Werdenfels-Gymnasium Garmisch-Partenkirchen - 1933-1945 - Schule in der Diktatur

 

 


1933/34 - 180 Schüler

 

Raabes Novellen, Mörikes Gedichte und Schwabs „Schönste Sagen des klassi­schen Altertums“ verschwanden im neuen Schuljahr aus dem Literaturkanon des Deutschun­terrichts. An ihre Stelle trat das „Epos“ von Walter Regel „Deut­sche Jugend, Dein Füh­rer!“ – es stand von der 1. bis zur 5. Klasse auf dem Lektüreplan. Die 6. Klasse beschäf­tigte sich mit der Reclam-Ausgabe von Czech-Jochbergs biographischer Hymne „Wie Adolf Hitler der Führer wurde.“ Anschließend mussten die Schüler einen Hausaufsatz zum Thema „Adolf Hitler, der erfolgreiche Führer der deutschen Freiheitsbewegung“ verfassen.[1]

Auch der Geschichtsunterricht musste „neu geordnet“ werden. Im Nazi-Jargon hieß das „Die Behandlung der jüngsten Geschichte Deutschlands, des Welt­krie­ges, des Nie­derganges und der nationalen Erhebung soll in den 3 unteren Klas­sen während der deutschen Stunden erfolgen, in Klas­sen 4-6 vorwiegend in den Geschichtsstunden.“[2]

Blitzartig besetzte die NS-Politik die Köpfe der Kinder. Die Lehrpläne wurden erst später umgestaltet. In der Freizeit außerhalb der Schule wurden die Schüler für die neue Staatsjugend der HJ-Verbände gewonnen. Die Schulleitung klagte zwar über die „starke außerschulische Inanspruchnahme der Jugend“, konnte sich aber den „Forde­rungen der neuen Zeit“[3] nicht entziehen.

Und die waren in einzelnen Fächern sehr spürbar. Im Geschichtsunterricht war die „Entwicklung der neuen Bewegung“ und der „heldenhafte Einsatz ihrer Vor­kämpfer“ zu rühmen, im Deutschen wurden – wie schon angedeutet – Lektüren und Auf­satzthemen „auf völkische und vaterländische Gesinnung“[4] überprüft. Die Biologie wurde zum NS-Kernfach ausgebaut: „Rassenkunde, Erblichkeits­lehre und Eugenik“ standen im Mittel­punkt. Selbst der Unterricht in Kurzschrift wählte „vorwiegend Lese­stoffe aus vaterländi­schen Schriften.“[5]

Die Schüler- und die Lehrerbücherei wurden „gesäubert“ und „hauptsächlich mit Wer­ken bereichert, die die neue Zeit, ihre Vorgeschichte, ihre Helden und das Ideengut des nationalsozialistischen Staates“[6] zum Inhalt hatten. Hitlers ge­scheiter­ter Münchner Putsch am 9. November 1923 wurde zur Keimzelle eines neuen Mythos. Jahr für Jahr verkündeten Lehrer der Realschule Garmisch-Parten­kir­chen „in bewegten, zündenden Worten den unvergänglichen Ruhm und den hel­denmütigen Einsatz dieser Kämpfer für deut­sche Ehre und Freiheit“[7]. Und ihre jugendlichen Zuhörer mussten sich das bis 1945 mehr oder weniger wehr­los anhören.

Neue Medien spielten in diesem Zusammenhang auch an der kleinen Garmisch-Parten­kirchner Realschule mit Progymnasium eine wichtige Rolle. Nach dem Rundfunk wurde der Film „in den Dienst der vaterländischen Erziehung und Auf­klä­rung[8]“ gestellt. Das erste Werk, mit dem die Schüler beeindruckt wurden, war Leni Riefenstahls Propagan­dafilm „Sieg des Glaubens“, in dem Hitlers Nürn­berger NS-Parteitag in vielen Se­quenzen verführerischer Bilder gezeigt wurde.

Am Ende des Schuljahres konnte berichtet werden, dass auch an der Realschule die im öffentlichen Leben des Bezirksamtes Garmisch bereits vollzogene Gleichschal­tung des politischen und gesellschaftlichen Lebens stattgefun­den hatte: „Der Wer­bung der nationalen Jugendverbände (Hitlerjugend, Jung­volk, Bund deutscher Mädchen, Schul­gruppe des Volksbundes für das Deutsch­tum im Ausland) folgte die überwältigende Mehrheit der Anstaltsschüler.“[9] Nicht immer freiwillig. Ein Mit­glied des Lehrerkollegiums wurde zum Verbindungsmann zwischen Schule und Hit­ler-Jugend ernannt.

Zwei Disziplinarfälle  führten für den Schulleiter zu einer nicht ganz ungefährli­chen Zu­spitzung. Dem Schüler Hermann Grosse, 6. Klasse, wurde von der Leh­rerkonferenz der Vorwurf gemacht, dass er an einem Führerkurs der HJ ohne ordnungsgemäße Schulbe­suchsbe­freiung teilgenommen hatte. Der Vater des Schülers ging seinerseits sofort zum Angriff über und beschuldigte Studiendi­rektor Höllerer, Sozialdemokrat zu sein. „Der Vorsitzende erklärte ihm,“ so laut Protokoll der Lehrerratssitzung vom 22. Mai 1933, „er solle einen ein­zigen Schüler herbeibringen, der behaupten könnte, dass er in seiner Amtsführung nach marxistischen Grundsätzen gehan­delt hätte.“[10]

Der Schüler Hermann Grosse war – zusammen mit HJ-Gebietsführer Klein - auch am Versuch beteiligt, durch einen von der HJ inszenierten Schulstreik die politischen Verhältnisse an der Realschule Garmisch-Partenkirchen zugunsten der NS-Bewegung zu verändern. Bei seiner Vernehmung erging sich Klein „sodann in Vorwürfen gegen den Lehrkörper unserer Anstalt, der durch seine Zu­sammen­setzung keine Gewähr für die Durchsetzung der Ziele der neuen Zeit biete, ins­besondere als noch Geistliche mitzube­stimmen hätten, die ‚alle Dreck am Ste­cken’ hätten.“ Höllerer wies „mehrfach auf den Rechtsstandpunkt hin, wonach z.B. die Geistlichen von der Teilnahme an der Lehrer­ratssitzung nicht ausge­schlossen werden können.“ Klein erklärte, „wir lebten in der Re­volution, die ihre eigenen Gesetze habe, und wenn wir uns an die alten Be­stimmungen hielten, so passten wir nicht mehr in die jetzige Zeit.“

Den besonderen Zorn der örtlichen NSDAP und ihrer HJ-Helfer Rathaus Garmisch - Sitz der NS-Kreisleitung - 1935hatte sich Hölle­rer da­durch zugezogen, dass er sich gegenüber dem beim Bezirksamt Garmisch tätigen NS-Sonderkommissar Hartmann geweigert hatte, diesem ei­nen Bericht über die Be­schlüsse der Lehrerratssitzung vom 24. Februar 1933 ohne Genehmigung des vorge­setzten Staatsmini­steri­ums auszuhändigen.[11]

Im Jahresbericht stellte die Schulleitung fest, dass die Beteiligung der Schüler an den „nationalen Jugendverbänden“ (Jungvolk, Hitlerjugend, Bund deut­scher Mädchen) recht groß war und in einigen Klassen fast die gesamte Schü­lerzahl umfasste. „Verschie­dene Missstände wie Überlastung der Schüler durch zu viele Appelle, nächtli­ches Streunen usw. wurden abgestellt,“ heißt es im Jah­resbericht 1933/34.

Aber nicht nur viele Schüler hatten sich dem neuen politischen Zeitgeist ergeben, auch im Lehrerkollegium wurde die NS-Flagge gezeigt. „Vier Herren sind Mit­glied der NSDAP, der SA gehören ebenfalls vier an,“ berichtete der Schulleiter an das Ministe­rium.

Neben der unerfreulichen politischen Entwicklung blieb kaum noch Zeit für die Behand­lung eines viel dringenderen Problems – die Raumnot der Schule. „Ein An- oder Erwei­terungsbau ist schon längst zur unabweisba­ren Notwendigkeit geworden, doch dürfte vom Bezirk Garmisch in dieser Beziehung kaum etwas zu erreichen sein, bis nicht das Staatsmini­sterium endlich einmal ein Machtwort spricht.“ Unüberhörbar ist die Resigna­tion in diesen Schlussworten des Jahres­berichts 1933/34.


[1] Jahresbericht 1933/34 S.14f

[2] Niederschrift der Lehrerratssitzung am 03.05.1933

[3] Jahresbericht 1933/34 S.17

[4] Jahresbericht 1933/34 S.18

[5] Jahresbericht 1933/34 S.18

[6] Jahresbericht 1933/34 S.18

[7] Jahresbericht 1933/34 S.19

[8] Jahresbericht 1933/34 S.21

[9] Jahresbericht 1933/34 S.23

[10] Niederschrift der Lehrerratssitzung vom 22. 05.1933

[11] Niederschrift der Lehrerratssitzung am 03.03.1934


 

 

 

 

© Alois Schwarzmüller 2006