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Walther Siegfried, An jede Haustür pocht der Krieg |
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"Wie Jakob Schaffner gehörte Walther Siegfried zu jenen Schweizern, die ihre Dichterlaufbahn auf Biegen und Brechen mit dem wechselvollen Schicksal Deutschlands verknüpften und darum beides erlebten: übergrosse Berühmtheit und vorschnelle völlige Vergessenheit. 1917, als sein Name Rang und Klang hatte, machte Siegfried mit gehässigen antifranzösischen Äusserungen von sich reden. Und 1945 glaubte der bald Neunzigjährige bis zuletzt unverdrossen an Hitlers Endsieg. Dabei war sein Ruhm, der sich noch immer einzig auf den Erstling Tino Moralt gründete, auch in Deutschland längst bis zur Unkenntlichkeit verblasst." (www.linsmayer.ch) Im "Bilderbuch eines Lebens"[1] hält Walther Siegfried fest, wie der Erste Weltkrieg den kleinen Markt Partenkirchen und seine Menschen überrascht, getroffen und verändert hat.
Walther Siegfried skizziert zunächst die Vorgeschichte des großen europäischen Sterbens - wie sie in Partenkirchen verstanden wurde: "Unabwendbar" "An einem Sonntag dieses Sommers 1914, dem 26. Juli, ging ich am Vormittag mit den Kindern durch den Markt, als eben die Ortsmusik auf dem Platz vor der Kirche ein Morgenkonzert gab. Eine frohe Menge wandelte in der strahlenden Sonne, in der erquickenden Kühle des Schattens hin und her. Am Abend zuvor war die Frist abgelaufen, die Oesterreich der serbischen Regierung zur Annahme der Sühnebedingungen gestellt hatte für die in Sarajewo am 28. Juni geschehene Ermordung des Thronfolgerpaars. Das Gerücht ging um, die eingelaufene Antwort befriedige nicht, der Ausbruch eines Krieges scheine unvermeidlich. Da begann die Musik das österreichische „Gott erhalte unsern Kaiser!" zu spielen. Die Stimmung wurde ernst. Die „Wacht am Rhein" folgte; Einheimische und Sommergäste fielen singend mit ein. Jedermann war so überzeugt vom Friedenswillen Deutschlands, daß was sich nun von Tag zu Tag weiter entwickelte, eine im Tiefsten ehrliche Empörung auslöste, und die würdige Entschlossenheit zur Gegenwehr.
... In diesem Bilderbuch sollen keine Betrachtungen angestellt werden
über die mutmaßlichen Anteile von Schuld an dem furchtbaren folgenden
Austrag. Er mag in Wahrheit weniger das Verbrechen einzelner Menschen
gewesen sein, als unabwendbar geworden durch die Entwicklung der
Zustände auf der ganzen Welt. Nur davon sei das Bild festgehalten: wie
das, was draußen nun anhob, in die Entlegenheit des bayerischen
Hochlandes hereinwirkte, in das Leben eines friedlichen, daseinsfrohen
Volkes.[2]
Dann lässt Siegfried den Partenkirchner Pfarrer Isidor Sutor zu Wort kommen. Der predigt die Männer seiner Pfarrei Maria Himmelfahrt in den Krieg:
"Dienstag 4. August 1914. Nachts „Männer, Burschen vom Werdenfelser Land! Liebe Brüder! Hoch vom Schachen herab, aus der hehren Felseneinsamkeit unsres unvergeßlichen Königs, haben wir diese Blumen geholt, sie euch mitzugeben, da ihr hinauszieht die Heimat zu schützen gegen einen frevelhaften Feind. Unser verklärter König, Euer treuer Ludwig, er grüßt Euch durch mich in diesen Blumen... Er weiß, seine treuen Werdenfelser lassen ihren Bergen nichts geschehen. Nehmet! Trage jeder seine Blume auf dem Herzen! Es ist die Blume der Heimat, der herrlichsten Heimat, die Menschen auf dieser Erde beschieden ist! Ihr werdet sie wiederbringen, Eure Blume, als Sieger, um sie als schönste einzufügen in Euern Kranz - oder Ihr werdet sterben mit ihr auf dem Herzen, als Helden für Euer Land! Der große Gott droben, auf den wir fest wie auf die Felsen seiner erhabenen Schöpfung vertrauen, der große Gott, der uns noch nie verließ, er wird mit Euch sein in unserer gerechten Sache. Ziehet hin! Lebet wohl!" Und der mächtig gewachsene Pfarrherr, selbst einstiger Angehöriger des ausgewählt großen königlich bayrischen Leibregimentes, und die ehrwürdigen Grauköpfe von Anno Siebzig reichten Mann um Mann mit einem warmen Druck der Hand, mit einem festen Blick Aug in Auge die Blume der Heimat. Jeder barg sie an seiner Brust. Heiliger Geist ging durch das Volk... Draußen am Bahnhofe fuhr der nächtige Bergwind von den Wettersteinwänden über die Ziehenden her wie der Atem des Herrn. Mit Tannenkränzen und Eichenlaub überhängt, harrte der Zug... An allen Fenstern stellten sie sich auf - eine endlose Reihe winkender Hände, blitzender Augen zwischen Gewinden und Fahnen. Und während alles das Deutschlandlied sang, glitt der Zug langsam aus der Halle, in die lichtlose Nacht." [3] Die heroische Stimmung der Heimat schlägt bald um. Siegfried registriert die Angst der Mütter und die Trauer der Angehörigen verwundeter und gefallener Soldaten aus Partenkirchen: "Mehrmals schon hatten die Glocken Partenkirchens bedeutsam geläutet und die Fahnen an den Häusern geweht zum Zeichen errungener Siege. Aber jammervoller von Woche zu Woche wirkte für die Heimat sich aus, was im Westen und Osten geschah. Wieder einer von den lebensfrohen Burschen, wieder einer von den jungen Familienvätern, die man hatte ausziehen sehen, wurde als gefallen gemeldet. Und der sei angeschossen, jener liege auf den Tod in einem Lazarett, die und die seien beteiligt in einer eben wogenden Schlacht. Geängstigte Mütter kamen einem still weinend auf der Straße entgegen: ob man nicht irgendwoher etwas Gewisses erfahren? Und das Leid wuchs immerzu. Eine Verwandtschaft um die andere ging schwarz, ein Angesicht nach dem andern verzog sich in Zerbrochenheit und Gram. Vor mancher schrecklichen Kunde starrte man die Berge an, als müßte von ihnen Hilfe kommen. In der donnernden Ferne wurden sie kartätscht und verbluteten mit einem letzten Gedanken an die Heimat, die Braven, während hier, von ihnen beschützt, ihre geliebten Felshäupter friedvoll wie immer in den Morgenduft ragten.
Wieder ein Monat verging; wieder einer. Das Grauen verzehnfachte sich.
Feinde über Feinde standen gegen Deutschland auf. So, wie sich das
türmte, war kein Ende abzusehn."
[4] Auch im zweiten Kriegsjahr wird es nicht besser. Besorgnis über den Ausgang des Völkermordens bewegt viele Partenkirchner. Siegfried notiert Skepsis, Kritik an den Behörden, die Not der Sterbenden und der Lebenden. "Sommer 1915. Ein Jahr schon dauerte der Krieg. So wirr tobten Millionen Menschen allerenden gegeneinander, keine deutschen Siege führten zu einem Ziel, daß über das bisher nie wankende Vertrauen des Volkes in den schließlichen guten Ausgang eine stumme Beklommenheit kam. Immer ältere Jahrgänge noch wehrhafter Männer wurden aufgerufen, immer jüngeres Blut aus dem Hochland zur Ausbildung nach München geholt. An Föhntagen drang dumpf über das Gebirge der Hall der Kanonen von der näher gerückten österreichisch-italienischen Front. Nur noch Greise, Frauen und Kinder besorgten die Arbeit, schafften Futter und Feuerung für den Winter herbei. Knapper mit jedem Monat ward aller Lebensbedarf. Was die Bauern an Nahrung erzeugten, unterstand scharfer Ablieferungspflicht. Doch auch von diesem Schmalen sparte man sich das Mögliche noch ab, um es in ,Liebespaketen" denen draußen zu schicken, als das Einzige, was für sie zu tun blieb. Wie manchen erreichte, was ihn erfreuen sollte, nicht mehr! Haus um Haus schlugen die Hiobsposten jetzt ein. Oft sträubte man sich, sie zu glauben. Ob das denn menschenerdenklich sei? Von jenen vier Lustigen, die beim Scheiden die Bekümmerten mit ihrem Schuhplattler erheitert, lebte noch einer. Margots ehemaliger Zukunftsbauer, der prächtige Seppl, gefallen! Der Gappentoni, der ihr Zitherunterrricht gegeben, einziges Kind und Alterstrost einer Bergführerswitwe - gefallen! "Was soll ich der Mutter sagen?" - hatte ein Partenkirchner Kamerad den Sterbenden gefragt: „Was Gott tut, das ist wohlgetan!", damit war er verschieden. Aus München, aus Stuttgart, aus Bonn trafen Schlag auf Schlag bei den Kindern Totmeldungen auswärtiger junger Freunde ein, und kehrten verwundete Einheimische zu knappem Heilungsurlaub zurück, so sahen sie deren frohe Jugendgesichter, die alle Grauen der Vernichtung geschaut, in vorzeitige Männerantlitze verwandelt. Mit heimlichem Erschauern nur drückte man diesen dem Tode noch Entronnenen, wenn sie aufs neue in die Feuerhölle hinausgingen, die Hand... Auch in Partenkirchen war es mit der Ernährungsfrage bereits schwierig bestellt. Man aß in diesem vierten Kriegsjahr ein bedenkliches Brot und trank als Ersatz für Kaffee ein Gebräu, von dem nicht zu erkennen war, wovon es der Absud sei." [5]
[1]
Walther Siegfried, Bilderbuch eines Lebens (3 Bde., Zürich, 1926 –
1932). [2] S. 128f [3] S. 131ff [4] S. 137 [5] S. 137ff
Literatur:
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