Garmisch-Partenkirchen und seine jüdischen Bürger  -  1933-1945

 

 

 

 

 

Berta Schneider - Olympiagastgeberin und Opfer des Holocaust

 

09.11.1941

Berta Schneider an Lina Lengenleicher:

Meine liebe, gute Lina!

Mein Herz ist so schwer, ich wollte, ich wäre bei Ihnen. Gestern bekamen 1000 - 1200 J. den Ausweisungsbefehl für Dienstag d.11. Gretl ist dabei & noch so viele Menschen, die lieb & gut sind. Rally ist Gott sei gedankt nicht dabei & ich auch nicht. Aber liebe, gute Lina der Jammer ist so groß & man kann gar nichts tun als beten & den lieben Gott anflehen. Ich bin fertig mit meinen Nerven, seit letztem Montag bin ich wieder in der Arbeit, trotzdem mein Arm & meine Hand ganz abscheulich weh tut. Aber was sind körperliche Schmerzen gegen seelische. Gestern kam Ihr Päckchen, Sie liebe edle Seele, Sie sind bestimmt die Beste von Allen, was haben Sie schon alles für uns getan.

Gretl, die Ärmste, hat heute eine Birne gegessen & Blätzchen & dabei haben wir so geheult. Liebe, gute Lina, ich bitte Sie, beten Sie für uns.- Wenn ich etwas näheres weiß, schreibe ich Ihnen sofort, ich denke, dass ich nur mehr kurze Zeit in der Pension bleiben kann. Vielleicht kann ich im Heim unterkommen. Ich schreibe bestimmt gleich. Alles Liebe & tausend Dank. Herzl. Grüße Ihre oft & herzlich an Sie denkende B.
Grüße Ihrem Vater. Grüße von Rally & der armen Gretl.

 

   

 

14.11.1941

Berta Schneider an Lina Lengenleicher:

„Meine liebe, gute Lina!

Gestern früh haben sie die arme Gretl geholt, einfach grauenvoll.- Ich habe es Fr. G. mitgeteilt, Tonerl hat mir heute Kuchen & Blätzchen gebracht. Frau G. hatte keine Ahnung. Sie war entsetzt. Alles ist si unbeschreiblich aufregend. Rally ist ganz am Ende & ich auch. Noch dazu der Wechsel in der Arbeit, es geht nicht aus - aber alles ist zu ertragen - im Verhältnis zu Gretl´s Geschick. Aber was kann man machen - hoffen & beten & den lieben Gott anflehen, dass er uns vor diesem entsetzlichen Schicksal bewahren möge, vielleicht geschieht noch ein Wunder.

Soeben war Agnes da, auch sehr aufgeregt, sie bittet Sie immer um Vermittlung, will mir noch einige Wollsachen schicken aber zuerst zu Ihnen, scheinbar hat sie auch Sorge um mich, ich habe sie noch nie so gesehen. Es hat im Augenblick keinen Sinn her zu kommen, ich bin den ganzen Tag in der Arbeit, wir regen uns nur auf. Wenn etwas ist, erfahren Sie es bestimmt rechtzeitig. Sie haben schon so viel um mich gelitten & helfen kann nur einer, das ist der liebe Gott, wir armen Menschen sind ohnmächtig.-

Also liebe gute Lina noch tausend Dank für Ihren Anruf & alles Herzliche von Rally & Ihrer B.“

 

ohne Datum

Berta Schneider - Ausriss aus einem längeren Schreiben, vermutlich ebenfalls an Lina Lengenleicher:

„Am Montag Nacht haben sich Mannheimer`s umgebracht. Sie bekamen kein Zimmer & wollten nicht nach einem Massen Lager. Er ist bereits gestorben & sie liegt auch hoffnungslos darnieder. Frau Dr. hat allerhand durchgemacht, die Armen haben sich in der Pension das Leben genommen. Sie haben mir noch einen Abschiedsbrief geschrieben & einige Sachen hinterlassen. Man kommt nicht mehr zur Ruhe…“ 

   

 

01.04.1942

Berta Schneider-Rosenthal schreibt aus dem jüdischen Sammellager München-Milbertshofen und nimmt Abschied von Lina Lengenleicher:

Milbertshofen, 1. April 1942

Meine liebe, gute Lina!
Ich wollte Ihnen nicht mehr schreiben, denn Sie können sich denken, wie unendlich schwer mir dieser Brief fällt. Aber Julius (Julius Ambrunn, Münchner Cousin von Berta Schneider, ermordet in Auschwitz, d.V.), der hier unten ist, ließ mir keine Ruhe. Am Sonntag bekamen Rally (Dr. Rally Rosenthal, d.V.) und ich den Befehl uns bereit zu halten, gestern früh haben sie uns geholt. Was dazwischen an Aufregungen und Kämpfen lag ist unbeschreiblich. -

Wir liegen auf Strohsäcken mit einer grossen Menschenmenge zusammen, was man alles ertragen kann, wenn man muß. Freitag, also übermorgen, soll es abgehen nach Polen. - Ein grausiges Schicksal, aber es macht nichts, man muß es hinnehmen.

Liebe gute, beste Lina ich danke Ihnen von ganzem Herzen für alles Gute, Sie wissen, dass es für mich so unendlich schwer ist, mich gerade von Ihnen zu trennen. Niemand ist so treu zu mir gestanden wie Sie, das muss Ihnen reichlich belohnt werden. Einmal kommt der Tag, ob ich`s erlebe, weiß der Himmel, aber gegen die Bestimmung kann sich niemand auflehnen. Rally ist sehr tapfer und wir sind glücklich, dass wir diesen schweren Weg zusammen gehen. Freitag verheiratet und Sonntag diese Nachricht. Ich kann Ihnen nur immer wieder meiner herzlichsten Dankbarkeit und Treue versichern. Küsse Sie innig und bleibe stets Ihre Sie herzlich liebende B

Bitte an Agnes schreiben (Agnes Hänsler, d.V)  Viele Grüsse an Ihren Vater, Gusti mit Mann"

 

   
     

 

     

 
 

© Alois Schwarzmüller 2006