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Kurt Tucholsky, Reisende, meidet Bayern! (1924) |
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"In politisch unselbständigen Ländern, wie in Persien, genügt es, den Häuptlingen unzuverlässiger Stämme einige Aktien zu schenken, um sie durch Geldinteressen von der Zerstörung industrieller Anlagen abzuhalten." Sidney Jessen, Die Weltinteressen der englischen Petroleumindustrie "Die Bayern, diese schlampigen Preußen, sind erstaunt, daß keine Fremden mehr zu ihnen kommen. Ihre Winterhotels stehen leer, die Verpflegungspreise sind weit heruntergesetzt worden, aber das gute Publikum ist in diesem Jahr nach der Schweiz gegangen, weil sie billiger, schöner, nahrhafter und gastfreier ist. Und das ist rechtens geschehen: denn man reist selbst in Afrika bequemer und gefahrloser als in Bayern – ganz abgesehen von der dort herrschenden Zivilisation. Die Fremdenverkehrsvereine Bayerns haben gewaltige Eingaben an ihre Regierung gemacht: so weit dürfe man mit der vaterländischen Überzeugung nun doch nicht gehen, daß man etwa den Berlinern, den Sachsen, den Preußen, den Juden und den Bolschewisten nicht mehr gestatte, ihr Geld im Lande zu lassen. Nach unzähligen Beflegelungen aller ›nichtbayerischen Deutschen‹ (ein verfassungswidriger Begriff) ist eine Bevölkerung, die von den Fremden lebt, erstaunt, daß ihre Ware ausbleibt. Das gebärdet sich ganz als Eigentümer, Verwalter und Nutznießer der bayerischen Berge, für deren Schönheit die Bewohner wirklich nichts können. So wenig wie mancher für sein Ehrenwort. Und weil sie nun die anständigen Reisenden hinausgeekelt haben, treiben sie Propaganda. Zum Beispiel so:
Für die meisten, die es wirklich anging, hatte es solches Schreibens gar nicht bedurft. In einem Sommer der tiefsten bayerischen Schande saßen einundfünfzig sozialistische und kommunistische Reichstagsabgeordnete während ihres Sommerurlaubs in den bayerischen Bergen, weil man ja Politik und Privatleben nicht vermengen darf. Eisner war ermordet, Landauer zertreten und gefleddert. Toller eingesperrt, Mühsam gequält, Fechenbach ruiniert – diese einundfünfzig und Tausende von deutschen Juden, Republikanern und Oppositionellen aller Schattierungen gaben den Bayern Geld zu verdienen. Bis die so dumm waren, durch immer gröbere Schikanen jeden Fremdenverkehr zu unterbinden. Sie verlangen von den eignen deutschen Landsleuten einen Paß, welches Verlangen abzulehnen ist. Sie kontrollieren in aller Herrgottsfrühe die Hotels, die Polizisten sind unhöflich und grob; einen mir bekannten Herrn, der mit seiner Frau reiste und seine Heiratspapiere nicht ans Chemisett angehängt hat, rettete nur die Tatsache, daß sein Ehering nicht vom Finger zu ziehen war (denn in den Schwänken, die sich die Beamten angesehen haben, geht das so zu). Diese amtlichen Lümmeleien in Pensionen und Hotels sprechen sich herum, erfreulicherweise am meisten unter den valutastarken Ausländern, die Zug–, Grenz- und Paß-Schikanen mehren sich – es hilft alles nichts: die Fremden bleiben aus. Das Propagandaschreiben ist so weit ganz gut. Der Putsch, den man vorher zweimal am Tage als einen Vorschuß auf die Seligkeit gepriesen hatte, heißt jetzt ›unselig‹, weil er das Geschäft verdirbt, und was das freundliche Versprechen anbetrifft, zahlende Sportsleute vom Eis nicht ins Haberfeld zu treiben, so dürften die befehdetsten unter ihnen mit dem Ausruf: »Bedankt sollen sie sein!« reagieren. Ja, und wie will die Kurverwaltung ihr Versprechen wahr machen, Unterhaltung und Sport zu bieten, wenn die bodenständigen Abarten dieser Beschäftigung: Judenhetze und Abgeordnetenmorde nicht steigen sollen? Man hats gar nicht leicht. Aber der Reklamewisch hatte doch eine kleine Wirkung, von der sich der Absender nichts hätte träumen lassen. Einer der berliner Empfänger setzte sich nämlich hin und schrieb eine Antwort. Einen Brief, wie man ihn hier gar nicht gewohnt ist. Nämlich diesen:
Auf den bayerischen Brief ist zu antworten: Weder Zeigner noch irgendein Sachse hat die Fremden schikaniert. Bayerische Ordnung ist keine deutsche Ordnung. Der ›bedauerlichen Vorfälle‹ sind nicht nur viele – sondern sie bleiben alle ungesühnt. Wie soll das auch anders sein, wenn die gesamte Verwaltung und die Justiz sich in Händen von Männern befindet, die als zuverlässig nicht angesehen werden können? Berliner, die auch noch israelitisch sind, Fremde, die eine Erholungsreise und keinen Guerillakrieg unternehmen wollen, Ausländer, die ihre Ruhe wünschen – sie alle werden sich hüten, von Bayern, die auch noch Verwaltungsbeamte sind, sich die Reise verderben zu lassen. Der Herr von Kahr hat ja erst neulich einer kleinen Gesellschaft, die mit Tänzerinnen Sekt trank, klar gemacht, daß außereheliche Abendvergnügungen dem Deutschen nur dann zustehen, wenn er ein Gut in Mecklenburg oder ein Schloß in Oberbayern hat, daß dagegen das nächtliche Bei- und Zutrinken sowie -schlafen in öffentlichen Gasthäusern mit Frauenspersonen zu unterbleiben hat. Er ließ die Auto-Insassen wegen ›Prasserei‹, oder wie dieser Papierausdruck sonst heißt, verhaften, die Tänzerinnen ins Arbeitshaus bringen und ähnlichen Unfug verüben. Das haben die Fremden satt. Es kann Deutschen und vor allem ausländischen Gästen von einem Besuch Bayerns nicht genug abgeraten werden. Der Fremde ist in Bayern eine Art bedingt Begnadigter. Es war einmal eine Pflicht anständig Gesinnter, der oberbayerischen Bevölkerung durch Gebirgsreisen zu helfen, die man ebenso gut hätte ins Ausland unternehmen können. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Heute hat man die Pflicht, den Sinn dieser Bevölkerung auf die Hebung ihrer heimischen Viehzucht und auf die bessere Belieferung der deutschen Kinder mit Milch zu lenken. Denn die Zustände haben sich noch nicht gebessert: der Fremde ist in Bayern rechtlos und unterliegt nach wie vor zahllosen Beschränkungen und Plackereien. Ein Herz scheinen die deutschen Brüder da unten nicht zu haben. Aber ein Portemonnaie haben sie in den treudeutschen Hosen. Hier ist die Stelle, wo sie sterblich sind. Wenn in aller Stille heute schon daran gearbeitet wird, die Bayern wieder zur Vernunft zu bringen: für die Fremden ist von dieser segensreichen Arbeit vorläufig noch nichts zu merken. Und so ist denn noch immer zu rufen: Reisende, meidet Bayern!" Ignaz Wrobel in der „Weltbühne", 07.02.1924 Aus: Kurt Tucholsky, Die zufällige Republik. Schriften zur Politik (Frankfurt a.M. 1985 - Büchergilde Gutenberg, S. 173 ff)
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