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Werdenfels-Gymnasium Garmisch-Partenkirchen - 1950-2003 - Entwicklung und Bewährung |
2002/03 - 937 Schüler – Reinhard Bothschafter, Otto Baumann, Bettina Betz, Thomas Kaufmann, Matthias Menzel, Dominik Meyer, Nataly Müller, Martin Neumann, Christine Riesenhuber, Barbara Schmid Aber das Gebäude brach auch im 90. Jahr seines Bestehens nicht zusammen. Viele neue Stützpfeiler und tragende Elemente wurden eingezogen. Zum Beginn des neuen Schuljahres wurde Studiendirektor Reinhard Bothschafter vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus zum neuen Schulleiter bestellt. Der 52-jährige Mathematiker und Physiker, geboren in Landshut, kam vom Gymnasium Penzberg, an dem er bis zu seinem neuen Auftrag als Ständiger Stellvertreter des Schulleiters gewirkt hatte. Am ersten Schultag waren alle Schülerinnen und Schüler und das ganze Kollegium zur Begrüßung des „Neuen“ in der Dreifachturnhalle versammelt. Oberstudienrat Gebhard Zinßer hieß ihn in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Personalrates willkommen, die Big Band begrüßte ihn musikalisch. Mit Reinhard Bothschafter begannen weitere 14 junge Lehrerinnen und Lehrer ihren Dienst am Werdenfels-Gymnasium. Das Werdenfels-Gymnasium konnte in diesem Schuljahr seinen neunzigsten Geburtstag begehen. Der Weg von der „Privaten Realschule mit Latein Garmisch-Partenkirchen“ zum „Werdenfels-Gymnasium“ als „Naturwissenschaftlich-technologisches und Sprachliches Gymnasium“ führte Schüler, Lehrer und Eltern im Laufe des unruhigen 20. Jahrhunderts über viele Wege – ein Ende des Weges ist auch jetzt, am Beginn eines neuen Zeitabschnitts, nicht zu sehen. Ein Ende der Entwicklung gehört aber auch gar nicht zum Programm und zum Selbstverständnis einer guten Schule. Sie orientiert sich immer wieder aufs Neue an der Welt, in der alle an den „Schul-Aufgaben“ Beteiligten leben, sie ermüdet dabei nicht. Im Gegenteil, sie hilft den Kindern unermüdlich dabei, die immer neue Welt zu erkennen, sie zu begreifen und zu gestalten und verantwortlich in ihr zu leben. Aus diesen Gedanken heraus war der Arbeitskreis Schulentwicklung entstanden. Eine Gruppe engagierter – älterer und jüngerer - Lehrerinnen und Lehrer um Oberstudienrat Gebhard Zinßer wollte mit dieser „Ideenwerkstatt“ dazu beitragen, dass nach der deutlich spürbaren Verjüngung des Kollegiums und dem rasanten Wachstum der Schülerzahlen neue Sichtweisen des schulischen Lebens auf einer realistischen Ebene diskutiert werden konnten. Die Ergebnisse wurden auf dem pädagogischen Tag, der inzwischen jährlich einmal für das gesamte Kollegium stattfand, vorgestellt und diskutiert – die Neugestaltung der letzten Schultage, die Einführung eines Ordnungsdienstes im Schulhaus, eine neue Pausenregelung waren die ersten Angebote aus dem Arbeitskreis. Und auch sonst gab es viel Neues: Die Homepage des Werdenfels-Gymnasiums erschien unter www.werdenfels-gymnasium.de mit einem neuen Gesicht – unter dem Motto „Schüler präsentieren ihre Schule“. Das aktuelle Schulleben spiegelte sich auf der „Werdenfels“-Seite, die Schüler fanden sich in der Präsentation ihrer Schule wieder. Studienrätin Karin Bues und Studienrat Philipp Rieger betreuten die „literarische“ und die „html“-Komponente der neuen bedienungsfreundlichen Homepage. Betreut von Studienrätin Kerstin Gürtler nahmen „boys and girls“ der 7. Klassen an einer Veranstaltung von Caritas und Condrops teil. Im Mittelpunkt stand dabei die Suchtprävention. Über den Umgang mit dem Körper sollten die Kinder nachdenken, eigene Rollenbilder als Mädchen oder Junge finden und ihre Rollenvorurteile erkennen und abbauen - „anfänglich begleitet von verhaltenem Gelächter und Irritation“.[1] Irritationen gab es zunächst auch bei „Zammgrauft – Ein Projekt gegen Gewalt und für Zivilcourage“. Die beiden Polizisten Markus Deindl und Rainer Franke von der Polizeiinspektion Garmisch-Partenkirchen entsprachen so gar nicht dem Bild der 8-Klässler von der strengen Polizei. Man durfte die beiden sogar duzen! Eingeladen hatte sie Oberstudienrätin Barbara Rauch, Beratungslehrerin des Werdenfels-Gymnasiums, mit dem Ziel, auf spielerische Weise Selbstbewusstsein und Zivilcourage der 14-Jährigen in Gefahrensituationen zu trainieren. Neue Wege beschritt auch die Fachschaft Deutsch mit einem Premierenprojekt: Studienrätin Stefanie Regus und Studienreferendarin Melanie Schmidt überraschten ihre 5a mit einer „Lesenacht“ in einer der größten Schulbibliotheken Bayerns – in der Bibliothek des Werdenfels-Gymnasiums. „Hilfe, die Herdmanns kommen!!!“ stand auf dem Lektüreplan und dann gab’s noch Gruselgeschichten. In den Genuss eines etwas anderen Deutschunterrichts kamen noch weitere Klassen: Die Münchner Schriftstellerin Sabine Thomas las im Pavillon aus ihrem Jugendroman „Yaizas Insel“ und faszinierte die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer mit ihren Geschichten vom Erwachsenwerden, von Träumen und Geheimnissen. Ein ganz neues Unterrichtsfach kündigte sich an: Natur und Technik. Vorerst nur als Wahlkurs angeboten, ab kommendem Schuljahr für die Fünften verpflichtend. Ein ministerieller Wolpertinger – „fächerübergreifend, praxisorientiert, alltagsnah und schülerzentriert“ wurde es angekündigt.[2] Vernetztes Denken – hier zwischen Biologie, Physik und Geographie – und Erfahrungen in der Teamarbeit sollten die Wege in die Naturwissenschaften erleichtern. Auch die Historiker verließen alte Bahnen. Die Fachschaft griff – zusammen mit den Fachlehrern für Musik und Kunst - die Anregung des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog auf und gestaltete den 27. Januar in Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 als Holocaustgedenktag. Im Zentrum stand eine Lesung aus dem Dokumentarstück „Die Ermittlung“ von Peter Weiß. Im Juni erinnerte ein Zeitzeuge aus der ehemaligen DDR vor den Schülerinnen und Schülern der 12. Jahrgangsstufe an die Ereignisse des 17. Juni 1953. Und ganz am Ende des Schuljahres luden die drei 11. Klassen zu ihrer Ausstellung „1803 – Die Säkularisation oder das Ende der Grafschaft Werdenfels“ in die Aula ein. Der Erlanger Professor Wolfgang Wüst, Spezialist für Bayerische Regionalgeschichte und „Werdenfels“-Abiturient 1972, referierte dabei zum Thema „Kronenwechsel 1803 – Politisch-kultureller Umbruch vor 200 Jahren.“ Die Klasse 10a war schließlich ganz stolz darauf, dass sie im Rahmen des Sozialkundeunterrichts an einem Projekttag der Akademie für politische Bildung in Tutzing zum Thema „Nahostkonflikt“ teilnehmen durfte. Flüchtlings- und Asylbewerberschicksale konnten verschiedene Klassen des WG bei einer Aktion der Caritas Garmisch-Partenkirchen im Schulhof hautnah erleben: Der Fachdienst Migration und Integration hatte in einem Ausstellungs-LKW die Stationen eines Flüchtlingsschicksals realitätsnahe nachempfunden. Im Juni 2003 wurde erstmals eine Delegation des Werdenfels-Gymnasiums vom Marshall-Center Garmisch-Partenkirchen eingeladen. Der Deutsche Stellvertretende Direktor des Instituts, Generalmajor a.D. Winfried Dunkel, stellte diese einmalige internationale Bildungseinrichtung vor. Oberstudiendirektor Reinhard Bothschafter schlug vor, mit den personellen und institutionellen Möglichkeiten beider Einrichtungen eine gewinnbringenden Zusammenarbeit zwischen dem Marshall-Center und dem Werdenfels-Gymnasium zu ermöglichen. Lehrgangsteilnehmer und Referenten des Instituts könnten zur Bereicherung des Unterrichts in Geschichte und Sozialkunde, in Religion und Ethik beitragen. Aktuelle Szenarien der Sicherheitspolitik könnten der Schule dabei helfen, einen Blick über den Tellerrand der Lehrpläne zu werfen. Schülerinnen und Schüler des Werdenfels-Gymnasiums könnten Kontakte knüpfen zu Menschen und Ländern, die bisher meist außerhalb ihres Erfahrungsradius liegen. Aus dieser ersten Begegnung entwickelte sich seither eine gut funktionierende und ertragreiche Partnerschaft. Vier Wochen vor dem Beginn des Irak-Krieges versammelten sich Schüler und Lehrer zu einer Friedensandacht in der Aula, um mit Gebeten und Fürbitten den Blick darauf zu richten, dass Hass und Tod nicht das letzte Wort in dieser Welt sein können. Zu einem „Plädoyer für den Frieden“ wurde dann auch das Frühlingskonzert Anfang April. Neben den „instrumentalen Glanzlichtern“[3] der Geschwister Damaris, Joel und Jonathan Gräupner war der große Chor mit Melchior Francks „Da pacem domine“ zu hören, der Madrigalchor intonierte „Make love, not war“. Dass Grenzen – politische und geografische – überwindbar sind, das demonstrierte im zehnten Jahr seines Bestehens das „Nitra-Projekt“ von Oberstudienrat Dr. Ludwig Rothmayr. Die Partnerschaft zwischen dem Gymnazium Parovska ulica in der slowakischen Stadt Nitra und dem Werdenfels-Gymnasium war lebendig wie eh und je, das Verständnis für einander war gewachsen. Zu den gegenseitigen einwöchigen Klassenbesuchen trat jetzt immer häufiger ein längerfristiger Aufenthalt einzelner Schülerinnen und Schüler in einer Gastfamilie. Beim großen „Europa“-Schulfest des Werdenfels-Gymnasiums am Ende des Schuljahres mit 34 „Events“ hatte die Slowakei jedenfalls ihren festen Platz: „Mit Volkstänzen und selbst gemachtem traditionellem Gebäck brachten die Gastschüler den Gymnasiasten ihr Land ein Stück näher.“[4]
Ein bisschen Abschied nahm
wieder einmal Oberstudienrat Gebhard Zinßer – diesmal freilich „nur“ vom
Theater. Von 1984 bis 2002 hatte er mehr als zwanzig Stücke für die
Schulbühne ausgewählt, selbst geschrieben oder umgeschrieben, übersetzt und
inszeniert. Mit dem Stück „Der junge Engländer“ trat er mit seiner
Theatertruppe zum letzten Mal ins Rampenlicht der Werdenfels-Aula. Die
„Nachwuchsregisseure“ Stefanie Regus und Stefan Bues bewiesen gleich bei
ihrem ersten Auftritt mit dem „Feuerzangenbolero“ Gespür für schäumende
Texte und witzige Einfälle. „Schrittfolgen“ nannte Studienrätin Nada Stankovic, Mitglied der Münchner Künstlergruppe „Caduta Sassi“, ihre Videoinstallation in der Christuskirche der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Garmisch. „Schrittfolgen“ – das könnte auch im neunzigsten Schuljahr des Werdenfels-Gymnasiums über all dem stehen, was so vielfältig innerhalb des Unterrichts und auch außerhalb der festen Rituale geschah und geschieht. Viele kleine Schritte wurden gewagt, zum Teil auf ganz neuen Wegen, in unerforschtes Gelände. Damit kommt das Werdenfels-Gymnasium auch am Beginn des 21. Jahrhunderts mitten im Leben an, dort, wo Schule ihren Platz hat. Die Schule „an den Tag heranführen“, den Kindern die Welt öffnen, das wird die schönste und vornehmste Aufgabe unseres Werdenfels-Gymnasiums bleiben.
[1] Jahresbericht 2002/2003 S. 143 [2] Jahresbericht 2002/2003 S. 155 [3] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 15.04.2003 [4] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 29.07.2003
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