Lion Feuchtwanger, Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz

 

 

 

Lion Feuchtwanger (1884-1958)In den ersten Jahren der Weimarer Republik wird der liberale Münchner Kunsthistoriker Martin Krüger, Direktor der Staatlichen Gemäldesammlungen, von reaktionär-monarchistisch gesinnten politischen Kreisen in einen Prozess verwickelt und zu Unrecht zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Auf diese Weise entledigen sich die erzkonservativen und antirepublikanischen Kräfte ihres Kritikers Krüger. Krügers Freundin Johanna Krain versucht auf vielen Wegen die Freilassung Krügers zu erwirken. Dabei begegnet sie in ihren Gegenspielern der ganzen Bandbreite des korrupten bayerischen Provinzialismus in Staat, Kirche und Wirtschaft und der wachsenden Bereitschaft, die immer stärker werdende Hitler-Bewegung zu unterstützen. Nach und nach entsteht so ein Sittengemälde des "Landes Bayern" in jener Zeit. - Treffpunkt der Gegner und Helfer von Martin Krüger sind immer wieder einmal die Sportstätten, Bars und renommierten Hotels des aufstrebenden Fremdenverkehrsortes Garmisch.

 

Ein Brief im Schnee

"Johanna lag im Schnee, ausruhend, angenehm gedankenlos, in schweren, niedrigen Stiefeln, nach der Mode der Zeit männerartig vermummt in den langen Hosen des Skianzugs. Nur wenige Minuten wollte sie rasten. Sie schnallte die Schneeschuhe nicht ab; im Winkel zu dem dunkelblau gekleideten Körper standen die Hölzer.

Sie war jetzt acht Tage in Garmisch. Herr Pfaundler hatte recht gehabt, dieser Ort war heuer ein Treffpunkt von Großkopfigen aus aller Welt. Aber von den Leuten aus dem Kreise der Frau von Radolny, von denen sie sich besonders viel versprach, war noch niemand da. Es kümmerte sie wenig, daß sie warten mußte. Sie war von Kind auf viel in den Bergen gewesen, hatte Freude am Skilaufen..."

 

Die Puderdose

"Direktor Pfaundler führte Herrn Heßreiter und Fräulein Krain durch „Die Puderdose", demonstrierte ihnen stolz das Lokal: wie geschickt jedes Eckchen ausgenützt, wie listig überall versteckte Nischen ausgespart seien, Boxes, Logen; lauschige Winkel nannte er sie. Er hatte sich mit den Herren Künstlern, dem Greiderer und dem Künstler der Serie „Stierkampf", nicht schlecht herumraufen müssen, bis sie ihm diese lauschigen Winkel nach Wunsch zurechtmachten. Auch wollten sie ihm lange nicht soviel Kachelbelag lassen, die Bazis, wie er brauchte. Alles sollte immer zierlich sein, zart, elegant, achtzehntes Jahrhundert. Schön, hatte Herr Pfaundler gesagt, selbstverständlich, Puderdose: aber die Hauptsache bleibt doch schließlich die Gemütlichkeit. Und was jetzt dastand, sagen Sie selbst, Herr Nachbar, konnten damit die Herren Künstler nicht ebenso zufrieden sein wie der Herr Unternehmer? Das war Puderdose, das war achtzehntes Jahrhundert und gemütlich. Nirgends war gespart, da fehlte sich nichts. Altväterisch zierlich ging es auf den blau und gelblichweißen Kacheln des Herrn Heßreiter her, behaglich luden, das Gemüt ansprechend, die lauschigen Winkel die Gäste. Da mußte auch dem steifen, internationalen Publikum das Herz aufgehen.

Es ging ihm auf. Jeder Platz war besetzt. Es war, als verbrächten sämtliche Besucher von Garmisch ihren Abend in der „Puderdose"..."

 

David spielt vor König Saul

"Der Ingenieur Kaspar Pröckl stapfte unwirsch, unrasiert, mit wenig geeigneten Schuhen, durch den aus Regen, Schnee und Schmutz gebildeten Matsch auf der Hauptstraße des Winterkurorts Garmisch-Partenkirchen. Die Zeitungen übertrieben nicht; dieser faule, luxuriöse Ort inmitten der eiternden allgemeinen Not war ein Ärgernis. Er war am Nachmittag hergefahren, ziemlich mühsam auf glitschigen, aufgeweichten Straßen, durch schmelzenden Schnee. Er hatte auch eine kleine, lächerliche Panne gehabt, sie in Weilheim beheben lassen und sich bei dieser Gelegenheit mit dem Mechaniker wüst herumgestritten. Hätte nicht die Mundart besänftigend gewirkt, dann hätte es der Weilheimer dem finster und befremdlich ausschauenden Menschen mit seinem knochigen, unbayrischen Gesicht gezeigt.

Es war ein Blödsinn, daß er herausgefahren war. Der Direktor Otto in den Bayrischen Kraftfahrzeugwerken hatte ihm, etwas säuerlich, gesagt, der Baron Reindl wünsche ihn zu sprechen und bitte ihn, gelegentlich nach Garmisch zu kommen, ins Palace-Hotel, wo er für etwa acht bis zehn Tage abgestiegen sei. Mußte er da gleich herfahren wie ein Hund auf den Pfiff, wie irgendein Arschkriecher? Finster, in seinem verwahrlosten Aufzug sehr befremdlich, stapfte er durch den frühen Abend des elegant behaglichen Kurorts. Der Schnee und die elektrischen Bogenlampen gaben ein unangenehmes Licht. Aus den Cafes, den Hotels kam die Jazzmusik der Tanztees. Das Empfangspersonal, die Boys, als er im Palace-Hotel nach dem Baron Reindl fragte, beäugten den verdächtigen Kerl in der zerrissenen, verschwitzten Lederjacke mit Spott und Neugier..."

Aus: Lion Feuchtwanger, Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz (Frankfurt a.M., 1975) S. 180, 183f, 236f

 

 

 

 

© Alois Schwarzmüller 2007