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Ödön von Horvath und "Der ewige Spießer" |
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"Der ewige Spießer" Herr Kobler fährt von München über Partenkirchen zur Weltausstellung nach Barcelona »Barcelona liegt bekanntlich in Spanien«, meinte Kobler überlegen. »Des is gar net so bekanntlich!« ereiferte sich der Bschorr. »Bekanntlich hätt i gschworn, daß des Barcelona bekanntlich in Italien liegt!« »Ich fahr durch Italien nur lediglich durch«, sagte Kobler und strengte sich an, genau nach der Schrift zu sprechen, um den Thimoteus Bschorr zu reizen. Aber der ließ sich nicht. »Da werdens lang brauchen nach Barcelona hinter«, meinte er stumpf. »Sehr lang. Da beneid ich Sie scho gar net. Überhaupts muß Spanien recht drecket sein. Und eine heiße Zone. Was machens denn in Madrid?« »Madrid werde ich links liegen lassen«, erklärte Kobler. »Ich möcht nur mal lediglich das Ausland sehen.« Bei diesen Worten zuckte sein Gegenüber wieder furchtbar zusammen und mischte sich ins Gespräch, klar, kurz und bündig: »Ein Deutscher sollte sein ehrlich erworbenes Geld in diesen wirtschaftlich depressiven Zeiten unter keinen Umständen ins Ausland tragen!« Dabei fixierte er Kobler strafend, denn er hatte ein Hotel in Partenkirchen, das immer leer stand, weil es wegen seiner verrückt hohen Preise allgemein gemieden wurde. »Aber Spanien war ja im Krieg neutral«, kam der dritte Herr in der Ecke Kobler zu Hilfe. Er lächelte noch immer, »Egal!« schnarrte der Hotelier. »Spanien ist uns sogar sehr freundlich gesinnt«, ließ der in der Ecke nicht locker. »Uns is überhaupts niemand freundlich gesinnt!« entgegnete ihm erregt der Thimoteus. »Es wäre ja ein Wunder, wenn uns jemand freundlich gesinnt wäre!! Oder wars ka Wunder, Leutl?!« Der Hotelier nickte: »Ich wiederhole: ein Deutscher soll sein ehrlich erworbenes Geld in der Heimat lassen!« Kobler wurde allmählich wütend. Was geht dich dem Portschinger sein Kabriolett an, du Hund! dachte er und wies den Hotelier in seine Schranken zurück: »Sie irren sich! Wir jungen deutschen Handelsleute müßten noch bedeutend innigere Beziehungen mit dem uns wohlgesinnten Ausland anknüpfen. Zu guter Letzt müssen wir dabei natürlich die nationale Ehre hochhalten. «Das mit dem Hochhalten der Ehre sind Redensarten!« unterbrach ihn der Hotelier unwirsch. »Wir Deutsche sind eben einfach nicht fähig, kommerzielle Beziehungen zum Ausland ehrenvoll anzuknüpfen!« »Aber die Völker!« meinte der Dritte und lächelte plötzlich nicht mehr. »Die Völker sind doch aufeinander angewiesen, genau wie Preußen auf Bayern und Bayern auf Preußen.« »Sie, wanns mir Bayern schlecht machen!« brüllte der Thimoteus. »Wer is angwiesen? Was is angwiesen? Die Schnapspreißn solln halt nach der Schweiz fahren! Zuwas brauchn denn mir an Fremdenverkehr, bei mir kauft ka Fremder was, i hab a Ziegelei und war früher Metzger!« »Oho!« fuhr der Hotelier auf. »Oho, Herr! Ohne Fremdenverkehr dürfte die bayerische Eigenstaatlichkeit beim Teufel sein! Wir brauchen die norddeutschen Kurgäste, wir brauchten auch die ausländischen Kurgäste, besonders die angelsächsischen Kurgäste, aber bei uns fehlt es leider noch häufig an der entgegenkommenden Behandlung des ausländischen Fremdenstromes, wir müßten uns noch viel stärker der ausländischen Psyche anpassen. Jedoch natürlich, wenn der Herr Reichsfinanzminister erklärt….« Nun aber tobte der Thimoteus. »Des san do kane Minister, des san do lauter Preißen!« tobte er. »Lauter Lumpn sans! Wer geht denn zgrund? Der Mittelstand! Und wer kriegt des ganz Geld vom Mittelstand? Der Arbater! Der Arbater raucht schon Sechspfennigzigaretten… Meine Herren! I sag bloß allweil: Berlin!« »Bravo!« sagte der Hotelier und memorierte den Satz vom Asphaltdeutschen. Der Herr in der Ecke erhob sich und verließ rasch das Abteil. Er stellte sich an das Fenster und sah traurig hinaus auf das schöne bayerische Land. Es tat ihm aufrichtig leid um dieses Land. »Der is draußn, den hab i nausbißn«, stellte der Thimoteus befriedigt fest. »Ich verfolge mit Aufmerksamkeit die Heimstättenbewegung«, antwortete der Hotelier. »Ihr Quadratidioten!« dachte Kobler und wandte sich seinem Fenster zu. Auf den Feldern wurde gearbeitet, auf den Weiden stand das Vieh, am Waldrand das Reh, und nur die apostolischen Doppelkreuze der Überlandleitungen erinnerten an das zwanzigste Jahrhundert. Der Himmel war blau, die Wolken weiß und bayerisch barock. So näherte sich der D-Zug der südlichen Grenze der Deutschen Republik. Zuerst ist er an großen Seen vorbeigerollt, da sind die Berge am Horizont noch klein gewesen. Aber jetzt wurden die Berge immer größer, die Seen immer kleiner und der Horizont immer enger. Und dann hörten die Seen ganz auf, und ringsherum gabs nur mehr Berge. Das war das Werdenfelser Land. In Partenkirchen stieg der Hotelier aus und würdigte Kobler keines Blickes. Auch der Herr Bschorr stieg aus und stolperte dabei über ein vierjähriges Kind. »Eha!« meinte er, und das Kind brüllte fürchterlich, denn der Herr Bschorr hätt es fast zertreten. Dann fuhr der D-Zug wieder weiter. Richtung Mittenwald.»…Dort sehen Sie Mittenwald! Es liegt lieblich, nicht?«
Aus: Ödön von Horvath, Gesammelte Werke. Prosa und Verse 1918-1938. Band 4 (Frankfurt am Main, 1988) S. 304ff |
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