Burgrain - der "dritte Ortsteil" von Garmisch-Partenkirchen  -  1939-1945

 

 

Vom Einzug in die ersten Sied­lungshäuser bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

 

1939

Zahlreich sind die Bezeichnungen für den Ort, an dem im Laufe der Jahre 1938 und 1939 knapp einhundert Wohnun­gen, Siedlerstellen und Eigenheime ent­stehen: Da ist die Rede von der „Sied­lung am Farchanter Gröben“, sogar die Bezeichnung „Siedlung am Garmi­scher Gröben“ wird verwendet. Eine fe­ste Bezeichnung hat sich noch nicht ein­gebürgert, die für Bewohner und Behör­den gleichermaßen verbindlich gewesen wäre.Modell der "Alten Siedlung" 1939 - gebaut anlässlich der Ausstellung "50 Jahre Burgrain 1939-1989"

 Eine weitere Namensvariante enthält ein Zeitungsbericht im Garmisch-Partenkirch­ner Tagblatt vom April 1939. Er ist über­schrieben mit dem Titel „Die neue Sied­lung am Lahnewiesbach“ und be­schreibt das, was von dieser neuen Sied­lung bereits erkennbare Gestalt ange­nommen hat. Sie sei schon so weit gedie­hen, meint der Verfasser einleitend, daß sie des Vorüberziehenden lebhafte Auf­merksamkeit erwecke. Und dann fährt er fort:

 „Wo vor nicht ganz Jahresfrist noch ein Durcheinander von Uferwildnis und Bäu­men, Gestrüpp und Gestein war, lässt sich heute schon erkennen, wie an dieser Stelle ein landschaftlich prachtvoll ge­rahmter neuer Ortsteil entsteht. Wir erin­nern uns noch gut und gerne an die Zeit, da im vorigen Sommer Formations- und Betriebsangehörige mit Pickel und Schaufel ausgerückt waren, um in Ge­meinschaftsarbeit dort unterhalb Schwaig­wang und Ruine Werdenfels eine neue Straße zu errichten als Stützpunkt für die geplante Siedlung im Winkel Lahnewies­bach - Loisach.

 Heute stehen bereits die Frontalgebäude mit Ziegeln gedeckt fertig da und harren nur noch des Außenputzes und der In­neneinrichtung. Dieses Dutzend LängshäusSiedlerhaus mit Gemüsegarten - 1940er enthält je fünf bis sechs abge­schlossene Wohnungen...  Jede dieser Wohnungen besteht aus Waschküche und Kellerraum, Küche, Zimmer, Speise und Klosett und zwei weiteren Zimmern im Obergeschoß.

 Mit den Einzel-Einfamilienhäusern wurde im Februar begonnen; es sind ihrer etwa 40 bis 50 vorgesehen mit Waschküche, Küche und zwei Zimmern, mit Raum für weitere zwei Zimmer im Dachgeschoss. Eine Anzahl dieser Einzelhäuser ist be­reits mit dem Dachstuhl versehen, andere entwachsen eben erst der Scholle. Sämt­liche Bauten sind mit Rücksicht auf die nahen Gewässer etwas hochgesetzt auf­geführt, sie stehen aber reizend im Ge­lände. Hochwassergefahr besteht für sie so gut wie keine, nachdem der Lahne­wiesgraben an seiner Mündung muster­gültig reguliert wurde ... Dem Straßenhäuserblock, der zum Teil schon im Juli beziehbar sein dürfte, schließt sich an je­der Seite noch ein Ladenanbau an, und bei der ziemlichen Ortsferne werden sich manche Siedler wohl auch mit Kleintier­zucht befassen. So wird sich in Bälde dort draußen in der Nähe der Olympiastraßen­abzweigung ein reges Siedlungs- und Ge­meinschaftsleben entfalten.“

 Während also, folgt man dieser schönen Beschreibung des Baufortschritts, die Häuser im nördlichen Winkel zwischen Lahnewiesgraben und Loisach langsam aus dem Boden wachsen, sind noch wei­tere Probleme zu bewältigen: die Schaf­fung einer übersichtlichen Straßenfüh­rung über den Lahnewiesgraben und die Entschärfung der Drohung, die vom Ge­röll und Geschiebe des Lahnewiesgra­bens ausgeht.

 Im Juni 1939 werden beide Aufgaben, die man seit Februar zu bewältigen ver­sucht, zu Ende gebracht. Das Bauge­schäft Saffer führt die Arbeiten in Zusam­menarbeit mit dem Straßen- und Flussbauamt aus. Der Lahnewiesgraben ist stark vermurt und bedeutet deshalb eine ernste Hochwassergefahr für die neuen Nachbarn an der Einmündung zur Loisach. 6000 Kubikmeter Geröll werden in die­ser Zeit aus dem Lahnewiesgraben ausgebaggert, die alte Uferverbauung aus Baumstämmen muss zum Teil aus einer drei Meter tiefen Schicht von Schotterge­schiebe freigelegt werden. Das neue Bachbett ist in seiner Sohle sechs bis sie­ben Meter breit. Die Böschungen werden mit Bruchsteinen ausgemauert, desglei­chen teilweise auch die Bachsohle. Vor der Unterführung des Lahnewiesbaches baut man eine zwei Meter hohe Wasserstufe ein, so daß auch „dem gewaltigsten Hochwasser bequemer Durchlass ermög­licht“ werden kann, wie ein Zeitungsbe­richt vom 15. Juni versichert.

 Die Aufschüttung der „äußeren Burgstraße“, die am nördlichen Rand der neuen Siedlung verläuft, ist in einer Länge von 400 Metern notwendig gewor­den, „um endlich die unübersichtliche Stelle am Lahnewiesgraben zu beseiti­gen“. Die ursprüngliche Trassierung der Straße sorgte für gefährliche Verhältnisse, so daß Verkehrsunfälle keine Sel­tenheit waren. Zugleich mit der Aufschüt­tung wird auch die Fahrbahn verbreitert, damit, wie es optimistisch heißt, „die neue Straßenführung allen Anforderun­gen des Verkehrs in Zukunft genügen wird“. Zum Schluss wird die Straße noch „makadamisiert“, sie erhält - erstmals in ihrer Geschichte - eine Teerdecke.

 Nur vier Wochen später, im Juli 1939, sind die ersten Wohnungen in der neuen Siedlung bezugsfertig. Unter der Überschrift „Die Arbeiten an der Siedlung am Farchanter Gröben schreiten rasch vor­wärts“ meldet das Garmisch-Partenkirch­ner Tagblatt am 27. Juli 1939: „Vor ein paar Tagen sind bereits zwei Wohnun­gen des Volkswohnungsblocks in der Siedlung am Farchanter Gröben be­zogen worden. Diese Wohnungen sind bis auf den Wasseranschluss und den Lichtanschluss fertiggestellt“. An der Was­serleitung wird noch gearbeitet, eine Trans­formatorenstation ist schon errichtet, die elektrischen Freileitungsanlagen werden von ihr aus gezogen. Der weitere schnelle Fortschritt der Bauarbeiten „leidet aller­dings unter dem Mangel an Facharbei­tern“, die sich wohl, eingezogen zu Hit­lers Wehrmacht, in diesen Sommermona­ten für den Überfall auf Polen im September 1939 vorbereiten müssen. Man rech­net damit, daß alle Häuser und Wohnun­gen im Herbst bezogen werden können. 

Und so wird das Gesicht der neuen Sied­lung beschrieben: „Drei Ladengeschäfte sind in den Volkswohnungsblocks einge­baut. Davon wird ein Laden Wurst und Fleisch, ein Laden Milch, Brot usw. und der dritte alle sonstigen Lebensmittel wie Gemüse, Obst und Kolonialwaren führen. Die 99 Häuser umfassen 50 Volkswoh­nungen, zusammengefasst in zehn Blocks, ferner 46 Siedlerstellen und 12 Eigen­heime... Jede Siedlerstelle hat durch­schnittlich 600 qm Gartenland.“

 Eine „hübsche Anlage“ ist das Ziel der Planer, vom alten Baumbestand hat man einige besonders schöne Bäume einbe­zogen, und streng heißt es am Schluss der Beschreibung: „Die Aufstellung von Hüt­ten oder sonstige unschöne Veränderun­gen werden daher im Interesse des Ge­samtbildes der Anlage auf keinen Fall ge­duldet werden“.

 Im August 1939 erhalten die zukünftigen Siedler Post vom Bürgermeister des Marktes Garmisch-Partenkirchen. Unter „Betreff: Siedlung am Farchanter Grö­ben“ heißSiedlerhaus mit Hakenkreuzfahne - 1940t es dann: „Die Oberbayerische Heimstätte hat ihr Einverständnis zu mei­nem Vorschlag über die Zuteilung der Eigenheime, Siedlungshäuser und Volkswohnungen gegeben. Ich freue mich deshalb‚ daß ich Ihnen heute mit­teilen kann, daß Sie mit einer Wohnung bedacht wurden“. Nach einigen Hinwei­sen auf noch nötige Arbeiten und die ver­tragliche Regelung steht in diesem Schreiben dann abschließend und recht bedrohlich: „Ich hoffe, daß Sie das in Sie gesetzte Vertrauen voll rechtfertigen“. Auch ohne die abschließende Grußfor­mel „Heil Hitler“ ließe sich die ständige, unausgesprochene Anwesenheit der Dik­tatur erahnen.

 Im September 1939 wird die veränderte Straßenführung an der „Olympia-Stra­ßen-Abzweigung“ über den Lahnewies­graben als „Schulbeispiel für die Wand­lung des Straßenbaus entsprechend den Notwendigkeiten des gesteigerten und beschleunigten Verkehrs“ bezeichnet.

 „Alle Unebenheiten“, so heißt es weiter in einem Artikel des Garmisch-Partenkirch­ner Tagblatts vom 26. 9. 1939, „und un­nützen Kurven, die die Geschwindigkeit des Verkehrs nur drosseln, sind ver­schwunden, gradlinig verläuft die Straße und nur ein paar weitgespannte, ge­neigte Kurven, die keine Geschwindig­keitsbegrenzung verlangen, überschnei­den in elegantem Bogen die vielfachen Krümmungen der alten Straßenführung“ auf der „äußeren Burgstraße“ in Richtung Garmisch ‚„Etliche Ingenieure, Schieß­meister und Vorarbeiter“, so erfahren wir weiter „haben inzwischen ihr Arbeitsge­wand mit dem feldgrauen Waffenrock vertauscht“.

Am 1. September 1939 hatte Hitler mit dem Überfall auf Polen ganz Europa und fast die gesamte Welt in den zweiten gro­ßen Krieg dieses Jahrhunderts geführt.

 Dieser Zweite Weltkrieg, von dem Hit­lers Feldmarschall Herman Göring schon am dritten Tag sagt, „Wenn wir diesen Krieg verlieren, dann möge uns der Him­mel gnädig sein“, dauert noch fort bis zum 8. Mai 1945. In der neuen Siedlung am Lahnewiesgraben gibt es kaum eine Familie, die in diesen sechs verhängnis­vollen Jahren nicht den Vater, den Mann, den Sohn, ja die Söhne in den mörderi­schen Wahnsinn dieses Krieges ziehen lassen muss.

  

1940

 Im Januar des zweiten Kriegsjahres 1940 leben nun schon 70 Familien mit etwa 300 Personen in der neuen Siedlung am Farchanter Gröben. „Siedlung im Schnee“, so ist ein Beitrag im Garmisch­-Partenkirchner Tagblatt vom 18. 1. 1940 überschrieben, der das Leben im neu er­standenen Ortsteil schildert: „Aus den zahlreichen Kaminen kräuselt sich der Rauch in die kalte Winterluft, an den Fenstern sehen wir Vorhänge und die an vielen Häusern im Winde flatternde Wäsche verrät uns schon von Sogenannte Volkswohnungen als Reihenhaussiedlung - 1940weitem, daß die Bewohner inzwischen ihren Ein­zug gehalten haben“. Dann rühmt der Au­tor den „Iandschaftlich sehr schönen Platz“, den man für diese Siedlung ausge­sucht habe: „Auf drei Seiten von schönen Wäldern umrahmt, grenzt sie im Süden an die Ufer der Loisach, über die hinweg sich ein wunderbarer Ausblick auf die Berge er­öffnet“. Für Kinder und Jugendliche je­den Alters gibt es Spielplätze, die Ausstat­tung der Küchen in den Siedlerhäusern und „Volkswohnungen“ wird gelobt, sie verfügen alle „über einen modernen Herd mit zwei Kochstellen und einer Brat­röhre mit elektrischem Betrieb“. Bedauert wird von den Siedlern der ersten Stunde eigentlich nur, „daß eine Verbindung mit Kraftwagen nach Garmisch-Partenkir­chen bzw. Farchant noch nicht besteht“. Zwei wesentliche Bestandteile eines Dor­fes fehlen der Siedlung allerdings noch: Die Kirche und das Wirtshaus. Ein christ­licher Sakralbau wäre freilich kaum nach dem Geschmack der Nazis gewesen. Zwar mehrt sich im zweiten Kriegsjahr die Zahl der Soldaten, die für Hitlers Größen­wahn ihr Leben lassen müssen, die Nazis gedenken ihrer aber lieber bei dumpfen Heldenfeiern mit markigen Durchhalte­parolen im Garmischer Kurtheater.

 Dass die ersten Siedler ihren Durst zu Hause löschen müssen und noch kein Wirtshaus mit gemütlicher Stube und Stammtisch vorfinden, das gefällt vor al­lem den Siedlerfrauen: „Gottfroh samer, daß‘s koine gibt“, so eine Frau auf die Frage, ob man eine Wirtschaft im neuen „Dorf“ vermisse.

 Im ersten Frühjahr, das die Siedler in ih­ren neuen Wohnungen und Häusern erle­ben, werden Gärten angelegt, Bäume gepflanzt und Gemüsebeete geschaffen. „Sobald der Siedlerhäuser - 1940Werkeltag und jede freie Stunde es erlauben“, so ein Beobachter im Mai 1940, „wurlt es um und zwischen den einzelnen Siedlungshäusern wie Ameisen“. Gegenseitig hilft man sich, um die letzten Baumstümpfe aus dem Boden zu entfernen. „Mit Gartenwerkzeug aller Art bewehrt, schaffen sich die Siedler des Platzes Anbauflächen und Wege... Die innere Zufriedenheit und Lebenslust am vordem öden Farchanter Gröben“ wächst mit den sichtbaren Ergebnissen harter „Pionierarbeit“.

 Im Juni des Jahres 1940 ist die „Brach­landaktion“ schon beendet, „die tägliche intensive Arbeit der Siedler nach Feier­abend und am Wochenende hat bereits ihre Früchte getragen“. Mancher hätte sich wohl auch gerne ein Blumenbeet an­gelegt, doch daraus wird vorläufig nichts, aus weltpolitischen Gründen sozusagen: „Das machen wir einmal, wenn der Krieg aus ist, vorläufig will der Führer, daß wir Gemüse anbauen“, so wird ein Siedler zi­tiert. Blumenkohl und Stangenbohnen vom Lahnewiesgraben also, damit Hit­lers Wehrmacht nicht Kohldampf schie­ben muss! Die Zahl der Ladengeschäfte ist inzwischen auf vier angewachsen: Milchprodukte und Backwaren gibt es bei Valentin, mit Kolonialwaren handelt man bei Schwarz, Flaschenbier verkauft Budian, und Metzgermeister Kappel­meier versorgt die Siedler mit Fleisch und Wurst - alles auf Lebensmittelkarte, ver­steht sich, denn der Krieg kann nur ge­wonnen werden, wenn alles in Gramm bemessen und in Stückzahl berechnet wird. Auch dies will der Führer so!

 Bei Pralinen etwa: „Für Bezieher, die in Garmisch-Partenkirchen wohnhaft und die im Besitz einer vom Ernährungsamt B, Garmisch-Partenkirchen, ausgegebe­nen rosa oder blauen Reichsnährmittel­karte der 36. Zuteilungsperiode sind, kommen pro Kopf 62,5 Gramm holländi­sche Pralinen zur Verteilung“. Der Sied­lernachwuchs am Farchanter Gröben kann sich für entgangene Praline- und Schokoladegenüsse wenigstens bei den idealen Spielmöglichkeiten schadlos hal­ten, die an den Ufern der Loisach und des Lahnewiesgrabens sowie im angrenzen­den Wald gegeben sind.

  

1941

 Der „Vorort im Norden“, dessen „kleinere Bauten sich so munter um die gerade Mit­telachse der Hauptbauten schwingen“ — so ein Zeitgenosse, der das neue Viertel vom Wank aus beschreibt — dieser neue Vorort lebt nicht stets mit sich im Frieden, so idyllisch Ein Schneepfluggespann räumte die Siedlungsstraßen - 1942viele Beschreibungen der Zeit auch klingen.

 Im Juli 1941 teilt die Oberbayerische Heimstätte als Bauträgerin mit, daß „Siedlungsobmann Teitscheid.. . beson­ders aus gesundheitlichen Gründen sei­nen Posten als Obmann aufzugeben be­absichtigt. Siedlungs-obmann Teitscheid,  der sich sehr um die einzelnen Verhält­nisse innerhalb der Siedlung angenom­men hat, konnte nicht immer die von ihm gewünschte Unterstützung erfahren“. Nachfolger im Amt des Siedlungsob­manns wird Polizeiwachtmeister der Re­serve Wilhelm Ulrich.

 Im gleichen Jahr werden schon die ersten Pläne für den „Wohnungsbau nach dem Kriege“ geschmiedet, eine beträchtliche Erweiterung der Siedlung am Farchanter Gröben wird ins Auge gefasst: Etwa 100 „Volkswohnungen“ und 150 Kleinsieder­stellen sollen entstehen. „Jedenfalls kann heute schon als feststehend angenom­men werden, daß die Siedlungsvorha­ben nach dem Kriege durchgeführt wer­den können“, so steht es in einem Schrei­ben an das Landratsamt. Die gleichen Leute, die so sehr davon überzeugt sind, daß Hitlers Krieg schon bald mit einem deutschen Sieg zu Ende gehen würde, die gleichen Nazi-Funktionäre, die die­sen Krieg nicht als Übel, sondern als Vor­aussetzung für die Herrschaft Hitler-Deutschlands über ganz Europa betrach­ten, sorgen mit der Bezeichnung der Stra­ßen in der Siedlung am Lahnewiesgra­ben dafür, daß nationalsozialistische Leit­- und Heldenbilder dieser Siedlung zu­nächst ihren Stempel aufdrücken: Die drei Straßenzüge zwischen Burg­straße, Loisach und Lahnewiesgraben werden nach den NS-Größen (,‚Opfer der Bewegung“) Josef Weber, Wilhelm Wolf und Matthias Mann benannt. 1945 wer­den diese Straßennamen „entnazifiziert“.

 Im Januar 1941 hält der Kaminkehrer Einzug in der neuen Siedlung: Im „Voll­zug der Verordnung über das Schorn­steinfegerwesen“ wird die „Siedlung am Farchanter Gröben“ mit der Nr. 21 dem 3. Kehrbezirk Garmisch zugewiesen.

Lebensmittelladen Schwarz - 1944 - Die Häuser waren während des Krieges mit Tarnfarbe gestrichen.

Burgrainer "Fuhrpark" - 1944 - An dieser Stelle wurde 1975 die Friedenskirche errichtet.

Bis zum August 1941 werden von der Münchner Baufirma F W. Noll die bis vor kurzem noch „grundlosen“ Straßen „in ihrer ganzen Länge ausgebaut, gewalzt und mit Gehsteigen versehen“. Die An­wohner haben Vorgärten angelegt, „die zwar noch im Entstehen sindLebensmittelladen Schwarz - 1944, aber doch schon in herrlichem Blumenschmuck prangen“. Aus den Gemüsegärten, „in de­nen es üppig wuchert“, können sich die Menschen selbst versorgen. Es sind nicht mehr sehr viele, denn die meisten Män­ner befinden sich im Krieg.

 „Die wenigen zur Zeit nicht einberufenen männlichen Bewohner“ errichten in „frei­williger Gemeinschaftsarbeit“ einen Geh- und Fahrradweg entlang des Lahnewies­baches. Er verbindet „die große Autostraße Garmisch-Partenkirchen - Far­chant mit der Hauptstraße der Siedlung“. Die Post wird zweimal täglich vom Haupt­postamt Garmisch aus zugestellt, die Siedlung ist an das öffentliche Fern­sprechnetz angeschlossen.

 Die Bezeichnung „Siedlung am Farchan­ter Gröben“ macht deutlich, daß das neue „Dorf“, obwohl schon seit 1939 ein Eingemeindungsantrag von Gar­misch-Partenkirchner Seite vorliegt, immer noch auf Farchanter Flur liegt. Im September 1941 unterzeichnen die bei­den Bürgermeister der Gemeinden Far­chant und Garmisch-Partenkirchen schließ­lich eine „Vereinbarung“, die die rechtli­chen Verhältnisse zwischen den Gemein­den, die neue Siedlung betreffend, we­nigstens vorübergehend regeln soll.

 In der „Präambel“ dieser Vereinbarung heißt es. „In der Erkenntnis, daß einer­seits eine auf den geltenden Gesetzen be­ruhende Eingemeindung des Siedlungs­gebietes im sogenannten ‚Farchanter Gröben‘ und damit die Schaffung klarer Rechtsverhältnisse wegen der infolge des Krieges ruhenden Bearbeitung des Ein­gemeindungsantrages in absehbarer Zeit nicht möglich ist, andererseits die bisher unterschiedliche verwaltungsrechtliche Be­handlung dieses Gebietes unerwünschte Folgen für die Nachbargemeinden hatte und weiterhin, insbesondere nach Eintritt der Grundsteuerpflicht der Siedlungs­grundstücke, in Zukunft haben wird, sind der Markt Garmisch-Partenkirchen und die Gemeinde Farchant überein­gekommen, zum Zwecke der Schaffung grundsätzlich klarer Verhältnisse bis zur rechtskräftigen Eingemeindung dieses Gebietsteils folgende Vereinbarung un­beschadet der tatsächlichen Rechtslage abzuschließen“.

 Wer dieses Satzungetüm klassischer Bü­rokratensprache durchschaut und ver­standen hat, dem werden dann die kon­kreten Einzelpunkte der Abmachung zwi­schen Farchant und Garmisch-Partenkir­chen mitgeteilt:

 „1. Die Vereinbarung betrifft das Sied­lungsgebiet im „sogenannten Farchan­ter Gröben“, bestehend aus folgenden Grundstücken der steuer- und politi­schen Gemeinde Farchant: Teilflä­chen aus Plan Nr. 1423 mit 1423 1/6, 1426, 1426 1/2 1426 1/3, 1426 1/5 mit 1426 l/52 einschließlich und 1527 1/3 sowie die Plannummern 510, 510 1/3, 511. Das Siedlungsgebiet ist begrenzt  - im Norden durch die alte Reichsstraße (Pl. Nr. 510) - im Westen durch den Lahnewiesbach bis zur Reichsstraße Nr. 23 - im Süden durch die Loisach - und im Osten durch den Bahnkörper zwischen Loisach und alte Reichsstraße (Pl. Nr. 510).

2. Der Bürgermeister des Marktes Gar­misch-Partenkirchen und der Bürger­meister der Gemeinde Farchant er­kennen an und verpflichten sich, das Siedlungsgebiet im sogenannten „Far­chanter Gröben“ rechtsgeschäftlich, verwaltungstechnisch, öffentlich- und privatrechtlich so zu behandeln, als ob es in das Gebiet des Marktes Garmisch­-Partenkirchen eingemeindet wäre.

3. Der Markt Garmisch-Partenkirchen übernimmt alle Rechte und Pflichten, die sich aus der in Ziffer 2 vereinbarten Rechtssetzung ergeben. Er übernimmt insbesondere die gebiets- und verwal­tungsmäßige Betreuung und übt die Steuerhoheit aus.

4. Die Gemeinde Farchant verzichtet zu­gunsten des Marktes Garmisch-Par­tenkirchen auf alle Rechte und Pflich­ten, die ihr nach dem geltenden Rechte auf dem SieAuf der Straße zwischen Gut Schwaigwang und Farchant - links im Bild der Golfplatz - 1940dlungsgebiet als zuständige politische Gemeinde zu­stehen...

5. Die Vereinbarung tritt mit dem 1. 4.1939 in Kraft...

6. Streitigkeiten sollen im Wege beider­seitiger gütlicher Einigung bereinigt werden..

 Diese rückdatierte Eingemeindung der Siedlung am Farchanter Gröben wird am 8. bzw. am 16. September 1941 von den beiden NS-Bürgermeistern der Gemein­den Farchant und Garmisch-Partenkir­chen unterzeichnet. Damit wissen die zu­künftigen „Burgrainer“ - die Bezeich­nung ist noch längst nicht in aller Munde, als „Siedler am Farchanter Gröben“ möchte man aber nach der Eingemein­dung in den Markt Garmisch-Partenkir­chen auch nicht mehr gerne bezeichnet werden - wohin sie ab sofort kommunalpolitisch gehören und daß sie einen neuen Namen für ihren Ortsteil brauchen.

  

 1942

 „Jetzt auch Omnibusverkehr zur Sied­lung bei Farchant“ - diese gute Nachricht erreicht die Siedler am 30. Dezember 1941, eröffnet wird die neue Linie am 2. Januar 1942. Dazu heißt es im Garmisch-­Partenkirchner Tagblatt: „Nunmehr wird auch die neue Siedlung Gröben eine Omnibusverbindung erhalten und zwar wird ein stündlicher Verkehr eingerichtet. Ausgangs- und Endpunkt desselben ist der Bahnhof Garmisch-Partenkirchen. Der Weg, den der Omnibus nimmt, ergibt sich aus folgenden festen Haltestellen: Adolf-Hitler-Straße (heute Hauptstraße), Schlossweg, Friedhof Partenkirchen, Am Bründl, Straßengabelung bei Farchant, Schwaigwang, Thomas-Knorr-Straße, Loisachbrücke, Bahnhof Garmisch-Par­tenkirchen. . . Der Fahrpreis beträgt bis zu vier Haltestellen 20, über vier Halte­stellen 30 Pfennige. Militär und Kinder haben Ermäßigung.“ Die Anbndung an die Ortsteile Garmisch und Partenkirchen durch die neue Omnibuslinie bringt für die berufstätigen Siedler, für die Haus­frauen und für die Schulkinder eine ange­nehme Verbesserung mit sich.

 Das Jahr 1942 bringt aber vor allem trau­rige Nachricht in die Häuser am Lahne­wiesgraben. Nur einige Beispiele sollen deutlich machen, wie grausam der Tod während des Krieges die Reihen der Siedler gelichtet hat. Am 3. Januar mel­det das Garmisch-Partenkirchner Tagblatt den Soldatentod des Siedlers Lud­wig Vogel, der in der Sowjetunion am 27. November 1941 für Hitlers und der Nazis Größenwahn sein Leben lassen muss.

 „Voll Freude und froher Hoffnung“, so steht im Nachruf zu lesen, ist der Vater von zwei Kindern mit seiner Frau „seiner­zeit in sein Siedlungshäuschen eingezo­gen“. Die Freude ist nicht von langer Dauer, Vogel wird eingezogen: „In den Feldzügen in Belgien, Holland und Frankreich hatte er manch schweren Kampf zu bestehen, dann ging es gegen Russland, wo er vom ersten Tag an der Front stand“.

 Drei Tage später trifft die Familie Vogel er­neut ein schwerer Schicksalsschlag: Der acht Jahre alte Sohn Ludwig „ist von ei­ner Felswand unterhalb der Ruine Wer­denfels tödlich abgestürzt“.

Ein anderes Opfer des mörderischen Weltkriegs ist der Maler Alfons Oellinger, Vater von drei KiPaul Schieferl - mit 18 Jahren gefallen in Russland 1942ndern, der am 11. April 1941 im Osten fällt. „Ein langes, trautes Familienglück“ erhoffte er sich vergebens „in dem durch Fleiß und Sparsinn erwor­benen Heim am Farchanter Gröben“.

 Ihm folgt am 16. Mai 1942, im Alter von 40 Jahren, der gebürtige Garmischer Al­bert Schmidt, auch er im Osten gefallen.  Am 2. September 1942 fällt, mit 18 Jah­ren, der Obergefreite Paul Schieferl. Der letzte in der Reihe der Gefallenen des Jahres 1942 aus der Siedlung am Far­chanter Gröben ist Kurt Rahm. Erst 19 Jahre ist er alt, als er „für Deutschlands Zukunft“ stirbt.

 Am 29. April 1945 ziehen amerikanische Truppen in Garmisch-Partenkirchen ein, befreien den Ort von der nationalsoziali­stischen Gewaltherrschaft und ernennen den Sozialdemokraten Georg Schütte zum ersten Nachkriegs-Bürgermeister. Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 zerbricht das NS-System im ganzen deutschen Reich. Die „Stunde Null“ bietet die Chance eines Neuanfangs, ei­ner Hinwendung zu neuen, tragfähigen Wertvorstellungen für ein friedliches Zu­sammenleben der Menschen.

 

1945

 Symbolisch für diesen neuen Anfang ist die Wiedereinweihung des Siedlungskindergartens im Oktober 1945, der seit 1944 von der NSV unter der Leitung der Erzieherin Lieselotte Fischer betrieben wurde. In der ein­fachen Holzbaracke an der Grubenkopf­straße, im „festlich geschmückten Kinder­gartensaal“, dankt Dekan Lorenzer aus Partenkirchen „für das rege Interesse der Marktgemeinde“ an der Errichtung dieses Kindergartens. Die Betreuung der Kinder liegt fortan in den Händen der Schulschwe­stern. Bürgermeister Schütte versichert „die Siedler des Wohlwollens der Marktgemeinde, die den Kindergarten eröff­nete und den Schwestern übergeben habe, damit aller Hass verschwinde und Freude einkehre“. Er mahnt die Anwe­senden, „einen Strich unter das Vergan­gene zu ziehen. Statt des Hasses sollen sie friedliche Nachbarschaft pflegen“. De­kan Lorenzer teilt noch mit, daß der Bau der geplanten Notkirche „wegen Erkran­kung des Baumeisters“ nicht möglich sei, er werde jedoch „für die nächste Zeit be­stimmt in Aussicht genommen“.

 

Die Kindergartenbaracke an der Grubenkopfstraße - 1945

 

 

 

Behelfskindergarten Burgrain - Fasching 1948

 

 

Oben links: Kindergartenbaracke etwa 1944 - Foto: Helga Schönauer

Unten links: Notkirche St. Michael mit Kindergartenanbau (1948)

Oben rechts: NSV-Leiterin des Kindergartens Lieselotte Fischer (1912-2002) - Foto: Helga Schönauer

Unten rechts: Schwester Oda mit Kindern (1948)

 


 

 

 

 

 

Helga Schönauer (Burgrain) schreibt über Lieselotte Fischer (geb. 1902, gest. 2012)

"Sie kam aus dem Rheinland und war unsere erste Kindergärtnerin in Burgrain. Vermutlich war sie Mitglied der NSDAP, jedenfalls arbeitete sie in Burgrain im Auftrag der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt). Auf dem Foto links oben sieht man sie mit dem Schubkarren vor der Kindergartenbaracke zusammen mit meiner Mutter. In unserer Familie lebte sie für ein Jahr als Zimmerfräulein.

Im Kindergarten gab es eine Garderobenleiste, an der jedes Kind sein eigenes aus Holz gefertigtes Merkerl hatte, bei mir z.B. war das ein Fliegenpilz. Gespielt haben wir innen in einem großen Raum. Im Nebenraum standen kleine "Feldbetten" mit blau-weiß-karierter Bettwäsche. Dort mussten wir unseren Mittagsschlaf halten. Das war alles vor 1945, weil ich im Herbst 1945 zur Schule kam.

Wegen ihrer "Hitlertreue" wurde Frau Fischer dann entlassen. Zusammen mit anderen Personen pflanzte sie am Wank Lärchenbäume, die nun schon schön herangewachsen sind. Später betreute sie die Kinder der Familie Buchwieser am Riessersee. Im Rentenalter führte sie ein einsames Leben in ihrer Wohnung an der Triftstraße, war aber viel in den Bergen unterwegs. Vor ein paar Jahren ist sie gestorben und hat eine Urnennische im Friedhof Partenkirchen."

 

 

 

 

 

 © Alois Schwarzmüller 1989