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"Im Großen und Ganzen willig und brauchbar"[1] |
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Manchmal verwundert, nicht selten stolz wurde in vielen Gesprächen nach den Schrecken des Krieges, nach dem Untergang der nationalsozialistischen Diktatur davon gehandelt, dass die deutsche Rüstungsindustrie bis in die Mitte des Kriegsjahres 1944 höchste Produktionsziffern erzielt hatte, dass bis dahin die stärksten Panzer und die schnellsten Jagdflugzeuge von den Bändern gerollt waren, dass auf „Wunderwaffen“ gehofft wurde - „Heimatfront“ und „leistungsfähige“ Soldaten[2] Hand in Hand. Meist folgte noch der Satz „Gehungert haben wir erst, als die Amis da waren. Bei Hitler gab es immer genügend zu essen.“ Von denen, die für diese „Wunder“ mit ihrer Jugend, ihrer Arbeitskraft, ihrer Gesundheit, oft mit ihrem Leben zu bezahlen hatten, vom grauen Heer der Gefangenen, der KZ-Sklaven, der millionenfach zur Arbeit Gezwungenen war dagegen kaum die Rede – obwohl sie, auch in Garmisch-Partenkirchen, kaum zu übersehen sein konnten. In Hitlers Reich schufteten im Herbst 1944 über 5,7 Millionen ausländische Arbeiter, 1,9 Millionen Kriegsgefangene und 400.000 KZ-Häftlinge - in der Rüstungsindustrie an jedem dritten Arbeitsplatz, in der Landwirtschaft stellten sie sogar die Hälfte aller Arbeitskräfte. Aus Osteuropa kamen 2 Millionen Russen, 1,7 Millionen Polen, 280.000 Tschechen, aus West- und Südeuropa 1,3 Millionen Franzosen, 590.000 Italiener, 270.000 Holländer und 250.000 Belgier.[3] Mehr als die Hälfte waren Frauen, viele noch keine 20 Jahre alt. Die zugewiesene Arbeit reichte von Hilfstätigkeiten über Schwerstarbeit bis zur gewollten „Vernichtung durch Arbeit“.[4]
Acht von etwa 900 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in Garmisch-Partenkirchen
( alle Bilder: Staatsarchiv München LRA 63235-37)
Kriegsgefangene, „Ostarbeiter“ und „Zivilarbeiter“ in Garmisch-Partenkirchen Der Markt Garmisch-Partenkirchen und der Landkreis waren von Anfang an dabei. Polnische und französische Kriegsgefangene kamen schon im ersten Kriegsjahr auf vielen Bauernhöfen zum Einsatz. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941 wurden mehr und mehr sowjetische Kriegsgefangene und „Ostarbeiter“ als Zwangsarbeiter oder „Zivilarbeiter“ im Markt Garmisch-Partenkirchen eingesetzt. Im März 1944 erstellte das Landratsamt Garmisch-Partenkirchen im Auftrag der Gestapo-Leitstelle München eine Übersicht über Lager, Ausländer und Rüstungsbetriebe in den 16 Gemeinden des Landkreises. Danach lebten und arbeiteten im Landkreis Garmisch-Partenkirchen ca. 200 Kriegsgefangene, 1700 ausländische Arbeitskräfte und 2800 Arbeitskräfte in sogenannten „wehrwichtigen“ Betrieben.[5] Im Kreisort Garmisch-Partenkirchen bestand zu diesem Zeitpunkt ein Lager mit 22 französischen Kriegsgefangenen. 690 ausländische Arbeitskräfte waren in der Landwirtschaft und in Handwerksbetrieben, in Kohlenhandlungen und in Privathaushalten, in Hotels und in Gaststätten tätig. In den zwei „wehrwirtschaftlichen Betrieben“ am Hausberg und im Rohbau des Hallenschwimmbades arbeiteten 142 Frauen und Männer; im Rohbau der Oberschule, im Festsaal, im Kurhaus Garmisch und im Lamm-Saal noch weitere - ihre Zahl ist nicht bekannt.[6]
Übersicht des Landratsamtes Garmisch-Partenkirchen (März 1944)
Quelle: Staatsarchiv München - LRA 199028 – Kriegsgefangene 1940-1945 / 10.03.1944
Landkreis und Markt Garmisch-Partenkirchen waren damit Teil der NS-Politik geworden, die im Laufe des Krieges mit allen Mitteln die Wirtschaftskraft des Deutschen Reiches erhöhen, die Ernährung für die eigene Bevölkerung sichern und die Rüstungsproduktion zu immer neuen Höchstleistungen bringen wollte. Bis in die Mitte des Kriegsjahres 1944 war diese Politik auch erfolgreich – mit Hilfe von mehr als 8 Millionen Menschen, die aus den von der Wehrmacht eroberten Ländern als Kriegsgefangene, als „Ostarbeiter“ und als „Zivilarbeiter“ in das Reichsgebiet gebracht wurden – bis nach Garmisch-Partenkirchen und immer unter irgendeiner Form von Zwang. Aus Frankreich meist anders als aus Russland. Die einen kamen mit Verträgen, andere unter dem Druck einer vorgehaltenen Waffe – aber auch Verträge konnten so etwas wie eine vorgehaltene Waffe sein. Immer wurden sie als Feinde betrachtet und behandelt – Russen, Ukrainer, Polen oder Serben mehr als Franzosen, Holländer oder Belgier. Kriegsgefangene[7] lebten im Lager, „Ostarbeiter“ meist bei ihren Arbeitgebern, Zivilarbeitern wurde der Wohnraum von der Marktgemeinde zugewiesen. Ob sie im Stall aßen oder mit der Familie am Tisch war abhängig von Menschlichkeit und Beherztheit der Arbeitgeber und von deren Nähe zum staatlich verordneten Rassenwahn.
Die weiteren Themen:
Anhang: Alphabetische Liste der 330 Zwangsarbeiter aus Russland, Weißrussland und der Ukraine [1] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 932-Baden, Badeanstalten, Badeplätze - Der Garmisch-Partenkirchner NS-Kreisleiter Heinrich Schiede am 2. Juni 1943 in einer Erklärung zum Verhältnis zwischen Zwangsarbeitern und einheimischer Bevölkerung [2] In der Präambel der Stiftungssatzung für die Stiftung „Deutsche Gebirgstruppe – Soldaten unter dem Edelweiß. Vom Alpenkorps zur Bundeswehr“ (2008) wird die „Leistungsfähigkeit der deutschen Gebirgstruppe“ in Schutz genommen vor dem „Zeitgeist“ und davor, „durch Folgegenerationen verfälscht oder missinterpretiert zu werden.“ – Bei der in Berlin 2010 gezeigten Ausstellung „Mit der Wehrmacht kam das Arbeitsamt“ wurde dagegen der Blick des Besuchers auf den Zusammenhang zwischen diesem Verständnis von militärischer „Leistungsfähigkeit“ und dem Schicksal vieler Zwangsarbeiter gelenkt. [3] Mark Spoerer, Zwangsarbeit unterm Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa (München, 2001) S. 9 Hans Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914-1949 (München, 2003) S. 768 [4] Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden. Band 2 (Frankfurt, 1990) S 994 f [5] StA München - LRA 199028 – Kriegsgefangene 1940-1945 / 10.03.1944 [6] Hochland Bote 12.01.1946 - Bericht der Gemeindeverwaltung über die Ereignisse von Januar bis Ende April 1945: [7] StA München - LRA 199027 - Kriegsgefangene 1940-1941 / 20.05.1940 - Aus der Bekanntmachung des Landrates von Garmisch-Partenkirchen vom 20.05.1940 über den Umgang mit Kriegsgefangenen: „Der Kriegsgefangene ist und bleibt auch in der Gefangenschaft der unerbittliche Feind Deutschlands, der nicht ablässt, dem Deutschen Volk Schaden zuzufügen, wann und wo immer er kann. Daraus ergibt sich für jeden Volksgenossen die unabweisbare Pflicht, sich gegenüber den Kriegsgefangenen völlig ablehnend zu verhalten.“
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