6. Februar 2013
Grußwort zur Eröffnung
der Dauerausstellung "IV. Olympische Winterspiele Garmisch-Partenkirchen 1936 - Die Kehrseite der Medaille"
im
Olympia-Skistadion
Der 6. Februar 1936 hätte der
Beginn eines ganz unbeschwerten olympischen Wintermärchens sein
können – kaum belastet von politischen Rechenkunststücken, von
einer Ausnahme vielleicht abgesehen: Deutschland wollte 1931,
beschenkt mit den olympischen Spielen für 1936, seine Rückkehr
in die Völkergemeinschaft nach dem großen Krieg auch auf
sportlichem Terrain feiern – mit dem Vertrag von Locarno und mit
der Aufnahme in den Völkerbund hatte es zuvor schon deutlichen
außenpolitischen Rückenwind und wiedergewonnenes Ansehen
verspürt.
Und was wären das für Spiele
geworden in Garmisch-Partenkirchen im Winter 1936 – mit der
alles überragenden, fast grazilen Holzkonstruktion der großen
Olympiaschanze, mit der seit 1909 bewährten Olympiabobbahn am
Riessersee, deren Bayernkurve zur großen Bewährungsprobe für
alle mutigen Männer mit ihren eisernen Schlitten werden sollte,
mit einem olympischen Eisstadion und einem quasi auch
olympischen Riessersee für alle Wettbewerbe auf stählernen
Kufen, mit den steilen Hängen für die Abfahrer und mit den nicht
ganz einfachen Strecken für die Langläufer.
Alle Teilnehmer wären gefeiert
worden, natürlich Sonja Henie und Birger Ruud, Maxi Herber und
Ernst Baier, Ivan Ballangrud und andere Medaillengewinner ein
wenig mehr.
Und die Garmisch-Partenkirchner
hätten ihre olympischen Gäste, die Sportler und die Zuschauer,
freundlich begrüßt, gut beherbergt und köstlich bewirtet. Dafür
standen die beiden Orte seit mehr als einer Generation national
und international in bestem Ruf.
Auch die Organisation der
Wettbewerbe und des ganzen Drumherum hätte wie am Schnürchen
geklappt, schließlich hatten die örtlichen Wintersportvereine
lange Erfahrung und alles im Griff.
Wäre es so gekommen, wäre es
beim Wintermärchen geblieben. Aber zwischen der Vergabe der
Spiele am 13. Mai 1931 und der Eröffnung der Winterspiele am 6.
Februar 1936 lag der 30. Januar 1933.
Nicht dass dieser Tag an den
Sportstätten etwas geändert hätte oder an der Gastlichkeit der
Garmisch-Partenkirchner oder an der Tüchtigkeit der Sportler.
Freilich - da stocke ich schon –
soweit es nach Hitler, dem neuen deutschen Zwingherrn ging,
sollten keine jüdischen Teilnehmer dabei sein, wenigstens nicht
im deutschen Team, und soweit lokale NS-Funktionäre das Sagen
hatten, waren auch jüdische Zuschauer nicht willkommen. „Juden
unerwünscht“ hieß der Slogan, der fortan sichtbar und unsichtbar
über allen Vorbereitungen zu den olympischen Winterspielen 1936
schwebte. Der geplante Boykott der US-Athleten scheiterte an
einem gewissen Avery Brundage. Auch das IOC, eine quasi
sakrosankte NGO des Sports, machte gute Miene zum bösen Spiel.
Insgesamt ein großer Erfolg für
die Nationalsozialisten – Goebbels war begeistert von den Elogen
der internationalen Sportpresse über Garmisch-Partenkirchen, die
Spiele und das „neue“ Deutschland – die Friedhofsruhe der
Diktatur war kaum angekratzt.
Im Gegenteil: Weil alles so gut
geklappt hatte, weil der Diktator keine Kosten scheute, weil er
in Karl Ritter von Halt einen willigen Helfer finden konnte und
weil das IOC vollends ins faschistische Lager übergelaufen war,
sollte sich der Triumph der Nazis 1940 noch einmal wiederholen,
nach der Reichskristallnacht, nach dem Einmarsch der Wehrmacht
in Prag. Daraus wurde dann aber doch nichts mehr, weil der
Kriegsherr am 1. September 1939 die olympische Tarnkappe abnahm.
Diesen Widerspruch zwischen dem
möglichen Wintermärchen und der nationalsozialistischen
Propagandainszenierung zeigt die Ausstellung.
Sie zeigt auch:
Garmisch-Partenkirchen hat keine Angst mehr vor der Begegnung
mit seiner Geschichte – und muss auch keine haben. Mit der
„Kehrseite der Medaille“ ist die Ära des Lügens und Vertuschens
zu Ende gegangen. Ein Besucher hat das 2011 im Gästebuch so
formuliert: „Kompliment für die Bereitschaft, sich mit einer
wenig angenehmen Vergangenheit auseinanderzusetzen.“ Ein anderer
schrieb: „Durch meine Eltern erfuhr ich viel über die „schöne“
Seite der Winterspiele 1936. Heute bin ich über viele Fakten auf
der „Kehrseite der Medaille“ belehrt worden - vielen Dank!“ und
ein dritter: „Ein Anfang ist gemacht. Es sollte aber nicht
dabei bleiben und uns dazu ermahnen, nicht allem Glanz und
Gloria blind zu folgen.“
Dem ist kaum noch etwas
hinzuzufügen. Vielleicht noch der Schlusssatz aus Christian
Meiers Buch mit dem ein wenig paradox klingenden Titel „Das
Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns“ - er lautet:
„Es ist keineswegs ausgemacht, dass tätige
Erinnerung Wiederholung ausschließt.“ An den Baustellen der
Demokratie steht – unsichtbar – das Schild „Vorsicht -
Einsturzgefahr!“
Im Namen der Kuratoren wünsche
ich der Ausstellung im Skistadion viele aufmerksame Besucher.
Alois Schwarzmüller, StD i.R. 6.
Februar 2013
|