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"Klaus Mann wurde am 18. November 1906 in München als zweites Kind und
ältester Sohn von Thomas und Katia Mann geboren. Mit siebzehn Jahren
verlobte sich der Gymnasiast mit Pamela Wedekind, der Tochter des
Schriftstellers Frank Wedekind. 1924 zog das Paar nach Berlin. Aber die
Beziehung war nicht von langer Dauer. Im März 1933 emigrierte Klaus Mann
und hielt sich von da an in Frankreich, den Niederlanden, der
Tschechoslowakei und in den USA auf. Parallel zu seiner
schriftstellerischen Tätigkeit agitierte er in Essays,
Zeitschriftenartikeln und öffentlichen Vorträgen gegen die
Nationalsozialisten... Mit der US Army, zu der er sich 1942 freiwillig
meldete, kam Klaus Mann am 2. Januar 1944 nach Nordafrika und später
nach Italien. Seine Aufgabe war es, im Rahmen der psychologischen
Kriegsführung Propagandatexte für Flugblätter, Grabenlautsprecher und
Rundfunksender zu verfassen. Nach seiner Entlassung aus der US Army im
September 1945 lebte er abwechselnd in Europa und in den Vereinigten
Staaten von Amerika. Am 21. Mai 1949 nahm Klaus Mann sich in Cannes das
Leben."
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Nach Kriegsende begegnete Klaus Mann in
Augsburg einem nervösen Hermann Göring, der sich damit abmühte, seinen
Kopf aus der Schlinge zu ziehen. In München galt sein Besuch dem
Elternhaus in der Mauerkirchnerstraße. Ein paar Tage später traf
er zusammen mit dem US-Korrespondenten Curt Rieß bei Richard Strauss in
Garmisch ein. Mann erinnert sich an ein Gespräch "von erstaunlicher
Drolligkeit":
"Wir ließen uns als zwei amerikanische
Reporter melden; der Meister empfing uns mit großer Herzlichkeit, ohne
mich zu erkennen, natürlich, und ohne daß ich ihm irgendwelche
Aufschlüsse über meine Identität gegeben hätte. Auch diese Unterhaltung
fand vor einer Villa im blühenden Garten statt, freilich in sehr viel
intimerer Form als die Entrevue mit dem Reichsmarschall. Bei Strauss gab
es kein militärisches Zeremoniell, keinen Massenandrang internationaler
Berichterstatter;
vielmehr waren Curt und ich die einzigen oder doch die ersten
journalistischen Besucher, nicht nur an diesem Tage, sondern überhaupt,
seit dem Ende des Krieges. Sonderbarerweise war noch nicht einer
von unseren sonst so findigen Kollegen auf die Idee verfallen, den
Komponisten der „Salome" und des „Rosenkavalier" zu interviewen. Um so
größer seine Mitteilsamkeit, die durch keinerlei Scham oder Takt gehemmt
erscheint..."1
Die Unterhaltung enttäuscht. Strauss
erfüllt die Erwartungen nicht, die Klaus Mann von dem genialen
Musikschöpfer und Komponisten vieler Opern mitgebracht hat:
"Die Naivität, mit der er sich zu einem völlig
ruchlosen, völlig amoralischen Egoismus bekennt, könnte entwaffnend,
fast erheiternd sein, wenn sie nicht als Symptom sittlich-geistigen
Tiefstandes so erschreckend wäre.
Erschreckend ist das Wort. Ein Künstler von solcher Sensitivität - und
dabei stumpf wie der Letzte, wenn es um Fragen der Gesinnung, des
Gewissens geht! Ein Talent von solcher Originalität und Kraft, ein Genie
beinah - und weiß nicht, wozu seine Gaben ihn verpflichten! Ein großer
Mann - so völlig ohne Größe!... Sein hohes Alter ist keine Entschuldigung, kaum ein
mildernder Umstand. Zwar erklärte er uns, daß er keine „künstlerischen
Pläne" mehr habe. („Fünfzehn Opern, dazu die Lieder, die symphonischen
Stücke und andere Kleinigkeiten, es genügt: Mein OEuvre ist
abgeschlossene.") Aber für einen Mann von einundachtzig ist er in
ungewöhnlich guter Form; die rosige Miene hat nichts Greisenhaftes,
ebenso wenig wie der sichere Gang und die süddeutsch weiche,
sanft-sonore Stimme."2
Was Mann besonders "degoutant" findet,
ist die Klage von Richard Strauss, NS-Behörden hätten auf Hitlers
Weisung beabsichtigt, seine Garmischer Villa in den letzten
Kriegsmonaten noch mit Evakuierten aus den von alliierten
Bombenangriffen bedrohten Großstädten zu füllen:
"... die Nazi-Diktatur (sei) auch für ihn in mancher
Beziehung lästig gewesen. Da war zum Beispiel, kürzlich erst, der höchst
ärgerliche Zwischenfall mit den Ausgebombten, die in seinem - des
Meisters - Haus einquartiert werden sollten. Ihm schwoll die Zornesader,
wenn er nur daran dachte. „Man stelle sich das vor!" rief er, sehr
aufgebracht. „Fremde - hier, in meinem
Heim!" Mit einer Hand, die etwas zitterte, nicht von Altersschwäche,
sondern vor Wut, wies er auf das Haus: ein ländlich-eleganter Bau von
stattlichen Dimensionen.
„Beruhige dich doch, Papa!" Des Meisters
Schwiegertochter, die mit uns im Garten saß, redete dem cholerischen
Alten zärtlich-vernünftig zu. „Es war eine scheußliche Idee, ein
Affront, äußerst ungehörig; aber Gott sei Dank ist es doch bei der Idee
geblieben. Man hat dir keine Ausgebombten zugemutet, nicht wahr, Papa?"
„Gewiß! Weil der Krieg zu Ende ging!" Der Alte
grollte immer noch, nur halb besänftigt. „Aber was wäre sonst passiert?
Mein Appell an Hitler hatte keine Wirkung. Er bestand darauf, daß auch
ich Opfer bringen müsse. Einquartierung ! Eine Unverschämtheit!"3
Im weiteren Verlauf des Gespräches
unterhält man sich über Hitlers Musikverstand, über die Möglichkeit, ins
Exil zu gehen, über die Einkünfte des Komponisten:
"... Der musikalische Geschmack des Führers war,
nach Straussens Ansicht, denn doch etwas einseitig und speziell gewesen.
Richard Wagner in allen Ehren, aber schließlich waren auch noch andere
da. „Meine letzte Oper, „Die Liebe der Danae", ist einfach ignoriert
worden", stellte der Komponist beleidigt fest. „Und Sie wissen ja, was
für Schwierigkeiten ich wegen des Librettos von Stefan Zweig hatte.
Dabei ist „Die schweigsame Frau" wirklich ein sehr geschickt gemachter
Text - und übrigens konnte ich ja 1933 nicht ahnen, daß die
Rassengesetze kommen würden." Ob er jemals daran gedacht hatte,
Nazi-Deutschland zu verlassen?
Meine Frage überraschte ihn; er musterte mich unter
hochgezogenen Augenbrauen. Warum hätte er wohl Deutschland verlassen
sollen? „Ich habe doch meine Einkünfte hier, ziemlich große sogar." Die
Schwiegertochter, eine nicht sehr „arisch" wirkende Dame, nickte eifrig,
während der rosige Alte nicht ohne Stolz konstatierte:
„Schließlich gibt es bei uns mindestens achtzig
Opernhäuser."
„Es gab!" Ich konnte diesen Einwand nicht
unterdrücken. „Sie wollen wohl sagen, daß es in Deutschland einmal
achtzig Opernhäuser gegeben hat."
Er verstand mich nicht...
„Mindestens
achtzig", insistierte er streng, um dann mit leicht besorgtem
Kopfschütteln fortzufahren: „Natürlich, wenn die Lebensmittelversorgung
hier noch schlechter werden sollte, würde ich vielleicht doch noch
auswandern müssen, in die Schweiz etwa. Aber bis jetzt hat man sich ja
immer noch irgendwie durchgewurschtelt.
Ja, so einer „wurschtelt" sich durch, ganz gleich,
unter welchem Regime. Haben die Nazis einen sinnlosen und mörderischen
Krieg verschuldet? Sind Millionen Unschuldiger in Gaskammern zugrunde
gegangen? Liegt Deutschland in Schutt und Asche? Was kümmert es Richard
Strauss?..."4
Über prominente Nationalsozialisten und
über die Schwiegertochter von Richard Strauss erfährt Klaus Mann - zum
Abschluss seiner Aufwartung in der Zoeppritzstraße 42 - Bemerkenswertes:
"Manche der Nazi-Häuptlinge - sagt Richard Strauss
- waren famose Menschen: Hans Frank, zum Beispiel, der Fronherr des
Polenlandes („Sehr fein! Sehr kultiviert! Er schätzt meine Opern!"),
und Baldur von Schirach, der über die „Ostmark" (sonst Österreich
genannt) zu gebieten hatte. Dank seiner Protektion genoß die Familie
Strauss in Wien eine Vorzugsstellung - und dies, obwohl der Sohn des
Komponisten eine rassisch nicht einwandfreie Gattin hat!
„Ich darf wohl behaupten, daß meine Schwiegertochter
die einzige freie Jüdin in Großdeutschland war."
„Frei? Nicht doch, Papa! Oder doch nicht so ganz!"
Es war Frau Strauss „junior", geborene Grab, die kokett-wehleidig
protestierte. „Meine Freiheit ließ zu wünschen übrig. Du vergißt, was
ich auszustehen hatte. Durfte ich etwa jagen gehen? Nein! Sogar das
Reiten war mir zeitweise verboten ..."
Ich schwöre es, dies waren ihre Worte! Die
Nürnberger Gesetze sind gewesen; Auschwitz ist gewesen; ein Massaker
ohne Beispiel hat stattgehabt; das infamste Regierungssystem der
Weltgeschichte hat die Juden zum Freiwild degradiert. All dies ist
bekannt. Und die Schwiegertochter des Komponisten Richard Strauss
beklagt sich, weil sie nicht jagen durfte. Zeitweise war ihr
sogar das Reiten untersagt ..."
Aus: Klaus Mann, Der Wendepunkt. Ein
Lebensbericht (Reinbek 1993)
1 a.a.O. S. 682
2 a.a.O. S. 682
3 a.a.O. S. 682f
4 a.a.O. S. 683f
5 a.a.O. S. 684f
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