapital übernimmt die Marktgemeinde Partenkirchen 96% d. i. 960.000 RM, die Mitgründer je 1% d. i. 40 000 RM.“ Zu Mitgliedern des Aufsichtsrates wurden bestellt: Malermeister und 1. Bürgermeister Gottlieb Schmöger in Partenkirchen, Rechtsanwalt Justizrat Karl Müller in München, Kaufmann Georg Schütte in Partenkirchen, Ingenieur Josef Döllgast in Partenkirchen, Generaldirektor Friedrich Minoux in Garmisch, Rechtsanwalt und Justizrat Dr. Albert Wassermann in Bamberg, Direktor Heinrich Siede in Leipzig. Vorstand wurde der Partenkirchner Kämmerer Josef Kirschbauer.1931 gehörte Schütte zu den
Partenkirchner Gemeinderäten, die gerade auch zum Zeitpunkt der höchsten
Arbeitslosigkeit die Jugendlichen nicht im Stich lassen wollten. Er
setzte sich mit seinen Kollegen dafür ein, dringend nötige
Bildungsmaßnahmen für Jugendliche ohne Arbeit im Rahmen der kommunalen Berufsschule zu beschließen: Auch d
Die tatsächliche Gefahr für den
Fremdenverkehr des Marktes kam von ganz anderen
bedrohlichen politischen Kräften – von den Nationalsozialisten und ihrer
Partei, der NSDAP. Sie setzten sich zum Ziel, dem örtlichen
Hotelgewerbe, soweit es jüdische Gäste beherbergte, zu schaden. Gegen
diese ideologischen Bestrebungen und gegen die sich anbahnende
Kriegspolitik Hitlers und seiner Anhänger kämpfte Georg Schütte von
Anfang an mit Leidenschaft.
Im April 1928 sprach der Münchner
NS-Stadtrat Fiehler bei einer NSDAP-Versammlung in Parten-kirchen, in
der er zum wiederholten Male die antisemitischen Schmähungen der
Hitler-Bewegung vortrug. Gemeinderat Georg Schütte warf ihm daraufhin in
der Versammlung vor, dass die Nationalsozialisten durch ihre
judenfeindliche Haltung dem hiesigen Fremdenverkehr schweren Schaden
zufügten. Die Zahlen sprachen eine deutliche Sprache: Seit dem
Hitlerputsch im Jahre 1923 waren immer mehr jüdische Gäste den
oberbayerischen Fremdenverkehrsorten ferngeblieben. Der Bericht über
diese NS-Versammlung endete mit der Bemerkung:
„Die Sozialdemokraten waren in
einer Stärke von etwa 50 Mann vertreten u. erwiderten dieselben dem
Fiehler, sie lassen sich in einem Fremdenort wie Garmisch das
aufreizende Verhalten der Hitler nicht gefallen."
Bei einer NSDAP-Versammlung im März im Werdenfelser Hof – „mäßig von etwa
150 - 200 Personen (früher 350 - 400 Personen)“ - drohte
der Reichstagsabgeordnete Heinrich Himmler,
„dem russischen Bolschewismus
stehe heute in Deutschland Tür und Tor offen... Es gebe in kurzer Zeit
in Deutschland nur noch zwei große Parteigruppen, auf der einen Seite
den Nationalsozialismus, durch den Deutschland gerettet werden könne,
auf der anderen Seite den russischen Bolschewismus, der Deutschland zu
einer Wüste verwandeln werde.“ Himmler fand ungeteilten Beifall.
Demonstrativ versicherten NS-Redner bei einer Versammlung mit 300
Besuchern im Gasthof Lamm in Garmisch,
„dass sie nun öfter auch nach
Garmisch kommen, gerade weil sie wissen, dass es den hiesigen Wirten
unangenehm sei, die auf die Juden so große Stücke halten.“
Das Polizeiprotokoll
dazu:
„In der Tat würde eine
systematische Propaganda der Nationalsozialisten in Garmisch einen
schweren Schlag für den Fremdenverkehr darstellen."
Schon vor den Reichstagswahlen im Mai 1928 wurden „die Völkischen als Störer des Fremdenverkehrs“ gesehen. In einem Aufruf des Hotel- und Gaststättengewerbes heißt es, „man erlasse uns das üble Gezeter über die Juden. Das können wir in Garmisch-Partenkirchen nicht brauchen, da tun wir einfach nicht mit. Erstens ist es dumm und zweitens ist es zwecklos und schadet uns nur.“ Der politische Terror hat in Oberbayern noch zu viel Bewegungsfreiheit. Man verlange und könne dies wahrscheinlich auch hier in Garmisch-Partenkirchen erreichen: „Dass bei den Wahlen am nächsten Sonntag möglichst keine einzige Stimme für die Hitlerpartei abgegeben wird."
4.
Schütte tritt den
Nationalsozialisten
Georg Schüttes unerschrockenes Auftreten gegen Hitler und seine Anhänger
missfiel den Nationalsozialisten außerordentlich. Deshalb wählten sie
die Methode "Es-soll-was-hängen-bleiben" zur Ausschaltung ihres Gegners aus dem öffentlichen Leben,
die sie schon in zahllosen anderen Fällen, etwa 1919, angewendet hatten:
Denunziation und unbewiesene Verdächtigung. Auf diese Weise sollte Schütte sein
öffentliches Ansehen verlieren und zum Rücktritt von seinen Ämtern
gezwungen werden.
Der Anlass: Mit einer schneidenden
Anklage gegen die Politik der NSDAP schloss die
Garmisch-Partenkirchner SPD ihren Wahlkampf für die Reichstagswahl am 5.
März 1933 ab. Man verglich Hitler mit Stalin, griff die Unterdrückung
und Knebelung der Presse an und warnte vor der kommenden
Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten.
Die erbosten Hitler-Anhänger reagierten schnell und gehässig. Kurz vor der
Wahl erschien im Werdenfelser Anzeiger ein Leserbrief der
NSDAP-Ortsgruppe Garmisch-Partenkirchen mit heftigen Angriffen auf
SPD-Mitglied Georg Schütte, den 2. Bürgermeister von Partenkirchen und
Vorstandsvorsitzenden der Allgemeinen Ortskrankenkasse Garmisch. Darin
wurde das Bezirksamt aufgerufen, die Hitler-Regierung gegen die Angriffe
der Garmisch-Partenkirchner Sozialdemokraten in Schutz zu nehmen und
gegen Schütte ein Disziplinarverfahren zu eröffnen.
Schütte konterte und widerlegte die in heuchlerische Fragen
gekleideten Vorwürfe. Zwei Sätze am Schluss seiner Erklärung zeigten den
Mut dieses Mannes am Vorabend der endgültigen Eroberung der Macht durch
die NSDAP: „Wer in dieser Sache
etwas anderes behauptet, den erkläre ich hier öffentlich als gemeinen
und niederträchtigen Verleumder." Und dann setzte er noch eins drauf mit
der Prophezeiung "Wenn je der Fragesteller durch das Vertrauen seiner
Mitbürger in die gleichen Ehrenämter gelangen sollte wie ich und er mit
der gleichen Offenheit alle öffentlich gestellten Fragen beantworten
könnte, dann wird es gut gestellt sein um das „Dritte Reich"". Ich
fürchte aber, dass in diesem Reich „öffentliche Anfragen" nicht mehr
erlaubt sein werden." Unmittelbar nach dem 5. März 1933 durchsuchten Polizisten der Gendarmeriestation Partenkirchen zusammen mit örtlichen SA-Führern die Wohnungen der maßgeblichen Sozialdemokraten Georg Schütte, David Frischmann und des jungen Philipp Schumpp. Die Nationalsozialisten zeigten mit dieser Drohgebärde ihre Macht, ihren Einfluss, ihr Einschüchterungspotential. Doch keiner der drei ließ sich Furcht einjagen.
Auch nicht als am 20. März 1933 diese Anweisung des bayerischen
Staatsministeriums des Innern im Bezirksamt Garmisch eintraf:
„Den sämtlichen Marxistischen Parteien (KPD), KPD-Opposition,
Sozialistischen Arbeiterpartei (SPD) angehörenden ehrenamtlichen
Bürgermeistern ist im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen
Ruhe, Ordnung und Sicherheit die weitere Ausübung ihres Ehrenamtes
sofort zu untersagen." Tags darauf, am 21. März 1933, wurde Georg
Schütte, seit 1929 legaler und demokratisch gewählter 2. Bürgermeister
von Partenkirchen, durch Verfügung Nr. 1923 des Bezirksamts Garmisch
„die weitere Ausübung des
Ehrenamtlichen Bürgermeisterpostens untersagt."
Am 24. März 1933 gab 1. Bürgermeister Josef Döllgast in der
Gemeinderatsitzung das Rücktritts-schreiben Schüttes bekannt. Schütte
wollte mit seinem Schritt die Einsetzung eines Staatskommissars
vermeiden und damit Schaden von der Gemeinde abwenden. Er zog sich aus
dem politischen Leben zurück und ging wieder seinen Geschäften als
Kaufmann nach. Döllgast dankte seinem Amtskollegen für seine
„aufopfernde Tätigkeit".
Nur wenige Tage, ehe auch Bezirksamtmann Carl von Merz von den Nationalsozialisten aus dem
Garmischer Amt vertrieben wurde, schrieb er am 27. März 1933 an Schütte:
„Sehr geehrter Herr
Schütte! Noch bevor ich meinen Vorsatz, Ihnen anlässlich der letzten
Ereignisse besonders zu schreiben, in die Tat umsetzen konnte, erreicht
mich
Am 22. Juni 1933 wurde die
Sozialdemokratische Partei Deutschlands von den
Nationalsozialisten verboten. Die bürgerlichen
und konservativen Parteien lösten sich in vorauseilendem Gehorsam selbst
auf. Die Demokratie war beseitigt, Deutschland eine Einparteiendiktatur
der NSDAP. Der SPD-Ortsverein Garmisch-Partenkirchen stellte nach dem
Verbot der Partei alle offiziellen politischen Tätigkeiten ein. Georg
Schütte, David Frischmann und der junge Philipp Schumpp blieben in den zwölf
Jahren der nun folgenden Unterdrückung stets im Visier der
nationalsozialistischen Machthaber. Zugleich aber waren sie in dieser Zeit
immer wieder Anlaufstelle für politische Gegner der Nationalsozialisten.
1936 fanden aus dem Konzentrationslager Dachau entlassene
Garmisch-Partenkirchner Hilfe bei Schumpp; 1944 und 1945 bildete sich
eine Widerstandszelle, in der der sozialdemokratische Kaufmann Georg
Schütte, der konservative Rechtsanwalt Dr. Carl Roesen aus Partenkirchen und
Pater Johannes vom Kloster Ettal zusammenwirkten.
Am 10. November 1938, dem Tag des Judenpogroms in Garmisch-Partenkirchen,
wurde das Schaufenster des kleinen Schuhgeschäfts von
Jakob und Leonie Liebenstein
in der Ludwigstraße mit einem Davidsstern beschmiert. Eine größere
Menschenansammlung aus SA- und SS-Leuten, aus Gaffern und Bürgern jagte
Jakob Liebenstein aus seinem Geschäft. Er protestierte dagegen und
beklagte sich auch darüber, dass man ihn - ohne ihm einen Pfennig Geld
zu lassen - wegschleppen wolle. Georg Schütte kam zu dieser
dramatischen Szene hinzu. Unerschrocken stellte er sich auf die Seite
Liebensteins und drückte ihm einen 20.- Mark-Schein in die Hand. Ein
einheimischer SA-Mann schlug mit seinem Stock dazwischen, der Geldschein
blieb schließlich am Boden liegen und Liebenstein wurde zur
NS-Kreisleitung nach Garmisch abgeführt.
Schüttes Tochter Elisabeth nahm
sich der Töchter des Ehepaars Liebenstein an.
Lieselotte und Ruth waren 1921 in Partenkirchen zur Welt gekommen. In einem Brief
an den Vater hat
Elisabeth ihre Bemühungen geschildert. Sie war im
Dezember 1938 in Buenos Aires, Südamerika, als sie vom
Schicksal der beiden Mädchen erfuhr.
„Lieber Pappa… Herr Stead schrieb
sofort nach Glasgow an 2 jüdische Familien, die er gut kennt und soweit
ich dieselben vom „Hörensagen“ kennen gelernt habe, sind es sehr nette
Familien. Die Namen der beiden Familien sind 1. Family Morris
(Herrenkonfektion-Fabrik), 2. Family Siegel
(Lederwaren-Koffer-Golftaschen-Fabrik) ... Wir schrieben an diese beiden
Familien, ob es möglich wäre, dass sie je eine der beiden Töchter von
Herrn Liebenstein nehmen würden, in beiden Familien sind Kinder, in
Familie Morris 2 oder 3 über 10 Jahre alt (können also deutschen
Unterricht erhalten), in Familie Siegel 4 Kinder, das jüngste 12 Monate
alt. Das Angestelltenverhältnis wäre mehr oder weniger wie in meinem
Falle (Familienanschluss), was von großer Bedeutung ist. Beide Mädchen
haben Gelegenheit, Leute aus ihren eigenen Kreisen kennen zu lernen,
dann eine gute u. geschickte Verheiratung hilft vielleicht vielem
hinweg… für Herrn Gutsmann konnte ich bis jetzt noch nichts tun. Auf
alle Fälle schlage ich für Familie Gutsmann ein Auswandern nach
Südamerika vor u. zwar Argentinien vor (die Reise am besten 1. oder 2.
Klasse auf einem englischen Schiff. Ich sage 1. oder 2. Klasse, da
dieser Umstand die Einwanderung sehr erleichtert… Ich habe Gelegenheit
am Sonntag bei meinem Ausgang mich näher über die Einwanderungsgesetze
zu erkundigen. Ich werde auch versuchen, die Ermittlungsstelle für
deutsche jüdische Emigranten um Rat zu ersuchen…“
Der Brief von Schüttes Tochter Elisabeth wurde deshalb in aller
Ausführlichkeit zitiert, weil er deutlich macht, dass Vater Schütte auch
seine Kinder zu gleicher Menschenfreundlichkeit erzogen hat, wie sie
seiner eigenen politischen Grundeinstellung entsprach. Sein Sohn Georg
ist im Zweiten Weltkrieg 1941 auf dem sowjetischen Kriegsschauplatz
gefallen.
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