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Harry Graf
Kessler über die "drolligen politischen Ansichten" |
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„Berlin. 19. Januar 1926. Dienstag Mit Max ins Charlottenburger Opernhaus: Premiere hier von Richard Strauß' >Elektra< unter Bruno Walter. Feines, beschwingtes, stürmisch vorwärtsdringendes Orchester. Die Klytämnestra außerordentlich. Die Wildbrunn etwas rundlich als Elektra. Hinter uns in einer Loge saß Richard Strauß mit Paulinchen und einer Familie Strauß, bei der sie wohnen. Paulinchen lud uns ein, nach der Vorstellung bei ihnen zu soupieren. Haus ganz draußen an der Heerstraße, in der Nähe des Stadions, wo bis vor kurzem nur Kiefernwald war. Aber offenbar entsteht hier ein äußerster Westen für Autobesitzer. Paulinchen zeigte sich bei Tisch von allen ihren guten und schlechten Seiten: mütterlich um Nahrungsaufnahme aller besorgt, namentlich Maxens, der neben ihr saß und dem sie immer wieder ein Ei, ein Stück Fleisch, eine Portion Salat auf den Teller packte; daneben widerwärtig ordinär und taktlos. >Woyzeck< (Büchners Dichtung, nicht die Oper) lehnte sie ab, weil sie sich doch unmöglich für die Seele eines schmutzigen Unteroffiziers interessieren könne. Was gehe sie das an (>sie, die Generalstochter<, zwischen den Zeilen zu verstehen)? Ich sagte: Carmen sei doch auch eine Unteroffiziersgeschichte. Pauline: Ja, aber romantisch, spanisch, Merimee. Ich: Mir schiene ein deutscher Unteroffizier nicht unbeachtlicher als ein spanischer, und im übrigen stellte ich zum Beispiel auch Gretchen über Maria Stuart. Pauline (geheimnisvoll flüsternd): Man sagt, der Graf Kessler sei ganz rot geworden. Ich: Ach, ich bin bloß ein biederer Demokrat. Pauline: Sie, ein Graf, Demokrat? Da beschmutzen Sie Ihr eigenes Nest. Ich: Verzeihen Sie, gnädige Frau, darüber, ob ich mein eigenes Nest beschmutze, muß ich mir selber mein Urteil vorbehalten. Allmählich war Richard Strauß immer unruhiger geworden. Jetzt brach er in das Gespräch ein, um es zu beenden, erklärte mir, seine Frau sei ganz unpolitisch, ich sollte nicht darauf achten, was sie sagte. Schließlich zog mich Paulinchen selbst, die gemerkt hatte, daß sie über das Ziel hinausgeschossen hatte, und der die scharfe Lektion, die ich ihr erteilt hatte, offenbar etwas in die Glieder gefahren war, ins Herrenzimmer, wo sie mir ihre politischen Ziele des näheren auseinandersetzte: sie sei eine Generalstochter, Aristokratin (»I bin a Generalstochter, i bin a Aristokratin«, in schönstem Oberbayrisch). In Süddeutschland haßten sie die Norddeutschen, die Praißen. Sie wollten ein süddeutsches Reich: Bayern mit Österreich zusammen. Katholisch und Protestantisch gehe nicht zusammen in einem Staat. Sie schien zu erwarten, daß die Genialität ihrer Pläne mich versöhnen werde und außerdem die, wie sie versicherte, volle Zustimmung ihres Königshauses. Ich sagte: ich sei Norddeutscher, aber trotzdem wünschte ich nicht, daß die Süddeutschen verhungerten; und daher hätte ich doch Bedenken gegen ihre Pläne. Zunächst müßten jedenfalls die Vereinigten Staaten von Europa da sein, ehe sich über solche sentimentalen Zusammenschlüsse reden lasse. Auf die europäische Union ging sie dann beglückt ein. Ein ziemlich groteskes Weib; maßlos ordinär mit einem sentimentalen Herzen. Alles in allem eine Köchin.“
„Wien. 14. Juni 1928. Donnerstag Bei Hofmannsthals in Rodaun gefrühstückt mit Richard Strauss, seinem Sohn und seiner Schwiegertochter. Das Gespräch kam nicht recht in Fluß, da jeder etwas andres wollte. Strauss äußerte unter andrem seine drolligen politischen Ansichten, Notwendigkeit einer Diktatur usw., die niemand ernst nimmt. Abends mit Max in der Oper die >Ägyptische Helena<, die zweite Aufführung, gehört. Sehr enttäuscht und gelangweilt. Libretto und Musik gleich schwach und epigonenhaft. Ich bin froh, daß ich mit Hofmannsthal und Strauss nicht darüber zu sprechen brauchte. Das letzte Mal, daß ich Hofmannsthal gesehen habe! [Spätere Eintragung.]“ Aus: Harry Graf Kessler, Tagebücher 1918-1937 - Herausgegeben von Wolfgang Pfeiffer-Belli (Frankfurt am Main, 1971) S. 449f und S. 563 |
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