|
Michael Ende, Ballade vom Heldentod eines deutschen Offiziers |
|||||||||||||||||||||||||||
|
|
|||||||||||||||||||||||||||
|
aus: Michael Ende, Trödelmarkt der Träume. Mitternachtslieder und leise Balladen (Stuttgart 1986) S. 82 |
|||||||||||||||||||||||||||
|
|
|||||||||||||||||||||||||||
|
Michael Ende München, den 3.4.90 "Sehr geehrter Herr Schwarzmüller, die in meiner “Ballade” geschilderten Vorgänge habe ich nicht selbst als Augenzeuge erlebt, sondern so niedergeschrieben, wie sie damals und später noch zwischen meinen Eltern besprochen worden sind. Ich bin am 12. November 1929 geboren, war also zu jenem Zeitpunkt erst 8, respektive 9 Jahre alt. Dennoch hat sich mir die Sache tief eingeprägt, vor allem auch wegen des tiefen Entsetzens meiner Eltern. Meine Mutter weinte nicht leicht, aber da habe ich sie vollkommen in Tränen aufgelöst gesehen. Durch wen meine Eltern die Nachricht bekommen hatten, weiß ich nicht mehr; es könnte durch Frl. Schiele gewesen sein, die damals und später noch im Bunten Haus einen kleinen Modesalon hatte und zu den Freunden meiner Eltern gehörte. Ich kann nicht sagen, ob sie noch lebt (es ist mehr als unwahrscheinlich), aber vielleicht gibt es noch Freunde oder Verwandte von ihr. 1938 lebten meine Eltern und ich bereits in München-Schwabing, wo ich auch zur Schule ging. Mein Vater, Edgar Ende, geboren 1901, einer der ersten deutschen Surrealisten, war da schon längst unter das “offizielle" Verdikt “Entartete Kunst" gefallen, d.h. er durfte seinen Beruf als Maler nicht mehr ausüben (was er natürlich heimlich dennoch tat), seine Bilder weder auf Ausstellungen zeigen, noch verkaufen, noch ins Ausland schicken. Viele Gemälde von ihm, die sich in Museen oder anderen öffentlichen Sammlungen befanden, waren konfisziert und vernichtet worden. Den Lebensunterhalt für uns verdiente - kümmerlich genug - meine Mutter durch Heilgymnastik und Massagen. Zu Fritz und Hedy Staakmann (oder Starkmann?): Ich kann das Jahr nicht mehr mit Sicherheit eruieren, in dem meine Mutter nach Garmisch kam. Sie trug damals noch ihren Mädchennamen Luise Bartholomä, zog aus dem Rheinland zu und machte im Bunten Haus einen kleinen Laden ( mit zugehörigen Wohnung im 1. Stock) für Spitzen und Halbedelsteine auf. Es wird wohl so um 1925 herum gewesen sein. Dort jedenfalls begegnete ihr 1928 mein Vater, der gerade aus Hamburg gekommen war. Kurz danach schon heirateten sie und 1929 kam ich zur Welt. Der Laden gehörte jedenfalls bis zuletzt meiner Mutter. Das Bunte Haus hatte von der Rückseite aus, die zum Bahndamm hin lag, mehrere Aufgänge. In einer solchen Nachbarwohnung, ebenfalls im 1. Stock, lebten Fritz und Hedy Staakmann (oder Starkmann). Sie und meine Eltern freundeten sich an und meine Eltern gingen häufig zu ihnen hinüber zum Bridge-Spielen. Obwohl ich noch sehr klein war, erinnere ich mich doch noch gut an die sehr bürgerliche Atmosphäre mit Häkeldeckchen und Vertiko bei Onkel Fritz und Tante Hedy, wie ich sie nannte, und an ihren total überfütterten, alten, warzenbedeckten Dackel Mucki. Tante Hedys Leihbücherei war im Treppenaufgang untergebracht und nicht besonders reichhaltig. Der Laden meiner Mutter ging recht gut, trotzdem wollte mein Vater unbedingt nach München übersiedeln, um Anschluß an die moderne Kunstszene zu finden. So gab meine Mutter den Laden 1932 auf und wir zogen nach München. In den späteren Jahren besuchten wir Onkel Fritz und Tante Hedy jedoch öfters, deshalb ist meine Erinnerung an beide relativ gut und resultiert nicht nur aus jener allerersten Zeit.
Onkel Fritz war ein herzensguter Mann, aber immer ziemlich “grantig”, wohl wegen seiner ständigen Kopfschmerzen. Auch an seine epileptischen Anfälle, Folge seiner Kriegsverletzung erinnere ich mich, weil sie mich als Kind recht erschreckt haben. Meistens zankte er mit Hedy wegen irgendetwas herum. Tante Hedy dagegen war immer geduldig und von einer grenzenlosen, sogar für mich schon damals erstaunlichen Naivität. Sie schien sich ständig über alles wie ein Kind zu wundern. Außerdem hatte sie eine etwas komische Vorliebe für “feine” Ausdruckweise. Ich besitze übrigens noch einige Fotos aus jener Zeit, auf der unter anderen auch die beiden zu sehen sind. Wenn ich mich recht erinnere, war Fritz Staakmann (oder Starkmann) mit einem Verlagshaus eben dieses Namens verwandt und bezog neben seiner Offizierspension von diesem eine Art Rente, die ihnen ein leidliches Auskommen sicherte. Vielleicht gibt es diesen Verlag noch (in der D.D.R.?), vielleicht Erben oder Nachfahren, die mehr über das Schicksal von Fritz und Hedy wissen. Als die Leihbücherei aufgegeben werden mußte, halfen meine Eltern den beiden beim Aus- und Umräumen. Ich “erbte" damals 32 Bände Karl May - für mich ein unvorstellbarere Schatz. Sie sind später leider bei einem Bombenangriff auf München mit den Atelier meines Vaters verbrannt. Außer Frl. Schiele mit ihrem Modesalon gab es im alten garmischer Freundeskreis meiner Eltern noch einen Holzbildhauer namens Dusch, der aus dem Ort oder der Gegend stammte. Er machte Perchtenmasken und dergl. Sonst kann ich mich an keine Namen mehr erinnern, die mit Fritz und Hedy in Zusammenhang stehen könnten.
Ich selbst kam dann erst 1943 mit der K.L.V. (Kinder-Land-Verschickung) zusammen mit meiner Gymnasialklasse wieder nach Garmisch und blieb dort bis Kriegsende. (Erst im “Kramerhof", später im “Roseneck") Zu dieser Zeit lebte Frl. Schiele noch im Bunten Haus und ich besuchte sie öfters. Sie hat mir das Ende von Fritz und Hedy ebenfalls so berichtet, wie ich es von meinen Eltern gehört hatte. Der Käfig mit Hedy soll übrigens auf dem Platz vor dem Bahnhof gestanden haben. Seltsam, daß sich niemand daran erinnert. Daß sie zuletzt nach Theresienstadt gebracht wurde, ist nicht mit Sicherheit auszumachen, wurde aber immer wieder gesagt. Wo das Grab von Fritz ist und ob es überhaupt eines gibt, weiß ich nicht. “Sonst hab ich nichts mehr gehört..." Mit herzlichen Dank, daß Sie sich der Sache angenommen haben.
Michael Ende
PS: Beim Wiederlesen Ihres Briefes verwirrt mich das Datum der Zeitungsanzeige über die Aufgabe der Leihbücherei. Da ich beim Umräumen mitgeholfen habe, weiß ich, daß Fritz und Hedy zu diesem Zeitpunkt beide noch am Leben waren. Die Sache mit dem Käfig müßte also später stattgefunden haben. Jetzt kommt es mir fast so vor, als ob es schon im Krieg war. Vielleicht hat man die Staakmanns wegen Fritzens Kriegsverdiensten erst noch verschont und erst später, als die Juden-Massenvernichtung im Osten einsetzte, auch hier keine Ausnahme mehr geduldet."
Bildnachweis:
Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen
|
|||||||||||||||||||||||||||
|
||||||||||||||||||||||||||||
|