Alois Schwarzmüller

Beiträge zur Geschichte des Marktes Garmisch-Partenkirchen im 20. Jahrhundert

 

 

 

 

 

Carl von Merz – Bezirksamtmann in Garmisch von 1927 bis 1933

Carl von Merz (1881 Nürnberg - 1962 Austin USA) wurde 1927 im Alter von 45 Jahren Bezirksamtmann im Bezirk Garmisch. Er entstammte einer angesehenen Nürnberger Familie, studierte seit 1901, in der Familientradition, Jura in Jena und in Göttingen. 1914, mit 23 Jahren, nach Abschluss seiner Universitätslaufbahn, wurde er in den Weltkrieg eingezogen, wurde Hauptmann der Artillerie und, weil seine Einheit eine ganze französische Kompanie mit algerischen Soldaten in Gefangenschaft genommen hatte, Träger des Ordens pour le Mérite.

Catherine Scherding (1895-1973), seine deutsch-amerikanische Frau, lernte er 1925 kennen. Im Brief von 1945 nannte er sie eine „prachtvolle Mutter“ und eine „große Person aus einem Land geistiger u. persönlicher Freiheit.“ Sie war „überzeugte USA-Amerikanerin“, wurde deshalb auch von den örtlichen Nazis geschmäht. Die amerikanische Schwiegermutter besuchte ihre Tochter alljährlich. Und wurde gleichfalls beleidigt vom Adjutanten des NS-Kreisleiters. Von Merz mag darauf stolz gewesen sein, dass seine Frau „bei den Armen u. Bedürftigen im ganzen Bezirk“ beliebt war. Sie hatte wohl auch den schärferen Blick dafür, was sich in diesen Jahren in Deutschland ereignete. Sein selbstkritischer Stoßseufzer zeugt davon: „Du, liebe Catherine, hast wohl manches geahnt, was ich verschwieg“.

 

   
  Jugendbild um 1890 Bei der Kavallerie um 1914  

 

München – in der Schlangengrube des Polizeipräsidiums

Bei Kriegsende 1918 trug von Merz als Offizier den Soldaten seines Regiments seine Ideen von einer „neuen sozialen Ordnung“ vor. Worin diese Ideen bestanden, geht aus seinen Dokumenten nicht hervor. In Garmisch jedenfalls glaubte er sich von der Bevölkerung als „sozialer Beamter“ gesehen. Im Mai 1919 wurde er zur Polizeidirektion München „kommandiert … ins politische Referat“ zu Polizeipräsident Ernst Pöhner und seinem Büroleiter Wilhelm Frick.

 





 
  Ernst Pöhner Feier der NSDAP anlässlich der Rückkehr der Blutfahne vom 10. November 1923
ins Münchner Polizeipräsidium
Wilhelm Frick  

Wilhelm Frick war seit 1917 in der Polizeidirektion München tätig. Anfangs leitete er dort die Kriegswucher-Abteilung, was seine antisemitische Einstellung mit beeinflusst haben soll, wie ein Brief an seine Schwester zeigt. 1919 wurde ihm die Leitung der politischen Polizei übertragen. In dieser Funktion sympathisierte er mit dem Rechtsextremismus. Die Münchner Polizei arbeitete nach 1919 eng mit völkischen Freikorps wie der Terrororganisation „Consul“ zusammen. Auf das Konto der „Organisation Consul“ ging beispielsweise die Ermordung des bayerischen SPD-Fraktionsvorsitzenden Karl Gareis (1921), der zuvor die Verbindungen zwischen Münchner Polizei und paramilitärischen Gruppen untersucht hatte. Schon bis 1923 waren nahezu alle Polizisten der „Wucherabwehrstelle“ stramme NSDAP-Mitglieder. Die NSDAP dominierte neben der „Politischen Abteilung“ auch das Einwohneramt. Die meisten Polizeibeamten waren Anhänger der völkischen Bewegungen, die in vielen politischen Fragen die Ansichten der Nationalsozialisten teilten. Adolf Hitler lernte Frick 1919 durch Polizeipräsident Ernst Pöhner kennen und unterstützte ihn mit großzügiger Genehmigung von Versammlungen mit Hetzplakaten. 1923 wurde Frick Leiter des Sicherheitsdienstes der Kriminalpolizei München. Im November 1923 war er zusammen mit Pöhner am Hitlerputsch beteiligt. Während des Putschversuches blieb er in der Polizeidirektion und sorgte unter anderem dafür, dass die Landespolizei und der Vertreter des Polizeipräsidenten nicht sofort alarmiert werden konnten. Wegen „der Beihilfe zum Verbrechen des Hochverrats“ wurde er 1924 zu 15 Monaten Festungshaft auf Bewährung verurteilt. Für seine Teilnahme am Putsch wurde ihm 1935 von Hitler das Ehrenzeichen der Bewegung verliehen.[1] 1946 wurde Frick durch ein Urteil des Internationalen Militärgerichtshofes in Nürnberg zum Tod verurteilt und hingerichtet.“ - Gegnerinnen und Gegner Hitlers nannten die Polizeidirektion in der Münchner Ettstraße jahrelang die „Mörderzentrale“.[2]

Ernst Pöhner (1870-1925) wurde im Mai 1919 zum Polizeipräsidenten von München ernannt. Während des Kapp-Putsches im März 1920 erzwang Pöhner zusammen mit dem Leiter der rechtsradikalen Einwohnerwehren Georg Escherich und dem General Arnold von Möhl in einer staatsstreichähnlichen Aktion den Rücktritt der sozialdemokratischen Landesregierung Hoffmann und sorgte für die Einsetzung der rechten bürgerlichen Regierung unter Gustav von Kahr. Pöhner kannte Adolf Hitler seit 1920. Im November des Jahres 1923 war er führend am Hitler-Ludendorff-Putsch beteiligt. Er sollte neuer bayerischer Ministerpräsident werden. Wegen Hochverrats wurde er vom Münchner Volksgericht am 1. April 1924 zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, von denen er aber lediglich drei Monate verbüßte. Noch während seiner Haftzeit wurde Pöhner bei der Landtagswahl am 6. April 1924 für den Völkischen Block in Bayern, eine Mitgliedsorganisation der Nationalsozialistischen Freiheitspartei, in den bayerischen Landtag gewählt. Im Dezember des Jahres trat er zur DNVP über.[3]

In diesem Gebräu aus Menschen- und Demokratieverachtung musste sich nun Carl von Merz zurechtfinden und behaupten.

 

   
  1922 - Polizeikonferenz in Berlin - Carl von Merz in der ersten Reihe links  

 

Landespolizei in Nürnberg

Seit 1. November 1923 leitete von Merz in Nürnberg die „Verstaatlichung der dortigen Polizei“. Die Landespolizei Bayerns wurde gegründet - eine militärisch organisierte Truppe mit dem Hauptaufgabengebiet, bei Versammlungen und politischen Veranstaltungen für Ordnung zu sorgen. Der bekannteste Einsatz der Bayerischen Landespolizei fand im November 1923 gegen den Hitlerputsch in München statt. Dabei kamen vier Polizisten ums Leben. Bekannt war auch ihr hartes Einschreiten gegen eine Demonstration in Coburg im September 1921.[4]

Von Merz hoffte in diesen Jahren auf das Amt des Münchner Polizeipräsidenten. Daraus wurde aber nichts. Statt Nachfolger Pöhners zu werden, schickte man ihn nach Oberbayern ins Werdenfelser Land.

 

   
  Sitz des Bezirksamtes Garmisch - heute Sitz des Landratsamtes in der Olympiastraße  

Bezirksamtmann in Garmisch

So wurde er dort Nachfolger des bisherigen Garmischer Bezirksoberamtmannes und Oberregierungsrates Freiherr von Stengel.[5] Die Amtseinweisung des neuen Bezirksamtsvorstandes fand am 16. Februar 1927 statt. Von Merz erklärte dabei ganz traditionell staatsmännisch, seine Aufgabe sei es, die Autorität der Regierung und des Staates zu wahren. Aber auch unerwartet demokratisch: „Einen Unterschied in der Behandlung einzelner Persönlichkeiten nach Religion, nach Stand oder Rang werde es für ihn nicht geben. Er wolle sich auch nicht als Vertreter der Obrigkeit fühlen, er wolle ein Diener des Volkes sein, das letzten Endes die Richtschnur für seine Tätigkeit abgeben muss. Er werde stets die Person von der Sache scheiden und es nicht übelnehmen, wenn jemand einmal eine andere Meinung habe. Er sei kein strenger Polizeimann, wenn er auch acht Jahre in diesem Zweige tätig war.“ Dass er kein Freund der Revolution von 1918/1919 gewesen ist, das zeigen diese Worte: Seit dem Krieg sei ein neuer Rechtszustand eingetreten, „obwohl uns in Bayern die alte Ordnung am wenigsten drückte“. Seine Hauptaufgabe als Bezirksamtmann in Garmisch sah er in der „Förderung von Landwirtschaft, Handwerk, Handel und Gewerbe,“ ebenso liege ihm am Herzen „die Interessen des Fremdenverkehrs, er verschließe sich jedoch nicht den Gefahren der Überfremdung.“[6]

 



Plakate und Bild aus der Zeit der Gründung
des Golfclubs Garmisch-Partenkirchen














 

Förderung des Golfplatzes Garmisch 1929

1928 ließ von Merz den Worten Taten folgen und setzte sich für die Errichtung eines Golfplatzes in Garmisch ein. Er schrieb: „Die Verhandlungen zum Ausbau des Golfplatzes müssen, wenn der Platz bis 1930, vielleicht schon früher fertig sein soll, nun in der allernächsten Zeit aufgenommen werden. Bisher mussten notwendige Vorarbeiten und Sondierungen stattfinden. Die Platzfrage - bei Schwaigwang – ist gelöst, der Pachtvertrag wird abgeschlossen, sobald der Golfklub gegründet sein wird. Dass das reisende erstklassige Publikum immer mehr die Klasse eines Kurortes nach dem Vorhandensein eines Golfplatzes beurteilt, steht außer allem Zweifel.“[7]

Mit der Gründung des Golfclubs Garmisch-Partenkirchen am 7. Februar 1929 begann die lange Geschichte der Golfanlage Schwaigwang. Nach gut einjähriger Bauzeit konnte 1930 der von Dr. Bernhard von Limburger entworfene Platz im ehemaligen Park des Gutes Schwaigwang eröffnet werden. Die Begeisterung über den neuen Golfplatz war groß. Die Folgejahre ließen den Platz und den Club unter der Burgruine Werdenfels blühen und gedeihen. Die Mitgliederzahl stieg und der Platz erfreute sich bis heute auch bei auswertigen Golfern steigender Beliebtheit.[8]

 

Bedrohung des Fremdenverkehrs durch die NSDAP

Alles war gleichzeitig: Förderung des Tourismus durch Gemeinde und Bezirksamt, hohe Arbeitslosigkeit und Bedrohung durch die Radikalität der NSDAP und ihre Erfolge.

Zunächst ein Blick auf die Arbeitslosigkeit am Anfang der 30er Jahre: Im Arbeitsamtsbezirk Garmisch-Weilheim-Schongau waren am 12. Februar 1931 3030 Männer und Frauen arbeitslos gemeldet, ein Jahr später waren es schon 3550, am Ende dieses Jahres 4777 und im März 1932 immer noch 3637.[9] Im Vergleich zum Reichsgebiet eine ähnlich dramatische Lage.

Ergebnis der Reichstagswahl im Juli 1932 (in Prozent):[10]

 

Bezirksamt Garmisch

Deutsches Reich

NSDAP

34,3

37,5

BVP

31,5

16,2

SPD

11,3

21,6

KPD

3,2

14,6

DNVP

11,9

6,2

DVP

3,3

1,2

DDP

2,2

1,0

BBMB

1,0

0,4

 

Wieder einmal hatte der Bezirk Garmisch die schlechteste Wahlbeteiligung unter allen oberbayerischen Bezirken aufzuweisen. Dafür stand er, was den Erfolg der NSDAP betrifft, an vorderster Stelle. Nur der Bezirk Berchtesgaden konnte ihn mit 34,9 Stimmen für die NSDAP übertreffen. Die Deutschnationale Volkspartei hatte als Sammelbecken des nichtnationalsozialistischen Bürgertums mit knapp 12 Prozent der Stimmen einen gewaltigen Erfolg errungen und stand damit an erster Stelle der oberbayerischen Bezirksämter. Während die bürgerlich-liberale Mitte zerrieben worden war, konnte die Bayerischen Volkspartei leichte Gewinne für sich verbuchen. Auf der linken Seite galt das auch für die Kommunisten, während die Sozialdemokraten im Vergleich zur Reichstagswahl 1930 lediglich ihre Stellung halten konnten.

Ergebnis der Reichstagswahl am 5. März 1933:

 

Bezirksamt Garmisch

Deutsches Reich

NSDAP

46,2

43,9

BVP

28,3

13,9

SPD

7,8

21,6

KPD

3,2

18,3

KBSWR

11,7

8,0

DVP

1,2

0,9

DSP

1,0

1,1

BBMB

0,9

0,3

Ein zündender Wahlaufruf der BVP mochte zwar eine hohe Wahlbeteiligung bewirkt haben, die aber nicht ihr selbst, sondern in erster Linie der NSDAP zugute kam: zwar war es ihr auch im Bezirk Garmisch nicht gelungen, eine absolute Mehrheit zu erreichen, doch mit einem Ergebnis, das 2,3 Prozent  über dem Reichsdurchschnitt lag, war ihnen ihr größter Triumpf geglückt. Im übrigen auch deshalb, weil viele Stimmen von den Fremden kamen.

  

Die lokale Entwicklung der NSDAP im Bezirk Garmisch-Partenkirchen

Die ersten lokalen Organisationen der NSDAP wurden in Oberau (Dr. Kurt Gessler, Heinrich Illing), in Eschenlohe und in Ohlstadt ins Leben gerufen. Das vor den nördlichen Toren des Bezirkes gelegene Murnau bildete dabei den Ausgangspunkt der NS-Gründungswelle. Der Garmischer Bezirksamtmann von Merz klagte in einem Bericht an das Bayerische Innenministerium 1931: „Über Murnau ist die nationalsozialistische Bewegung in meinen Bezirk hereingedrungen, sie hat im gesamten Loisachtal bis Garmisch-Partenkirchen sehr ansehnliche und feste Stützpunkte.“[11]

In Mittenwald wehrte man sich noch im Januar 1932 beim Bezirksamt Garmisch mit dem Antrag, bis 20. Februar 1932 keine politischen Versammlungen mehr zu genehmigen. Begründet wurde das damit, „dass bis zum 20. Februar noch verschiedene Sonderzüge in Aussicht sind. Diesen Teilnehmern soll nicht die Ruhe zur Erholung genommen und sie neuerdings in das politische Getriebe versetzt werden.[12]

Neben deutlich steigender Versammlungstätigkeit der NSDAP begegnete von Merz auch auf eine organisierte Republikfeindlichkeit. Die Ammergauer Zeitung schrieb schon 1929 von einer „unmöglichen Republik ... wir fühlen mit der Mehrheit des Volkes, dass eine rettende Hand nottut, dass - um mit dem Volke zu sprechen - ein Mussolini fehlt, der den ganzen stinkenden Augiasstall ausmistet.“[13]

Auch der Anti-Berlin-Komplex entfaltete sich im Bezirk Garmisch immer deutlicher. Im Werdenfelser Anzeiger konnte man 1930 lesen: „Die Herren in Berlin sind genau informiert, dass der Werdenfelser Arbeiter gutmütig nicht zu Tätlichkeiten neigt und kommunistische Drahtzieher, die die Missstimmung aufpeitschen, nicht vorhanden sind... Es dreht sich ja nur um ein abgelegenes Nest, draußen im Bayerischen, denkt der Berliner Zentralismus.“ [14] Ein halbes Jahr später: „Die Gefahr, die uns droht, heißt nicht Verpreußung, sie heißt Verberlinerung. Soll Deutschland diesem Geiste Berlins ausgeliefert werden und ihm geistig, kulturell, wirtschaftlich und völkisch preisgegeben werden?[15]

Von einer ungeliebten Republik ist auch bei Katholiken vor Ort die Rede. Der Garmischer Kaplan Götz drückte es so aus: „Dem verlorenen Kriege, dem vaterländischen Geist unserer Helden ist ein fremder Geist, Revolution, und eine neue Staatsform, der Geist des Unglaubens und der Unsitte auf den Fersen gefolgt.“[16]

Bruder im Geiste der Republikfeindlichkeit war der Antisemitismus. Führende Vertreter der NSDAP hielten große Veranstaltungen im Bezirk. Ein Beispiel aus Mittenwald: Ende 1931 sprach vor 300 Zuhörern der spätere Gauleiter von München und Oberbayern Adolf Wagner: "Es muss mit den Verbrechern, die unser deutsches Vaterland durch die Revolution 1918 so ins Elend stürzten, noch abgerechnet werden. Es muss endlich einmal gesäubert werden. Dieser Dreck muss weg."[17] Hans Sailer, der spätere NS-Ortsgruppenleiter von Mittenwald, schrieb dem Bezirksamtmann über die Ziele seiner Partei folgendes: „Wir wollen dem Volke die Kultur vermitteln, die der deutschen Seele entspricht und dadurch im Volke das Empfinden der Ablehnung jüdisch verseuchter Machwerke wecken.“[18]

Die mörderische Komponente des Judenhasses verbarg sich nicht mehr. Adolf Wagner sprach im Februar 1932 vor 730 Besuchern darüber, „dass im deutschen Staat Menschen herumlaufen, die stinken, dass diese Menschen im Staat kein Recht haben.“ [19]

Noch drastischer wurden die NS-Redner Leopoldsberger aus Innsbruck und Franz Buchner aus Starnberg. Leopoldsberger hatte 300 begeisterte Zuhörer in Garmisch, als er zur Judenfrage erklärte, „dass alle aufgehängt gehören.“[20] Und im Februar 1933 meinte Buchner in Mittenwald, „die Hauptschuld an Deutschlands Zusammenbruch sei den Juden zuzuschreiben. Diese hätten schon seit Jahrhunderten die Völker beherrscht."[21]

Schroff, aber wirkungslos war die Gegnerschaft des organisierten Fremdenverkehrsgewerbes gegen die NSDAP. Der Verein für das Gastgewerbe Garmisch-Partenkirchen protestierte im Januar 1931 beim Bezirksamt Garmisch gegen Plakate der NSDAP mit der Aufschrift „Juden haben keinen Zutritt“ und wies darauf hin, „dass in Berlin der oben genannte Zusatz nicht genehmigt wird. Was dort in der Großstadt möglich ist, muss unter allen Umständen in einem Fremdenverkehrsort erst recht möglich sein.“ Georg Bader wies wiederholt darauf hin, dass Bestrebungen im Gange seien, „die Ereignisse vom November 1923 zu wiederholen. Hitler spricht bereits wieder in München und in unserem schönen Werdenfelser Land greift die Bewegung, ausgehend von Murnau und Oberau, immer stärker um sich... Es dürfte dem Bezirksamt Garmisch nicht unbekannt sein, dass die antisemitische Hetze dieser Kreise es mit sich brachte, dass in allen deutschen und außerdeutschen jüdischen Blättern vor einem Besuch in Bayern gewarnt wurde, es ist auch damit erreicht worden, dass das jüdische Publikum sich vollkommen zurückgezogen hat.“ Er warnte vor antisemitischen und nationalsozialistischen Anhängern „am hiesigen Bezirksamt.“[22]

Heinrich Himmler wollte das nicht so sehen. Bei einer NS-Versammlung in Wallgau „forderte er die Versammelten zum Kampf gegen das Judentum auf.“[23]

 

Von Merz unterstützt die Olympiabewerbung von Garmisch und Partenkirchen

Zwar waren die Märkte Garmisch und Partenkirchen seit 1931 als mögliche Austragungsorte von Olympischen Winterspielen in Deutschland in Aussicht genommen – das wäre für den Fremdenverkehr sicher ein großer Gewinn geworden. Aber zunächst musste man sicherstellen, dass die beiden kleinen Orte überhaupt den Zuschlag erhalten. Schließlich gab es starke Konkurrenz in Deutschland mit Feldberg im Schwarzwald, Schierke im Harz, Oberhof in Thüringen, Schreiberhau und Krummhübel in Niederschlesien.

Das war der Grund, warum sich von Merz überall dort einsetzte, wo er Unterstützung für die Bewerbung in seinem Bezirk finden konnte. Im November 1932 erhoffte er sich Beistand bei Staatsrat Fritz Schäffer, dem Leiter des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen. Er schrieb ihm: „Für die Gemeinden Garmisch und Partenkirchen bedeutet die Übertragung der olympischen Winterspiele natürlich etwas ganz Besonderes…Deshalb wenden sich die beiden Gemeinden durch dieses Schreiben an Euer Hochwohlgeboren mit der Bitte, sobald als möglich Ihren Einfluss bei der Staatsregierung im Sinne der vorstehenden Ausführungen geltend zu machen. Es geht um eine bayerische Sache.“[24] Und von Merz war erfolgreich: Mit Schäffers Hilfe und weiteren guten Kontakten konnte er erreichen, dass Garmisch und Partenkirchen trotz starker innerdeutscher Rivalität die Olympischen Winterspiele 1936 zugesprochen bekamen.

  Von links: Eduard Hamm und seine Frau Maria (verdeckt) mit Kindern Hans und Gertrud, Catherine und Carl von Merz, rechts Tochter Fridel Hamm Eduard Hamm  

Eduard Hamm (1879-1944) - Olympiaförderer und Widerstandsheld

Weitere gute Kontakte konnte von Merz vor allem mit Hilfe seines Schwagers Eduard Hamm herstellen. Der Jurist und Politiker Hamm war Mitglied der liberalen Deutschen Demokratischen Partei. Er war verheiratet mit Maria von Merz, der Schwester des Carl von Merz. Hamm hatte seinen Schwager in vielen Fragen der Olympiabewerbung 1936 für Garmisch-Partenkirchen unterstützt, Kontakte geknüpft und erfolgreich verhandelt mit Vertretern aus der deutschen Wirtschaft, zu denen er über seine Ämter als Bayerischer Wirtschaftsminister (1919-1922), später Reichswirtschaftsminister (19259), ferner als geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und Mitglied des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates Zugang hatte. Als Herausgeber der Deutschen Wirtschaftszeitung kritisierte er wiederholt das Wirtschaftsprogramm der NSDAP. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Hamm 1933 in den Ruhestand versetzt. Trotz seines Rückzuges aus der Politik pflegte er frühere Kontakte, vor allem zur Widerstandsbewegung um Carl Friedrich Goerdeler. Der Widerstandkreis sah ihn für den Fall eines Umsturzes als Landesverweser für Bayern vor. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde Hamm am 2. September in der Aktion „Gitter“ von der Gestapo verhaftet und in das Berliner Gefängnis Lehrter Straße verbracht. Am 23. September 1944 nahm sich Hamm in Berlin nach Misshandlungen bei einem Gestapo-Verhör durch einen Sturz aus dem Fenster das Leben.

„Höhere Mächte sind hier im Spiel, gegen die sich aufzulehnen sinnlos wäre.“ Sein Schwager Eduard Hamm hatte die Auflehnung zusammen mit anderen gewagt – sie endete mit Folter und Tod.

 

     
 
  Von Merz vor seinem Amt in Garmisch, zugleich Sitz der Bezirkssparkasse Garmisch Maria und Carl von Merz mit Sohn auf dem Boahof der Familie Hamm in Reit i. Winkel   
   

„Große Reibungen“ in Garmisch

In seinem Bezirk und im Bezirksamt war von Merz schon bald umzingelt von Nazis. Seine Aufgabe war schon deshalb nicht leicht, weil Garmisch zu seinen besten Kurgästen seit je besonders viele Juden zählte: „Zu mehreren dieser Familien unterhielten meine Frau u. ich enge, gute Beziehungen, die öfter auch zu Einladungen in unser Haus führten.“

Sein Verhältnis zu den Nazis vor Ort war von „großen Reibungen“ gekennzeichnet. Sie missachteten immer wieder seine Anordnungen: „Meine wackere Gendarmerie u. Polizeibeamten hatten viel Schweres darum mitzumachen.“ Ein Beispiel, mit dem sich der Bezirksamtmann den besonderen Hass der Nazis zuzog: Er ließ das von der Reichsregierung im April 1932 verfügte Verbot von SA und SS auch in seinem Bezirk durchsetzen. Von Merz blieb nicht verborgen, dass „minderwertige Elemente unter den Ortsgruppen der NSDAP“ auftraten.

Zum Eintritt in die NSDAP wurde er „trotz meiner betont anti-hitlerischen Einstellung“ schon vor 1933 dreimal aufgefordert, auch durch den NS-Kreisleiter. Aus „Abscheu vor der Kampfesweise der Partei“ lehnte er jedoch stets ab. Auch deshalb begegneten ihm die örtlichen Parteiführer mit „kaltem, überlegenem Lächeln.“ Vielleicht wussten sie auch, dass von Merz in seinen Berichten an München „auf die großen drohenden Gefahren durch die Nazis“ hingewiesen hatte. Die Hissung der Hakenkreuzfahne in Garmisch 1933 war gegen seinen Willen erfolgt.

Dass er 1933 dem „Stahlhelm“ in Garmisch, „sehr mit Offizieren u. Adeligen durchsetzt,“ beigetreten ist, war eher ein grotesker Irrtum. Er glaubte den „Stahlhelm“ „in offener Opposition zur Hitlerpartei.“ Und rechtfertigte sich später damit, „dass dann alles anders lief, konnte ich damals noch nicht ahnen.“ Der „Stahlhelm“ wurde in die SA übernommen. Von Merz schien es „unmöglich, sich zu drücken.“

Schließlich wurde er – Ende April 1933 - mit einem „Fußtritt, weil ich der Partei nicht genehm war,“ an die Regierung Regensburg versetzt.

 

Georg Schütte – Reichstagswahl 5. März 1933

Mit einer schneidenden Anklage gegen die Politik der NSDAP schloss die Garmisch-Partenkirchner SPD ihren Wahlkampf für die Reichstagswahl am 5. März ab: Sie verglich Hitler mit Stalin, griff die Unterdrückung und Knebelung der Presse an und warnte vor der kommenden Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten.

Die erbosten Hitler-Anhänger reagierten schnell und verleumderisch. Kurz vor der Wahl erschien im Werdenfelser Anzeiger ein Leserbrief der NSDAP-Ortsgruppe Garmisch-Partenkirchen mit heftigen Angriffen auf SPD-Mitglied Georg Schütte, den 2. Bürgermeister von Partenkirchen und Vorstandsvorsitzenden der Allgemeinen Ortskrankenkasse Garmisch. Darin wurde das Bezirksamt aufgerufen, die Hitler-Regierung gegen die Angriffe der Garmisch-Partenkirchner Sozialdemokraten in Schutz zu nehmen und gegen Schütte ein Disziplinarverfahren zu eröffnen.

Schütte konterte sofort und widerlegte die in heuchlerische Fragen gekleideten Vorwürfe. Zwei Sätze am Schluss seiner Erklärung zeigten den Mut dieses Mannes am Vorabend der endgültigen Eroberung der Macht durch die NSDAP: „Wer in dieser Sache etwas anderes behauptet, den erkläre ich hier öffentlich als gemeinen und niederträchtigen Verleumder." Und dann setzte er noch eins drauf mit der Prophezeiung „Wenn je der Fragesteller durch das Vertrauen seiner Mitbürger in die gleichen Ehrenämter gelangen sollte wie ich und er mit der gleichen Offenheit alle öffentlich gestellten Fragen beantworten könnte, dann wird es gut gestellt sein um das „Dritte Reich". Ich fürchte aber, dass in diesem Reich „öffentliche Anfragen" nicht mehr erlaubt sein werden." Das war eine Herausforderung der Nazis.

Am 24. März 1933 hatte Schütte dem Bezirksamt von seinem erzwungenen Rücktritt als 2. Bürgermeister Mitteilung gemacht. Am 27. März antwortete Bezirksamtmann von Merz mit einem sehr persönlich gehaltenen Brief:

„Sehr geehrter Herr Schütte! Noch bevor ich meinen Vorsatz, Ihnen anlässlich der letzten Ereignisse besonders zu schreiben, in die Tat umsetzen konnte, erreicht mich heute Morgen Ihre Mitteilung vom 24.ds.Mts. Wie schwer Ihnen alles das gefallen sein muss, was sich in den letzten 3 Wochen ereignete, kann ich wohl ermessen. Höhere Mächte sind hier im Spiel, gegen die sich aufzulehnen sinnlos wäre. Mich aber drängt es in diesem Augenblick, von Ihnen nach der Seite Ihrer amtlichen Wirksamkeit Abschied zu nehmen und Ihnen die Versicherung zu übermitteln, dass ich in der Reihe von Jahren, in der Sie Kraft Ihres Amtes oder Ihrer Ämter mit mir in nähere dienstliche Berührung kamen, niemals Anlass zu irgend einer ungünstigen Meinung über Ihr Verhalten gehabt habe; im Gegenteil - nach meiner festen Überzeugung - war Ihr Tun und Lassen stets bestimmt von der Rücksicht auf das große Ganze, auf das Gemeinwohl, auf das Interesse von ganz Partenkirchen. Wenn der Gemeinderat, wie ich weiß, den nun einmal notwendig gewordenen Rücktritt von Ihrem Posten aufrichtig bedauert, so darf ich auch das gleiche behaupten für das Bezirksamt und für die Mitglieder des Bezirkstags. Keiner wird unter Ihnen sein, der an der Lauterkeit Ihrer Absichten zweifeln möchte. Und so freut mich auch ganz besonders die schöne Form, in der Ihr Abschied von der Gemeinde und von der Öffentlichkeit sichtbaren Ausdruck gefunden hat. Ich glaube, die Würde dieses Abganges hat viel Versöhnendes. Und so steht auch nichts im Wege, dass unsere persönlichen Beziehungen in Zukunft die alten bleiben. Mit besten Grüssen Ihr ergebener v. Merz, Oberregierungsrat.“[25]

 

Sand im Getriebe

Offenen Widerstand konnte und wollte von Merz nicht leisten. Mit den Möglichkeiten seines Amtes hat er jedoch geholfen oder gebremst oder verhindert, wo er eine Gelegenheit sah.

Etwa als die NSDAP begann, bei Kontrollen von Hotels, Gasthöfen und Pensionen in Partenkirchen nach „zweifelhaften Personen“ zu suchen, da lehnte sein Bezirksamt den Versuch des Herrn von Hagen, „Sektionsleiter der NSDAP in Partenkirchen“, ab, zur Durchführung dieser Kontrollen Hilfspolizisten der SA einzusetzen.[26]

Als Baron August von Fink wegen angeblicher Devisenvergehen in Schutzhaft genommen werden sollte, stellte sich von Merz quer. Weil er den Verdacht hatte, dass „auch persönliche Dinge bei der Aktion eine Rolle spielen“, in die auch der Münchner NS-Funktionär Christian Weber verwickelt war. „Überhaupt habe sich bei den Suchungen dieser Woche die Tätigkeit der Gendarmerie nach den gemachten Wahrnehmungen mehr auf passive Assistenz als auf Leitung erstreckt.“[27]

Als die Gemeinderäte Maier und Roith in Oberau vom Verbleib im Gemeinderat ausgeschlossen werden sollten, warnte von Merz vor „Störungen der öffentlichen Ordnung… Wegen Vorkehrung der geeigneten weiteren Maßnahmen ersuche ich um Rücksprache.“

Auch zur Verdrängung des Garmischer Gemeinderats und Altbürgermeisters Kaspar Ostler nahm von Merz Stellung. Er forderte NS-Bürgermeister Thomma auf, zu den Auslassungen Ostlers Stellung zu beziehen und zwang ihn zu einer Begründung. Durch „seine Ausschaltung von den Arbeiten in der Gemeinde seien für ihn Verhältnisse geschaffen, unter denen ihm die Fortführung der Ämter unmöglich geworden sei“. Auch zu dem Vorwurf Ostlers, er „sei bewusst und gewollt von der Mitarbeit in der Gemeinde ausgeschlossen worden,“ sollte Thomma Stellung nehmen: „Warum ist die Zuteilung eines Referats oder mehrerer Referate an den Gemeinderat Ostler unterblieben?“[28]

   
  Kaspar Ostler, Bürgermeister
von Garmisch 1929-1933 (BVP)
Josef Thomma, Bürgermeister
von Garmisch 1933-1935 (NSDAP)
 

Da die neue Regierung in Berlin den 1. Mai als „Tag der nationalen Arbeit“ zum Feiertag erklärt hatte, musste er – und es mag ihm nicht leicht gefallen sein - alle Mitarbeiter im Hause um Teilnahme ersuchen: „Die Herren Beamten und Beamtinnen des Amtes werden ersucht, sich an den Veranstaltungen des 1. Mai in Garmisch-Partenkirchen zu beteiligen (Umzug, Sportplatz Gudiberg usw.). Die bezirksamtlichen Teilnehmer werden hinter der Gruppe der NSBO eingeordnet.“[29]

Unter dem Deckmantel eines Verbots marxistischer Organisationen, wozu die Nazis auch den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund[30] zählten, wurden im April 1933 auch Einrichtungen wie das Erholungsheim der Reichseisenbahner in Hammersbach enteignet. Auf Antrag des NS-Kreisleiters Hartmann wurde das Heim vollständig geschlossen. Von Merz stellte dem Heim dagegen ein gutes Zeugnis aus. Es sei „in den letzten vier Jahren erworben und erheblich ausgebaut,“ es besitze eine Vollkonzession, dürfe „also auch Gäste, die nicht Gewerkschaftsmitglieder sind, dauernd oder vorübergehend aufnehmen und verpflegen. Der Betrieb gab an und für sich früher zu keinen Klagen Anlass.“

Das waren alles keine Aktionen aktiven Widerstands, aber doch immer wieder kleine Vorstöße gegen die Allmacht der NSDAP: „Mit dem heutigen verlasse ich schweren Herzens und ohne mein Zutun, aber voll Dank für das mir in reichstem Maße von der Gesamtbevölkerung entgegengebrachte Vertrauen… den hiesigen Posten. Merz, Bezirksamtmann“[31]

 

Warum von Merz aus Garmisch gehen musste

Eine von der NSDAP geplante Schlageter-Feier und Grenzlandkundgebung mit Hitler erhielt vom Bezirksamt Garmisch mit dem Hinweis keine Genehmigung, „dass diese Versammlung mit Hitler – Hitler hat hier noch nie gesprochen – eine gewaltige Anzahl von Menschen in Garmisch-Partenkirchen auf einmal vereinigen würde.“  Es ist gut möglich, dass diese Verweigerung von Merz zum Verhängnis wurde.

Wie die Nazis von Merz einkreisten, zeigte sich 1933: Aufgabe von SA-Sonderkommissaren war es, die NS-Herrschaft auf kommunaler Ebene einzurichten und zu sichern. Auf ihr Konto ging die Gleichschaltung von Menschen und Institutionen. Hans Hartmann war bereit, diese Rolle im Bezirk Garmisch-Partenkirchen zu spielen. Bisher hatte die NSDAP ihre örtliche Geschäftsstelle in Verbindung mit Hartmanns Laden im Bunten Haus. Als SA-Sonderbeauftragter richtete er sich jetzt demonstrativ im Gebäude des Bezirksamtes Garmisch ein – in unmittelbarer Nähe der Amtsräume von Bezirksamtmann Carl von Merz. Das Signal Hartmanns hieß: Parteimacht kontrolliert Staatsmacht. Die NSDAP etablierte sich.

 

Kriegsopferversorgung in Regensburg

In Regensburg bei der Regierung der Oberpfalz war von Merz für die Kriegsopferversorgung zuständig und davon überzeugt davon, dass er „Anerkennung besonders bei den Armen, den Kriegsbeschädigten, den Kriegsblinden u. Kriegs-Hirnverletzten“ gefunden habe.

Wegen neuerlicher Kritik an der NS-Politik kam es auch in Regensburg zur Dienstenthebung. Von Merz wurde jetzt zur Bezirksregierung Schwaben nach Augsburg versetzt.

 „Entsetzlicher Rassenwahn“ - Sein Verhältnis zum Judentum

Von Merz hatte schon am Anfang der zwanziger Jahre Sorgen wegen der „Überflutung Deutschlands durch zahlreiche unerwünschte Bevölkerungsteile aus dem Osten (namentlich Juden).“ Er sah in der Rassenfrage, wie sie von den Nationalsozialisten gestellt wurde, seine Wehrlosigkeit gegen einen „entsetzlichen Rassenwahn“.

Eine persönliche Auseinandersetzung mit Hitler hatte ihm beispielhaft die Gefahr gezeigt, die von der NSDAP ausging. Hitler nutzte die Rede- und Pressefreiheit zu Angriffen „auf das gesamte Judentum der Welt“. Er brachte Plakate mit der Aufschrift „Juden an den Galgen“ in die Öffentlichkeit. Diese Plakate führten in München zur Auseinandersetzung mit Hitler – von Merz verlangte die Beseitigung des Satzes, Pöhner ließ den Satz aber zu. Von Merz lehnte „diese Art des Rassenkampfes, diese Behandlung der eine Weltmacht darstellenden Juden“ ab.

   
  Sog. "Judenabwehrschild" in Garmisch-Partenkirchen vor und nach den Olympischen Winterspielen 1936 Örtliche SA fordert 1935 zur Vertreibung von Juden
aus Garmisch-Partenkirchen auf
 

In seinem Brief von 1945 nahm er dazu ausdrückliche Stellung: „Es wäre gelogen, wenn ich nicht zugeben wollte, dass mir viel nicht gefiel, dass ich die Überwucherung alles wirtschaftlichen Lebens im Volk durch die Juden nicht bedauerte, dass ich - gerade als einer, der in Nürnberg aufwuchs - als ein Unheil ansah. Ich war für eine Zurückdrängung des jü. Einflusses in vieler Beziehung - aber auf ganz anderen Wegen als dies Hitler-Streicher taten! Ich hatte zu viel Gutes von und an Juden gesehen u. hatte zu viele gute, nahe persönl. Freunde unter ihnen. Einer meiner besten Freunde war der überaus kluge, freilich sehr hässliche Dr. Richard Kohn, der in Berlin ein Semester lang mein Zimmerkamerad war. Andere Namen unter vielen Dutzenden: Forchheimer, Schnebel, Hopf, Berlin, die überaus vornehmen Brüder Hamburger. Ich denke an so viele große Männer der Wissenschaft, an mir bekannt gewordene und befreundete Juristen, Ärzte, Künstler, in der Wirtschaft (Ballin! Rathenau! Mendelssohn usf.), die Deutschlands Weltstellung mitbegründen halfen, denen der Kaiser seinen Schutz gewährte u. sein Wohlwollen. Ich denke an viele beste Freunde meines Schwagers Hamm, die ich seit 26 Jahren durch ihn kennen u. schätzen gelernt u. die vielleicht heute noch nicht wissen, dass mein Schwager als Gefangener der Gestapo am 23.9.44 seinen Tod fand. Noch viel mehr könnte ich über meine Stellung gegenüber dem Judentum - dessen Schattenseiten mir freilich auch bekannt sind - sagen, aber ich will es bei dem Gesagten belassen. Aus allem mögt Ihr ersehen, wie demokratisch ich stets eingestellt war. Übrigens wagte ich es 1936, mich nach dem Schicksal meines alten Freundes Dr. Rich. Kohn, Nürnberg, bei der Gestapo Nürnb. schriftlich zu erkundigen, bekam aber mein Schreiben sofort zurück: „Antwort wird nicht erteilt“.

 

„Gefangener der Partei“ - nach 1933

Die mehrfachen Aufforderungen zum Eintritt in die NSDAP, die von ihm schon 1935 und früher „als Beamter in Bausch und Bogen gefordert“ worden waren, empfand er als großen Zwang, der ihm „größte und schwerste Konflikte“ bereitete.

Auf der einen Seite sah er „allerhand gutes im Programm der Partei … Volksgesundheit, Mütter u. Kinder, Winterhilfswerk“, auch Gleichschaltung und „Ordnung der kirchlichen Verhältnisse“ konnte er akzeptieren. Andererseits war das größte Hindernis für ihn seine Beobachtung, dass sich unter Hitler alles zu „Terror, Kampf gegen die Religionen, Entfremdung der Kinder vom Elternhaus“ wendete. Er sah sich als „Gefangener der Partei“ und war voll bitterer Entschlusslosigkeit.

Der „Psychopath“ und NS-Ideologe Julius Streicher war ihm schon in Nürnberg ein „Brechmittel“. Die Konzentrationslager sah er als „Schmach“, die aber „nie bekannt geworden“ sei, man habe „gemunkelt“, musste „wehrlos zusehen, war „machtlos gegenüber der SS.“ Bei den antijüdischen Pogromen in Regensburg empfand er „Entsetzen“, fühlte sich aber ebenfalls machtlos. Hilfe war nur von der Wehrmacht zu erwarten, jedoch seine „Hoffnung auf die Generale blieb unerfüllt.“

Dazu kam jetzt auch noch, dass der Protestant von Merz, weil er der evangelischen Bekenntniskirche nahestand, „keinen Anspruch mehr auf dienstliches Vorrücken“ haben sollte, also von weiterer Beförderungen im Amt ausgeschlossen wurde. Trotzdem weigerte er sich standhaft, „gottgläubig“ zu werden und seine Konfession zu verraten.

Seit 1936 gab es Überlegungen, vor allem von seiner Frau, in die USA, in die Heimat von Catherine auszuwandern. Man unterließ es in der Hoffnung, Hitler werde „den Frieden bewahren“, Deutschland „groß machen“ und den Schulterschluss mit England suchen.

Gegen die Emigration entschied er sich auch aus Angst, vermögenslos zu werden, anderen Menschen zur Last zu fallen, die Familie nicht ernähren zu können. 1936, beim ersten Besuch in den USA, war er noch nicht bereit dazu. Der Gedanke reifte aber heran bis in den Juli 1939. Er blieb aber aus Angst vor dem Vorwurf der „Fahnenflucht“ nicht in den USA, sondern kehrte am 2. August 1939 nach Deutschland zurück. Frau und Kinder blieben in Texas.

Über die unschönen Dinge wie KZ-Lager, scheußliche, ungerechte Behandlung der Juden und Kirchen sagte er selbstkritisch, „versuchte ich mich einige Zeit hinwegzutäuschen“ - der englischen Redewendung folgend „Recht oder Unrecht - mein Vaterland!“ Dennoch übte er kaum überhörbare Kritik „an der Art der Einverleibung von Österreich, Sudetenland, Tschechoslowakei u. über den Überfall auf Polen“. Diese Kritik und die Tatsache, dass seine Frau Amerikanerin war, führte im September 1939 sogar zur vorübergehenden Enthebung vom Dienst. Trotzdem blieb er kritisch, missbilligte „die Art u. Weise der Kriegsführung“ und wollte das Vorgehen mancher Truppenführer nicht gutheißen. Im Oktober 1939 wollte er aus der NSDAP austreten, aber sein „Gesuch um Austritt oder Ausschluss aus der Partei“, in die er mehr oder weniger unter Druck 1935 eingetreten war, wurde abschlägig beschieden.

Von Merz blieb ein „Wanderer zwischen zwei Welten“, der sich über die Siege der Wehrmacht „nur mit halbem Herzen“ freuen konnte und  die Bilder seiner Söhne in GI-Uniform bedrückten. Zu heftigen seelischen Konflikten führte ihn die Kriegserklärung Hitlers im Dezember 1941 an die USA. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich erheblich. Diesem Zustand folgte eine „unendliche innere Zerrissenheit.“  Unerträglich wurde die Sehnsucht nach seiner Familie.

Im September 1944 wurde er auch noch hineingezogen in die Affäre um seinen Schwager Dr. Eduard Hamm, dem Beteiligung am 20. Juli 1944 vorgehalten wurde. Hamm wurde von Reit im Winkel nach Berlin gebracht und dort in Haft genommen. Für von Merz wäre er einer der Männer gewesen, „die nach einer Niederlage in Deutschland beim Wiederaufbau eine bedeutende Rolle hätten spielen können.“ Die Sorge, „ebenfalls von der Gestapo geholt zu werden, quälte in monatelang.“ Er litt darunter, dass monatelang nicht bekannt geworden war, „warum mein Schwager sich verantworten musste.“ Ein Trost: er sei „im Herzen Demokrat geblieben.“ Das Dilemma zwischen Abneigung gegen die NSDAP und dem „Zwang, doch mitmachen zu müssen“ ließ ihn nicht frei.

Im Juli und August 1939 reiste er zum zweiten Mal in die Heimat seiner Frau nach Austin/Texas, kehrte aber am 2. August 1939 zurück nach Deutschland - ohne Frau und Kinder. Ende August 1939 teilte ihm seine Frau telegrafisch mit, dass sie mit den Kindern in den USA bleiben werde. 1943 erfolgte sein „vollständiger gesundheitlicher Zusammenbruch“. Von Merz wurde in den Ruhestand versetzt.

 

Oberstdorf und Kleinwalsertal - "Gesund bin ich nicht geworden"

Nach Kriegsbeginn wurde er von der Sorge um die Lage seiner Familie in den USA gequält, seine „Einsamkeit u. Verlassenheit“ erfüllte ihn immer stärker. Weil er unter „schweren Augen- und Schwindelzuständen“ litt, wurde er in das Sanatorium Stillachhaus von Dr. Saathoff bei Oberstdorf gebracht, in eine Privatklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Daran schloss sich ein längerer Aufenthalt an in Hirschegg Kleinwalsertal bei Oberstdorf mit langer klinischer Behandlung durch Prof. Dr. Stepp. Sein Fazit: „Gesund bin ich nicht geworden.“ Er fühlte sich jetzt als Gefangener des Kleinen Walsertals. Der Versuch, über die Schweiz mit seiner Familie in den USA Kontakt aufzunehmen, misslang. Ob seine Briefe je in die USA gelangt waren, blieb unsicher.

Erst die vollständige Niederlage Deutschlands führte zum Wiedersehen mit seiner Familie.

Carl und Catherine von Merz 1960 in Austin/Texas

 

Nach 1945 - zwischen Selbstvorwürfen und Selbstentlastung

Den Zusammenbruch des Nazi-Reiches und der Wehrmacht hatte er „befürchtet u. herbeigesehnt“. Für sich konstruierte er Entlastung.  Er sei ohne seinen Willen „in den Bannkreis der Entwicklung, durch unselige Verstricktheit in das politische Geschehe geraten“ und habe „furchtbare Kämpfe seelischer u. dienstlicher Art“ auszustehen gehabt. Der unselige Rassenwahn habe die „Hauptschuld an dem über Deutschland gekommenen Unglück getragen.“ Von Merz war erfüllt von einem „Gefühl der Beschämung über die Entehrung u. Schändung des guten Namens der Deutschen durch die Hitler-Schandtaten.“ Wie weiter? „Nun muss das ganze deutsche Volk, dessen große Mehrheit doch nicht hinter Hitler stand, unter den schrecklichen Folgen leiden.“ Zum Schluss seines Briefes eine dunkle Ahnung: „Ich sehe furchtbar schwarz für mich. Vielleicht beerdigt oder verscharrt man mich bald hier, bald in Oberstdorf, vielleicht in einem Konzentrations- oder Gefangenenlager, denn ich zähle ja noch als ‚Parteigenosse`.“

Zu seiner Selbstverteidigung gehörte auch der Gedanke, er sei ja „ein Vaterlandsfreund zu allen Zeiten gewesen, war ein guter Deutscher, wie etwa mein Schwager, wie Thomas Mann, wie tausend andere Aufrechte, die Deutschland verlassen haben, weil sie weniger gebunden waren und weil sie in einem entehrten Deutschland, was es durch das Nazi-Regime geworden war, nicht leben konnten.“ Sogar noch ein „hätte-Hitler“ muss herhalten: „Und was hätte Hitler, hätte er nicht diesem Rassenwahn gehuldigt, hätte er sich nicht durch die von ihm geduldete Grausamkeit so vieler Gefolgsleute, insbes. der SS, so schwere Schuld aufgeladen, hätte er von Außenpolitik mehr verstanden, hätte er die persönliche Freiheit nicht unterdrückt, auf innersozialem Gebiet für sein Volk werden u. leisten können!“

Bittere Schlussfolgerung: „Aus allem mögt Ihr ersehen, wie demokratisch ich stets eingestellt war.“

 

„Es war eine Beichte, die ich vor Euch, meine Söhne, ablegte. Ihr sollt wissen, mit wie schwerem seelischem Gepäck ich all diese Jahre, seit der Trennung von Euch, seit 1933, seit 1919 belastet war.“ Er blieb „unglücklicher Vater und Gatte.“ Nach Kriegsende konnte er in die USA übersiedeln und seine Frau und die Söhne wieder in die Arme schließen. 1962 ist Carl von Merz nach einem erfüllten Leben in Austin/Texas gestorben.

 

Mein Schluss

Der Brief, den ich Franziska Spindler, der Großnichte von Carl von Merz, verdanke, wurde 1945 von Carl von Merz unter dem Eindruck geschrieben, dass es kaum Hoffnung gebe, Frau und Kinder noch einmal zu sehen - zunächst Ende April 1945 begonnen, dann abgebrochen, weiter am 4. Mai 1945, weiter am 8. Juni 1945…

Ein Dokument des Zögerns und der Rechenschaft über ein Leben in Anstand und Würde, dem die Nazis immer wieder Steine in den Weg gerollt haben. Carl von Merz hat sich den Nationalsozialisten nie unterworfen, er blieb notgedrungen ihr Mitläufer und Gefangener. Einer, der die Gefahren, die von ihrer Ideologie ausgingen, erkannt hatte, aber keine Möglichkeit sah, in seinem Verantwortungsbereich diese Erkenntnis direkt und täglich umzusetzen. Er war monarchisch-obrigkeitsstaatlich aufgewachsen in einem liberalen elterlichen Klima, kein Feind der Juden, aber kritischer Beobachter. Die Revolution 1918/19 war ihm fremd, ist ihm vielleicht auch fremd geblieben. Aber er achtete Menschenwürde und anständiges Verhalten.

Dank schulde ich Franziska Spindler auch für die privaten Bilder auf dieser Seite.

 



[2] SZ 09.11 2012

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Bayerische_Landespolizei_(1920-1935)

[5] Stengel hatte sich einen Namen gemacht als verständiger Förderer der neuen Realschule Garmisch.

[7] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt am 18. Februar 1927

[8] http://www.golfclub-werdenfels.de/s/platz/platzgeschichte/

[9] Werdenfelser Anzeiger 12.2.1931

[10] Alois Schwarzmüller, Die Landtags- und Reichstagswahlen von 1900 bis 1933 im Wahlkreis Weilheim unter besonderer Berücksichtigung des Bezirksamtes Garmisch (München, 1971) S. 89

[11] Staatsarchiv München - LRA 56/853 Nr. 4533 06.07.1931

[12] Staatsarchiv München -  LRA 114/1658, 8.1.1932

[13] Ammergauer Zeitung, 2.3.1929

[14] Werdenfelser Anzeiger, 16.1.1930

[15] Werdenfelser Anzeiger, 16.1.1930

[16] Werdenfelser Anzeiger, 14.10.1930

[17] Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 114/1657, 29.11.1931 / NSDAP-Versammlung in Mittenwald

[18] Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 115/1660, 30.01.1932 / Schreiben der NS-Ortsgruppe Mittenwald an das Bezirksamt Garmisch

[19] Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 115/1661, 24.02.1932 / NSDAP-Versammlung in Garmisch

[20] Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 115/1660, 12.03.1932 / NSDAP-Versammlung in Garmisch

[21] Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 114/1658, 12.02.1933 / NSDAP-Versammlung in Mittenwald

[22] Marktarchiv GaPa 14.05.1929 / Verein für das Gastgewerbe an das Bezirksamt Garmisch

[23] Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 56/853, 23.02.1930 / NSDAP-Versammlung in Wallgau

[24] Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 61935, 15.11.1932

[25] Staatsarchiv München - LRA 198951 Garmisch-Partenkirchen – Verbot marxistischer Organisationen 1933 / Sitzungsbuch Partenkirchen 1931-1934

[26] Staatsarchiv München - LRA 198951 Garmisch-Partenkirchen – Verbot marxistischer Organisationen 1933 - 27.03.1933

[27] Dto 27.03.1

[28] Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen – I/2/10933

[29] Marktarchiv Garmisch I/3/23, 28.04.1933

[30] Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) war von Juli 1919 bis Mai 1933 der Dachverband der Freien Gewerkschaften in Deutschland

[31] Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 61611 – Monatsberichte BAG 1933 / 31.05.1933


Zurück zur Startseite