Die Kreisleiter der NSDAP in Garmisch-Partenkirchen
 – „Politische Frontoffiziere der Bewegung“

 

 

 

 

 

Jakob Scheck: „Lassen wir das, was zurückliegt“!

 

Bürgermeisterwahl 1959 – Kreisleiter und SA-Brigadeführer a.D. Scheck kandidiert

Georg Schütte (SPD), kommissarischer Nachkriegsbürgermeister 1945, von 1946 bis 1948 2. Bür­germeister, von 1948 bis 1952 und von 1956 bis zu seinem überraschenden Tod im Januar 1959 1. Bürgermeister, war das Gesicht des demokratischen Aufbruchs nach dem Ende von Diktatur und Weltkrieg, „ein Mann, der Maßstäbe setzte.“[1]

Für seine Nachfolge auf dem Bürgermeisterstuhl meldeten vier Kandidaten ihren Anspruch an: Bank­direktor i.R. August Vogel für die CSU, Rechtsanwalt Dr. Horst Fischer kandidierte für die SPD, die „Garmisch-Partenkirchner Wählervereinigung“ benannte 2. Bürgermeister Luis Maderspacher und eine „Parteilose Wählergruppe Garmisch-Partenkirchen“ präsentierte den Kaufmann Jakob Scheck.

Schecks Kandidatur wirbelte viel Staub auf. Die demokratischen Parteien, von Schecks „Führern“ bis 1945 verboten, aufgelöst, verfolgt, erklärten in einer ersten Stellungnahme, dass diese Kandidatur „das Ansehen des Ortes in der ganzen Welt aufs schwerste beeinträchtigen würde“; man befürchtete „schwerwiegende Nachteile für den Olympiaort“.[2] Aufsehen erregte, dass NOK-Präsident Ritter von Halt, seit 1954 in Garmisch-Partenkirchen, und der Partenkirchner Pfarrer Karl Lorenzer Scheck an­geblich unterstützen wollten.[3]

Der „braune Kandidat“ meldete sich mit einer „Erklärung in eigener Sache“ zu Wort. Darin nahm er für sich in Anspruch, dass er einen „sehr wesentlichen Anteil“ zum Gelingen der Olympischen Spiele 1936 und für den „Ruhm“ des Ortes beigetragen habe. Ohne sein Wirken wäre Garmisch-Partenkir­chen niemals „führender Wintersportplatz“ geworden.[4]

Die Sozialdemokraten antworteten unter der Überschrift „Statt in ‚eigener‘ – in Sache der Allgemein­heit.“ Die Spiele seien tatsächlich „großartig“ gewesen, schrieben Philipp Schumpp und David Frisch­mann, aber nur deshalb, weil großartige sportliche Wettbewerbe zu sehen gewesen seien. Für Bür­germeister und Ort sei es eine Blamage gewesen, dass Plakate wie „Juden unerwünscht“ oder „Juden und Hunden ist der Zutritt verboten“ abwechslungsweise auf- und abgehängt wurden. „Für den Mas­senmörder Hitler“ seien die Olympischen Spiele ein Propagandacoup gewesen. Nur deshalb habe Scheck die Sportstätten mit unbegrenzten Mitteln des Reiches bauen können. Er habe allerdings „ver­gessen, Schulhäuser und Krankenhäuser zu bauen.“ Das habe man nach 1945 nachholen müssen. Vergessen habe er auch, dass in seiner Amtszeit die Garmisch-Partenkirchner „Kristallnacht“ statt­fand, dass verzweifelte Menschen den Tod suchten, dass man Juden für 10 Pfennige anspucken konnte. Sie empfahlen Scheck, mit „Einsicht und Bescheidenheit“ auf eine weitere Rolle im öffentli­chen Leben zu verzichten.[5]

Auch August Vogel relativierte Schecks Beitrag zu den Olympischen Spielen. Bezirksamtmann von Merz, die Bürgermeister Ostler und Döllgast und Kurdirektor Bletschacher hätten lange vor der Macht­ergreifung der Nationalsozialisten die Bewerbung auf den Weg gebracht: „Der Nationalsozialismus hatte also lediglich das Erbe dieser erfolgreichen Vorarbeiten anzutreten.“ Vogel war überzeugt, dass man es weder in Deutschland noch im Ausland verstehen werde, „wenn der seinerzeitige Bürger­meister aus der Nazizeit heute wieder auf diese Stelle berufen wird.“ Man werde noch lange nicht vergessen können, „welche Folgen die nationalsozialistische Herrschaft in der ganzen Welt hinterlas­sen hat.“[6]

Dr. Horst Fischer machte den Anhängern Schecks den Vorwurf, dass sie noch immer nicht „den Un­terschied zwischen einem von Machthabern eingesetzten Bürgermeister und dem von den Bürgern gewählten Vorsitzenden eines Gemeinderats“ begreifen wollten. Zudem seien die größten kom­muna­len Leistungen erst nach 1945 vollbracht worden, „als hier noch 70 Prozent aller Straßen nur Kies- und Schotterwege waren“.[7] Auch Alois Maderspacher, 2. Bürgermeister, lenkte den Blick auf die Erfolge in der Gemeindepolitik seit 1945 und auf die „Auswirkungen der Jahre 1933 bis 1945.“[8]

Carl Krätz und Hans Maurer von der „Garmisch-Partenkirchner Wählervereinigung“ distanzierten sich in der Weise von Scheck, dass sie allen Gerüchten entgegentraten, Vorstandschaft und Interessen­gemeinschaft stünden hinter der Kandidatur Schecks.[9]

Karl Hartenstein, Textilkaufmann und Mitglied des Kreistags Garmisch-Partenkirchen, nannte es „un­verantwortlich, dass sich der Bürgermeister aus der Nazizeit, der Goldene-Parteiabzeichen-Träger und SA-Standartenführer Scheck unter die Kandidaten dieser Bürgermeisterwahl gedrängt hat.“ Seine Kandidatur werde nichts anderes heraufbeschwören als Streit und Unfrieden. Schecks Anhänger­schaft verstehe es ja, „nach bewährter Manier Zwietracht und Unruhe in die Bevölkerung zu tragen.“[10]

Paul Koch, langjähriger Garmisch-Partenkirchner Betreuer der aus politischen, rassischen und religiö­sen Gründen Verfolgten des Nazi-Regimes, appellierte an Scheck, er „möge die Geister nicht be­schwören und an jene denken, die den Mann, den Bruder, die Schwester, den Ernährer verloren ha­ben, die in den Konzentrationslagern verelendeten oder ihr Leben ließen.“ Seine Berufung zum Bür­germeister wäre „ein Schlag ins Gesicht ordentlicher, rechtlicher Demokraten.“[11]

„Man muss sich sehr deutlich erinnern“ – diesem Gedanken war auch der Leserbrief verpflichtet, mit dem Helmut Pfanzelt, Jahrgang 1929, zur Kandidatur von Jakob Scheck Stellung nahm:

„14 Jahre nach Beendigung des ‚gigantischen‘ grauenhaften letzten Krieges sind die Wunden nicht vernarbt. Ein Heer von Krüppeln in allen Landen fristet ein freudloses Dasein. Doch nicht genug damit! Anhänger eines Systems, welches die Völker in den Tod gehetzt, beginnen sich wieder zu regen! Schreibt da Herr Jakob Scheck ‚in eigener Sache‘, wie viel ihm unser Ort doch zu verdanken habe: die olympischen Spiele 1936, die Sportanlagen, all dies hätt` uns der Herr beschert. Und von den anderen Dingen, jenen bösen (von denen ‚man‘ gar nicht gerne mehr spricht), da hat er sicher nichts gewusst?! – ‚Ich habe die Autobahnen gebaut!‘ hat einer einst gesagt, nachdem er eine Schaufel Dreck beiseite warf. Der Vergleich genügt! – Herr Jakob Scheck, Sie waren doch Bürgermeister in Garmisch-Parten­kirchen, als in jener ‚Kristallnacht‘ anständige Leute durch ihre Treppenhäuser herabgeworfen, im Triumph zum Nazi-Haus geführt, dort zur Schau gestellt und mit blutigem Hohn überschüttet wurden? Wollen Sie glauben machen, Sie hätten von KZs, Gaskammern, Massenvernichtungen nichts ge­wusst? Trotz dieser Dinge waren und blieben Sie verdienter NS-Funktionär! – Herr Jakob Scheck, ob Sie nun bewusst schuldig waren oder ob Sie die Dinge infolge ideologischer Verstrickungen anders sahen (man mag auch die zweite Lesart gelten lassen!), Ihre Chance hätte darin bestanden, in Zu­rückgezogenheit einen Teil des Unrechts wieder gutzumachen. Nun aber, da Sie so weit gehen, sich in aller Öffentlichkeit wiederum als den für unseren Ort prädestinierten 1. Bürgermeister anzupreisen, muss man Sie sehr deutlich erinnern: Denken Sie an die 50 Millionen Opfer in allen Ländern, mit de­nen die Menschheit der braunen Springflut ihren Tribut zollen musste!“[12]

Der Bürgermeisterwahlkampf 1959 wurde weitgehend von der Diskussion über Schecks Rolle zur Zeit des Nationalsozialismus bestimmt. Gerüchtemacher unterstellten Schecks Gegnern, sie wollten die Heimatvertriebenen wieder aus Garmisch-Partenkirchen verbannen.[13] Kein Wunder, dass die Kandida­tur eines ehemaligen SA-Brigadeführers, NS-Kreisleiters und Trägers des Goldenen Parteiab­zeichens auch die Aufmerksamkeit der DDR-Medien fand.[14] Der SED-Diktatur kam Schecks Auftritt wie gerufen; für das nationale und internationale Ansehen der Marktgemeinde Garmisch-Partenkir­chen war der „braune Kandidat“ kein Aushängeschild.

Vor dem Wahlsonntag am 8. März 1959 veröffentlichten die drei Bürgermeisterkandidaten Maderspa­cher, Vogel und Fischer noch eine „Gemeinsame Erklärung“. Darin hieß es: „Eine böswillige Minder­heit hat Verleumdung, Hohn und Feindschaft in unseren Wahlkampf getragen. Arbeit, Ansehen und der gute Wille anständiger Bürgerinnen und Bürger von Garmisch-Partenkirchen wurden niederträch­tig in den Schmutz gezerrt. Die Bürgermeisterwahl am 8. März ist die Bewährungsstunde der Demo­kratie!“[15]

Das Wahlergebnis[16] brachte keine echte Bewährungsprobe, sondern ein unerfreuliches Resultat: Von den 12291 abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung 74,42%) entfielen 4295 auf August Vogel, 3402 auf Alois Maderspacher, 2938 auf Jakob Scheck und 1482 auf Dr. Horst Fischer. Damit war Scheck unerwartet knapp am Einzug in die Stichwahl gescheitert. Das Ergebnis zeigte, dass es in Gar­misch-Partenkirchen ein recht ansehnliches Potential an Wählerinnen und Wählern gab, die sich mit dem ehemaligen NS-Bürgermeister und seiner engen Verbindung zum Nationalsozialismus identifizie­ren konnten.

24,2 Prozent für den Bürgermeisterkandidaten Jakob Scheck – dieses Ergebnis verstand er nicht als Aufforderung zum Rückzug aus dem kommunalen Geschehen. Jedenfalls machte er im Jahr darauf noch einmal die Probe auf´s Exempel und kandidierte für den Gemeinderat des Marktes Garmisch-Partenkirchen.

 


[1] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 20.08.2005 – „Zum 110 Geburtstag des früheren SPD-Bürgermeisters Georg Schütte“

[2] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 14.02.1959 – „Demokratische Parteien einmütig gegen angebliche Scheck-Kandidatur“

[3] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 25.02.1959 – „Gegen einen künstlichen Zwiespalt im Ort“

[4] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 21./22.02.1959 – Leserbrief Scheck „Erklärung in eigener Sache“

[5] alle Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 28.02.1959 – Leserbrief Schumpp/Frischmann „Statt in ‚eigener‘ Sache – in Sache der Allgemeinheit“

[6] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 25.05.1959 – Leserbrief Vogel „In ‚eigener‘ und in offizieller Sicht“

[7] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 02.03.1959 – Bericht „Selbstverwaltung darf nicht verkümmern“

[8] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 04.03.1959 – Leserbrief Maderspacher „Gefährliche, verlogene Propaganda“

[9] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 21./22.02.1959 – Leserbrief Krätz „Klare Fronten in Garmisch und Partenkirchen“

[10] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 00.02.1959 – Leserbrief Hartenstein „Unverantwortlich Unfriede gestiftet…“

[11] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 05.03.1959 – Leserbrief Koch „Geister der Vergangenheit werden beschworen“

[12] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 28.02.1959 – Leserbrief Pfanzelt „Man muss sehr deutlich erinnern“

[13] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 09.03.1959 – „Bewährungsstunde der Demokratie“

[14] ebd.

[15] ebd.

[16] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 10.03.1959 – „So wählten die Garmisch-Partenkirchner den Bürgermeister“

 

 

© Alois Schwarzmüller 2012