Fritz Müller-Partenkirchen, Das verkaufte Dorf

 

 

 

 Biographie des Autors

Fritz Müller-Partenkirchen (1875-1942)"Das verkaufte Dorf" von Fritz Müller-Partenkirchen ist ein autobiographischer Schlüsselroman über die Entwicklung von Partenkirchen und Garmisch zum Herzstück des oberbayerischen Fremdenverkehrs um 1900: Münchner Grundstücksspekulanten beauftragen den Ich-Erzähler Fritz mit der Geschäftsführung einer Terraingesellschaft, deren Absicht es ist, in und um Partenkirchen in großem Maßstab Grundstücke zu erwerben, „Investoren“ zu finden, Hotels und Kurhäuser zu errichten und das Dorf zu „entwickeln“.
Fritz hat leichtes Spiel mit den Dorfbewohnern - eines Teils sind sie in Geld- und Grundstücksgeschäften unerfahren-naiv, anderen Teils habgierig-gewinnsüchtig und blind für das, was sie „verkaufen“. Zum Gegenspieler von Fritz („Bodenmörder“) wird schließlich der Lehrer („Menschenmörder): Er löst eine Gesteinslawine aus, die vom Wetterstein herunterbricht und die Früchte der Spekulation samt Spekulanten unter sich begräbt: „Whupp! … da rutschte eine Berghalde nach der anderen auf das Kurhaus, bis es bedeckt war um und um von einem Riesentrümmerkegel… Und die Villen im Umkreis, die Gefilde, wo einst Kühe grasten - alles, alles unter Schutt und Trümmern. Nur ein Dreieck, ein mild begrüntes, schien inmitten der Verwüstung ausgespart - der liebe Anger von der Obermühle? Der gerettete Anger? Ja, das war er!“

 

 Aus dem Vorwort

„Das verkaufte Dorf“ ist keine Phantasie, sondern ein Erlebnis. Ich erlebte es in jungen Jahren. Leiter einer Bodengesellschaft war ich damals. Nicht wenig bildeten sich meine fünfundzwanzig Jahre darauf ein, den Bauern eines damals kaum berührten Hochgebirgstals ihren Grund und Boden abkaufen zu dürfen. „Ströme des kulturellen Segens bringen wir den Dörflern“, schrieb ich damals. Auf unserer Generalversammlung hieß es: „Eine Goldmillion schenken wir den Bauern, sie könnten dankbarer sein…“ Es gab damals noch Bauern, die ihrer Väter Erde nicht verkaufen wollten, die sich erkühnten, uns zu lehren, dass Mutter Erde keine Ware sei wie jede andere. Sie unterlagen schließlich alle - ihrer ein paar Dutzend - unsrem Geld. Mit tausend Mark das Tagwerk fing ich an, mit fünfzehntausend schloss ich. Heute wertet dort das Tagwerk zwischen den Hotelpalästen hunderttausend Mark und mehr. Fortschritt? Zwanzig Jahre später bin ich den Geschicken jener ausverkauften Bauern nachgegangen und - erschauerteBild aus Fritz Müller-Partenkirchen, Das verkaufte Dorf - S. 31 vor Grauen. „Daran hast du Mitschuld“, schrie´s in mir. Es ließ mir keine Ruhe mehr. Bis ich niederschrieb, was ich erlebte, als das Dorf verkauft ward. Ein Bekenntnis ist es. Ich habe mich nicht geschont.

Ein Wort noch über die Romanform. Von der gewohnten - einem breiten Flusse, der behaglich „sich entwickelt“ - bin ich abgewichen. Das Leben ist kein Strickstrumpf. Es besteht aus kurzen Blitzen. Was dazwischen liegt, ist Nacht, Geröll und mag vergrollen, wie der Donner. Darstellenswert, erheblich sind allein die Blitze. Sie versuchte ich in Episoden aufzufangen, die in sich geschlossen sind und die - herausgehoben von dem Ganzen - selbst ein Ganzes bilden. Ein Querschnitt also durch ein aufgewühltes Dorf, dem Geld die Nabelschnur zur Mutter Erde durchgeschnitten hat, von der es lebte.

„Achau“ ist ein Sammelname - viele Dörfer gehen heute jenen Weg des Fluches. Wie es wirklich heißt - was liegt daran? Wenn du durch das Dorf gehst, Wanderer und Leser, wirst du´s spüren: Dieses ist es. Und wenn du durchgegangen bist und hinter ihm von steiler Berghöh auf den Villen-, Menschen- und Hotelschutt unter deinem Bergschuh schaust, wirst du in all dem Kulturgezeug da unten das sehn, was ich auch sah - ein Marterl über einem Grab: „Hier ruht - ach nein, hier lebte einst ein liebes Dorf. Herr , gib ihm die Ruh, und seinen Mördern Unrast immerdar!“

Fritz Müller

Aus: Fritz Müller-Partenkirchen, Das verkaufte Dorf (Leipzig 1928) S. 7 f

 

 


 

© Alois Schwarzmüller 2009