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Richard Strauss verließ im
Oktober 1945, wenige Monate nach dem Ende von Diktatur und Krieg, seine
Villa in Garmisch-Partenkirchen und ließ sich in der Schweiz nieder, in
Baden bei Zürich. Dort vertonte er 1948 in seinen "Vier letzten Liedern" Hesses Gedichte "Frühling", "September" und "Beim Schlafengehn".
Im Mai 1949 kehrte Richard Strauss nach Garmisch-Partenkirchen zurück.
Am 8. September 1949 starb er.
Hermann Hesse (1877-1962) war
der Sohn eines deutsch-baltischen Missionspredigers und einer schweizer
Missionarstochter. Seine Eltern haben ihn streng pietistisch erzogen.
Die Abkehr vom Pietismus beschreibt er in der frühen autobiographischen
Erzählung "Unterm Rad". Nach einer Buchhändlerlehre in Tübingen war er
in Basel als Buchhändler und Antiquar tätig. Ab 1904 - nach dem Erfolg
seiner Erzählung "Peter Camenzind" - lebte Hesse als freier
Schriftsteller in Gaienhofen am Bodensee, später in Montagnola in der
Schweiz, deren Staatsbürger er 1923 wurde. Hesses Werke sind geprägt von
der Romantik, stark autobiographisch und beeinflusst von indischer
Mystik. Er malte und zeichnete auch, einige seiner Werke illustrierte er
selbst. 1946 erhielt Hermann Hesse den Nobelpreis für Literatur, 1955
den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Am 9. August 1962 starb
Hesse in Montagnola.
Am 1. Februar
1946 schrieb Hermann Hesse an den Schweizer Maler und Graphiker
Ernst
Morgenthaler1) (1887-1962):
"Was nun
Richard Strauss betrifft, so fürchte ich, Du wirst recht behalten
mit Deiner Ahnung: Was Du auch tun magst, es wird Dich nachher
irgendwie plagen. Das gehört zum Widerlichsten in unsrem Jetzigen
Zustand, daß alle Fronten einander überschneiden, daß man jeden
Augenblick, nachdem man soeben das scheinbar Richtigste getan hat,
sich fragen muß: war es nicht doch falsch? Mir geht es auch so.
Während ich in Baden war, war Strauss dort, und ich habe es
sorgfältig vermieden, mit ihm bekannt zu werden, obgleich der schöne
alte Herr mir gut gefiel. Einmal, als ich mit Markwalders 1)
mich für eine Abendstunde verabredet hatte, meldeten sie mir
nachher: das treffe sich gut, Strauss komme zur selben Stunde auch
zu ihnen und freue sich, mich kennen zu lernen. Ich zog mich zurück
und sagte, ich wolle nicht mit Strauss bekannt werden. Es wurde ihm
natürlich nicht in dieser Form mitgeteilt, sondern man entschuldigte
mich eben irgendwie.
Daß Strauss
jüdische Verwandte hat, ist natürlich keine Empfehlung und
Entschuldigung für ihn, denn grade dieser Verwandtschaft wegen hätte
er, der längst überreich, Saturierte, darauf verzichten sollen, auch
noch von den Nazis Vorteile und Huldigungen anzunehmen. Er war alt
genug, um sich zurückzuziehen und fernhalten zu können. Daß er das
nicht konnte, ist ja vermutlich nur die Folge seiner Vitalität.
»Leben«, das hieß für ihn: Erfolge, Huldigungen, riesige Einnahmen,
Bankette, Festaufführungen etc. etc. Ohne das wollte und konnte er
nicht leben, und so hat er halt den Rank nicht gefunden, dem Teufel
zu widerstehen. Wir haben kein Recht, ihm große Vorwürfe zu machen.
Aber ich glaube, wir haben doch das Recht, uns von ihm zu
distanzieren.
Mehr weiß
ich dazu nicht zu sagen. Am Ende wird stets Strauss der Gewinnende
sein, denn er wird sich nie Haare ausreißen und Gewissensnöte
dulden. Er gehört ja, trotz seiner Anpassung an die Nazi, zu den
ganz wenigen Deutschen, die sofort von den Herren Siegern die
Ausreiseerlaubnis in die Schweiz bekamen. Andere2), so alt
wie er, die unter Hitler gelitten haben und in Gefängnissen lagen,
sind seit mehr als einem halben Jahr von der Schweiz zu
Erholungsaufenthalten eingeladen, werden aber von den Siegern nicht
herausgelassen. Man kriegt Magenbrennen, wenn man dran denkt."
1)
Franz Xaver Markwalder
war Inhaber des Badhotels Verenahof in Baden bei Zürich. Dort unterzog
sich Hesse von 1923-1952 alljährlich vor Jahresende einige Wochen einer
Kur.
2) Hermann Hesse bemühte sich damals vergeblich um die
Einreiseerlaubnis für Peter Suhrkamp, der 1945 mit schweren
gesundheitlichen Schäden aus dem KZ Sachsenhausen entlassen worden war.
Aus: Hermann Hesse,
Musik.
Betrachtungen, Gedichte, Rezensionen
und Briefe -
Mit einem
Essay von Hermann Kasack, Suhrkamp Verlag (Frankfurt 1976), S.
181f
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