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Alois SchwarzmüllerBeiträge zur Geschichte des Marktes Garmisch-Partenkirchen im 20. Jahrhundert |
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Carl von Merz – Bezirksamtmann in Garmisch von 1927 bis
1933
Carl von Merz (1881 Nürnberg - 1962 Austin USA) wurde 1927 im Alter von 45
Jahren Bezirksamtmann im Bezirk Garmisch. Er entstammte
einer angesehenen Nürnberger Familie, studierte seit
1901, in der Familientradition, Jura in Jena und in
Göttingen. 1914, mit 23 Jahren, nach Abschluss seiner
Universitätslaufbahn, wurde er in den Weltkrieg
eingezogen, wurde Hauptmann der Artillerie und, weil
seine Einheit eine ganze französische Kompanie mit
algerischen Soldaten in Gefangenschaft genommen hatte,
Träger des Ordens pour le Mérite.
Catherine Scherding (1895-1973), seine deutsch-amerikanische Frau, lernte
er 1925 kennen. Im Brief von 1945 nannte er sie eine
„prachtvolle Mutter“ und eine „große Person aus einem
Land geistiger u. persönlicher Freiheit.“ Sie war
„überzeugte USA-Amerikanerin“, wurde deshalb auch von
den örtlichen Nazis geschmäht. Die amerikanische
Schwiegermutter besuchte ihre Tochter alljährlich. Und
wurde gleichfalls beleidigt vom Adjutanten des
NS-Kreisleiters. Von Merz mag darauf stolz gewesen sein, dass seine Frau „bei den Armen u.
Bedürftigen im ganzen Bezirk“ beliebt war. Sie hatte
wohl auch den schärferen Blick dafür, was sich in diesen Jahren in Deutschland ereignete. Sein
selbstkritischer Stoßseufzer
zeugt davon: „Du, liebe Catherine, hast wohl manches
geahnt, was ich verschwieg“.
München – in der Schlangengrube des Polizeipräsidiums
Bei Kriegsende 1918 trug von Merz als Offizier den Soldaten seines
Regiments seine Ideen von einer „neuen sozialen Ordnung“
vor. Worin diese Ideen bestanden, geht aus seinen
Dokumenten nicht hervor. In Garmisch jedenfalls glaubte
er sich von der Bevölkerung als „sozialer Beamter“
gesehen. Im Mai 1919 wurde er zur Polizeidirektion
München „kommandiert … ins politische Referat“ zu
Polizeipräsident Ernst Pöhner und seinem Büroleiter
Wilhelm Frick.
Wilhelm Frick
war seit 1917 in der Polizeidirektion München tätig.
Anfangs leitete er dort die Kriegswucher-Abteilung, was
seine antisemitische Einstellung mit beeinflusst haben
soll, wie ein Brief an seine Schwester zeigt. 1919 wurde
ihm die Leitung der politischen Polizei übertragen. In
dieser Funktion sympathisierte er mit dem
Rechtsextremismus. Die Münchner Polizei arbeitete nach
1919 eng mit völkischen Freikorps wie der
Terrororganisation „Consul“ zusammen. Auf das Konto der
„Organisation Consul“ ging beispielsweise die Ermordung
des bayerischen SPD-Fraktionsvorsitzenden Karl Gareis
(1921), der zuvor die Verbindungen zwischen Münchner
Polizei und paramilitärischen Gruppen untersucht hatte.
Schon bis 1923 waren nahezu alle Polizisten der
„Wucherabwehrstelle“ stramme NSDAP-Mitglieder. Die NSDAP
dominierte neben der „Politischen Abteilung“ auch das
Einwohneramt. Die meisten Polizeibeamten waren Anhänger
der völkischen Bewegungen, die in vielen politischen
Fragen die Ansichten der Nationalsozialisten teilten.
Adolf Hitler lernte Frick 1919 durch Polizeipräsident
Ernst Pöhner kennen und unterstützte ihn mit großzügiger
Genehmigung von Versammlungen mit Hetzplakaten. 1923
wurde Frick Leiter des Sicherheitsdienstes
Ernst Pöhner (1870-1925) wurde im Mai 1919 zum Polizeipräsidenten von
München ernannt. Während des Kapp-Putsches im März 1920
erzwang Pöhner zusammen mit dem Leiter der
rechtsradikalen Einwohnerwehren Georg Escherich und dem
General Arnold von Möhl in einer staatsstreichähnlichen
Aktion den Rücktritt der sozialdemokratischen
Landesregierung Hoffmann und sorgte für die Einsetzung
der rechten bürgerlichen Regierung unter Gustav von
Kahr. Pöhner kannte Adolf Hitler seit 1920. Im November
des Jahres 1923 war er führend am
Hitler-Ludendorff-Putsch beteiligt. Er sollte neuer
bayerischer Ministerpräsident werden. Wegen Hochverrats
wurde er vom Münchner Volksgericht am 1. April 1924 zu
fünf Jahren Festungshaft verurteilt, von denen er aber
lediglich drei Monate verbüßte. Noch während seiner
Haftzeit wurde Pöhner bei der Landtagswahl am 6. April
1924 für den Völkischen Block in Bayern, eine
Mitgliedsorganisation der Nationalsozialistischen
Freiheitspartei, in den bayerischen Landtag gewählt. Im
Dezember des Jahres trat er zur DNVP über.[3]
In diesem Gebräu aus Menschen- und Demokratieverachtung musste sich nun
Carl von Merz zurechtfinden und behaupten.
Landespolizei in Nürnberg
Seit 1. November 1923 leitete von Merz in Nürnberg die „Verstaatlichung
der dortigen Polizei“. Die Landespolizei Bayerns wurde
gegründet - eine militärisch organisierte Truppe mit dem
Hauptaufgabengebiet, bei Versammlungen und politischen
Veranstaltungen für Ordnung zu sorgen. Der bekannteste
Einsatz der Bayerischen Landespolizei fand im November
1923 gegen den Hitlerputsch in München statt. Dabei
kamen vier Polizisten ums Leben. Bekannt war auch ihr
hartes Einschreiten gegen eine Demonstration in Coburg
im September 1921.[4]
Von Merz hoffte in diesen Jahren auf das Amt des Münchner
Polizeipräsidenten. Daraus wurde aber nichts. Statt
Nachfolger Pöhners zu werden, schickte man ihn nach
Oberbayern ins Werdenfelser Land.
Bezirksamtmann in Garmisch
So wurde er dort Nachfolger des bisherigen Garmischer
Bezirksoberamtmannes und Oberregierungsrates Freiherr
von Stengel.[5]
Die Amtseinweisung des neuen Bezirksamtsvorstandes fand
am 16. Februar 1927 statt. Von Merz erklärte dabei ganz
traditionell staatsmännisch, seine Aufgabe sei es, die
Autorität der Regierung und des Staates zu wahren. Aber
auch unerwartet demokratisch: „Einen Unterschied in der
Behandlung einzelner Persönlichkeiten nach Religion,
nach Stand oder Rang werde es für ihn nicht geben. Er
wolle sich auch nicht als Vertreter der Obrigkeit
fühlen, er wolle ein Diener des Volkes sein, das letzten
Endes die Richtschnur für seine Tätigkeit abgeben muss.
Er werde stets die Person von der Sache scheiden und es
nicht übelnehmen, wenn jemand einmal eine andere Meinung
habe. Er sei kein strenger Polizeimann, wenn er auch
acht Jahre in diesem Zweige tätig war.“ Dass er kein
Freund der Revolution von 1918/1919 gewesen ist, das
zeigen diese Worte: Seit dem Krieg sei ein neuer
Rechtszustand eingetreten, „obwohl uns in Bayern die
alte Ordnung am wenigsten drückte“. Seine Hauptaufgabe
als Bezirksamtmann in Garmisch sah er in der „Förderung
von Landwirtschaft, Handwerk, Handel und Gewerbe,“
ebenso liege ihm am Herzen „die Interessen des
Fremdenverkehrs, er verschließe sich jedoch nicht den
Gefahren der Überfremdung.“[6]
Förderung des Golfplatzes Garmisch 1929
1928 ließ von Merz den Worten Taten folgen und setzte sich für die
Errichtung eines Golfplatzes in Garmisch ein. Er
schrieb: „Die Verhandlungen zum Ausbau des Golfplatzes
müssen, wenn der Platz bis 1930, vielleicht schon früher
fertig sein soll, nun in der allernächsten Zeit
aufgenommen werden. Bisher mussten notwendige
Vorarbeiten und Sondierungen stattfinden. Die Platzfrage
- bei Schwaigwang – ist gelöst, der Pachtvertrag wird
abgeschlossen, sobald der Golfklub gegründet sein wird.
Dass das reisende erstklassige Publikum immer mehr die
Klasse eines Kurortes nach dem Vorhandensein eines
Golfplatzes beurteilt, steht außer allem Zweifel.“[7]
Mit der Gründung des Golfclubs Garmisch-Partenkirchen am 7. Februar 1929
begann die lange Geschichte der Golfanlage Schwaigwang.
Nach gut einjähriger Bauzeit konnte 1930 der von Dr.
Bernhard von Limburger entworfene Platz im ehemaligen
Park des Gutes Schwaigwang eröffnet werden. Die
Begeisterung über den neuen Golfplatz war groß. Die
Folgejahre ließen den Platz und den Club unter der
Burgruine Werdenfels blühen und gedeihen. Die
Mitgliederzahl stieg und der Platz erfreute sich bis
heute auch bei auswertigen Golfern steigender
Beliebtheit.[8]
Bedrohung des Fremdenverkehrs durch die NSDAP
Alles war gleichzeitig: Förderung des Tourismus durch Gemeinde und
Bezirksamt,
hohe Arbeitslosigkeit und Bedrohung durch die Radikalität der NSDAP und
ihre Erfolge.
Zunächst ein Blick auf die Arbeitslosigkeit am Anfang der 30er Jahre: Im
Arbeitsamtsbezirk Garmisch-Weilheim-Schongau waren am
12. Februar 1931 3030 Männer und Frauen arbeitslos
gemeldet, ein Jahr später waren es schon 3550, am Ende
dieses Jahres 4777 und im März 1932 immer noch 3637.[9]
Im Vergleich zum Reichsgebiet eine ähnlich dramatische
Lage.
Ergebnis der Reichstagswahl im Juli 1932 (in Prozent):[10]
Wieder einmal hatte der Bezirk Garmisch die schlechteste Wahlbeteiligung
unter allen oberbayerischen Bezirken aufzuweisen. Dafür
stand er, was den Erfolg der NSDAP betrifft, an
vorderster Stelle. Nur der Bezirk Berchtesgaden konnte
ihn mit 34,9 Stimmen für die NSDAP übertreffen. Die
Deutschnationale Volkspartei hatte als Sammelbecken des
nichtnationalsozialistischen Bürgertums mit knapp 12
Prozent der Stimmen einen gewaltigen Erfolg errungen und
stand damit an erster Stelle der oberbayerischen
Bezirksämter. Während die bürgerlich-liberale Mitte
zerrieben worden war, konnte die Bayerischen Volkspartei
leichte Gewinne für sich verbuchen. Auf der linken Seite
galt das auch für die Kommunisten, während die
Sozialdemokraten im Vergleich zur Reichstagswahl 1930
lediglich ihre Stellung halten konnten.
Die lokale Entwicklung der NSDAP im Bezirk Garmisch-Partenkirchen
Die ersten lokalen Organisationen der
NSDAP wurden in Oberau (Dr. Kurt Gessler, Heinrich
Illing), in Eschenlohe und in Ohlstadt ins Leben
gerufen. Das vor den nördlichen Toren des Bezirkes
gelegene Murnau bildete dabei den Ausgangspunkt der
NS-Gründungswelle. Der Garmischer Bezirksamtmann von
Merz klagte
in einem Bericht an das Bayerische Innenministerium
1931: „Über Murnau ist die nationalsozialistische
Bewegung in meinen Bezirk hereingedrungen, sie hat im
gesamten Loisachtal bis Garmisch-Partenkirchen sehr
ansehnliche und feste Stützpunkte.“[11]
In Mittenwald wehrte man sich noch im Januar 1932 beim Bezirksamt
Garmisch mit dem Antrag, bis 20. Februar 1932 keine
politischen Versammlungen mehr zu genehmigen. Begründet
wurde das damit, „dass bis zum 20. Februar noch
verschiedene Sonderzüge in Aussicht sind. Diesen
Teilnehmern soll nicht die Ruhe zur Erholung genommen
und sie neuerdings in das politische Getriebe versetzt
werden.“[12]
Neben deutlich steigender Versammlungstätigkeit der NSDAP begegnete von
Merz auch auf eine organisierte Republikfeindlichkeit.
Die Ammergauer Zeitung schrieb schon 1929 von einer
„unmöglichen Republik ... wir fühlen mit der Mehrheit
des Volkes, dass eine rettende Hand nottut, dass - um
mit dem Volke zu sprechen - ein Mussolini fehlt, der den
ganzen stinkenden Augiasstall ausmistet.“[13]
Auch der Anti-Berlin-Komplex entfaltete sich im Bezirk Garmisch immer
deutlicher. Im Werdenfelser Anzeiger konnte man 1930
lesen: „Die Herren in Berlin sind genau informiert, dass
der Werdenfelser Arbeiter gutmütig nicht zu
Tätlichkeiten neigt und kommunistische Drahtzieher, die
die Missstimmung aufpeitschen, nicht vorhanden sind...
Es dreht sich ja nur um ein abgelegenes Nest, draußen im
Bayerischen, denkt der Berliner Zentralismus.“
[14]
Ein halbes Jahr später: „Die Gefahr, die uns droht,
heißt nicht Verpreußung, sie heißt Verberlinerung. Soll
Deutschland diesem Geiste Berlins ausgeliefert werden
und ihm geistig, kulturell, wirtschaftlich und völkisch
preisgegeben werden?“[15]
Von einer ungeliebten Republik ist auch bei Katholiken vor Ort die Rede.
Der Garmischer Kaplan Götz drückte es so aus: „Dem
verlorenen Kriege, dem vaterländischen Geist unserer
Helden ist ein fremder Geist, Revolution, und eine neue
Staatsform, der Geist des Unglaubens und der Unsitte auf
den Fersen gefolgt.“[16]
Bruder im Geiste der Republikfeindlichkeit war der Antisemitismus.
Führende Vertreter der NSDAP hielten große
Veranstaltungen im Bezirk. Ein Beispiel aus Mittenwald:
Ende 1931 sprach vor 300 Zuhörern der spätere Gauleiter
von München und Oberbayern Adolf Wagner: "Es muss mit
den Verbrechern, die unser deutsches Vaterland durch die
Revolution 1918 so ins Elend stürzten, noch abgerechnet
werden. Es muss endlich einmal gesäubert werden. Dieser
Dreck muss weg."[17]
Hans Sailer, der spätere NS-Ortsgruppenleiter von
Mittenwald, schrieb dem Bezirksamtmann über die Ziele
seiner Partei folgendes: „Wir wollen dem Volke die
Kultur vermitteln, die der deutschen Seele entspricht
und dadurch im Volke das Empfinden der Ablehnung jüdisch
verseuchter Machwerke wecken.“[18]
Die mörderische Komponente des Judenhasses verbarg sich nicht mehr. Adolf
Wagner sprach im Februar 1932 vor 730 Besuchern darüber,
„dass im deutschen Staat Menschen herumlaufen, die
stinken, dass diese Menschen im Staat kein Recht haben.“
[19]
Noch drastischer wurden die NS-Redner Leopoldsberger aus Innsbruck und
Franz Buchner aus Starnberg. Leopoldsberger hatte 300
begeisterte Zuhörer in Garmisch, als er zur Judenfrage
erklärte, „dass alle aufgehängt gehören.“[20]
Und im Februar 1933 meinte Buchner in Mittenwald, „die
Hauptschuld an Deutschlands Zusammenbruch sei den Juden
zuzuschreiben. Diese hätten schon seit Jahrhunderten die
Völker beherrscht."[21]
Schroff, aber wirkungslos war die Gegnerschaft des organisierten
Fremdenverkehrsgewerbes gegen die NSDAP. Der Verein für
das Gastgewerbe Garmisch-Partenkirchen protestierte im
Januar 1931 beim Bezirksamt Garmisch gegen Plakate der
NSDAP mit der Aufschrift „Juden haben keinen Zutritt“
und wies darauf hin, „dass in Berlin der oben genannte
Zusatz nicht genehmigt wird. Was dort in der Großstadt
möglich ist, muss unter allen Umständen in einem
Fremdenverkehrsort erst recht möglich sein.“ Georg Bader
wies wiederholt darauf hin, dass Bestrebungen im Gange
seien, „die Ereignisse vom November 1923 zu wiederholen.
Hitler spricht bereits wieder in München und in unserem
schönen Werdenfelser Land greift die Bewegung, ausgehend
von Murnau und Oberau, immer stärker um sich... Es
dürfte dem Bezirksamt Garmisch nicht unbekannt sein,
dass die antisemitische Hetze dieser Kreise es mit sich
brachte, dass in allen deutschen und außerdeutschen
jüdischen Blättern vor einem Besuch in Bayern gewarnt
wurde, es ist auch damit erreicht worden, dass das
jüdische Publikum sich vollkommen zurückgezogen hat.“ Er
warnte vor antisemitischen und nationalsozialistischen
Anhängern „am hiesigen Bezirksamt.“[22]
Heinrich Himmler wollte das nicht so sehen. Bei einer NS-Versammlung in
Wallgau „forderte er die Versammelten zum Kampf gegen
das Judentum auf.“[23]
Von Merz unterstützt die Olympiabewerbung von Garmisch und Partenkirchen
Zwar waren die Märkte Garmisch und Partenkirchen seit 1931 als mögliche
Austragungsorte von Olympischen Winterspielen in
Deutschland in Aussicht genommen – das wäre für den
Fremdenverkehr sicher ein großer Gewinn geworden. Aber
zunächst musste man sicherstellen, dass die beiden
kleinen Orte überhaupt den Zuschlag erhalten.
Schließlich gab es starke Konkurrenz in Deutschland mit
Feldberg im Schwarzwald, Schierke im Harz, Oberhof in
Thüringen, Schreiberhau und Krummhübel in
Niederschlesien.
Das war der Grund, warum sich von Merz überall dort einsetzte, wo er
Unterstützung für die Bewerbung in seinem Bezirk finden
konnte. Im November 1932 erhoffte er sich Beistand bei
Staatsrat Fritz Schäffer, dem Leiter des Bayerischen Staatsministeriums der
Finanzen. Er schrieb ihm: „Für die Gemeinden Garmisch
und Partenkirchen bedeutet die Übertragung der
olympischen Winterspiele natürlich etwas ganz
Besonderes…Deshalb wenden sich die beiden Gemeinden
durch dieses Schreiben an Euer Hochwohlgeboren mit der
Bitte, sobald als möglich Ihren Einfluss bei der
Staatsregierung im Sinne der vorstehenden Ausführungen
geltend zu machen. Es geht um eine bayerische Sache.“[24]
Und von Merz war erfolgreich: Mit Schäffers Hilfe und
weiteren guten Kontakten konnte er erreichen, dass
Garmisch und Partenkirchen trotz starker innerdeutscher
Rivalität die Olympischen Winterspiele 1936 zugesprochen
bekamen.
Eduard Hamm (1879-1944)
Weitere gute Kontakte konnte von Merz vor allem mit Hilfe seines
Schwagers Eduard Hamm herstellen. Der Jurist und
Politiker Hamm war Mitglied der liberalen Deutschen
Demokratischen Partei. Er war verheiratet mit Maria von
Merz, der Schwester des Carl von Merz. Hamm hatte seinen
Schwager in vielen Fragen der Olympiabewerbung 1936 für
Garmisch-Partenkirchen unterstützt, Kontakte geknüpft
und erfolgreich verhandelt mit Vertretern aus der
deutschen Wirtschaft, zu denen er über seine Ämter als
Bayerischer Wirtschaftsminister (1919-1922), später
Reichswirtschaftsminister (19259), ferner als geschäftsführendes
Präsidialmitglied des Deutschen Industrie- und
Handelskammertages und Mitglied des Vorläufigen
Reichswirtschaftsrates Zugang hatte. Als Herausgeber der
Deutschen Wirtschaftszeitung kritisierte er wiederholt
das Wirtschaftsprogramm der NSDAP. Nach der
Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Hamm 1933
in den Ruhestand versetzt. Trotz seines Rückzuges aus
der Politik pflegte er frühere Kontakte, vor allem zur
Widerstandsbewegung um Carl Friedrich Goerdeler. Der
Widerstandkreis sah ihn für den Fall eines Umsturzes als
Landesverweser für Bayern vor. Nach dem Attentat vom 20.
Juli 1944 wurde Hamm am 2. September in der Aktion
„Gitter“ von der Gestapo verhaftet und in das Berliner
Gefängnis Lehrter Straße verbracht. Am 23. September
1944 nahm sich Hamm in Berlin nach Misshandlungen bei
einem Gestapo-Verhör durch einen Sturz aus dem Fenster
das Leben.
„Höhere Mächte sind hier im Spiel, gegen die sich aufzulehnen sinnlos
wäre.“ Sein Schwager Eduard Hamm hatte die Auflehnung
zusammen mit anderen gewagt – sie endete mit Folter und
Tod.
„Große Reibungen“ in Garmisch
In seinem Bezirk und im Bezirksamt war von Merz schon bald umzingelt von
Nazis. Seine Aufgabe war schon deshalb nicht leicht,
weil Garmisch zu seinen besten Kurgästen seit je
besonders viele Juden zählte: „Zu mehreren dieser
Familien unterhielten meine Frau u. ich enge, gute
Beziehungen, die öfter auch zu Einladungen in unser Haus
führten.“
Sein Verhältnis zu den Nazis vor Ort war von „großen Reibungen“
gekennzeichnet. Sie missachteten immer wieder seine
Anordnungen: „Meine wackere Gendarmerie u.
Polizeibeamten hatten viel Schweres darum mitzumachen.“
Ein Beispiel, mit dem sich der Bezirksamtmann den
besonderen Hass der Nazis zuzog: Er ließ das von der
Reichsregierung im April 1932 verfügte Verbot von SA und
SS auch in seinem Bezirk durchsetzen. Von Merz blieb
nicht verborgen, dass „minderwertige Elemente unter den
Ortsgruppen der NSDAP“ auftraten.
Zum Eintritt in die NSDAP wurde er „trotz meiner betont anti-hitlerischen
Einstellung“ schon vor 1933 dreimal aufgefordert, auch
durch den NS-Kreisleiter. Aus „Abscheu vor der
Kampfesweise der Partei“ lehnte er jedoch stets ab. Auch
deshalb begegneten ihm die örtlichen Parteiführer mit
„kaltem, überlegenem Lächeln.“ Vielleicht wussten sie
auch, dass von Merz in seinen Berichten an München „auf
die großen drohenden Gefahren durch die Nazis“
hingewiesen hatte. Die Hissung der Hakenkreuzfahne in
Garmisch 1933 war gegen seinen Willen erfolgt.
Dass er 1933 dem „Stahlhelm“ in Garmisch, „sehr mit Offizieren u.
Adeligen durchsetzt,“ beigetreten ist, war eher ein
grotesker Irrtum. Er glaubte den „Stahlhelm“ „in offener
Opposition zur Hitlerpartei.“ Und rechtfertigte sich
später damit, „dass dann alles anders lief, konnte ich
damals noch nicht ahnen.“ Der „Stahlhelm“ wurde in die
SA übernommen. Von Merz schien es „unmöglich, sich zu
drücken.“
Schließlich wurde er – Ende April 1933 - mit einem „Fußtritt, weil ich
der Partei nicht genehm war,“ an die Regierung
Regensburg versetzt.
Georg Schütte – Reichstagswahl 5. März 1933
Mit einer schneidenden Anklage gegen die Politik der NSDAP schloss die
Garmisch-Partenkirchner SPD ihren Wahlkampf für die
Reichstagswahl am 5. März ab: Sie verglich Hitler mit
Stalin, griff die Unterdrückung und Knebelung der Presse
an und warnte vor der kommenden Gewaltherrschaft der
Nationalsozialisten.
Die erbosten Hitler-Anhänger reagierten schnell und verleumderisch. Kurz
vor der Wahl erschien im Werdenfelser Anzeiger ein
Leserbrief der NSDAP-Ortsgruppe Garmisch-Partenkirchen
mit heftigen Angriffen auf SPD-Mitglied Georg Schütte,
den 2. Bürgermeister von Partenkirchen und
Vorstandsvorsitzenden der Allgemeinen Ortskrankenkasse
Garmisch. Darin wurde das Bezirksamt aufgerufen, die
Hitler-Regierung gegen die Angriffe der
Garmisch-Partenkirchner Sozialdemokraten in Schutz zu
nehmen und gegen Schütte ein Disziplinarverfahren zu
eröffnen.
Schütte konterte sofort und widerlegte die in heuchlerische Fragen
gekleideten Vorwürfe. Zwei Sätze am Schluss seiner
Erklärung zeigten den Mut dieses Mannes am Vorabend der
endgültigen Eroberung der Macht durch die NSDAP: „Wer in
dieser Sache etwas anderes behauptet, den erkläre ich
hier öffentlich als gemeinen und niederträchtigen
Verleumder." Und dann setzte er noch eins drauf mit der
Prophezeiung „Wenn je der Fragesteller durch das
Vertrauen seiner Mitbürger in die gleichen Ehrenämter
gelangen sollte wie ich und er mit der gleichen
Offenheit alle öffentlich gestellten Fragen beantworten
könnte, dann wird es gut gestellt sein um das „Dritte
Reich". Ich fürchte aber, dass in diesem Reich
„öffentliche Anfragen" nicht mehr erlaubt sein werden."
Das war eine Herausforderung der Nazis.
Am 24. März 1933 hatte Schütte dem Bezirksamt von seinem erzwungenen
Rücktritt als 2. Bürgermeister Mitteilung gemacht. Am
27. März antwortete Bezirksamtmann von Merz mit einem
sehr persönlich gehaltenen Brief:
„Sehr geehrter Herr Schütte! Noch bevor ich meinen Vorsatz, Ihnen
anlässlich der letzten Ereignisse besonders zu
schreiben, in die Tat umsetzen konnte, erreicht mich
heute Morgen Ihre Mitteilung vom 24.ds.Mts. Wie schwer
Ihnen alles das gefallen sein muss, was sich in den
letzten 3 Wochen ereignete, kann ich wohl ermessen.
Höhere Mächte sind hier im
Spiel, gegen die sich aufzulehnen sinnlos wäre. Mich
aber drängt es in diesem Augenblick, von Ihnen nach der
Seite Ihrer amtlichen Wirksamkeit Abschied zu nehmen und
Ihnen die Versicherung zu übermitteln, dass ich in der
Reihe von Jahren, in der Sie Kraft Ihres Amtes oder
Ihrer Ämter mit mir in nähere dienstliche Berührung
kamen, niemals Anlass zu irgend einer ungünstigen
Meinung über Ihr Verhalten gehabt habe; im Gegenteil -
nach meiner festen Überzeugung - war Ihr Tun und Lassen
stets bestimmt von der Rücksicht auf das große Ganze,
auf das Gemeinwohl, auf das Interesse von ganz
Partenkirchen. Wenn der Gemeinderat, wie ich weiß, den
nun einmal notwendig gewordenen Rücktritt von Ihrem
Posten aufrichtig bedauert, so darf ich auch das gleiche
behaupten für das Bezirksamt und für die Mitglieder des
Bezirkstags. Keiner wird unter Ihnen sein, der an der
Lauterkeit Ihrer Absichten zweifeln möchte. Und so freut
mich auch ganz besonders die schöne Form, in der Ihr
Abschied von der Gemeinde und von der Öffentlichkeit
sichtbaren Ausdruck gefunden hat. Ich glaube, die Würde
dieses Abganges hat viel Versöhnendes. Und so steht auch
nichts im Wege, dass unsere persönlichen Beziehungen in
Zukunft die alten bleiben. Mit besten Grüssen Ihr
ergebener v. Merz, Oberregierungsrat.“[25]
Sand im Getriebe
Offenen Widerstand konnte und wollte von Merz nicht leisten. Mit den
Möglichkeiten seines Amtes hat er jedoch geholfen oder
gebremst oder verhindert, wo er eine Gelegenheit sah.
Etwa als die NSDAP begann, bei Kontrollen von Hotels, Gasthöfen und
Pensionen in Partenkirchen nach „zweifelhaften Personen“
zu suchen, da lehnte sein Bezirksamt den Versuch des
Herrn von Hagen, „Sektionsleiter der NSDAP in
Partenkirchen“, ab, zur Durchführung dieser Kontrollen
Hilfspolizisten der SA einzusetzen.[26]
Als Baron August von Fink wegen angeblicher Devisenvergehen in Schutzhaft
genommen werden sollte, stellte sich von Merz quer. Weil
er den Verdacht hatte, dass „auch persönliche Dinge bei
der Aktion eine Rolle spielen“, in die auch der Münchner
NS-Funktionär Christian Weber verwickelt war. „Überhaupt
habe sich bei den Suchungen dieser Woche die Tätigkeit
der Gendarmerie nach den gemachten Wahrnehmungen mehr
auf passive Assistenz als auf Leitung erstreckt.“[27]
Als die Gemeinderäte Maier und Roith in Oberau vom Verbleib im
Gemeinderat ausgeschlossen werden sollten, warnte von
Merz vor „Störungen der öffentlichen Ordnung… Wegen
Vorkehrung der geeigneten weiteren Maßnahmen ersuche ich
um Rücksprache.“
Auch zur Verdrängung des Garmischer Gemeinderats und Altbürgermeisters
Kaspar Ostler nahm von Merz Stellung. Er forderte
NS-Bürgermeister Thomma auf, zu den Auslassungen Ostlers
Stellung zu beziehen und zwang ihn zu einer Begründung.
Durch „seine Ausschaltung von den Arbeiten in der
Gemeinde seien für ihn Verhältnisse geschaffen, unter
denen ihm die Fortführung der Ämter unmöglich geworden
sei“. Auch zu dem Vorwurf Ostlers, er „sei bewusst und
gewollt von der Mitarbeit in der Gemeinde ausgeschlossen
worden,“ sollte Thomma Stellung nehmen: „Warum ist die
Zuteilung eines Referats oder mehrerer Referate an den
Gemeinderat Ostler unterblieben?“[28]
Da die neue Regierung in Berlin den 1. Mai als „Tag der nationalen
Arbeit“ zum Feiertag erklärt hatte, musste er – und es
mag ihm nicht leicht gefallen sein - alle Mitarbeiter im
Hause um Teilnahme ersuchen: „Die Herren Beamten und
Beamtinnen des Amtes werden ersucht, sich an den
Veranstaltungen des 1. Mai in Garmisch-Partenkirchen zu
beteiligen (Umzug, Sportplatz Gudiberg usw.). Die
bezirksamtlichen Teilnehmer werden hinter der Gruppe der
NSBO eingeordnet.“[29]
Unter dem Deckmantel eines Verbots marxistischer Organisationen, wozu die
Nazis auch den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund[30]
zählten, wurden im April 1933 auch Einrichtungen wie das
Erholungsheim der Reichseisenbahner in Hammersbach
enteignet. Auf Antrag des NS-Kreisleiters Hartmann wurde
das Heim vollständig geschlossen. Von Merz stellte dem
Heim dagegen ein gutes Zeugnis aus. Es sei „in den
letzten vier Jahren erworben und erheblich ausgebaut,“
es besitze eine Vollkonzession, dürfe „also auch Gäste,
die nicht Gewerkschaftsmitglieder sind, dauernd oder
vorübergehend aufnehmen und verpflegen. Der Betrieb gab
an und für sich früher zu keinen Klagen Anlass.“
Das waren alles keine Aktionen aktiven Widerstands, aber doch immer
wieder kleine Vorstöße gegen die Allmacht der NSDAP:
„Mit dem heutigen verlasse ich schweren Herzens und ohne mein Zutun, aber
voll Dank für das mir in reichstem Maße von der
Gesamtbevölkerung entgegengebrachte Vertrauen… den
hiesigen Posten. Merz, Bezirksamtmann“[31]
Warum von Merz aus Garmisch gehen musste
Eine von der NSDAP geplante Schlageter-Feier und Grenzlandkundgebung mit
Hitler erhielt vom Bezirksamt Garmisch mit dem Hinweis
keine Genehmigung, „dass diese Versammlung mit Hitler –
Hitler hat hier noch nie gesprochen – eine gewaltige
Anzahl von Menschen in Garmisch-Partenkirchen auf einmal
vereinigen würde.“
Es ist gut möglich, dass diese Verweigerung von
Merz zum Verhängnis wurde.
Wie die Nazis von Merz einkreisten, zeigte sich 1933: Aufgabe von
SA-Sonderkommissaren war es, die NS-Herrschaft auf
kommunaler Ebene einzurichten und zu sichern. Auf ihr
Konto ging die Gleichschaltung von Menschen und
Institutionen. Hans Hartmann war bereit, diese Rolle im
Bezirk Garmisch-Partenkirchen zu spielen. Bisher hatte
die NSDAP ihre örtliche Geschäftsstelle in Verbindung
mit Hartmanns Laden im Bunten Haus. Als
SA-Sonderbeauftragter richtete er sich jetzt
demonstrativ im Gebäude des Bezirksamtes Garmisch ein –
in unmittelbarer Nähe der Amtsräume von Bezirksamtmann
Carl von Merz. Das Signal Hartmanns hieß: Parteimacht
kontrolliert Staatsmacht. Die NSDAP etablierte sich.
Kriegsopferversorgung in Regensburg
In Regensburg bei der Regierung der Oberpfalz war von Merz für die
Kriegsopferversorgung zuständig und davon überzeugt davon,
dass er „Anerkennung besonders bei den Armen, den
Kriegsbeschädigten, den Kriegsblinden u.
Kriegs-Hirnverletzten“ gefunden habe.
Wegen neuerlicher Kritik an der NS-Politik kam es auch in Regensburg zur
Dienstenthebung. Von Merz wurde jetzt zur
Bezirksregierung Schwaben nach Augsburg versetzt
Von Merz hatte schon am Anfang der zwanziger Jahre Sorgen wegen der
„Überflutung Deutschlands durch zahlreiche unerwünschte
Bevölkerungsteile aus dem Osten (namentlich Juden).“ Er
sah in der Rassenfrage, wie sie von den
Nationalsozialisten gestellt wurde, seine Wehrlosigkeit
gegen einen „entsetzlichen Rassenwahn“.
Eine persönliche Auseinandersetzung mit Hitler hatte ihm beispielhaft die
Gefahr gezeigt, die von der NSDAP ausging. Hitler nutzte
die Rede- und Pressefreiheit zu Angriffen „auf das
gesamte Judentum der Welt“. Er brachte Plakate mit der
Aufschrift „Juden an den Galgen“ in die Öffentlichkeit.
Diese Plakate führten in München zur Auseinandersetzung
mit Hitler – von Merz verlangte die Beseitigung des
Satzes, Pöhner ließ den Satz aber zu. Von Merz lehnte
„diese Art des Rassenkampfes, diese Behandlung der eine
Weltmacht darstellenden Juden“ ab.
In seinem Brief von 1945 nahm er dazu ausdrückliche Stellung: „Es wäre
gelogen, wenn ich nicht zugeben wollte, dass mir viel
nicht gefiel, dass ich die Überwucherung alles
wirtschaftlichen Lebens im Volk durch die Juden nicht
bedauerte, dass ich - gerade als einer, der in Nürnberg
aufwuchs - als ein Unheil ansah. Ich war für eine
Zurückdrängung des jü. Einflusses in vieler Beziehung -
aber auf ganz anderen Wegen als dies Hitler-Streicher
taten! Ich hatte zu viel Gutes von und an Juden gesehen
u. hatte zu viele gute, nahe persönl. Freunde unter
ihnen. Einer meiner besten Freunde war der überaus
kluge, freilich sehr hässliche Dr. Richard Kohn, der in
Berlin ein Semester lang mein Zimmerkamerad war. Andere
Namen unter vielen Dutzenden: Forchheimer, Schnebel,
Hopf, Berlin, die überaus vornehmen Brüder Hamburger.
Ich denke an so viele große Männer der Wissenschaft, an
mir bekannt gewordene und befreundete Juristen, Ärzte,
Künstler, in der Wirtschaft (Ballin! Rathenau!
Mendelssohn usf.), die Deutschlands Weltstellung
mitbegründen halfen, denen der Kaiser seinen Schutz
gewährte u. sein Wohlwollen. Ich denke an viele beste
Freunde meines Schwagers Hamm, die ich seit 26 Jahren
durch ihn kennen u. schätzen gelernt u. die vielleicht
heute noch nicht wissen, dass mein Schwager als
Gefangener der Gestapo am 23.9.44 seinen Tod fand. Noch
viel mehr könnte ich über meine Stellung gegenüber dem
Judentum - dessen Schattenseiten mir freilich auch
bekannt sind - sagen, aber ich will es bei dem Gesagten
belassen. Aus allem mögt Ihr ersehen, wie demokratisch
ich stets eingestellt war. Übrigens wagte ich es 1936,
mich nach dem Schicksal meines alten Freundes Dr. Rich.
Kohn, Nürnberg, bei der Gestapo Nürnb. schriftlich zu
erkundigen, bekam aber mein Schreiben sofort zurück:
„Antwort wird nicht erteilt“.
„Gefangener der Partei“ - nach 1933
Die mehrfachen Aufforderungen zum Eintritt in die NSDAP, die von ihm
schon 1935 und früher „als Beamter in Bausch und Bogen
gefordert“ worden waren, empfand er als großen Zwang,
der ihm „größte und schwerste Konflikte“ bereitete.
Auf der einen Seite sah er „allerhand gutes im Programm der Partei …
Volksgesundheit, Mütter u. Kinder, Winterhilfswerk“,
auch Gleichschaltung und „Ordnung der kirchlichen
Verhältnisse“ konnte er akzeptieren. Andererseits war
das größte Hindernis für ihn seine Beobachtung, dass
sich unter Hitler alles zu „Terror, Kampf gegen die
Religionen, Entfremdung der Kinder vom Elternhaus“
wendete. Er sah sich als „Gefangener der Partei“ und war
voll bitterer Entschlusslosigkeit.
Der „Psychopath“ und NS-Ideologe Julius Streicher war ihm schon in
Nürnberg ein „Brechmittel“. Die Konzentrationslager sah
er als „Schmach“, die aber „nie bekannt geworden“ sei,
man habe „gemunkelt“, musste „wehrlos zusehen, war
„machtlos gegenüber der SS.“ Bei den antijüdischen
Pogromen in Regensburg empfand er „Entsetzen“, fühlte
sich aber ebenfalls machtlos. Hilfe war nur von der
Wehrmacht zu erwarten, jedoch seine „Hoffnung auf die
Generale blieb unerfüllt.“
Dazu kam jetzt auch noch, dass der Protestant von Merz, weil er der
evangelischen Bekenntniskirche nahestand, „keinen
Anspruch mehr auf dienstliches Vorrücken“ haben sollte,
also von weiterer Beförderungen im Amt ausgeschlossen
wurde. Trotzdem weigerte er sich standhaft,
„gottgläubig“ zu werden und seine Konfession zu
verraten.
Seit 1936 gab es Überlegungen, vor allem von seiner Frau, in die USA, in
die Heimat von Catherine
auszuwandern. Man unterließ es in der Hoffnung,
Hitler werde „den Frieden bewahren“, Deutschland „groß
machen“ und den Schulterschluss mit England suchen.
Gegen die Emigration entschied er sich auch aus Angst, vermögenslos zu
werden, anderen Menschen zur Last zu fallen, die Familie
nicht ernähren zu können. 1936, beim ersten Besuch in
den USA, war er noch nicht bereit dazu. Der Gedanke
reifte aber heran bis in den Juli 1939. Er blieb aber
aus Angst vor dem Vorwurf der „Fahnenflucht“ nicht in
den USA, sondern kehrte am 2. August 1939 nach
Deutschland zurück. Frau und Kinder blieben in Texas.
Über die unschönen Dinge wie KZ-Lager, scheußliche, ungerechte Behandlung
der Juden und Kirchen sagte er selbstkritisch,
„versuchte ich mich einige Zeit hinwegzutäuschen“ - der
englischen Redewendung folgend „Recht oder Unrecht -
mein Vaterland!“ Dennoch übte er kaum überhörbare Kritik
„an der Art der Einverleibung von Österreich,
Sudetenland, Tschechoslowakei u. über den Überfall auf
Polen“. Diese Kritik und die Tatsache, dass seine Frau
Amerikanerin war, führte im September 1939 sogar zur
vorübergehenden Enthebung vom Dienst. Trotzdem blieb er
kritisch, missbilligte „die Art u. Weise der
Kriegsführung“ und wollte das Vorgehen mancher
Truppenführer nicht gutheißen. Im Oktober 1939 wollte er
aus der NSDAP austreten, aber sein „Gesuch um Austritt
oder Ausschluss aus der Partei“, in die er mehr oder
weniger unter Druck 1935 eingetreten war, wurde
abschlägig beschieden.
Von Merz blieb ein „Wanderer zwischen zwei Welten“, der sich über die
Siege der Wehrmacht „nur mit halbem Herzen“ freuen
konnte und die Bilder seiner Söhne in GI-Uniform
bedrückten. Zu heftigen seelischen Konflikten führte ihn die
Kriegserklärung Hitlers im Dezember 1941 an die USA.
Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich erheblich.
Diesem Zustand folgte eine „unendliche innere
Zerrissenheit.“
Unerträglich wurde die Sehnsucht nach seiner
Familie.
Im September 1944 wurde er auch noch hineingezogen in die Affäre um
seinen Schwager Dr. Eduard Hamm, dem Beteiligung am 20.
Juli 1944 vorgehalten wurde. Hamm wurde von Reit im
Winkel nach Berlin gebracht und dort in Haft genommen.
Für von Merz wäre er einer der Männer gewesen, „die nach
einer Niederlage in Deutschland beim Wiederaufbau eine
bedeutende Rolle hätten spielen können.“ Die Sorge,
„ebenfalls von der Gestapo geholt zu werden, quälte in
monatelang.“ Er litt darunter, dass monatelang nicht
bekannt geworden war, „warum mein Schwager sich
verantworten musste.“ Ein Trost: er sei „im Herzen
Demokrat geblieben.“ Das Dilemma zwischen Abneigung
gegen die NSDAP und dem „Zwang, doch mitmachen zu
müssen“ ließ ihn nicht frei.
Im Juli und August 1939 reiste er zum zweiten Mal in die Heimat seiner
Frau nach Austin/Texas, kehrte aber am 2. August 1939
zurück nach Deutschland - ohne Frau und Kinder. Ende
August 1939 teilte ihm seine Frau telegrafisch mit, dass
sie mit den Kindern in den USA bleiben werde. 1943
erfolgte sein „vollständiger gesundheitlicher
Zusammenbruch“. Von Merz wurde in den Ruhestand
versetzt.
Oberstdorf
Nach Kriegsbeginn wurde er von der Sorge um die Lage seiner Familie in
den USA gequält, seine „Einsamkeit u. Verlassenheit“
erfüllte ihn immer stärker. Weil er unter „schweren
Augen- und Schwindelzuständen“ litt, wurde er in das
Sanatorium Stillachhaus von Dr. Saathoff bei Oberstdorf
gebracht, in eine Privatklinik für Psychosomatische
Medizin und Psychotherapie. Daran schloss sich ein
längerer Aufenthalt an in Hirschegg Kleinwalsertal bei
Oberstdorf mit langer klinischer Behandlung durch Prof.
Dr. Stepp. Sein Fazit: „Gesund bin ich nicht geworden.“
Er fühlte sich jetzt als Gefangener des Kleinen
Walsertals. Der Versuch, über die Schweiz mit seiner
Familie in den USA Kontakt aufzunehmen, misslang. Ob
seine Briefe je in die USA gelangt waren, blieb
unsicher.
Erst die vollständige Niederlage Deutschlands führte zum Wiedersehen mit
seiner Familie.
Carl und Catherine von Merz 1960 in Austin/Texas
Nach 1945 - zwischen Selbstvorwürfen und Selbstentlastung
Den Zusammenbruch des Nazi-Reiches und der Wehrmacht hatte er „befürchtet
u. herbeigesehnt“. Für sich konstruierte er Entlastung.
Er sei ohne
seinen Willen „in den Bannkreis der Entwicklung, durch
unselige Verstricktheit in das politische Geschehe
geraten“ und habe „furchtbare Kämpfe seelischer u.
dienstlicher Art“ auszustehen gehabt. Der unselige
Rassenwahn habe die „Hauptschuld an dem über Deutschland
gekommenen Unglück getragen.“ Von Merz war erfüllt von
einem „Gefühl der Beschämung über die Entehrung u.
Schändung des guten Namens der Deutschen durch die
Hitler-Schandtaten.“ Wie weiter? „Nun muss das ganze
deutsche Volk, dessen große Mehrheit doch nicht hinter
Hitler stand, unter den schrecklichen Folgen leiden.“
Zum Schluss seines Briefes eine dunkle Ahnung: „Ich sehe
furchtbar schwarz für mich. Vielleicht beerdigt oder
verscharrt man mich bald hier, bald in Oberstdorf,
vielleicht in einem Konzentrations- oder
Gefangenenlager, denn ich zähle ja noch als
‚Parteigenosse`.“
Zu seiner Selbstverteidigung gehörte auch der Gedanke, er sei ja „ein
Vaterlandsfreund zu allen Zeiten gewesen, war ein guter
Deutscher, wie etwa mein Schwager, wie Thomas Mann, wie
tausend andere Aufrechte, die Deutschland verlassen
haben, weil sie weniger gebunden waren und weil sie in
einem entehrten Deutschland, was es durch das
Nazi-Regime geworden war, nicht leben konnten.“ Sogar
noch ein „hätte-Hitler“ muss herhalten: „Und was hätte
Hitler, hätte er nicht diesem Rassenwahn gehuldigt,
hätte er sich nicht durch die von ihm geduldete
Grausamkeit so vieler Gefolgsleute, insbes. der SS, so
schwere Schuld aufgeladen, hätte er von Außenpolitik
mehr verstanden, hätte er die persönliche Freiheit nicht
unterdrückt, auf innersozialem Gebiet für sein Volk
werden u. leisten können!“
Bittere Schlussfolgerung: „Aus allem mögt Ihr
ersehen, wie demokratisch ich stets eingestellt war.“
„Es war eine Beichte, die ich vor Euch, meine Söhne, ablegte. Ihr sollt
wissen, mit wie schwerem seelischem Gepäck ich all diese
Jahre, seit der Trennung von Euch, seit 1933, seit 1919
belastet war.“ Er blieb „unglücklicher Vater und Gatte.“
Der Brief, den ich Franziska Spindler, der Großnichte
von Carl von Merz, verdanke, wurde 1945 von Carl von
Merz unter dem Eindruck geschrieben, dass es kaum
Hoffnung gebe, Frau und Kinder noch einmal zu sehen -
zunächst Ende April 1945 begonnen, dann abgebrochen, weiter am 4.
Mai 1945, weiter am 8. Juni 1945…
Dank schulde ich Franziska Spindler auch für die privaten Bilder auf dieser Seite.
[1]
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Frick -
09.05.2018
[2]
SZ 09.11 2012
[3]
https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Pöhner -
15.05.2018
[4]
https://de.wikipedia.org/wiki/Bayerische_Landespolizei_(1920-1935)
[5]
Stengel hatte sich einen
Namen gemacht als
verständiger Förderer
der neuen Realschule
Garmisch.
[7]
Garmisch-Partenkirchner
Tagblatt am 18. Februar
1927
[8]
http://www.golfclub-werdenfels.de/s/platz/platzgeschichte/
[9]
Werdenfelser Anzeiger
12.2.1931
[10]
Alois Schwarzmüller, Die
Landtags- und
Reichstagswahlen von
1900 bis 1933 im
Wahlkreis Weilheim unter
besonderer
Berücksichtigung des
Bezirksamtes Garmisch
(München, 1971) S. 89
[11]
Staatsarchiv München -
LRA 56/853 Nr. 4533
06.07.1931
[12]
Staatsarchiv München -
LRA 114/1658, 8.1.1932
[13]
Ammergauer Zeitung,
2.3.1929
[14]
Werdenfelser
Anzeiger, 16.1.1930
[15]
Werdenfelser Anzeiger,
16.1.1930
[16]
Werdenfelser Anzeiger,
14.10.1930
[17]
Staatsarchiv München -
LRA
Garmisch-Partenkirchen
114/1657, 29.11.1931 /
NSDAP-Versammlung in
Mittenwald
[18]
Staatsarchiv München -
LRA
Garmisch-Partenkirchen
115/1660, 30.01.1932 /
Schreiben der
NS-Ortsgruppe Mittenwald
an das Bezirksamt
Garmisch
[19]
Staatsarchiv München -
LRA
Garmisch-Partenkirchen
115/1661, 24.02.1932 /
NSDAP-Versammlung in
Garmisch
[20]
Staatsarchiv München -
LRA
Garmisch-Partenkirchen
115/1660, 12.03.1932 /
NSDAP-Versammlung in
Garmisch
[21]
Staatsarchiv München -
LRA
Garmisch-Partenkirchen
114/1658, 12.02.1933 /
NSDAP-Versammlung in
Mittenwald
[22]
Marktarchiv GaPa
14.05.1929 / Verein für
das Gastgewerbe an das
Bezirksamt Garmisch
[23]
Staatsarchiv München -
LRA
Garmisch-Partenkirchen
56/853, 23.02.1930 /
NSDAP-Versammlung in
Wallgau
[24]
Staatsarchiv München -
LRA
Garmisch-Partenkirchen
61935, 15.11.1932
[25]
Staatsarchiv München -
LRA 198951
Garmisch-Partenkirchen –
Verbot marxistischer
Organisationen 1933 /
Sitzungsbuch
Partenkirchen 1931-1934
[26]
Staatsarchiv München -
LRA 198951
Garmisch-Partenkirchen –
Verbot marxistischer
Organisationen 1933 -
27.03.1933
[29]
Marktarchiv Garmisch I/3/23,
28.04.1933
[30]
Der Allgemeine Deutsche
Gewerkschaftsbund (ADGB)
war von Juli 1919 bis
Mai 1933 der Dachverband
der Freien
Gewerkschaften in
Deutschland
[31]
Staatsarchiv München -
LRA
Garmisch-Partenkirchen
61611 – Monatsberichte
BAG 1933 / 31.05.1933
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