Olympische Spiele 1936
IOC steht wegen Tweet zu Nazi-Spielen erneut in der Kritik
Das Internationale Olympische Komitee inszeniert auf Twitter Propaganda der Spiele in Nazi-Deutschland 1936 – und das ohne historische Einordnung. Es ist nicht das erste Mal.
Einmal mehr in der Kritik: Das Internationale Olympische Komitee mit Präsident Thomas Bach
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Jean-Christophe Bott / dpa
Sie haben es wieder getan. Zum wiederholten Male verbreitete das Internationale Olympische Komitee (IOC) über Social-Media-Kanäle Nazi-Propaganda. Einmal mehr wurde ein Symbol der Olympischen Spiele 1936, weltweit als »Nazi Olympics« bezeichnet, vom IOC ohne jegliche historische und politische Einordnung verbreitet. Nachdem auf Twitter viele Nutzer und Medienschaffende den Vorgang kritisiert hatten, wurde der Tweet des IOC-Accounts @Olympics ohne Erklärung oder Entschuldigung gelöscht.
Diesmal ging es um ein Olympiaplakat zu den Winterspielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen, das vom Nazi-Designer Ludwig Hohlwein (1874–1949) geschaffen wurde. Hohlwein war NSDAP-Mitglied und hat schon vor der Machtergreifung der Nazis in seinen Werken die faschistische Ideologie verherrlicht. Von Nazi-Ministerien und NS-Größen erhielt er zahlreiche Aufträge für Propagandaplakate und verdiente viel Geld damit. Er prägte das visuelle Erscheinungsbild des »Dritten Reichs«.
Das IOC schrieb in ahistorischer und apolitischer Weise zum Hohlwein-Propagandawerk: »Gefällt euch das? Das Plakat zeichnet sich durch seine asymmetrischen Linien, den starken Farbkontrast und den fetten Text aus.« Derselbe Text findet sich nach der Löschung des Tweets weiterhin auf der IOC-Webseite – auch hier ohne jegliche Einordnung.
Screenshot des Tweets von @Olympics
Foto: @Olympics / Twitter
Die »Nazi Olympics« von 1936, die Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen und die Sommerspiele in Berlin, sind tief in der DNA des IOC und des Sports verwurzelt. Der olympische Fackellauf ist unter anderem eines der Überbleibsel dieser Spiele. Eine wirkliche Aufarbeitung all der Verstrickungen rund um die Propagandaspiele hat es weder im IOC noch im deutschen Sport gegeben.
Im Gegenteil: Altnazis und deren Sympathisanten prägten auch nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reichs« den Lauf der Dinge. Mythen, Lügen, Verharmlosungen und ahistorische Fehleinschätzungen dominieren bis heute. Die Propaganda wirkt nach – auch in vielfältigen Publikationen des IOC. Ähnlich ist das in diesen Tagen mit den Spielen von Peking (4. bis 20. Februar 2022), wo IOC-Vertreter bis hin zu Präsident Bach die Worte und Argumentationen der chinesischen KP-Führung übernehmen.
IOC kaufte 2003 die Riefenstahl-Filme
Im Sommer dieses Jahres, kurz vor den Olympischen Spielen in Tokio, hatte das IOC einen Videoclip veröffentlicht, in dem das Schicksal der Ungarin Ágnes Keleti, Holocaust-Überlebende und älteste lebende Olympiasiegerin, entstellt wird. Keleti, die in den 1950er-Jahren als Turnerin fünf olympische Goldmedaillen gewann, hat ihren Vater und mehrere Onkel im Holocaust verloren – sie wurden von den Nazis in Auschwitz ermordet. Nichts davon wird in dem IOC-Film erwähnt. Aufnahmen einer lächelnden Keleti werden mit Sequenzen aus Leni Riefenstahls Olympiafilm »Fest der Schönheit« kombiniert: Ein »entgrenzender Tabubruch«, kommentierte die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«.
Nicht zum ersten Mal wurden Passagen aus den Riefenstahl-Filmen »Fest der Völker« und »Fest der Schönheit« vom IOC verwendet. Nazi-Propaganda trifft sich mit IOC-Propaganda. Im vergangenen Jahr war einer dieser Clips, den das IOC auf Twitter veröffentlichte, nach weltweiter Kritik noch gelöscht worden.
Was öffentlich kaum bemerkt wurde: Der Olympiakonzern hatte die beiden Riefenstahl-Filme 2003 im Rahmen der Leipziger Olympiabewerbung von der Bundesrepublik Deutschland gekauft. Die Filme waren einst vom Reichspropaganda-Ministerium des Joseph Goebbels mit zwei Millionen Reichsmark finanziert worden. Riefenstahl hatte lange behauptet, sie habe die Filme für das IOC gedreht. Auch diese Lüge mäandert noch heute durch die olympische Welt.
An der Akquise der Riefenstahl-Filme waren der damalige IOC-Präsident Jacques Rogge sowie der damalige Vizepräsident und heutige IOC-Präsident Bach federführend beteiligt. Beide trafen sich seinerzeit in Berlin mit Bundeskanzler Gerhard Schröder, der das Thema zur Chefsache gemacht hatte und das Kulturstaatsministerium entsprechend instruierte, und mehrfach mit Innenminister Otto Schily. Die Verhandlungen wurden auf IOC-Seite von Christophe De Kepper geführt, damals Büroleiter von Rogge, inzwischen seit mehr als einem Jahrzehnt Generaldirektor des IOC.
Bundeseigene GmbH an Vermarktung der Filme beteiligt
Parallel zum Erwerb der Riefenstahl-Filme drängte das IOC auf die Einführung eines Olympiaschutzgesetzes in Deutschland, um die Rechte an den olympischen Symbolen und damit die eigenen monopolistischen Vermarktungsrechte durchsetzen zu können. Zurückblickend lässt sich analysieren, dass IOC-Größen nur so lange über die Chancen der Leipziger Bewerbung orakelten und behaupteten, die sächsische Metropole sei groß genug für das gigantische Olympiaprojekt, bis beide Ziele erreicht waren: Im Juli 2003 wurde Einigkeit über den Kaufvertrag der Olympiafilme erzielt, der Vertrag wurde Ende Dezember 2003 unterschrieben. Im Januar 2004 verabschiedete der Bundestag das Olympiaschutzgesetz.
Vier Monate später, im Mai 2004, schmiss das IOC-Exekutivkomitee – besetzt mit Rogge und Bach – Leipzig in der Vorauswahl der Olympiakandidaten für 2012 raus. Nun war Leipzig plötzlich nicht mehr groß genug für große Spiele, sondern zu klein. Wobei Enthüllungen über eine gewisse Vetternwirtschaft in der Olympia GmbH und andauernde personelle Querelen ebenfalls eine Rolle gespielt hatten.
Der 2021 verstorbene Rogge war seinerzeit persönlich bei Riefenstahl vorstellig geworden. Auf der IOC-Session im Sommer 2003 verkündete er die Einigung mit Riefenstahl und der Bundesregierung. Die Höhe des Kaufpreises wurde nicht genannt. In Akten des Bundesinnenministeriums, die DER SPIEGEL einsehen konnte, sind diese Zahlen geschwärzt. Darin finden sich Vermerke, wonach die bundeseigene Transit Film GmbH bis heute mit 50 Prozent an allen Erlösen des IOC aus der Vermarktung der Filme beteiligt ist, die den Kaufpreis übersteigen. Auch Riefenstahl, die im Herbst 2003 starb, wurde an dem Deal finanziell beteiligt. Dem Bundesarchiv blieb das Recht, die Filme für wissenschaftliche Zwecke und die politische Bildung zu nutzen.
IOC ließ sich 1936 am Nasenring durch die Manege führen
Politische Bildung im Umgang mit dem Nazi-Erbe täte dem IOC gut. Es ist historisch falsch zu behaupten, die Olympischen Spiele seien 1936 von den Nationalsozialisten missbraucht worden. Wahr ist vielmehr: Das IOC hatte nach der Machtergreifung der Nazis drei Jahre Zeit, Deutschland die Spiele zu entziehen. Es gab eine internationale Boykottbewegung. Das IOC, besetzt mit einigen Antisemiten, Nazis und Nazi-Sympathisanten, handelte aber nicht, sondern ließ sich von Hitler und Goebbels am Nasenring durch die Manege führen.
Parallelen zur Diskussion über die Winterspiele 2022 sind nicht von der Hand zu weisen.