April 1945 - Die Todesmärsche nach Mittenwald

 

 

 

 

 

Andreas Heldrich - "Zeuge eines grauenhaften Geschehens"

… Nur die bitteren Erinnerungen: Es ist auffällig, dass es auch von den Todesmär­schen kaum Bilder gibt. Dabei war es ja nicht so, dass die Häftlinge bei Nacht und Nebel durch die Dörfer gezogen wä­ren. „Wir waren sichtbar", sagt Weiner. „Diese Stolpergestalten, Zombies am hel­lichten Tag - sichtbarer geht es gar nicht." Mit den gespenstischen Kolon­nen, die sich durchs Land schleppten, mit den Erschossenen, Verhungerten, Er­schlagenen, wurde den Deutschen zum ersten Mal vor Augen geführt, was jahre­lang sorgsam in den Lagern verborgen ge­halten worden war .Vielleicht gibt es gera­de deshalb keine Fotos von den Zügen: Schon im Moment des Sichtbarwerdens sollte der Holocaust verdrängt werden.

Andreas Heldrich, der ehemalige Rek­tor der Münchner LMU, berichtete, als er für seine Verdienste um die Bewahrung der Erinnerung an die NS-Verbrechen ge­ehrt wurde: „Anfang Mai '45 stand ich in einer Schlange vor einer Mittenwalder Bäckerei, in der es Brot geben sollte. Plötzlich erblickten wir einen Elendszug von ausgemergelten Gestalten in gestreiften Anzügen mit Holzpantinen. Sogar in meiner kindlichen Ahnungslosigkeit wurde mir bewusst, dass wir Zeugen ei­nes grauenhaften Geschehens wurden." Heldrich betont ausdrücklich, dass die­ser Anblick für ihn, obwohl er damals im Volksschulalter war, eine Art Initialzündüng für sein späteres gesellschaftspolitisches Engagement werden sollte.

Aus: "Du sollst dir kein Bildnis machen - Ein Auschwitz-Überlebender und die toten Helden von Ergoldsbach" von Alex Rühle - Süddeutsche Zeitung 09.10.2004
 

 

© Alois Schwarzmüller 2006