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 Kurt Tucholsky, geboren
1890 in Berlin, schrieb unter den Pseudonymen Theobald Tiger, Ignaz
Wrobel, Peter Panter und Kaspar Hauser satirische und
gesellschaftskritische Feuilletons, Gedichte, Chansons und Prosaskizzen.
Seit 1913 war er Mitarbeiter der »Schaubühne« - 1918 umbenannt in »Die
Weltbühne« - ab 1926 deren Herausgeber. Ab 1924 arbeitete er als
Korrespondent in Paris, 1929 emigrierte er nach Schweden. Tucholsky
vertrat als bedeutender Satiriker und Zeitkritiker einen
»linksgerichteten pazifistischen Humanismus« und war einer der
schärfsten Polemiker gegen den Nationalsozialismus. 1933 wurde Tucholsky
von den Nazis ausgebürgert, seine Bücher wurden in Deutschland
verbrannt. Im schwedischen Exil veröffentlichte Tucholsky keine Werke
mehr. Aus Verzweiflung über die Entwicklung in Deutschland -
seine Briefe unterzeichnet er mit «ein aufgehörter Deutscher» und «ein
aufgehörter Schriftsteller» - nahm Kurt Tucholsky sich im
Dezember 1935 das Leben.
"In politisch unselbständigen Ländern, wie in
Persien,
genügt es, den Häuptlingen unzuverlässiger Stämme
einige Aktien zu schenken, um sie durch Geldinteressen
von der Zerstörung industrieller Anlagen abzuhalten."
Sidney Jessen,
Die Weltinteressen der englischen Petroleumindustrie
"Die Bayern, diese schlampigen Preußen, sind
erstaunt, daß keine Fremden mehr zu ihnen kommen. Ihre Winterhotels
stehen leer, die Verpflegungspreise sind weit heruntergesetzt worden,
aber das gute Publikum ist in diesem Jahr nach der Schweiz gegangen,
weil sie billiger, schöner, nahrhafter und gastfreier ist. Und das ist
rechtens geschehen: denn man reist selbst in Afrika bequemer und
gefahrloser als in Bayern – ganz abgesehen von der dort herrschenden
Zivilisation.
Die Fremdenverkehrsvereine Bayerns haben gewaltige
Eingaben an ihre Regierung gemacht: so weit dürfe man mit der
vaterländischen Überzeugung nun doch nicht gehen, daß man etwa den
Berlinern, den Sachsen, den Preußen, den Juden und den Bolschewisten
nicht mehr gestatte, ihr Geld im Lande zu lassen. Nach unzähligen
Beflegelungen aller ›nichtbayerischen Deutschen‹ (ein
verfassungswidriger Begriff) ist eine Bevölkerung, die von den Fremden
lebt, erstaunt, daß ihre Ware ausbleibt. Das gebärdet sich ganz als
Eigentümer, Verwalter und Nutznießer der bayerischen Berge, für deren
Schönheit die Bewohner wirklich nichts können. So wenig wie mancher für
sein Ehrenwort. Und weil sie nun die anständigen Reisenden hinausgeekelt
haben, treiben sie Propaganda.
Zum Beispiel so:
„Palast-Hotel Sonnenbichl, Garmisch
Euer Hochwohlgeboren!
Die politischen Ereignisse in Bayern vom 8. und 9.
November sind in einem Teile der auswärtigen Presse wahnsinnig
aufgebauscht worden, so daß mancher frührer Gast unsres
Werdenfelser-Landes vielleicht Bedenken hat, in diesem Winter nach
Bayern, bezw. Garmisch-Partenkirchen zum Winteraufenthalt zu reisen.
Demgegenüber möchten wir feststellen, daß der
unselige Putsch innerhalb wenigen Stunden in sich selbst zusammenbrach,
und Ruhe und Ordnung in jeder Weise gewährleistet ist.
Ebenfalls sind die Gerüchte über die
antisemitische Hetze kolossal übertrieben und wird besonders im hiesigen
Gebiet von allen Teilen der Bevölkerung jegliche Garantie übernommen,
daß die Besucher unsres Wintersportplatzes, sowohl auf Straßen und
Plätzen, wie in den Hotels unbehelligt bleiben.
Wir würden uns daher erlauben unsre lieben alten
Gäste zum Besuche für den kommenden Winter einzuladen, und würden wir
wie immer für tadellosen Aufenthalt und erstklassige Verpflegung und
Beheizung besorgt sein.
Bezüglich der Preise haben wir uns vereinbart,
unser Äußerstes zu tun und trotz der enormen Unkosten die Pensionspreise
incl. Heizung unter die Friedenspreise (11 – 16 Goldmark) herabzusetzen,
um unsern Gästen den Aufenthalt zu ermöglichen und mit dem Ausland
konkurrenzfähig zu sein.
Wir bitten Sie uns in dieser schweren Zeit Ihre
Geneigtheit nicht zu entziehen und uns wieder zu beehren.
Falls Sie selbst nicht beabsichtigen in diesem
Winter zu reisen, würden wir bitten, uns in Ihrem Bekanntenkreise
empfehlen zu wollen, und gestatten wir uns zu diesem Zwecke einen
kleinen Prospect beizulegen.
Auch seitens der Kurverwaltung sind alle Schritte
unternommen, um auch bezüglich Unterhaltung und Sport, den Aufenthalt
möglichst angenehm zu gestalten.
In der angenehmen Hoffnung, daß diese Zeilen Sie
und Ihre geschätzte Familie gesund antreffen, sehe ich geneigten
Nachrichten mit Vergnügen entgegen, und zeichne mit ergebenster
Hochachtung."
Für die meisten, die es wirklich anging, hatte es
solches Schreibens gar nicht bedurft. In einem Sommer der tiefsten
bayerischen Schande saßen einundfünfzig sozialistische und
kommunistische Reichstagsabgeordnete während ihres Sommerurlaubs in den
bayerischen Bergen, weil man ja Politik und Privatleben nicht vermengen
darf. Eisner war ermordet, Landauer zertreten und gefleddert. Toller
eingesperrt, Mühsam gequält, Fechenbach ruiniert – diese einundfünfzig
und Tausende von deutschen Juden, Republikanern und Oppositionellen
aller Schattierungen gaben den Bayern Geld zu verdienen.
Bis die so dumm waren, durch immer gröbere Schikanen
jeden Fremdenverkehr zu unterbinden. Sie verlangen von den eignen
deutschen Landsleuten einen Paß, welches Verlangen abzulehnen ist. Sie
kontrollieren in aller Herrgottsfrühe die Hotels, die Polizisten sind
unhöflich und grob; einen mir bekannten Herrn, der mit seiner Frau
reiste und seine Heiratspapiere nicht ans Chemisett angehängt hat,
rettete nur die Tatsache, daß sein Ehering nicht vom Finger zu ziehen
war (denn in den Schwänken, die sich die Beamten angesehen haben, geht
das so zu). Diese amtlichen Lümmeleien in Pensionen und Hotels sprechen
sich herum, erfreulicherweise am meisten unter den valutastarken
Ausländern, die Zug–, Grenz- und Paß-Schikanen mehren sich – es hilft
alles nichts: die Fremden bleiben aus.
Das Propagandaschreiben ist so weit ganz gut. Der
Putsch, den man vorher zweimal am Tage als einen Vorschuß auf die
Seligkeit gepriesen hatte, heißt jetzt ›unselig‹, weil er das Geschäft
verdirbt, und was das freundliche Versprechen anbetrifft, zahlende
Sportsleute vom Eis nicht ins Haberfeld zu treiben, so dürften die
befehdetsten unter ihnen mit dem Ausruf: »Bedankt sollen sie sein!«
reagieren. Ja, und wie will die Kurverwaltung ihr Versprechen wahr
machen, Unterhaltung und Sport zu bieten, wenn die bodenständigen
Abarten dieser Beschäftigung: Judenhetze und Abgeordnetenmorde nicht
steigen sollen? Man hats gar nicht leicht.
Aber der Reklamewisch hatte doch eine kleine
Wirkung, von der sich der Absender nichts hätte träumen lassen. Einer
der berliner Empfänger setzte sich nämlich hin und schrieb
eine Antwort.
Einen Brief, wie man ihn hier gar nicht gewohnt ist. Nämlich diesen:
»Für Ihre Zuschrift und Einladung, den
Winter in Garmisch zu verbringen, danke ich Ihnen bestens, muß Ihnen
aber mitteilen, daß weder ich noch jemand aus meinem Bekanntenkreis die
Absicht hat, vorläufig nach Oberbayern zu reisen. Wir alle lieben zwar
das Land wegen seiner Schönheiten ungemein, können aber unmöglich eine
Bevölkerung unterstützen, die in ihrer Mehrheit Bestrebungen fördert,
die den Interessen des deutschen Reiches zuwiderlaufen. Insbesondere
können preußische Staatsbürger jüdischen Glaubens nicht in eine Gegend
reisen, in der der Hitler zur Zeit sich aufhält, wo also dauernd die
Gefahr besteht, daß man des Landes verwiesen wird oder sogar
körperlichen Schaden erleidet. Ich betone wiederholt, daß wir alle die
gegenwärtigen Zustände in Bayern, als Freunde dieses herrlichen Landes,
sehr bedauern, daß wir aber dort nicht Gäste sein können, wo man uns als
Menschen zweiten Ranges betrachtet. Wenn die Zeiten sich ändern sollten,
werden wir mit großer Freude im Sommer und im Winter die oberbayerische
Bevölkerung durch unsre Besuche wieder unterstützen.«
Und bekam postwendend diese Antwort:
»Erhielt eben Ihren Brief vom 13. und möchte nicht
verfehlen darauf zurückzukommen.
Wenn heute in Sachsen beispielsweise ein
Ministerpräsident sitzt, der sich als Lump entpuppt, so kann man doch
dafür nicht die ganze Bevölkerung von Sachsen verantwortlich machen.
Was ist in der ganzen Hitlerbewegung in Bayern
einem Juden passiert? Mir ist ein einziger, bedauerlicher Vorfall erinnerlich, von Herrn Kommerzienrat Fränkl. Eine solche Anrempelung
könnte aber genau so in Berlin auch vorkommen.
Der Hitler-Putsch ist in kürzester Zeit
niedergeschlagen worden, wäre überhaupt nicht zum Anfang gekommen, wenn
nicht durch einen großen Schwindel in die Kreise der Bevölkerung die
Meinung getragen worden wäre, die rechtmäßige Regierung sei mit Hitler
einig in dem Bestreben das deutsche Volk zu nationalem Selbstbewußtsein
aufzurütteln. Die Kämpfe zwischen der Bayrischen Regierung und Berlin
haben doch sicher auch in Berlin Anhänger zugunsten von Bayern. Bayern
will doch keine Trennung von Berlin, sondern nur Herstellung geordneter
Zustände. Noch vor ganz kurzer Zeit sagten Berliner, sie gehen gerne
nach Bayern, weil dort Ordnung herrscht.
Wieviele Zusammenstöße sind seit der Revolution in
Berlin vorgekommen. Ich kann mich nicht erinnern, daß die Leute deswegen
nicht doch wieder nach Berlin gegangen sind. In München war außer der
kurzen Räte-Republik noch der mehrstündige Hitlerputsch, dann war es
wieder Schluß, und Ruhe und Ordnung kehrten zurück.
Bevor wir uns überhaupt schlüssig wurden ob wir
unsern Betrieb im Winter aufmachen, waren wir schon in einer Kommission
(ich war auch dabei) bei allen zuständigen Regierungsstellen um uns der
Ruhe und Sicherheit für unsre Gäste zu versichern, was uns in jeder
Weise und in jeder Instanz genehmigt wurde.
Ich kann ja begreifen, daß momentan mancher
Berliner besonders wenn er noch israelitisch ist, nicht gut auf Bayern
zu sprechen ist. Bei ruhiger Überlegung müssen Sie sich aber sagen, daß
unser schönes Hochgebirge und ganz besonders Garmisch-Partenkirchen
nichts dafür kann, und daß in Wirklichkeit hier die beste Gewähr besteht
einen Winteraufenthalt ohne Sorge für Unruhe oder Belästigung, und
würden wir Einwohner von Garmisch-Partenkirchen, jederzeit imstande
sein, den Schutz unsrer Gäste bis aufs äußerste zu übernehmen.
Vielleicht haben Sie die Güte in Ihren
Bekanntenkreisen doch noch ein gutes Wörtchen für uns einzulegen, und
entschließen sich vielleicht schon früher unser herrliches
Werdenfelser-Land mit Ihrem Besuche zu beehren.«
Auf den bayerischen Brief ist zu antworten:
Weder Zeigner noch irgendein Sachse hat die Fremden
schikaniert. Bayerische Ordnung ist keine deutsche Ordnung. Der
›bedauerlichen Vorfälle‹ sind nicht nur viele – sondern sie bleiben alle
ungesühnt. Wie soll das auch anders sein, wenn die gesamte Verwaltung
und die Justiz sich in Händen von Männern befindet, die als zuverlässig
nicht angesehen werden können?
Berliner, die auch noch israelitisch sind, Fremde,
die eine Erholungsreise und keinen Guerillakrieg unternehmen wollen,
Ausländer, die ihre Ruhe wünschen – sie alle werden sich hüten, von
Bayern, die auch noch Verwaltungsbeamte sind, sich die Reise verderben
zu lassen. Der Herr von Kahr hat ja erst neulich einer kleinen
Gesellschaft, die mit Tänzerinnen Sekt trank, klar gemacht, daß
außereheliche Abendvergnügungen dem Deutschen nur dann zustehen, wenn er
ein Gut in Mecklenburg oder ein Schloß in Oberbayern hat, daß dagegen
das nächtliche Bei- und Zutrinken sowie -schlafen in öffentlichen
Gasthäusern mit Frauenspersonen zu unterbleiben hat. Er ließ die
Auto-Insassen wegen ›Prasserei‹, oder wie dieser Papierausdruck sonst
heißt, verhaften, die Tänzerinnen ins Arbeitshaus bringen und ähnlichen
Unfug verüben.
Das haben die Fremden satt.
Es kann Deutschen und vor allem ausländischen Gästen
von einem Besuch Bayerns nicht genug abgeraten werden. Der Fremde ist in
Bayern eine Art bedingt Begnadigter. Es war einmal eine Pflicht
anständig Gesinnter, der oberbayerischen Bevölkerung durch Gebirgsreisen
zu helfen, die man ebenso gut hätte ins Ausland unternehmen können.
Davon kann heute keine Rede mehr sein. Heute hat man die Pflicht, den
Sinn dieser Bevölkerung auf die Hebung ihrer heimischen Viehzucht und
auf die bessere Belieferung der deutschen Kinder mit Milch zu lenken.
Denn die Zustände haben sich noch nicht gebessert: der Fremde ist in
Bayern rechtlos und unterliegt nach wie vor zahllosen Beschränkungen und
Plackereien.
Ein Herz scheinen die deutschen Brüder da unten
nicht zu haben. Aber ein Portemonnaie haben sie in den treudeutschen
Hosen. Hier ist die Stelle, wo sie sterblich sind. Wenn in aller Stille
heute schon daran gearbeitet wird, die Bayern wieder zur Vernunft zu
bringen: für die Fremden ist von dieser segensreichen Arbeit vorläufig
noch nichts zu merken.
Und so ist denn noch immer zu rufen: Reisende,
meidet Bayern!"
Ignaz Wrobel in der „Weltbühne", 07.02.1924
Aus: Kurt
Tucholsky, Die zufällige Republik. Schriften zur Politik (Frankfurt a.M.
1985 - Büchergilde Gutenberg, S. 173 ff)
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