Jüdische Gemeinden in Garmisch-Partenkirchen und in Mittenwald 1945-1948

 

 

 

Mittenwald: "Jüdisches Haus" in der "Blauen Traube"

Mitte November 1945, ein halbes Jahr nach dem Ende des Krieges, der Verfolgung und des massenhaften Mordens wurde im Mittenwalder Gasthof „Blaue Traube" das „Jüdische Haus" eröffnet. Es sollte ein Versammlungsort werden für all die Menschen, die die Qualen der Todesmärsche aus dem Konzentrationslager Dachau bis nach Mittenwald überlebt hatten.

Mit einem „Befreiungsfest" wurde die Gründung dieser Einrichtung gefeiert, der kleine Saal des ehemaligen Gasthofes war in den bayerischen Farben geschmückt, Zionssterne leuchteten von den Wänden. Der Landrat des Landkreises Garmisch-Partenkirchen, Dr. Hans Ritter, die Bürgermeister von Garmisch-Partenkirchen und Mittenwald, Vertreter der Behörden, der Kirche und des Bayerischen Roten Kreuzes hatten sich eingefunden.

 

Rabbiner Borenstein und Landrat Ritter begrüßen

In seiner Begrüßung ging Rabbiner Laib Borenstein darauf ein, „dass der Hitlerismus nicht nur dem Judentum, sondern auch dem Katholizismus den Kampf angesagt hat." Er betonte die Gemeinschaft der jüdischen und der christlichen Religionen, beide „beten zu ein und demselben Gott". Das Neue Testament sei ohne das Alte Testament, aus dem es geboren worden sei, nicht denkbar.

Landrat Ritter blickte zurück auf die Tage des Novemberpogroms im Jahre 1938, in denen „Verfolgung und Qual über die Juden hereingebrochen sind." Er beklagte, dass „die vielen anständig denkenden und tapferen Menschen in Deutschland nicht in der Lage gewesen sind, das nazistische Wahnsinnsregime zu brechen." Und stellte fest: „Die Befreier und die Befreiung kamen von außerhalb der Grenzen."

Als Sprecher der Opfer erinnerten die Herren Lichtenstein und Przygoda an die beklagenswerte Situation der überlebenden Juden, „die gleich Waisen auf der Welt umherirren, weil sie ihr Heim und alle ihre Lieben verloren haben." Und er fügte hinzu: „Wir können nicht vergessen, was man uns angetan hat." In großer Dankbarkeit gedachten sie in ihren Reden derer, „die geholfen haben, den Weg aus dem KZ in die Freiheit zu bahnen." Und lenkten den Blick auf „Erez Israel", den Traum vom jüdischen Staat in Palästina als sicherer Heimstatt für alle Juden.

 

Jüdische Gemeinde in Garmisch-Partenkirchen

Neben der „Blauen Traube" in Mittenwald wurden der jüdischen Gemeinde in Garmisch-Partenkirchen die Pension „Obermühle" und der Gasthof „Werdenfelser Michl" als Versammlungsorte zur Verfügung gestellt. In der Garmisch-Partenkirchner Pension Ohlsenhof, von-Brug-Straße 18, wurde eine Synagoge eingerichtet. Eine koschere Metzgerei befand sich in der Bahnhofstraße 84.

 

 

 

 

Versammlungslokale der jüdischen Gemeinde in Garmisch-Partenkirchen nach dem Zweiten Weltkrieg:
 Oben v.l.n.r.Haus Obermühle, Pension Ohlsenhof - Unten v.l.n.r.
Gasthof Werdenfelser Michl, Café Bischoff
 

 

Im Mai 1946, ein Jahr nach der Befreiung der jüdischen KZ-Häftlinge, zählte die jüdische Gemeinde in Garmisch-Partenkirchen 450 Mitglieder, die meisten von ihnen waren polnischer Herkunft, über 400 waren mit den verschiedenen Häftlingszügen ins Werdenfelser Land gekommen. Viele von ihnen waren die einzigen Überlebenden ganzer Familien. Ihr Vorsteher hieß Martin Tamboryn, „ein energischer, auf Ruhe und Ordnung in seiner Gemeinde bedachter Mann", wie ihn der Hochland-Bote charakterisierte. Den Jahrestag der Befreiung, den 1. Mai, feierte man im „Werdenfelser Michl", dem Jüdischen Haus in Partenkirchen. Ein jüdischer Sportclub war inzwischen gegründet worden. Zwei Fußballmannschaften gab es nach kurzer Zeit, die Garmisch-Partenkirchner „Ichud" siegte bei den regionalen Meisterschaften gegen die Mittenwalder „Hapoel".

 

Hochzeit und "Taufe"

Das Leben ging weiter. Im Juni 1946 fand in Garmisch, Höllentalstraße 55, die Trauung von Regina Melnik und Zygmunt Herzberg statt. Jüdische und deutsche Gäste feierten mit dem Paar. Die UNRRA, eine Organisation der UNO zur Betreuung heimatloser Ausländer nach Kriegsende, wurde von Dir. Schubert und Dr. Skoczek vertreten. Die Herren Tamboryn, Finkelstein, Eiger und die Rabbiner Salomon Langer und Mansdorf vertraten die jüdische Kultusgemeinde. Im Juli 1946 gab es sogar eine jüdische Doppelhochzeit: Chaim Lichtenstain und Regina Herschlikowitsch heirateten zum zweiten Mal - ihr jeweils erster Ehepartner war in einem Konzentrationslager umgekommen. Das zweite Hochzeitspaar waren Oberrabbiner Laib Borenstein und Minna Bachmayer. Colonel Newbanks, Capt. Banks, Lt. Mainwald, Lt. Axford von den US-Besatzungsstreitkräften und Flüchtlingskommissar Max Gmeinwieser von der Gemeinde Garmisch-Partenkirchen waren als Gäste anwesend.

Auch Kinder wurden geboren, getauft und in die kleine jüdische Kultusgemeinde aufgenommen. Die Taufe des ersten jüdischen Kindes in Garmisch, des Sohnes des Vorsitzenden der Jüdischen Kultusgemeinde, Martin Tamboryn, fand am 1. Juli 1946 statt. An dieser Feier nahmen der Gouverneur der Militärregierung, Major Nitz, US-Richter Bird, Colonel Newbanks und die UNRRA-Vertreter Dir. Schubert und Ing. Przygoda teil. Rabbiner Langer aus Garmisch nahm die religiösen Zeremonien vor.

 

Israel lockt

Für die meisten Mitglieder der Jüdischen Kultusgemeinden in Garmisch-Partenkirchen und in Mittenwald lag der Gedanke nahe, nach der Befreiung aus KZ-Haft und –Sklaverei einen neuen Anfang in Palästina zu suchen und zu wagen. Eine amerikanische Delegation des Jüdischen Weltkongresses besuchte im Laufe des Jahres 1946 die Garmisch-Partenkirchner Kultusgemeinde und stärkte die Hoffnung vieler Frauen und Männer, dass Palästina die Lösung ihrer Probleme bringen werde.

Ehe sie an Auswanderung denken konnten, mussten die Mitglieder der jüdischen Gemeinden ihre eigene Organisation festigen. Auf Anordnung des Zentralkomitees für die befreiten Juden in der amerikanischen Besatzungszone in München wurden in allen jüdischen Gemeinden der gesamten US-Zone Wahlen auf freier demokratischer Grundlage durchgeführt. Im Februar 1947 fanden diese Wahlen auch in Garmisch-Partenkirchen statt. Dabei wurde für die jüdische Kultusgemeinde Garmisch-Partenkirchen folgendes Ergebnis erzielt: Vorsitzender wurde Herr Finkelstein, sein Generalsekretär Hermann Mansdorf. Zu Mitgliedern der Verwaltung wurden Samuel Schwarzbaum, Sch. Dembitzer und H. Ruttman gewählt.

Sitz der Jüdischen Gemeinde Garmisch-Partenkirchen war 1945 das "Haus Obermühle" (Mühlstraße 6), 1946 der "Lindenhof" (Parkstraße 5), 1947 das "Café Bischoff" (Bahnhofstraße 83) und ab 1948 das "Haus Regina" (Hauptstraße. Vorsitzende waren seit 1945 die Herren Henek Finkelstein und Martin Tamburyn, 1948 Herr Spektor.

Im April 1947 forderte das Münchner Staatskommissariat für rassisch, religiös und politisch Verfolgte vom Jüdischen Komitee Garmisch-Partenkirchen und seinem Präsidenten Finkelstein, die Zahl der Zuzüge von jüdischen DPs nach Garmisch-Partenkirchen zu begrenzen. Staatskommissar Philip Auerbach schrieb am 30.04.1947: "Sehr geehrter Herr Präsident! Auf Anordnung der Militärregierung wurde für Garmisch-Partenkirchen die Zahl der ausländischen jüdischen Personen auf 450 festgelegt. Diese Zahl ist durch das anerkennenswerte Entgegenkommen um mehr als 200 überschritten. Ich mache Ihnen daher zur Pflicht keine weitere Erhöhungen vorzunehmen. Die Militärregierung gestattet ausnahmsweise, dass Sie für die auswandernden Personen dieselbe Zahl wieder zuziehen lassen können. Auf keinen Fall darf es vorkommen, dass Sie eine höhere Zahl Personen aus den Lagern den Zuzug nach Garmisch-Partenkirchen erlauben. Ich nehme an, dass dieser Befehl der Militärregierung genügt, um Ihnen bekannt zu geben, dass weitere Wohnungsbedürfnisse seitens des Wohnungsamtes und des Beauftragten Herrn Elias nicht erfüllt werden können. Ich bin sicher, dass Sie für die knappe Wohnraumlage Verständnis haben."

Im Juni 1947 stellte die jüdische Gemeinde Garmisch-Partenkirchen – sie zählte inzwischen noch 380 Mitglieder - den Antrag, in dem von US-Soldaten freigegebenen Hotel Marktplatz Versammlungs- und Gesellschaftsräume mit Büro und Heim einrichten zu dürfe. Begründet wurde dieser Antrag mit dem Hinweis, dass die Garmisch-Partenkirchner Kultusgemeinde die einzige in ganz Bayern sei, die über keine entsprechenden Räume verfüge. Den „Werdenfelser Michl" hatte man im April 1947 freigegeben, den „Lindenhof" im Juli und die Pension „Obermühle" im November 1946. Dennoch lehnte die Gemeinde den Antrag mit der Begründung ab, dass das Hotel Marktplatz „als Teilbesitz der Brauerei Röhrl" unter Vermögensverwaltung stehe und deshalb von der Gemeinde nicht belegt werden könne. Das Café Bischoff wurde auf Beschluss des Staatskommissariats für rassisch, religiös und politisch Verfolgte - "im Hinblick auf den kommenden Fremdenverkehr in Garmisch" - am 1. August 1948 an die früheren Eigentümer zurückgegeben. Die Büros der Jüdischen Gemeinde Garmisch wurden von dort in das Haus Regina, Hauptstraße, verlegt, wo diese Räume von der KZ-Betreuungsstelle zur Verfügung gestellt wurden.

Am 10. Dezember 1948 wurden im Einwohnermeldeamt des Marktes Garmisch-Partenkirchen noch 406 Personen jüdischer Herkunft gezählt. Die meisten von ihnen stammten aus Polen (Lodz, Warschau, Radom, Auschwitz, Krakau), Rumänien und Ungarn. Deutsche Juden kamen aus Köln, Hamburg, München, Hannover, Frankfurt und Breslau.

 

 

 

 

Jüdische DPs demonstrieren am 5. April 1947 in Garmisch-Partenkirchen auf der Bahnhofsstraße (vor dem damaligen Heimatmuseum)

zur Erinnerung an den Todesmarsch im April 1945 (Foto USHMM)

Jüdische DPs hissen 1947 in Mittenwald vor dem Hotel Karwendel die Fahne Israels (Foto Yad Vashem)

 

Öffnung der Grenzen in Palästina

Am 15. Februar 1948 verließ Henek Finkelstein, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde, Garmisch-Partenkirchen. Es darf angenommen werden, dass er wie die meisten anderen Mitglieder seiner Gemeinde die Entwicklung in Palästina verfolgt und zum Anlass genommen hat, in diesen Monaten und Wochen vor der absehbaren Gründung eines jüdischen Staates nach „Erez Israel" auszuwandern.

Vielleicht hat ihm auch ein kleiner Kommentar im Garmisch-Partenkirchner Tagblatt Ende Januar 1948 die Entscheidung erleichtert. Dort hieß es: „Es gibt auch heute noch viele Deutsche, die glauben, abfällig urteilen zu können über Juden polnischer Nationalität. Sie sollten etwas nachdenken darüber, wie viel man als Deutscher an diesen Menschen gutzumachen hat." Vermutlich hat Herr Finkelstein gespürt, dass nicht allzu viele Menschen über das, was geschehen war, nachdenken wollten.

Schon 1946 hatte eine amerikanisch-britische Kommission auf die Öffnung der Grenzen Palästinas für 100000 jüdische Einwanderer gedrängt. Ein Ausschuss der UNO empfahl 1947 die Teilung Palästinas, die UNO-Vollversammlung stimmte der Empfehlung zu. Im Mai 1948 gab Großbritannien mit dem Abzug seiner Armee aus Palästina das britische Mandat auf.

Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel durch den jüdischen Nationalrat und seinen Vorsitzenden David Ben Gurion proklamiert. 1949 verließen 70 jüdische DPs Garmisch-Partenkirchen und wurden Bürger dieses neuen Staates, 117 gingen in die USA, vier nach Kanada, innerhalb Deutschlands zogen drei nach Berlin und drei nach München.

Die bewaffneten Auseinandersetzungen um die Grenzen Israels dauern bis heute an. Den Juden, die Auschwitz und andere Folter- und Mordstätten überlebt haben, die die Todesmärsche nach Garmisch-Partenkirchen und Mittenwald überstanden haben, ist auch heute noch keine friedliche Welt gegönnt.

 

   
DPs demonstrieren in Mittenwald am 1. Mai 1947
für ihre Ausreise nach Israel (Foto USHMM)
Jüdische DPs 1947 vor dem Mittenwalder
Hotel Karwendel (Foto USHMM)
 

 

 

Quellen:

Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen: Akt Jüdische Kultusgemeinde – Listenweise An- und Abmeldung ab Mai 1945

Hochland-Bote: Ausgaben vom
- 17.11.1945
- 18.06.1946
- 14.02.1947
- 17.06.1947
- 22.07.1947
- 30.01.1948
- 30.07.1948

 

https://www.after-the-shoah.org/garmisch-partenkirchen-juedische-dp-gemeinde-jewish-dp-community/

 

 

 

© Alois Schwarzmüller 2006