1944 - Der Professor, die Bäuerin und die Nazis: Albrecht Haushofer und Anna Zahler

 

 

 

 

 

  Albrecht Haushofer Albrecht Haushofer im Garten der Villa Ribbentrop (2. von rechts) Rainer Hildebrandt und Albrecht Haushofer - 1940 in Seefeld Aquarell der Haushoferschen "Partnachalm"  

 

Albrecht Haushofer

Der Sohn einer altbayerischen Künstler- und Gelehrtenfamilie wurde am 7. Januar 1903 in München geboren. Ein Urgroßvater war Landschaftsmaler, der Großvater Max Haus­hofer Professor für Nationalökonomie, Albrechts Vater Karl Haushofer (1869 – 1946) ge­hörte im Ersten Weltkrieg als Generalmajor zur bayerischen Militärkaste, in Friedenszei­ten war er Professor für Geographie und Erfinder der „Geopolitik“. Seine Erklärung: „Die Geopolitik sucht die Erhaltung, die gerechtere und bessere Verteilung des Lebens­raumes und der Macht über ihn auf der Erde, eine gerechtere Verteilung nach der Leis­tungsfähig­keit und Volkszahl!“ Kritiker nannten sie eine Pseudowissenschaft zur „Ver­brämung des Machtanspruchs, dass Land, in dem Deutsche lebten, deutsches Land war und heim ins Reich oder zumindest deutsches Einflussgebiet werden musste.“ Die Wei­marer Republik und den Frieden von Versailles lehnte er leidenschaftlich ab. Extremer Rassist war er nicht, seine Frau Martha stammte aus jüdischem Haus. Ihr Vater, der Mannheimer Kauf­mann Georg Ludwig Mayer-Doss, hatte die „Villa Christina“ an der Schnitzschulstraße erbaut, in die später das Kurhaus Partenkirchen Einzug hielt. Heute gedeiht dort das Richard-Strauss-Institut. Dem jungen Albrecht Haushofer wurde Großmutters Garten mit den wunderbaren Bäu­men zum Para­dies seiner Jugend.

In diesem Klima aus konservativ-patriotischem Selbstbewusstsein, aggressiver Repu­blikfeindschaft und gelehrter Bildung wuchs Albrecht Haushofer in einer sehr geschützten Kindheit zwischen München und Partenkirchen auf. Dass ihm irgendwann einmal der Vorwurf gemacht werden könnte, er sei ein „jüdischer Mischling zweiten Grades“, wie seine Herkunft in der Sprache des Dritten Reiches beschrieben wurde, daran war noch kein Denken. Dass der Vater gleich nach dem Ersten Weltkrieg den späteren „Stell­ver­treter des Führers“, Rudolf Heß, als seinen Lieblingsschüler ins Haus lud und ihn nach dem gescheiterten Hitlerputsch im Landsberger Gefängnis regelmäßig besuchte, konnte er noch nicht als Menetekel sehen.

Nach dem Abitur am Münchner Theresiengymnasium im Jahre 1920 studierte er Ge­schichte und Geographie, promovierte 1924 bei Erich von Dry­galski in München - und war gerade einmal 21 Jahre alt. Sein wissenschaftliches Interesse galt vor allem den deutschen Minderheiten im südosteuropäischen Raum. Die Habilitati­onsschrift handelte vom „Kulturboden in Ungarn“. Reisen nach Süd- und Nordamerika, nach Skandinavien und Russland erweiterten sein geografisches und politisches Blickfeld. 1928 avancierte er in Berlin zum Herausgeber der „Zeitschrift für Geopolitik“, dem Organ der „Gesellschaft für Erdkunde“, ein Jahr später wurde er ihr General­sekretär. 1930 schloss sich eine Reise nach England an.

Die Weimarer Republik schätzte er nicht, schon gar nicht in ihrer Untergangsphase der Jahre 1930 bis 1932. Der status quo in der Außenpolitik gefiel ihm nicht, auch nicht das demokratische Verfassungsgewand. Nur Gustav Stresemann und Heinrich Brüning haben ihn beeindruckt. Mit seiner Satire „Und so wird in Pandurien regiert“, die 1932 er­schien, rechnete Haushofer fristgerecht mit der Berliner und mit der bayerischen Repu­blik ab.

Sympathie für den Nationalsozialismus war ihm aber auch fremd. „Eigentümlich ortlos“ erscheint er dem Eichstätter Historiker Heinz Hürten. Haushofer wollte „weder hierhin noch dorthin“ gehören. Die parlamentarische Demokratie blieb ihm fremd wegen ihrer Notwendigkeit zu Kompromis­sen, dem kollektivistischen Auftreten und Denken der Nazis konnte der elitäre Individua­list Haushofer auch nichts abgewinnen.

 

1933

Im Jahr der Machtergreifung stellte er einen „Mangel an nationalsozialistischer Weltan­schauung“ bei sich fest, wusste aber auch schon vom „Zwang zu einer ganzen Reihe von Kompromissen in Gesinnungsfragen“. Keine Kompromisse für die Republik – aber Konzessionen an die Nazis. Das musste schiefgehen. Haushofer stellte mit geradezu propheti­scher Schärfe fest, „dass wir einer so großen all­gemeinen Katastrophe entgegengehen, dass es auf die persönliche bald nicht mehr an­kommen wird.“

Dennoch glaubte er, „mit dem nationalsozialistischen Regime wenigstens eine Strecke gemeinsam gehen zu können.“ (Heinz Hürten) Seine Nähe zur völkischen Ideologie und die Suche nach der Überwindung des außenpolitischen status quo gaukelten ihm vor, man könne im Bösen auch noch das Gute tun. Die Ideologie der Nazis verachtete er, zur Zusammenarbeit mit ihren Institutionen war er bereit.

Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums traf ihn schwer. Für die NS-Machthaber war er damit nur noch der Sohn einer „halbjüdischen Mutter“, ein „Mensch zweiter Klasse“, der „zweckmäßiger Weise nicht da“ war. Das Menschenbild der neuen Herren war ihm, so stellte er fest, „in allem Wesentlichen entgegengesetzt“.

Rudolf Heß, inzwischen zum „Stellvertreter des Führers“ emporgestiegen, be­freite ihn mit einer Art „Schutzbrief“ vom Makel des „Menschen zweiter Klasse“ und ver­schaffte ihm eine Dozentenstelle an der Berliner Hochschule für Politik. Haushofer wurde „Schutzjude“ und bedankte sich dafür, dass er nicht „nicht als Deutscher minderen Wertes auf den Schutthaufen gekehrt“ wurde. Das ersparte ihm die Opposition und die Emigration und ermöglichte die trügerische Hoffnung, dem Gang der Dinge eine Wendung zum Besseren geben zu können. Der kommende Mann des Wider­standes stellte sich gegenwärtig in den Dienst der NS-Apparatur. Der „Mensch zweiter Klasse“ glaubte, er könne die Nazis zu seinen Zielen - friedliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Eng­land - lenken.

Blinde Eitelkeit war es nicht, die ihn trieb. „Es gibt für mich in dem neuen Deutschland keine persönliche Zukunft“, schrieb er an die Mutter und sprach von einem „Maß an in­neren Überzeugungsopfern, an Stillschweigen und Hinunter­schlucken“, das ihn innerlich „in große Not“ versetzte. Der Preis, den er für sein Mitwir­ken zahlen musste, war hoch - „die Achtung vor mir selber und die innere Wahrhaftig­keit.“

 

1934

Im zweiten Jahr der NS-Herrschaft wurde Haushofer Mitarbeiter im Büro Rib­bentrop. Sein Aufgabenbereich war die NS-kontrollierte deutsche Volkstumspolitik im Ausland. Im Rahmen dieser Tätigkeit war er viel auf Reisen. Bis 1938 besuchte er im Auftrag von Heß und Ribbentrop allein 14 Mal verschiedene Gesprächspartner in England. Im Sudeten­land, in Danzig und in Polen erörterte er Grenzfragen und Probleme der deut­schen Min­derheiten, in Prag führte er Gespräche mit Eduard Benesch, dem Präsidenten der Repu­blik Tschechoslowakei.

In England suchte Haushofer vor allem Verbindungen zu Appeasementpolitikern wie Lord Halifax oder Sir Samuel Hoare, die einen Ausgleich mit Deutschland anstrebten, um England einen teuren Krieg zu ersparen. James Douglas-Hamilton formulierte das Credo dieser „Appeaser“: „Wir werden den Tag erleben, wenn solch ein versöhnlicher Friede zwischen ehrenhaften Leuten ausgehandelt wird.“ Er irrte. Die Machthaber in Deutschland waren keine Ehrenmänner und einer wie Haushofer konnte kein Machthaber werden.

Vor den Nürnberger Gesetzen befasste sich Haushofer in einer Denkschrift für Rudolf Heß mit seinen „Gedanken zu einer differenzierten Lösung der Nicht-Arier-Frage“: Darin schlug er vor, die alteingesessenen Juden als Deutsche anzuerkennen, nicht aber die Zu­wanderer der letzten Jahrzehnte. Das hätte bedeutet, dass etwa 300000 von 500000 Juden in Deutschland des Bürgerrecht verloren hätten. Haushofers Kompromissbereit­schaft schien zu diesem Zeitpunkt grenzenlos. Gleichzeitig fühlte er „innere Zerstörung durch dauernde Gesinnungslumperei“, zweifelte an seinem wissenschaftlichen Ansatz („Wenn ich dann in unsere Geopolitik hineinschaue, dann graust mir manchmal über den Weg, den wir gehen.“), formulierte ahnungsvolle Ängste („Es wird viel gewaltsames Ster­ben geben, und niemand weiß, wann der Blitz ins eigne Haus trifft!“) und dachte an den „freiwilligen Schritt hinaus“.

 

1938

Beim Münchner Abkommen wurde Haushofer zunächst als Fachmann für Grenzverläufe und Volkstumsfragen herangezogen. Am Ende zog Hitler die Striche auf der Landkarte selbst – ohne den „Judenabkömmling“. Auch Haushofers Versuch, Hitler die Folgen eines deutschen Übergreifens auf Osteuropa auszumalen, blieb wirkungslos: Hitler wollte nichts davon wissen, dass es dann zu einem Bündnis zwischen England und Frankreich und zum Krieg gegen Deutschland käme, dass die USA England unterstützen und die Russen nach Mitteleuropa vordringen würden. Er hielt Englands Dro­hungen für Bluff. Haushofer über­schätzte seine eigene Bedeutung. Der Steuermann des Schiffes mit Kurs auf den Eisberg wollte nichts von Kurskorrekturen hören.

Haushofers Kommentar zur Reichskristallnacht: „Die enttäuschte Wut über den entgan­genen Krieg tobt sich jetzt nach innen aus. Heute sind es die Juden. Morgen kommen andere Gruppen dran.“

 

1939

Im frühen Wissen um die Gratwanderung zwischen den kommenden Grausamkeiten des Regimes und der Grenzen der „Kunst des Möglichen“ schrieb er der Mutter: „Ein Beispiel: Ich sitze an einem Tisch mit einem Mann, dessen Aufgabe es sein wird, im Lubliner Juden-Ghetto programmgemäß einen Teil der dorthin verfrachteten deutschen Juden erfrieren und verhungern zu lassen. Ich kann … vielleicht erreichen, dass wenigs­tens die Alten geschont werden.“ Vielleicht – wenn er den Mann davon überzeugen konnte, dass „die Alten“ die Transportkosten nicht mehr wert wären. Was für ein „Kompromiss“!

 

1940

Haushofer verglich den Zustand des NS-Systems in dieser Zeit mit „einem havarierten, schon brennenden und von Narren und Verbrechern weithin beherrschten und geführten Schiff“. Seine Rolle sah er als die eines Passagier, „der nicht ins Wasser springt, sondern versucht, einen Schlauch in die Hand zu bekommen um vielleicht einmal einen wichtigen Steuer­hebel zu ergreifen.“

 

1941

Albrecht Haushofer führte mit Carl Jakob Burkhardt in der Schweiz Gespräche über einen Weg zum Frieden. Weit kam er damit nicht, denn der überraschende Flug von Rudolf Heß nach England im Mai des Jahres machte die Pläne der internen Opposition um Johannes Popitz und Ulrich von Hassell zunichte. Heß, der den Krieg mit vorbereitet hatte, wollte Hitler jetzt durch einen Separatfrieden mit England den Weg frei machen für den Angriff auf die Sowjet­union um damit Hitler-Deutschland zum Herrn des europäischen Festlandes zu machen. Weder Haushofer noch Heß wussten, dass Hitler den Termin für den Überfall auf die Sowjetunion, den 22. Juni 1941, schon am 30. April 1941 festgelegt hatte.

In die Pläne von Hitlers „Stellvertreter“ war Haushofer nicht eingebunden, galt aber als einer der Hauptverdächtigen und wurde daher umgehend verhaftet und nach Berchtes­gaden zum „Führer“ gebracht. Dort musste er für Hitler über die Vorgeschichte des Heß-Fluges berichten. „Englische Beziehungen und die Möglichkeiten ihres Einsatzes“ über­schrieb er seine Darstellung. Anschließend wurde er nach Berlin in das Gestapo-Gefäng­nis in der Prinz-Albrecht-Straße gebracht und erst nach acht Wochen entlassen. Hitler und Himmler hielten sich Haushofer immer noch zur Verfügung – bei Bedarf konnte er für Frie­densgespräche mit den Engländern eingesetzt werden.

Im November 1941 formulierte er seine „Gedanken zu einem Friedensplan“: Deutschland sollte sich mit der Hegemonie über Mitteleuropa begnügen, Kolonien zur Rohstoffgewin­nung erhalten, derzeit besetzte Gebiete in die Autonomie entlassen, seine Truppen zu­rückziehen hinter die Grenzen von 1914. Ein Programm für Hitler war das nicht.

Seinen Eltern schrieb er: „Ich weiß genau, dass ich zur Zeit ein kleiner Käfer bin, der durch einen unverhofften und unvorhersehbaren Windstoß auf den Rücken geworfen ist … und, wenn ich Glück habe, mein Dasein als Einsiedler auf der Partnachalm beschließen“ werde.“

 

1942

Haushofers Kontakte mit Johannes Popitz, Jens Jessen, Carl Langbehn, Helmuth James Graf von Moltke, Ulrich von Hassell, Arvid Harnack und Schulze-Boysen wurden immer enger. Be­ziehungen zum Kreisauer Kreis und zur Roten Kapelle gehörten dazu. Er fühlte sich aber keiner dieser Gruppen fest zugehörig, auch an den Vorbereitungen zum 20. Juli war er nicht unmittelbar beteiligt. Widerstand aus dem Militär hielt er aber für notwendig.

 

1943

Im Gespräch mit Robert Ernst, dem Oberbürgermeister von Straßburg, sprach er sich für einen Staatsstreich aus. Noch vor Stalingrad sagte er: „Jetzt könnte ich es selbst tun!“

Danach kam die Zeit der Hoffnungslosigkeit. Haushofer hielt den Zeitpunkt zur Beseiti­gung Hitlers für verpasst, die Möglichkeit, Hitler gegen Himmler auszutauschen, für ge­scheitert. Er wandte sich gegen die Tötung Hitlers, weil dann erneut eine Dolchstoßle­gende entstünde, mit deren Hilfe die SS den Widerstand komplett auslöschen würde.

 

1944

Schon wenige Tage nach dem Attentat am 20. Juli fiel in den Untersuchungen des Reichssicherheitshauptamtes Haushofers Name. Am 25. Juli verließ er Berlin, fuhr nach Garmisch-Partenkirchen und ging von dort aus auf sein „Almhäusl“, die Part­nachalm. Am 28. Juli hatte die Gestapo den Vater kurz vor der Ankunft seines Sohne abgeholt und ins KZ Da­chau gebracht. Haushofer war gewarnt.

Von Partenkirchen ging er deshalb wieder zurück Richtung Ammersee zu seinem Bruder Heinz auf den Hartschimmelhof. Auch dort war Haushofer seines Lebens nicht mehr sicher. Deshalb suchte er bei den Benediktinerinnen des nahegelegenen Klosterguts Kerschlach Unterschlupf, wenigstens für eine Nacht. Dann wurde er im Haus eines Arztes versteckt. Die Gestapo hatte die Spur offensichtlich verfolgt. Mit knapper Not konnte Haushofer fliehen, seine sämtlichen Helfer, der Arzt, dessen Frau und Vater, Bruder Heinz mit Frau und Neffen und die Oberin des Klosters wurden verhaftet. In den ersten Septembertagen schlug er sich dann glücklich bis nach Partenkirchen durch, klopfte an die Hoftür der Bauersfrau Anna Zahler auf Mittergraseck, bat sie, ihm zu helfen und erhielt zur Antwort: „Freili!“

Am 7. Dezember 1944, Anna Zahler war mit ihrer russischen Helferin unterwegs, die Tochter allein zuhause, durchsuchten drei Beamte der Berliner Gestapo zusammen mit zwei Polizisten aus Garmisch-Partenkirchen den Hof. Haushofer hatte sich auf dem Heu­boden versteckt. Ein hell glänzender Manschettenknopf wurde ihm zum Verhängnis. Nach der Festnahme wurde er gefesselt und zusammen mit Anna Zahler in die Polizeiwache im Rathaus Garmisch-Partenkirchen gebracht. Die nächsten Stationen waren das Wittelsba­cher Palais in München, die Prinz-Albrecht-Straße und das Gefängnis Lehrter Straße in Berlin.

Die Nachricht von der Verhaftung seines Sohnes veranlasste Vater Karl Haushofer nur zu der Feststellung „Er hat sein Land und sein Volk verraten und verdient keine Hilfe von mir.“ Angst hatte er freilich davor, dass man seine Frau Martha nach Theresienstadt oder nach Auschwitz bringen könnte. "Sein Lebenswerk war zerstört, seine politischen Ambitionen waren restlos gescheitert, sein Vaterland lag in Schutt und Asche und seinen ältesten Sohn hatte die Gestapo ermordet," schreibt der Bonner Historiker Hans-Adolf Jacobsen in seiner zweibändigen Untersuchung über Karl Haushofers Leben und Werk. Am 10. März 1946 setzte Haushofer seinem Leben selbst ein Ende. Seine Frau ging mit ihm in den Tod.

Karl Haushofers Geopolitik war Denkfigur und Handlungsstrategie aus dem 19. Jahrhun­derts und seines ungehinderten nationalistischen und imperialistischen Strebens. Völ­kerrecht und moralische Kategorien spielten im System und im Denken Karl Haushofers keine Rolle, es ging ihm nur darum, zu annektieren, zu kolonisieren und zu dominieren.

 

1945

Im Berliner Gefängnis an der Lehrter Straße blieb Albrecht Haushofer bis zum März 1945 so etwas wie die letzte Trumpfkarte Himmlers für einen Separatfrieden mit den Englän­dern.

Am 20. und 21. April wurden mehrere Häftlinge aus dem Gefängnis an der Lehrter Straße entlassen oder in den aussichtslosen Kampf gegen die Rote Armee geschickt. Haushofer war nicht dabei. Goebbels verbot weitere Entlassungen. Die Häftlinge planten deshalb, sich selbst zu be­freien, unterließen den Aufstand aber wegen seiner Unwägbarkeiten. In der Nacht zum 23. April wurden 16 Häftlinge, unter ihnen Albrecht Haushofer, aus dem Gefängnis zu einem in der Nähe liegenden Ausstellungsgebäude geführt. Ein Mordkommando der SS tötete sie durch Genickschuss. Nur der junge Kommunist Herbert Kosney überlebte schwer verletzt.

Am 12. Mai fand Heinz Haushofer die Leiche seines Bruders am Ort der Mordtat. Die Blätter der „Moabiter Sonette“ trug Albrecht Haushofer bei sich.

 

1948

Im September 1948 wurde im Kurheim Wigger an Albrecht Haushofer erinnert. Veran­stalter waren die Frauen der Europa-Union, der FDP und des Süddeutschen Frauen-Ar­beitskreises. Anwesend war auch Haushofers Bruder Heinz. Ruth Trumpp, Ernst Strese­mann und L. von Reppert-Rauten brachten Gedichte von Albrecht Haushofer zum Vor­trag.

 

1998

Erst wieder fünfzig Jahre später, am 16. Oktober 1998, traf man sich in Garmisch-Par­tenkirchen zu einem Gedenken an Albrecht Haushofer. Anlass war die Enthüllung einer Gedenktafel am Kurhaus in Partenkirchen, der ehemaligen „Villa Christina“, dem Haus der Familie Mayer-Doss. Idee und Gestaltung der Erinnerungstafel kamen von Christiane von Kessel, einer Freundin der Familie Haushofer und Schülerin des Bildhauers Professor Otto Hitzberger. Bei der Gedenkfeier im Kongresszentrum kamen Professor Carl Friedrich von Weizsäcker („Albrecht Haushofer, ein Freund in schlimmer Zeit“), Botschafter a.D. H.H. Noebel („Erinnerungen an Albrecht Haushofer“) und Christian Hermann („Werden­fels in der Dichtung Haushofers“) zu Wort.

 


Die Strategie des Nationalkonservativen Albrecht Haushofer ist nicht aufgegangen. Es war wohl nicht möglich, gleichzeitig in den Diensten des Unrechtsstaates dem Rechts­staat zu die­nen, in der Perversion der Werte das Wertvolle zu retten, in der Unordnung der national­sozialistischen Machthaber die Ordnung des Anstands und der Menschlichkeit zu bewah­ren.

Diese Unvereinbarkeiten weckten in Haushofer sehr früh schon Schuldgefühle. Das hebt ihn von vielen seiner konservativen Zeit- und Standesgenossen ab. 1940 schrieb er sei­ner Mutter: „Ich trage schwer an meinem Anteil an der großen Kollektivschuld“. In den „Moabiter Sonetten“ klagte er sich selbst an: „Ich hab gewarnt - nicht hart genug und klar und heute weiß ich, was ich schuldig war“. Dazu gehörte auch die Klage über die Ergebnislosigkeit seines Tuns.

Aber: Er hat´s gewagt. Sein Handeln soll nicht vergessen sein. Und auch nicht das seiner Beschützerin Anna Zahler von Mittergraseck.

 

 

Literatur und Quellen:

- Rainer Hildebrand, ... die besten Köpfe, die man henkt. Ein tragischer Auftakt zur deutschen Teilung und zur Mauer -   herausgegeben von

  Alexandra Hildebrandt (Berlin 2003)

- Rainer Hildebrandt, Albrecht Haushofer. Mensch und Dichter (Lech-Isar-Land 1996)

- Heinz Haushofer, Mein Leben als Agrarier. Eine Autobiographie 1924-1978 (München o.J.) - hier das Kapitel "Der 20. Juli 1944 und seine

  unmittelbaren Folgen" (S.126-134)

- Heinz Hürten, Albrecht Haushofer. Schicksal und Leistung (Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 1995)

- Manfred Görtenmaker, Der Flug des Paladins - in: Der Spiegel 23/2001

- Bayern in der NS-Zeit - Bd. I: Soziale Lage und politisches Verhalten der Bevölkerung im Spiegel vertraulicher Berichte (München 1977) S. 679

- Hochland Bote (Garmisch-Partenkirchen) Ausgaben vom  31.08.1948 und vom 04.09.1948

- Süddeutsche Zeitung, Ausgabe vom 27.05.1953 - W. Zellner, Eine Bäuerin wagt ihr Leben. Der Entschädigungsfall der Witwe Zahler

- Garmisch-Partenkirchner Tagblatt, Ausgabe vom 16.03.1964 - Das Schicksal der Bäuerin von Mitter-Graseck

- Garmisch-Partenkirchner Tagblatt, Ausgabe vom 19.10.1998 - Später Dank an einen Demokraten

 

Bilder:

- Christiane von Kessel

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© Alois Schwarzmüller 2006