Garmisch-Partenkirchen und seine jüdischen Bürger  -  1933-1945

 

 

 

Berta Schneider - Olympiagastgeberin und Opfer des Holocaust

 

Lina Lengenleicher, Regensburg, Uhlandstr. 4, berichtet am 16.02.1949 über die Ereignisse im November 1938 in Garmisch-Partenkirchen als Zeugin im Spruchkammerverfahren gegen Hans Hausböck:

 

"Ich hatte seit 1.10.35 das Haus "Sonnenfleck", Angerstr. 12 von Frau Bertha Schneider, bei der ich früher als Stütze tätig war, gepachtet. Als am 9.11.1938 Herr Hausböck die antijüdischen Aktionen einleitete, ließ er auch mich verhaften, da ich den Aufenthalt von Frau Schneider, die Jüdin war, nicht preisgab. Auf seine Veranlassung wurde ich unter Bedrohungen und Beschimpfungen aller Art durch den Mob zur Kreisleitung abgeführt und dort einige Stunden unter Bewachung in ein Zimmer gesperrt. Später brachte man mich wieder in die Angerstraße zur Haussuchung, von dort zurück zur Kreisleitung, von dort zur Polizei, schließlich zum Bezirksamt; da ich nicht bereit war, Frau Schneiders Aufenthalt zu verraten (sie war zu Bekannten nach München geflohen), ordnete Herr Hausböck meine Überführung ins Gefängnis an, wo ich mich einer Leibesvisitation unterziehen sollte. Ich wurde zusammen mit kriminellen Häftlingen untergebracht und erst nach Tagen wieder entlassen.

In der Angerstraße war inzwischen eine SA- und SS-Wache eingezogen und hatte das Haus geplündert und alles aus meinem und Frau Schneiders Besitz gestohlen, was nicht niet- und nagelfest war, u.a. eine weißgoldene Schweizeruhr mit Brillanten. Im übrigen befand sich das Haus in furchtbarem Zustand. Ich durfte nicht dort bleiben, das Haus wurde versperrt und Herr Hausböck erhielt die Schlüssel, die er mir nach 14 Tagen schließlich zurückgab. Anschließend wurde ich noch vier Wochen lang Tag und Nacht durch SA und SS beobachtet.

Nach diesen Ereignissen war für mich ein weiterer Aufenthalt in Garmisch nicht mehr möglich.

Ich kann es nicht unterlassen, hier noch hinzuzufügen, daß es mir bis heute nicht möglich war, den Rückzug nach Garmisch zu erhalten. gez. Lina Lengenleicher"

 

 

 

Zwei Dokumente von Lina Lengenleicher aus dem Spruchkammerverfahren gegen den ehemaligen
NS-Kreisleiter Hans Hausböck vom 16.02.1949 und 18.03.1949

 

Bericht von Lina Lengenleicher „über meine Erlebnisse, bedingt durch mein Zusammensein mit meiner Freundin, der Jüdin Frau Berta Schneider" (Aussage im Spruchkammerverfahren gegen NS-Kreisleiter Hausböck am 18.03.1949):

"Am 1.X.35 erhielt ich von Frau Berta Schneider das Fremdenheim Sonnenfleck in Garmisch-Partenkirchen, Angerstr. 12 in Pacht. Frau Schneider hätte die Pension nur unter erschwerten Umständen führen können.

Bereits ab Sommer 38 wurden meine Gäste von der Nachbarin Frau P. aufmerksam gemacht, dass das Haus jüdischer Besitz sei, auch machte Frau S., Angerstr. 14 wiederholt Anzeige bei der Gemeindeverwaltung und bestand darauf, dass die Kripo das Haus kontrollierte. Ausserdem wurden von Frau P., jetzt Frau H., Angerstr. 19 die Gäste Falkenberg, Valeska u.a. mehr, veranlasst, sofort bei mir auszuziehen, was dieselben auch taten. Ich hatte dadurch grossen finanziellen Verlust, da ja die laufenden Ausgaben trotz des leeren Hauses bezahlt werden mussten, wie Pacht, Zins, Steuern etc. Ich musste sogar noch solche nachbezahlen, als ich schon als Hausangestellte, und als solche verdiente, in München tätig war.

Ein Kriminalbeamter Namens Schneider, der Anfangs September 38 das Haus untersuchte und Einsicht in die Bücher verlangte fand alles in bester Ordnung und empfahl uns möglichst bald von hier wegzuziehen, da er sichtlich von dem weiteren Vorgehen gegen jüdischen Besitz, wenn dieselben auch von Ariern weiter geführt wurden, Kenntnis hatte. Er hat sich mir gegenüber sehr höflich und diskret benommen.

Einige Tage später wurde ich von einem Amtsdiener zum Bürgermeister Scheck befohlen, der mir erklärte, dass das Haus nicht ordnungsgemäß geführt wurde. Ich wurde nun fast jeden 2. Tag zu irgend einer anderen Dienststelle, wie Gewerbeinspektion, oder Bürgermeisterei vorgeladen. Es wurde mir die sofortige Schliessung befohlen, jedoch konnte ich erreichen, dass die im Haus wohnenden Gäste ihren Ferienaufenthalt beenden konnten. Auf Grund der vorgenannten Erfahrungen und dadurch, dass Frau Schneider bereits mit ihren Verwandten in USA die Ausreise seit Juli 38 betrieb, hatte sie die Absicht, mir das Haus Angerstr. 12 zu schenken. Eine Nachfrage bei dem Anwalt Dr. Rösen in Partenkirchen, Ludwigstrasse ergab, dass jüdischer Besitz nicht verschenkt werden dürfte, da die Gemeinde eine Verschleierung vermutete.

Es kam Donnerstag, der 9. Nov. 38. Frau Schneider wurde von Frl. Hensler 5 Minuten vor Sperrung des Telefons angerufen, das Haus sofort auf Seitenwegen zu verlassen und zu ihr zu kommen. Kurze Zeit darauf erschien die sogenannte wütende Volksmenge, besteht aus verkleideten SA & SS - Leuten ca. 15 Mann an der Spitze Herr S. (Gemeindebeamter am Fremdenverkehrsmeldeamt) und Herr H. jun. auch Gemeindebeamter, Sohn eines Fremdenheimbesitzers, der sich persönlicher Rache wegen sehr gemein gegen mich benahm und meine Verhaftung verlangte. Gegen 8 Uhr stürmte diese Menge das Haus und erreichte, dass ich um 9 Uhr verhaftet wurde. Die Polizei wollte mich durch den rückwärtigen Eingang in der Kreisleitung abliefern; ein mir unbekannter Herr in Zivil verlangte die Ablieferung durch den Haupteingang, wo eine grosse Volksmenge mich mit unflätigen Zurufen beschimpfte und bespuckte. (Die Zurufe der Menge der ich völlig unbekannt war lauteten Sauvieh dreckats, Saujüdin, jetzt ham ma Di endlich u.)

Ein des Weges gehender mir Bekannter (Herr Weber) wollte die Menge darauf aufmerksam machen, dass ich keine Jüdin sei, worauf er auch bedroht wurde. In der Kreisleitung wie auch Polizei und Bezirksamt wurde ich nach vielem Hin & Herfahren, Kreuzverhören, mit Gestapomethoden, unterworfen. Auf Veranlassung des Landrates Dr. Wisent und des Kreisleiters Hausböck wurde ich nach einer Leibesvisitation gegen Abend in das Gefängnis eingeliefert. Mein persönliches Eigentum wurde mir bei dieser Gelegenheit alles abgenommen. Der Sohn des damaligen Gefängniswärters beschimpfte mich bei meiner Einlieferung auf gemeine Weise, wurde aber von dem mich begleitenden Polizeibeamten in seine Grenzen gewiesen. Ich kam in eine Zelle, wo zwei Mädchen wegen Hehlerei eingesperrt waren. Am Samstag den 12. Nov. Wurde ich ohne nähere Angaben auf freien Fuss gesetzt. Wie ich später hörte hatten sich Frl. Hensler und Herr Dr. Rösen für mich verwendet. Frau Schneider ist in der Zwischenzeit nach München zu Bekannten gefahren.

Während meiner Inhaftierung wurde nicht nur alles Mögliche aus dem Haus gestohlen, sondern dasselbe auch in einen unbeschreiblichen Zustand versetzt. Den Zugang verschafften sich die „Herren" mit Nachschlüssel und den Kellereingang. Später wurde das Haus tagsüber von zwei SA und nachts von einem SS-Mann bewacht. Über die Behandlung dieser Posten mir gegenüber zu schreiben ist unmöglich. Ich konnte die ersten 14 Tage nicht mein Zimmer betreten, sondern musste in einem kleinen Nebenraum nächtigen ohne die Möglichkeit zu haben mich nur zu waschen oder umkleiden zu können., die Schlüssel waren nämlich bei der Kreisleitung hinterlegt und ich musste 2 - 3 mal hinlaufen, bis ich dieselben endlich erhielt. Nach 14 Tagen erschien der Kreisleiter persönlich, bedauerte meine Inhaftierung, entschuldigte sich, dass ich ihn nicht angetroffen hätte um mir die Schlüssel einzuhändigen und war über den Zustand des Hauses entrüstet und entsetzt. Eine Liste über die gestohlenen Gegenstände, welche sich auf ca. 1500.— belief wurde mir mit dem Vermerk zurückgegeben: „Unsere Leute stehlen nichts!" Nachdem ich das Haus wieder in Ordnung gebracht hatte und die Posten endgültig das Haus verlassen hatten erschienen verschiedene höhere und „politisch zuverlässige Leute" die Hausbesichtigungen durchführten und das Haus sich aneignen wollten. Alle anderen jüdischen Hausbesitzer mussten bei ihrer Inhaftierung ein Schreiben unterzeichnen, dass sie auf ihren Besitz verzichten. Dadurch dass Frau Schneider dieser Verhaftung entging, konnte das Haus auf diese Weise nicht enteignet werden. Das Haus wurde durch den Makler, Herrn B., an Herrn F. verkauft. Der Betrag (Einheitswert des Hauses) musste auf das Sonderkonto, da jüdischer Besitz, bei der Bayer. Vereinsbank einbezahlt werden. Durch die jüdischen Reichsabgaben wurde dieser Betrag sehr stark reduziert.

Unter den obwaltenden Umständen war auch ein Aufenthalt meinerseits in Ga.-Pa. nicht mehr möglich und so nahm ich als Haushälterin eine Stellung in München an. Frau Schneider lebte während dieser Zeit bis zu ihrer Verhaftung im März 1943 (muss 1942 heißen, d.V.) in München. Sie kam am 1.4.1943 nach Piasky bei Lublin von wo ich des öfteren Post von ihr erhielt. Ihr letzter Brief kam im Oktober 1943. Seither fehlt jede Spur. gez. Lina Lengenleicher - (43b) Wielenbach 48 bei Weilheim (Oby.)"

 

© Alois Schwarzmüller 2010