Pfarrer Hermann Mencke
und die Pfarrei St. Martin Garmisch zur Zeit des Nationalsozialismus

 

 

 

 

 

8. Das "Rundfunkverbrechen" des Hermann Mencke und seiner Kapläne

a) Verhaftung und Anklage

Es war am Fest der Hl. Drei Könige, am Freitag, dem 6. Januar 1940, als Pfarrer Hermann Mencke verhaftet wurde und mit ihm seine beiden Kapläne Peter Himmler und Franz-Xaver Guggenberger, alle drei wegen des Abhörens ausländischer Rundfunksender zur Anzeige gebracht von Kaplan Leonhard Götz. Am Nachmittag hatte Mencke noch die Ansprache bei der Kindheit-Jesu-Andacht gehalten. Am Abend stand die Polizei vor der Tür, am nächsten Tag wurde er nach München in das Gerichtsgefängnis Neudeck gebracht und am Tag darauf, am 8. Januar, von der Geheimen Staatspolizei in der Staatspolizeileitstelle München zum ersten Mal vernommen.

Der Vorwurf lautete, er habe wiederholt und bis in die letzte Zeit hinein Auslandssender gehört und sich damit eines Vergehens gegen § 1 der „VO. über außerordentliche Rundfunkmaß­nahmen vom 1. September 1939“ schuldig gemacht. Mencke bestätigte, dass er „hie und da“ ausländische Sender gehört habe, „insbesondere den schweizer Sender“, weil der „objektive Nachrichten“ bringe. Den Straßburger Sender habe er gelegentlich gehört, den Londoner nie. Er habe im Übrigen gewusst, dass das Hören ausländischer Radiosendungen verboten sei.

Dann wollte die Gestapo etwas über seine politische Einstellung wissen. Auf die Frage, ob er monarchistisch eingestellt sei, erklärte er: „Ich habe mich, seit der König abgesetzt ist, nicht mehr um die Monarchie gekümmert. In den Jahren 1928 oder 1929 kam einmal ein Mann zu mir und wollte mich für die monarchistische Idee zu gewinnen versuchen. Er sagte mir, dass nur die Monarchie das Vaterland retten könnte usw.… Ich habe den Mann damals abgewiesen mit der Bemerkung, dass ich von der Sache nichts wissen wollte.“ Anschuldigungen, er habe Hitler, Goebbels und Himmler bei verschiedenen Gelegenheiten „mit Schimpfnamen belegt“, wies Mencke zurück. Auch gegen die Behauptung, er habe nach dem Tod von Dr. Richard Ladenburg gesagt, die Nachricht vom Tod Hitlers hätte er lieber vernommen als die vom Tod dieses angesehenen jüdischen Bürgers aus Garmisch, setzte er sich zur Wehr. Vorhaltungen wurden ihm auch gemacht, dass er in der Schule nicht mit dem vorgeschriebenen „deutschen Gruß“ gegrüßte habe. Die Denunziationsmaschine lief gut geschmiert, die Gestapo hatte fein säuberlich aufgelistet, was man seit 1933 in Garmisch von und über Mencke zusammengetragen hatte. Für den Münchner Kriminalinspektor Pfeuffer, der die ebenfalls verhafteten Kapläne Himmler und Guggenberger vernahm, stand jedenfalls fest, Mencke „auch heute noch ein gehässiger Gegner des nationalsozialistischen Staates ist“ und „dass er auch noch in der letzten Zeit gegen den heutigen Staat Stellung genommen und den Führer wie auch andere führende Persönlichkeiten mit den schimpflichsten Namen belegt hat.“ Beweise dafür wurden im gesamten Verfahren aber nicht auf den Tisch gelegt. Das war nicht möglich und im totalitären Staat auch nicht notwendig. Kommissar Pfeuffer begründete das so: „Da die Sachen vertraulich mitgeteilt wurden, können Zeugen nicht angegeben werden.“

Das Vernehmungsprotokoll endete mit einem Nachtrag, der erkennen lässt, wie Mencke sich verteidigte. Von dem Verbot, ausländische Sender zu hören, habe er „erst später“ erfahren, den Schweizer Rundfunk habe er „nicht für verboten erachtet, weil er nicht im feindlichen Ausland liegt.“ Außerdem habe er, zusammen mit seinen beiden Kaplänen, nur Nachrichten gehört. „Ich erinnere mich aber“, fügte er hinzu, dass über deutsche Schiffsverluste gesprochen worden ist und habe mich dafür als Kapitänssohn besonders interessiert.“

Nach siebenwöchiger Untersuchungshaft sandte Mencke aus dem Gefängnis Neudeck heraus ein Lebenszeichen anlässlich des 70. Geburtstages des Kirchenpflegers der Pfarrei St. Martin, Johann Bauer, und klagte, es sei immer noch nicht abzusehen, „wann ein Wiederkommen möglich ist.“ Dann gratulierte er dem „lieben Herrn Kirchenpfleger“ zu seinem Ehrentag, übersandte ihm Segenswünsche „nur von meiner Zelle aus“ und hoffte, „dass bald die freie Sonne wieder auf den freien deutschen Mann scheint.“ Diese Hoffnungen wurden enttäuscht. Der Wetterbericht des NS-Sondergerichts München gab eine andere Prognose.

Mencke legte einmal Haftbeschwerde ein. Sie wurde am 12. März 1940 zurückgewiesen. Vier Monate später, am 15. Juli 1940, erfolgte dann die Anklageerhebung gegen Mencke, Himmler und Guggenberger.

 

b) Der Prozess vor dem Sondergericht München

Die Verhandlung fand am 27. Juli 1940 vor dem Sondergericht München statt.

Schon seit dem Frühjahr 1933 gab es diese „Sondergerichte“, 70 in ganz Deutschland, aufgrund einer Notverordnung von Reichspräsident Hindenburg. Aufgabe dieser Gerichte, von Freisler auch als "Panzertruppe der Rechtspflege" bezeichnet, war es, oppositionelle Strömungen auszuschalten und regimekritische Äußerungen in der Bevölkerung zu unterdrücken. Dazu wurde die Bindung des Richters an geschriebenes Recht schrittweise aufgehoben und durch die Verpflichtung auf den „Führerwillen“ ersetzt.NS-"Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen" - 1.9.1939

Vom Verfahren gegen Mencke sind  Auszüge aus der Rede des Verteidigers erhalten geblieben. Der stützte sich – nicht ungeschickt - in seiner Argumentation auf Ausführungen des Garmisch-Partenkirchner NS-Kreisleiters Hans Hausböck. Hausböck war bei zwei öffentlichen Versammlung im Oktober und im November 1939 ausführlich auf die Problematik der „Rundfunkverbrechen“ eingegangen und hatte dabei folgendes gesagt: „Es ist nicht verboten, ausländische Sender zu hören, es ist nur verboten, über das Gehörte zu sprechen; meinetwegen könnt Ihr gut ausländische Sender hören und dann in den Spiegel schauen und Eure dummen Gesichter betrachten. Aber wenn einer den anderen auf der Straße trifft und zu ihm sagt: ‚Du, ich habe den und den ausländischen Sender gehört, er sagte folgendes …’, dann macht er sich strafbar, aber der andere, der zuhört und sagt, ich habe es auch gehört, will aber nicht darüber reden, der macht sich nicht strafbar.“

Zur Untermauerung seiner Strategie, dass Mencke sich in diesem Sinne korrekt verhalten habe, als er ausländische Sender hörte, nannte der Verteidiger vier Männer, die bezeugen sollten, was Hausböck über das sogenannte „Rundfunkvergehen“ gesagt hatte. Diese vier waren Kaspar Greinwald, Hausmeister im Garmischer Hotel Alpenhof, Georg Bader vom Hotel Sonnenbichl in Garmisch und die beiden Mittenwalder Peter Hofmann und Hans Wurmer. Sie wurden als Zeugen für diese „irrigen“ Ausführungen benannt. Für den Verteidiger war damit bewiesen, dass Mencke sich nicht strafbar gemacht hatte.

Das Gericht folgte dieser Auffassung nicht und verurteilte Mencke am 27. Juli 1940 zu 15 Monaten Zuchthaus, abzüglich der 6 Monate Polizei- und Untersu­chungshaft; Himmler und Guggenberger zu je sieben Monaten Gefängnis, abzüglich der je 4 Mo­nate dauernden Untersu­chungshaft. Der Rundfunkempfänger – ein Blaupunktgerät – wurde eingezogen, die Kosten der Verhandlung hatten die drei Verur­teilten zu tragen.

Ein Bittschreiben der katholischen Frauen und Mütter aus der Pfarrei St. Martin vom 17. April 1940, in dem sie Menckes Güte, sein Verständnis für die Forderungen der Zeit und seinen Einsatz für kinderreiche  Familien hervorhoben, konnte die Richter des Münchner Sondergerichts nicht zum Einlenken bewegen.

Mencke wurde am 24. August 1940 ins Zuchthaus Amberg überstellt. Am 6. April 1941 wurde er ent­lassen, die Reststrafe wurde bis zum 21. April 1944 zur Bewährung ausgesetzt.

Himmler und Guggenberger wurden nach Ablehnung ihrer Gnadengesuche ins Straf­gefängnis Mün­chen-Stadelheim eingeliefert. Beide wurden nach Verbüßung ihrer Strafzeit am 27. Oktober 1940 entlassen.

NS-Flugblatt 1943Im Juni 1940, Mencke und die Kapläne waren immer noch in Untersuchungshaft, wandten sich die Pfarrer Karl Lorenzer von der Pfarrei Maria Himmelfahrt Partenkirchen und Pfarrvikar Josef Bittel, Menckes Vertreter in der Pfarrei St. Martin, in einem gemeinsamen Brief an den Garmisch-Partenkirchner Bürgermeister Jakob Scheck mit der Bitte, „an zuständi­ger Stelle dafür einzutreten, daß Herr Pfarrer und Kämmerer Mencke und die beiden Kapläne Guggenberger und Himmler nunmehr aus der Haft in München entlassen werden möchten.“ Viel Aussicht auf Erfolg gab es nicht, Scheck hatte schon früher erklärt, „für diese Sache nicht zuständig zu sein.“ Aber die beiden Geistlichen argumentierten geschickt und anpassungsfähig, mit Peitsche und Zuckerbrot sozusagen. „Mannigfache Äußerungen des Unwillens, der Befremdung und Verbitterung“ seien ihnen zu Ohren gekommen über „das Fernbleiben der Geistlichkeit.“ Gerade der Standort Garmisch-Partenkirchen bedürfe als Lazarettort mit den zahlreichen Verwundeten in vielfacher Weise des seelischen Beistands. „Die Verwundeten“, so mahnten Lorenzer und Bittel, „dürfen auch eine Seelsorge erwarten in den Lazaretten. Diese ist auch in den amtlichen Bestimmungen vorgesehen.“ Und dann weiter im Stil der Siegesfanfaren: „Die deutsche Wehr­macht hat gerade in der letzten Zeit ganz riesige Erfolge zu verzeichnen. Einzigartige Siege wurden errungen. Das Volk nimmt mit freudiger Begeisterung von den täglichen Siegesmel­dungen Kenntnis. Welch bitterer Gegensatz ist es, daß dabei der Standortpfarrer, welcher selber immer mit innerer Freude an allen Geschehnissen bei der Wehrmacht teilgenommen hat, im gegenwärtigen Augenblick in Haft verbleiben muß!“

Nichts nützte, auch nicht der - geheuchelte oder ernstgemeinte - Siegestaumel. Keine Reaktion des Bürgermeisters, keine Haftverschonung für Mencke. Nicht die geringste Erleichterung. Noch nicht. Erst im Oktober 1940 gab es ein Zeichen: Der Generalstaatsanwalt in München befürwortete die Umwandlung der Zuchthausstrafe in eine Gefängnisstrafe von gleicher Dauer, hielt aber, wie er sich ausdrückte, „einen weiteren Gnadenerweis für unangebracht.“ Den beiden Kaplänen Himmler und Guggenberger wurde dagegen im Oktober 1940 Strafaussetzung mit Bewährungsfrist bewilligt.

Am 30. Oktober 1940, zwei Tage nach der Empfehlung des Generalstaatsanwalts, entschied der Reichsminister der Justiz, die letzten 21 Tage der Strafzeit Menckes auszusetzen – „bei guter Führung des Angeklagten“ und mit dreijähriger Bewährungsfrist.

 

c) Entlassung und Verbannung

Mencke wurde dann am 3. Mai 1941 aus der Amberger Haft entlassen. Noch während der Strafverbüßung im Zuchthaus hatte ihm das Münchner Kultusministerium ein Unterrichtsverbot erteilt. Und nach der Entlassung aus dem Gefängnis wurde ihm ein Aufenthaltsver­bot für den gesamten Landkreis Garmisch-Partenkirchen erteilt. Es sollte kein Zurück geben für ihn – nicht in seine Heimat, nicht zu seiner Gemeinde, nicht in die Schule.

Kardinal Faulhaber übertrug die fast 22 Monate verwaiste Pfarrei mit Wirkung vom 16. November 1941 dem bisherigen Inhaber des Frühmessbenefiziums Josef Bittel. Dessen Nachfolger wiederum wurde der bisherige Kaplan bei St. Martin, Thomas Dankerl aus München.

Ansicht des Marktes Dorfen bei Erding - um 1930

Pfarrer Hermann Mencke 1946 mit seiner Schulklasse in Dorfen

Noch gibt es keine Informationen darüber, warum Mencke sich dann in Dorfen bei Erding niederließ, wie es ihm dort erging, wie sein seelischer und körperlicher Zustand nach den Qualen von Untersuchungsgefängnis und Zuchthaus war, ob er noch Kontakt halten konnte mit der Pfarrei St. Martin oder ob er sozusagen aus der Gefangenschaft in neue Isolation kam.

Er ist am 1. Dezember 1946 in Dorfen gestorben und wurde am 5. Dezember 1946 von Dekan Josef Gruber auf dem Dorfener Friedhof beerdigt. Die Inschrift auf dem Priestergrab erinnert an „Hermann Mencke, Pfarrer und Priesterhaus-Direktor von hier – Ehrenbürger von Garmisch – zum Priester geweiht 1907 – geboren am 23.9.1882 gestorben am 1.12.1946“.

An der südlichen Außenwand der Pfarrkirche St. Martin erinnert eine Gedenktafel an ihn. Am 19. Oktober 1982 gedachte die Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen erstmals ihres Ehrenbürgers.

 

© Alois Schwarzmüller 2007