Burgrain - der "dritte Ortsteil" von Garmisch-Partenkirchen  -  1932-1938

 


 

Von frühen Plänen der Gemeinde Garmisch
bis zum ersten Spatenstich am "Farchanter Gröben"

 

Knapp ein Dutzend meist arbeitsloser Maurer, Bauarbeiter und Zimmerleute stellen am 11. Dezember 1932 bei der Gemeinde Garmisch den Antrag auf Zu­lassung einer sogenannten „Rand-Klein­siedlung“, um auf diese Weise in dem „teuren Kurorte“ für sich und ihre Fami­lien Wohnraum und Eigentum zu schaf­fen. Bei der Gemeinde steht man diesem Antrag aufgeschlossen gegenüber -  die Zeit der Massenarbeitslosigkeit mit Not und Elend für viele Menschen ist auch an Garmisch und Partenkirchen nicht spur­los vorübergegangen.

Bürgermeister Ostler unterstützt das Pro­jekt einer „Vorstädtischen Kleinsiedlung“. Am 11. Januar 1933 vermerkt er: „Die Kleinsiedlung käme für Erwerbslose in Betracht. Die Siedlerstellen sollen mög­lichst 1000 qm groß sein, um auch Gär­ten für die Familien der Erwerbslosen schaffen zu können, aus deren Anpflan­zung die Lebensunterhaltung der Er­werbslosen erleichtert wird.“ Darüber hinaus fordert Ostler noch, „daß die ge­samte Siedlerstelle ausschließlich Grund­erwerb 3000.- RM nicht überschreiten“ dürfe und jeder Siedler sich zur Eigenar­beit im Wert von 500.- RM bereit erklä­ren müsse. Wenige Tage später lässt der Garmischer Bürgermeister dann prüfen, „ob und wo geeignete Plätze für ein Sied­lungsunternehmen zur Verfügung ste­hen.“

Auch die Baugewerkschaft Garmisch un­terstützt den Plan für ein derartiges „Ein­heimischenmodell“, denn, wie sie in ei­nem Antrag an die Gemeindeverwaltung schreibt, „das Baugewerbe liegt arg darnieder“ und man könnte mit dieser Maß­nahme „einerseits Arbeit für das Ge­werbe, andererseits Wohnungen herstel­len.“ Durch einen Gemüsegarten könnte „die Lebenshaltung wesentlich erleich­tert werden“, vor allem, wenn „die Saison im Fremdenverkehr nachlässt.“

 Im Juli 1933 wird vom Architekturbüro und Baugeschäft Braun der erste kon­krete Plan für eine Kleinwohnsiedlung an der Hausbergstraße vorgestellt.

 Inzwischen hat die Nationalsozialistische Partei im Deutschen Reich die Macht er­obert und an sich gerissen. Es bleibt nicht aus, daß auch im Werdenfelser Land die kommunalen Parlamente nach dem Wil­len der neuen Machthaber gleichgeschal­tet werden. Ohne daß Wahlen abgehal­ten worden wären, stellen die Nationalso­zialisten seit April 1933 in den Gemeinde­räten die stärkste Fraktion und besetzen die Bürgermeisterämter mit ihren Parteifunktionären.

Die Idee einer vorstädtischen Kleinsied­lung, die in Garmisch in den letzten Jah­ren der Weimarer Republik so hoffnungs­voll erörtert wurde, scheint schon in den ersten. Monaten der Nazi-Herrschaft in Garmisch ihre Realisierungschance zu verlieren. NS-Bürgermeister Thomma, dessen Vorgänger Ostler aus Gründen der Gleichschaltungspolitik aus dem Amt scheiden musste, schreibt im August des Jahres 1933 an den Deutschen Gemein­detag, daß „an Orten, an denen die Kleinsiedler voraussichtlich künftig keinen Er­werb finden können, Kleinsiedlungen nicht geschaffen werden“ dürften. „Somit scheidet Garmisch für Kleinsiedlungen aus.“

 Knapp zwei Jahre später, im Februar 1935, tritt dann freilich eine Verordnung in Kraft, mit der die weitere Förderung des Siedlungsbaus möglich wird. In ihr heißt es: „Die Kleinsiedlung soll in erster Linie solchen Volksgenossen zugute kommen, die berufsmäßig in der gewerb­lichen Wirtschaft überwiegend tätig zu sein pflegen und somit dazu dienen, den schaffenden deutschen Menschen, insbe­sondere den deutschen Arbeiter, wieder mit dem Heimatboden zu verbinden.“ Mit dieser Verordnung im Jargon der Blut- und Boden-Ideologie wird im Mai 1935 erstmals der Bedarf an Wohnraum ermittelt. Auf eine Anfrage des Bezirksamtes Garmisch teilt die Gemeinde Gar­misch mit, daß etwa zwanzig bis dreißig „Billigstwohnungen für Minderbemittel­te“ geschaffen werden müssten. Aus der ursprünglichen „Erwerbslosensiedlung“ entwickelt sich so immer mehr der Ge­danke einer „nebenberuflichen Arbeitersiedlung“.

 

Blick auf den Schuttkegel des Lahnewiesgrabens zwischen Garmisch und Farchant (etwa 1925)                                        Bild: Marktarchiv Ga.-Pa.

 Das Projekt einer Kleinsiedlung für Gar­misch-Partenkirchen, das nun schon seit Beginn der Dreißiger Jahre erwogen wird, scheint in den Jahren 1936 und 1937 erneut ins Stocken zu geraten. Die Olympischen Winterspiele 1936 erschöp­fen die Kräfte der seit 1. Januar 1935 von Nazi-Gauleiter Adolf Wagner zwangsvereinten Marktgemeinde Gar­misch-Partenkirchen. Gleichwohl sind es diese Olympischen Spiele, die mit ihren Heerscharen von zugezogenen Bauar­beitern und zusätzlichem Hotelpersonal den Wohnungsmangel im Olympiaort er­heblich verschärfen.

 Im Mai 1938, nach langen Vorgesprä­chen und Verhandlungen, hört man erst­mals wieder von einem „Garmisch-Par­tenkirchner Siedlungsvorhaben“. Am 9. November des gleichen Jahres bereits sollen die Häuser und Wohnungen dieser Siedlung bezugsfertig sein. Geplant ist ein umfangreiches Objekt am nördlichen Ortsrand von Garmisch, im „Farchanter Gröben“ an der Reichsstraße Garmisch - Farchant.

 Drei Eigenheime, 50 Kleinsiedlerstellen und 40 „Volkswohnungen“ sollen dort entstehen. Bauherr und Eigentümer des gesamten Bauvorhabens ist die Münch­ner gemeinnützige Siedlungsgesellschaft „Oberbayerische Heimstätte“. Nach drei­jähriger „Bewährungszeit“ sollen die 90 Wohnungen und Häuser dann an die Be­wohner in Eigentum übergehen. Weiter heißt es in einer Zeitungsnotiz: „Die An­träge der in Frage kommenden Siedler liegen bereits bei der Gemeinde, die nach eingehender Prüfung über die Sied­lungsfähigkeit der einzelnen entscheiden wird.“

Wie sieht diese „Prüfung“ aus? Jeder An­tragsteller auf eine Kleinsiederstelle muss einen „Siedlerfragebogen“ ausfüllen. Ein „Prüfungsausschuss“ aus Vertretern der Nazi-Partei, der Gemeinde und der Heimstätte will zum Beispiel von den Be­werbern wissen: „Gibt Ihre Frau ihre Er­werbstätigkeit bei Bezug der Siedlung auf? Sind Sie auf dem Lande aufgewach­sen oder längere Zeit auf dem Lande tätig gewesen? Besitzen Sie Kenntnisse und praktische Erfahrungen in Gartenbau, Obstbau und Kleintierhaltung?“

 Neben der beruflichen Stellung wird auch die „politische Eignung“ geprüft. So hat drei Jahre nach Inkrafttreten der Nürnberger Rassengesetze mit ihrer un­geheuerlichen Diskriminierung der jüdi­schen Bürger in Deutschland auch bei ei­nem Siedlungsvorhaben wie dem Gar­misch-Partenkirchner nur der Siedler eine Chance, der nachweisen kann, daß er und seine Frau „deutschen oder artver­wandten Blutes“ sind. Gefragt wird auch danach, ob der zukünftige Siedler ge­dient hat, ob er etwa „gesundheitsbeschä­digt als Kämpfer für die nationale Erhe­bung“ sei, ob und wann er in die NSDAP eingetreten und ob er Mitglied einer na­tionalsozialistischen Organisation sei.

 Bestehen gegen einen Bewerber „in poli­tischer, charakterlicher und gesundheitli­cher Hinsicht sowie hinsichtlich der sied­lerischen Befähigung“ keine Bedenken, dann gilt er „als Siedler geeignet“. Die letzte Entscheidung liegt bei der Orts­gruppenleitung der Garmisch-Parten­kirchner NSDAP

 In den allgemeinen Bestimmungen über staatlichen Wohnungsbau zur Zeit des NS-Regimes heißt es, das Wesensmerk­mal der Kleinsiedlung sei, „die vorwie­gend gartenbaumäßig zu nutzende Land­zulage... Die Siedlungsgebäude müssen einfach, zweckmäßig, dauerhaft und möglichst billig errichtet werden... Sie haben Wohn- und Kochraum, Eltern­schlafraum, Kinderschlafraum, Wirtschafts­raum, Keller, Kleintierstall, Futterraum und Abort zu umfassen. Die Höchstko­sten für Aufbau und Einrichtung einer Siedlerstelle dürfen 7000.- RM nicht überschreiten... Damit die Siedler von Anfang an mit der Siedlung verbunden werden, sollen sie an den zur Errichtung der Siedlung erforderlichen Arbeiten selbst mitarbeiten.“

 Im August des Jahres 1938 beginnen die Rodungsarbeiten auf dem zukünftigen Baugelände am „Farchanter Gröben“. Die Siedler arbeiten fleißig und tatkräftig, „aus Wald und Wildnis wird ein Bauplatz“, wie das Garmisch-Partenkirchner Tagblatt die Ereignisse kommentiert. Der Gemeinschaftsideologie der Nazis folgend, beteiligen sich inDie ersten Siedler bei Rodungsarbeiten am Farchanter Gröben - 1938 „Arbeitseinsätzen“ die Mitglieder der Garmisch-Partenkirchner SA-Verbände und -abteilungen: „Mit Beil, Hacke und Säge ziehen sie täglich hinaus, und dann hallt der Wald wieder von den Axthieben und dem Klirren der Hacken“.

 Die Filiale der Bayerischen Vereinsbank Garmisch nimmt sogar als erster Betrieb mit allen Betriebsangehörigen „vom Be­triebsführer bis zum Lehrling“ an diesen Arbeiten teil: „19 Männer und sechs Frauen halfen, den Wald zu roden. Heute sitzen sie wieder hinter ihren Bankschal­tern. Die Schwielen an ihren Händen erinnern sie an die Stunden der Arbeit, die zu Stunden der Freude wurden, weil sie aus dem Geist der Gemeinschaft ge­boren wurden.“ Ob dieses hohe Lied der Waldarbeit von allen Mitarbeitern gesun­gen wurde, wissen wir nicht. Vermutlich war es kaum möglich, sich einer von den Nazi-Funktionären angeordneten „frei­willigen Gemeinschaftsarbeit“ zu ent­ziehen.

 Mitte August 1938 häufen sich die Aufrufe zur Mitarbeit ebenso wie die Selbstverpflichtungen der verschiedensten NS­Organisationen, „geschlossen zur Ge­meinschaftsarbeit für die Siedlung Gar­misch-Partenkirchen“ anzutreten. Der NSDAP-Kreisleiter Hausböck fordert am 14. August „alle Parteigenossen des Ortes Garmisch-Partenkirchen sowie alle Wal­ter und Warte der angeschlossenen Ver­bände und die Männer der Gliederungen der Partei auf, sich am Sonntagvormittag an der Gemeinschaftsarbeit zu beteiligen“.

 Dabei geht es recht militärisch zu: Hitler­Jugend, SA und Siedlungsbewerber wer­den zum Antreten befohlen. Im „Stand­ortbefehl der HJ etwa heißt es: „Am Sonntag, den 21. August 1938, beteiligen sich die älteren Kameraden der HJ an der Gemeinschaftsarbeit des Siedlungsbaus in Garmisch. Antreten mit Pickel und Schaufel und Arbeitskleidung um ½ 7 Uhr vor dem Festsaal. Von hier ab gemeinsa­mer Abmarsch der Gliederungen. Ich er­warte, daß sich sämtliche älteren Kame­raden an dieser Gemeinschaftsarbeit be­teiligen.“

 Die von den NS-Funktionären befohlene Freiwilligkeit scheint nicht immer so freu­dig von den Befehlsempfängern aufge­nommen worden zu sein, wie sie sich das wohl wünschen mochten. In vorwurfsvol­lem Ton werden diejenigen, die immer noch nicht „Schulter an Schulter unser neues stolzes Reich“ aufbauen wollen, die sich noch immer nicht zur „wunderba­ren Schicksalsgemeinschaft zusammen­geschlossen“ haben, darauf hingewie­sen, was ihre Pflicht als „Volksgenosse“ des Dritten Reiches ist:

 „Da bauen sie nun draußen vor unserem Ort eine Siedlung, die vielen Familien un­serer schaffenden Volksgenossen ein ei­genes Heim, ein Stück Garten, ein Stück deutscher Heimaterde geben soll... Die meisten aber standen bisher abseits, ohne teilzuhaben am frohen Erlebnis der gemeinsamen Arbeit. Darum wollen wir uns freuen, daß wir nun zusammen hin­ausmarschieren, geschultert den Spaten und geschultert den Pickel, um ein Stück auch unserer Arbeitskraft und Arbeits­freude dem Werk zu schenken.“

 Wer auch diesem Aufruf keine Folge lei­stet, dem begegnet man mit dem Hinweis auf den „Adel der Arbeit“ und das „Wun­der unserer Zeit“.

 Kreisleiter Hausböck, höchster Funktio­när der Nazi-Partei im Kreis Garmisch-Partenkirchen, verabschiedet die am 21. August 1938 zur Siedlerarbeit frühmor­gens um halb sieben erschienenen „Di­rektoren, Arbeiter, Beamte, Angestellte und Männer der freien Berufe“ mit den folgenden Sätzen: „Kameraden, die Vor­hersagen der Resl von Konnersreuth, daß es einen Krieg gibt, sind programmge­mäß nicht eingetroffen. Wir gehen an die Arbeit, um dem Frieden zu dienen! Adolf Hitler: Sieg Hei!!“

 Programmgemäß beginnt der Krieg Hit­lers, der große, alles verschlingende Zweite Weltkrieg, tatsächlich erst im Sep­tember 1939. Jetzt, im August 1938, wer­den alle Männer und Frauen mit „freiwilli­gen Gemeinschaftsaufgaben“ beschäftigt und von den Nazis beruhigt und belogen. Die Seherin von Konnersreuth hat den­noch mit ihrer Prophezeiung nicht weit danebengegriffen - viele der Männer, die jetzt im Sommer 1938 mit Spaten und Pickel ausgerüstet sind, werden den kom­menden Krieg, bewaffnet mit Sturmge­wehr und Handgranate, nicht überleben und die Früchte ihrer Arbeit an der Sied­lung Garmisch-Partenkirchen nicht mehr genießen dürfen.Lageplan - 1930

 „Wiese und Gestrüpp, Baumstümpfe und Schutt“ - so erleben die Helfer im August 1938 den Ort. an dem schon bald mehr als 90 Wohnungen entstehen sollen. „Wi­derspenstige Wurzelstöcke“ müssen be­seitigt werden, damit an diesem Tag „aus wildem Boden eine Straße von 200 Me­ter Länge und acht Meter Breite ausge­stochen“ werden kann. Hohle Phrasen der nationalsozialistischen Propagandasprache stehen am Ende dieses Tages der freiwilligen oder erzwungenen Hilfsbe­reitschaft. Da ist die Rede vom „Marsch des Sieges, den wir da draußen in ge­meinsamer Arbeit errungen haben“ und am Ende seiner Ansprache versichert der NS-Kreisleiter, „daß wir wieder ein Stück Volksgemeinschaft geschmiedet haben“.

 Mehr als die Reden mag den „Arbeitern der Stirn und den Arbeitern der Faust“ am Farchanter Gröben im leichten Sommerregen das geschmeckt haben, was ihnen verschiedene Garmisch-Partenkirchner Firmen zur Erhaltung des leiblichen Wohls gespendet haben: „Brauereibesitzer Röhrl stiftete 400 Flaschen Bier und 100 Fla­schen Limonade. Bäckermeister Maurer gab 45 Wecken Brot und die Metzger ga­ben Würste: Fink 200 Würste, Ostler, Zug­spitzstraße und Ostler, Wettersteinstraße je 30, Sporer 27 und Maier 24 Würste.“

 Die Marktgemeinde Garmisch-Partenkir­chen entschließt sich im September 1938, für den Ankauf des Siedlungsgeländes im Farchanter Gröben 20.000.- RM zur Ver­fügung zu stellen. Zur Herstellung eines dringend benötigten Hochwasserdam­mes entlang der Loisach hält die Ge­meinde einen weiteren Betrag von 27.000.- RM bereit. Und schließlich wird eine Summe von 8000.- RM ausgewie­sen, mit der die Wasserleitung zur Sied­lung gebaut werden kann.

 Im Oktober 1938 werden die Siedler er­neut zu Gemeinschaftsarbeiten aufgerufen „und zwar an allen Mittwoch-Nachmittagen, an allen Samstag-Nachmittagen und an allen Sonntag-Vormittagen“. Der erste Spatenstich hat stattgefunden, „die Bau­meister haben mit ihren Arbeiten bereits begonnen“, heißt es am 7. Oktober 1938.

 


 

© Alois Schwarzmüller 1989