"Im Großen und Ganzen willig und brauchbar"
Zwangsarbeit in Garmisch-Partenkirchen 1940-1945

 

 

 

Arbeits- und Lebensbedingungen ausländischer Zwangsarbeiter in Garmisch-Parten­kirchen

Eine Flut von Vorschriften regelte Leben und Arbeit der ausländischen Arbeitskräfte. Für die polni­schen Zivilarbeiter war das Bayerische Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 7 vom 14. März 1940 maß­geblich. Danach mussten sie „dauernd und jederzeit sichtbar“ ein Kenn­zeichen zu tragen und sich wöchentlich einmal bei der Ortspolizeibe­hörde melden. Den Ort, an den sie zur Arbeit vermittelt waren, durften sie nur mit Genehmigung der Kreis­polizeibehörde verlassen. Auch die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wie Bahn oder Bus bedurfte behördlicher Erlaubnis. Nach 21 Uhr war ihnen der Aufenthalt auf Straßen und Plätzen nur mit polizeilicher Genehmigung erlaubt. Gaststätten durften sie an Sonntagen bis 17 Uhr besuchen, mussten sich aber „von den anderen Gästen getrennt halten.“ Dies galt auch für den Gottesdienstbe­such. Und „im Verkehr mit Deutschen“ mussten sie sich „eines anständigen und ehrerbietigen Ver­haltens befleißigen.“ Die „Herrenmenschen“ wussten, was sie von den „Untermenschen“ erwarten konnten. Damit man die einen von den anderen unterscheiden konnte, musste von den polnischen Arbeitern auf der Kleidung ein Kennzeichen getragen werden „mit einem auf der Spit­ze stehenden Quadrat mit 5 cm langen Seiten“; es zeigte „bei 1/2 cm breiter violetter Umrandung auf gelbem Grunde ein 2 1/2 cm hohes violettes P.“[1]

Ein „Merkblatt für die Arbeitskräfte aus den besetzten altsowjetischen Gebieten“ war knapper gehal­ten. Es untersagte „vorerst“ den Briefwechsel mit der Heimat. „Bei Todesstrafe“ waren sexuelle Bezie­hungen von „Personen deutscher Staatsangehörigkeit und mit anderen ausländischen Zivilarbeitern oder Kriegsgefangenen“ verboten. Für Streik oder Anstiftung zum Streik, für Entfernung vom Arbeits­platz und für die Unterstützung „reichsfeindlicher Bestrebungen“ wurden Konzentrationslager und Todesstrafe angedroht. Exakte Weisung gab es auch für die Kennzeichnung der „altrussischen“ Zivil­arbeiter: Auf der rechten Brustseite der jeweiligen Oberkleidung – „bei Arbeiten ohne Rock auch auf dem Hemd“ – war ein „mit dem betreffenden Kleidungsstück fest verbundenes Kennzeichen“ zu tra­gen. „Das Kennzeichen besteht aus einem hochstehenden Rechteck und zeigt bei blau-weißer Um­randung auf blauem Grunde die Aufschrift „Ost“ in weißer Farbe“. Der letzte Satz des „Merkblattes“ drohte wohlwollend, aber unmissverständlich: „Wer sich disziplinvoll verhält und gute Arbeit leistet, wird anständig behandelt.“[2]

   

 

Oben links: Schnittmuster für die exakte Herstellung des "Ostarbeiter"-Kennzeichens (Stadtarchiv Göttingen)

Oben Mitte: "Ostarbeiter"-Kennzeichen aus Stoff (DHM Berlin)

Oben rechts: "Merkblatt: Für Arbeitskräfte aus den besetzten altsowjetrussischen Gebieten gelten folgende Vorschriften..." (DB-Museum Nürnberg)

Rechts: Wörterbuch für Ostarbeiter (Memorial Moskau)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

So viele Gebote, so viele Verbote in dem fremden Land. So viel Heimweh, soviel Wehmut. Vielleicht auch so viel Enttäuschung über die Behandlung. Sie wurden gebraucht, willkommen waren sie nicht. Sie konnten kaum etwas richtig machen. Kein Wunder, dass es Zusammenstöße mit der Polizei gab – banale und tödliche.

 

„Mit dem Fahrrad spazieren gefahren“

Im März 1941 wandte sich der Garmisch-Partenkirchner Gartenbaubetrieb Ebinger und Klipphahn an die Ortspolizeibehörde mit dieser Bitte: „Der bei uns beschäftigte Pole Ignatz Wtodarczyk wird wäh­rend der Sommermonate auch in der außerhalb Farchant gelegenen Gemüsegärtnerei beschäftigt, die zu unserem Betrieb gehört. Durch den Mangel an Benzin ist es nicht möglich, den Polen an den Ar­beitsplatz zu bringen und abends mit dem Auto zu holen. Wir bitten deshalb um Erteilung einer Ge­nehmigung, dass Wtodarczyk auf dem Weg zum Arbeitsplatz das Fahrrad benutzen darf. Wie wir Wtodarczyk bis jetzt kennen, glauben wir nicht, dass er mit dem Fahrrad Missbrauch treiben wird.“ [3] Nach Anhörung der Schutzpolizei-Dienstabteilung Garmisch-Partenkirchen wurde der Erlaubnisschein zur Benutzung eines Fahrrades von und zur Arbeitsstätte erteilt.

Die Bäckerei Witting, Ludwigstr. 56, erhielt im Juli 1944 für ihre 18 Jahre alte polnische Helferin Lud­milla Skorik die Erlaubnis zur Fahrradbenützung „nur zum Ausfahren von Brot und sonstigen Arbeits­aufträgen. Jede Fahrt zu anderen Zwecken und in der Freizeit ist strengstens verboten.“[4]

Der polnische Zivilarbeiter Wozniak, der bei Schuhmachermeister Xaver Müller, Schnitzschulstr. 20, als Gehilfe tätig war, „wurde zur Anzeige gebracht, weil er ein Fahrrad benützt hat und mit diesem spazieren gefahren ist.“[5]

Im Mai 1942 wurde der polnische Landarbeiter Czestw Swerenski, er war 22 Jahre alt, von der Schutzpolizei festgenommen, weil er „ohne polizeiliche Genehmigung auf dem Fahrrad des Bauern S. den Gemeindebezirk verlassen“ hatte. Akribisch wurde auch das Fehlen der Fahrradglocke im Proto­koll vermerkt. Entscheidend war aber, dass Swerenski „das vorgeschriebene P“ – das Stück Stoff, mit dem polnische Zivilarbeiter sich kenntlich machen mussten – nicht trug. Er wurde zu zwei Tagen Ge­fängnis verurteilt.[6]

 

Bahnfahrt ohne Genehmigung

Reisen von polnischen Zivilarbeitern wurden in seltenen Fällen von der Ortspolizeibehörde Gar­misch-Partenkirchen genehmigt. 1943 durfte z.B. Olga Weliczkow, 20 Jahre, nach Obersöchering fahren, Maria Zinnik, 16 Jahre, nach Innsbruck und Helena Struska, 21 Jahre, nach Weilheim.[7]

Der polnische Arbeiter Josef Rosinski wurde am 04.04.1942 von der Schutzpolizei zur Anzeige ge­bracht, weil er – ohne Genehmigung der örtlich zuständigen Polizeibehörde - von Klais bis Garmisch-Partenkirchen mit dem Zug gefahren war. Die nicht genehmigte Benützung öffentlicher Verkehrsmittel galt für polnische Arbeitskräfte als Verstoß gegen § 3 einer Verordnung der Regierung von Oberbay­ern vom 31.05.1940.[8]

 

Mittagessen im „Rassen“

Der Besuch von Gaststätten musste bei der Ortspolizei beantragt werden. Der polnische Schneider­gehilfe Wladyslau Rycerz, der bei Schneidermeister Josef Simmet jun. in der Landschaftsstraße 4 arbeitete, erhielt zunächst am 5. Februar 1943 die Erlaubnis zur „Einnahme der täglichen Mahlzeiten in der Gaststätte „Werdenfelser Michl“ (Gemeinschaftsküche).“ Die Genehmigung wurde aber schon eine Woche später durch Oberinspektor Haas vom Landratsamt zurückgezogen.[9]

Im Juli 1943 beantragte die Firma Josefa Wittmann, Ludwigstr. 6, für den Schuhmachergehilfen Josef Zielonka, 34, die Erlaubnis, „täglich im Gasthof zum Rassen sein Mittagessen einnehmen zu können.“ Frau Wittmann erklärte, es sei ihr unmöglich, die Verpflegung des Polen mit zu übernehmen „und dass er daher auf Gasthofverpflegung angewiesen sei.“ Die Schutzpolizei-Dienstabteilung Garmisch-Par­tenkirchen lehnte das Gesuch als unzulässig ab mit der Begründung, „wenn die Gesuchstellerin Witt­mann den bei ihr beschäftigten Zielenka nicht selbst verpflegen oder aber in ihrem Haus nicht unter­bringen kann, dann muss sie auch auf dessen Arbeits­kraft verzichten und der Pole in einem anderen Betrieb eingesetzt werden.“[10]

 

„Kenntlich auch ohne Abzeichen“ - Baden und Kahnfahren

Anfang Mai 1943 hielt es Landrat Wiesend für notwendig, die Bürgermeister „mit Badeanstalten an Seen, Flüssen sowie künstlich angelegten Badeanstalten“ daran zu erinnern, dass „Ostarbeitern und Polen, die ohne weiteres erkenntlich sind, auch wenn sie keine Abzeichen tragen, der Zutritt zu Bade­anstalten aller Art, die von Deutschen benützt werden“[11], verboten war. Das Ausleihen von Ruder- und Segelbooten an Polen und „Ostarbeiter“ war verboten. Außerdem wurde „verboten, sich in der Nähe der von Deutschen aufgesuchten Badeplätze“ aufzuhalten. Selbst um „wildes Baden“ kümmerte sich – mitten im Krieg - die Behörde: „Um das wilde Baden der Ostarbeiter und Polen zu verhindern, wollen die Bürgermeister diesen Kreisen anderweitig geeignete Stellen zum Baden anweisen.“[12]

 

Bahnhofsgaststätte - „Almaspitz“ – „Stadt Wien“

Probleme bereitete der NS-Kreisleitung Anfang des Jahres 1944 die Frage, welche Gaststätten den ausländischen Arbeitern in Garmisch-Partenkirchen zugänglich sein sollten. Unter dem Betreff „Eigene Verkehrslokale für fremdvölkische Arbeiter“ erkundigte sich der SD in Garmisch-Partenkirchen bei der DAF-Gauleitung München, ob die Kreisleitung „ein Verkehrslokal für die ausländischen Arbeitskräfte festgelegt“ habe.[13]

Gauhauptstellenleiter Baier war „das Leben und Treiben der ausländischen Arbeitskräfte in Garmisch-Partenkirchen“ ein Dorn im Auge. Er verlangte zur „Lösung der Verkehrslokalfrage …für Ostarbeiter und Polen die sogenannte „Schwemme“ im Bahnhof und für die Tschechen und Westukrainer das Gasthaus „Stadt Wien“ als Verkehrslokal festzulegen.“[14] Den anderen Gasthäusern müsste es verbo­ten werden, Arbeitskräfte aus diesen Ländern zu bedienen.

Außerdem kritisierte er, „dass zahlreiche Ostarbeiter und Polen ohne Abzeichen herumlaufen und die Gaststätten besuchen.“ Die Arbeitgeber sollten durch „eine scharfe polizeiliche Anordnung“ daran erinnert werden, „dass die bei ihnen beschäftigten ausländischen Arbeitskräfte das vorgeschriebene Abzeichen angenäht am Kleidungsstück tragen.“[15]

Der amtierende Garmisch-Partenkirchner NS-Bürgermeister Engelbert Freudling lehnte die „Schwemme“ im Bahnhof als „Verkehrslokal für Polen“ ab, weil diese Gaststätte bei Soldaten sehr beliebt sei und „die Wehrmacht (nicht) zugunsten ausländischer Arbeiter zurücktreten“ dürfe.[16]

Er schlug vor, „für die hier eingesetzten Arbeitskräfte polnischen Volkstums die Gaststätte „Stadt Wien“ in der Wettersteinstraße, für die hier eingesetzten Ostarbeiter den Saal des Gasthofs „Alma­spitz“ in der Sonnenstraße als Verkehrslokale an Sonn- und Feiertagen jeweils für die Zeit von 15 – 19 Uhr zu bestimmen. Anderen Ausländern sowie deutschen Volksangehörigen ist während dieser Zeit der Besuch dieser Lokals untersagt.“[17]

Centa Apfelkamm, die Pächterin des Gasthofes „Stadt Wien“, wollte sich mit dieser Lösung nicht ein­verstanden erklären. Sie argumentierte: „Am Sonntag geht das beste Geschäft und ich benötige auch das Nebenzimmer für meine Gäste. Im Nebenzimmer halten sich meistens Soldaten und Tschechen auf. Wenn ich die Tschechen nun in das Gastlokal verweisen muss, dann gehen mir dort meine bür­gerlichen Gäste weg, da man das Geschrei dieser Tschechen nicht vertragen kann. Auch der Umsatz wird wahrscheinlich sehr zurückgehen, denn die Polen werden nicht viel trinken und verzehren. Ich ersuche daher, mir meine beiden Wirtschaftslokale weiterhin für meinen Wirtschaftsbetrieb belassen zu wollen und die polnischen Arbeitskräfte anderweitig unterzubringen…“[18]

Der Pächter des Gasthofes „Almaspitz“, Peter Strasser, war mit der Verwendung seines Saales als „Verkehrslokal für die Ostarbeiter“ einverstanden, er erlaubte sich jedoch zu bemerken, dass er „den Saal für diese Zwecke nicht noch heizen kann.“[19]

 

„Herumstreunen im Kurpark“

Nicht immer endeten die Verstöße gegen deutsche Vorschriften, Verordnungen und Gesetze zur Re­gelung der Zwangsarbeit so glimpflich. Roland Golanowski, ein Arbeiter polnischer Nationali­tät, wurde im Juli 1942 von der örtlichen Schutzpolizei „an Gestapo München, Briennerstr. 50, Zimmer 45“ wei­tergereicht. Wer wiederholt „den Vorschriften über die Kennzeichnung poln. Volkstums zuwi­dergehan­delt“ und das „P“ auf der rechten Brustseite nicht sichtbar getragen, wer den Arbeitsort ohne Geneh­migung der örtlichen Polizeibehörde verlassen hatte, der musste mit der Gestapo Bekannt­schaft ma­chen. Auch „Herumstreunen im Kurpark“ und unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit konnte ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen.[20]

 

[1] Abbildung mit Beschreibung – Bild Stadtarchiv Gelsenkirchen

[2] Merkblatt - Bild DB Museum Nürnberg

[3] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1142 / 19.03.1941

[4] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1142 / 20.06.1944

[5] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1142 / 15.07.1944

[6] StA München - LRA 199075 Ausländische Arbeitnehmer 1938-1945  / 26.02.1942 Polizeiliche Strafverfügung

[7] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1142

[8] StA München - LRA 199075 Ausländische Arbeitnehmer 1938-1945 / 04.04.1942 Schutzpolizei Ga.-Pa. an Landratsamt Garmisch

[9] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1142 / 12.02.1943

[10] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1142 / 10.07.1943

[11] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 932-Sicherheit und Ordnung in Badeanstalten 1931-1944 - Behandlung ausländischer Arbeitskräfte; hier Verbot des Badens und Kahnfahrens durch Polen und Ostarbeiter / 25.05.1943

[12] dto.

[13] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1647-Fremdenpolizei 1942 bis 1945 / 01.02.1944

[14] dto.

[15] dto.

[16] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1647-Fremdenpolizei 1942 bis 1945 / 16.03.1944

[17] dto.

[18] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1647-Fremdenpolizei 1942 bis 1945 / 29.03.1944

[19] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1647-Fremdenpolizei 1942 bis 1945 / 30.03.1944

[20] dto.

 

© Alois Schwarzmüller 2012