Alois Schwarzmüller

Beiträge zur Geschichte des Marktes Garmisch-Partenkirchen im 20. Jahrhundert

 

 

Georg Schütte - Mensch, Demokrat, Bürgermeister

 

5. Neuanfang 1945 - Schütte wird kommissarischer Bürgermeister

Im Rathaussaal wurden am 8. Mai 1945 der neue Bürgermeister und der neugebildete Gemeinderat von Garmisch-Partenkirchen durch Landrat Dr. Fux - nur kurz im Amt, dann von der US-Militärregierung entlassen - im Beisein des militärischen Kommandanten des Ortes, US-Major Herbert L. Snapp in ihre Ämter eingesetzt. Landrat Dr. Fux erklärte in seiner Ansprache: „Wir stehen vor einem Trümmerhaufen, den uns die alte Verwaltung hinterlassen hat. Aber unser Herrgott verlässt die Deutschen nicht und so wollen wir zusammenstehen und aus den Trümmern wiederaufbauen." Auch Dr. Fux hatte 1933 Hand angelegt zur Entstehung dieses "Trümmerhaufens". Jetzt sollte es plötzlich der Herrgott richten.

Auf ausdrücklichen Wunsch von Major Snapp wurde keine Amtsperson, sondern ein Mann aus der Mitte der Bevölkerung als Bürgermeister bestimmt. Fux schlug mit Georg Schütte den vor, "der fähig und würdig ist, das Amt des ersten Bürgermeisters von Garmisch-Partenkirchen auszuüben.“ Ziel von Snapp war es, in Garmisch-Partenkirchen wieder "Ruhe und Ordnung" herzustellen.

Im Neujahrsgruß 1945 formulierte Schütte ungleich schärfer als Dr. Fux. Bei ihm war nicht mehr von der "alten Verwaltung" die Rede, sondern von einer Katastrophe, herbeigeführt durch die Ideologie der NSDAP: "Das in der Geschichte unseres Volkes schlimmste Jahr liegt hinter uns. Eine Ideologie, welche unter betrügerischer und verbrecherischer Ausnützung des Nationalgefühls eines Volkes aufgebaut wurde, ist zerstoben. Übriggeblieben sind Millionen enttäuschte, kranke Seelen. Fast in jeder Familie ist irgendein Leid. In diesem Jahr der Tränen hatte ich mich entschlossen, im Auftrage der Militärregierung das Amt des Bürgermeisters zu übernehmen. Ich glaubte, aus Liebe zu Garmisch-Partenkirchen und im Gedenken an unsere Gefallenen mich diesem Rufe nicht entziehen zu dürfen.“ Die Lage vor Ort benannte er gleichfalls mit deutlichen Worten: „Wir haben es bitter schwer erfahren, was es heißt, die Freiheit zu verlieren." Der verflossene Gemeinderat sei uns mit Gewalt aufgedrängt worden. Dem Wahlergebnis entsprechend hätten die Nationalsozialisten höchstens zwei oder drei Sitze erhalten. "Die Gemeinderäte waren Leute, die sich nicht mit dem Ort verbunden fühlten. Wir wollen diese Leute nicht mehr sehen." Der Ort solle wieder werden, was er war, eine Erholungsstätte für Menschen aller Nationen.

Schüttes Programm war knapp, aber unmissverständlich: "Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit für heimatverbundene und weltoffene Menschen"

 
  1945 - komm. 1. Bürgermeister
 Georg Schütte
1945 - komm. 2. Bürgermeister
Bernhard Lödermann

 

Bernhard Lödermann wurde von Schütte zum 2. Bürgermeister ernannt und zusammen mit den neuen Gemeinderatsmitgliedern durch Handschlag verpflichtet. Der Gemeinderat setzte sich aus den folgenden Personen zusammen, von denen je acht der Sozialdemokratischen Partei und acht der Bayerischen Volkspartei angehörten, je acht hatten ihren Wohnsitz in Garmisch und acht in Partenkirchen:

Schütte Georg, Kaufmann, Ludwigstraße 21, 1. Bürgermeister (SPD),

Lödermann Bernhard, Bäckermeister, Zugspitzstraße 1, 2. Bürgermeister (BVP),

Bader Josef, Landwirt, Kreuzstraße 11 (BVP),

Ebert Hans, Buchdruckerei-Faktor, Burgstraße 29a (SPD),

Eitzenberger Josef, Baumeister, Dreitorspitzstraße 28 (BVP),

Eursch Georg, Landwirt, Ludwigstraße 34 (BVP),

Frischmann David, Hafnermeister, Jahnstraße 10 (SPD),

Grasegger Anton, Landwirt und Zimmermann, Ballengasse 18 (SPD),

Hartenstein Karl, Kaufmann, Bahnhofstraße 92-94 (BVP),

Hellweger Georg, Landwirt, Römerstraße 4 (BVP),

Höllerer Josef, Studiendirektor, Von-Brug-Straße 22 (SPD),

Jemüller Georg, Bankbeamter, Höllentalstraße 29 (BVP),

Maderspacher Alois, Hausbesitzer, Sonnenstraße 13 (SPD),

Reiser Josef, Maurerpolier, Zugspitzstraße 123 (SPD),

Roesen Dr. Karl, Rechtsanwalt, Hirschweg 10 (BVP),

Schmid Jakob, Oberlokomotivführer, Kohlstattstraße 1 (SPD),

Stanner Fritz, Hotelbesitzer, Maxstadtstraße (BVP).

Winterholler Isidor, Malermeister, Burgstraße 54 (SPD).

Noch am selben Tag veröffentlichte Schütte im „Garmisch-Partenkirchner Tagblatt“ einen „Aufruf“: „Nach Berufung durch die Militärregierung habe ich am 7. Mai 1945 die Amtsgeschäfte als 1. Bürgermeister für die Gemeinde Garmisch-Partenkirchen übernommen. Mein Entschluss hierzu erfolgte schweren Herzens. Aber im treuen Gedenken an unsere teuren Gefallenen habe ich mich dazu entschlossen, um durch ernste Arbeit diesen Opfern wenigstens noch einen Sinn zu geben; nämlich die Errichtung der politischen Freiheit. Es ist traurig, dass diese über den schweren Weg der Besatzung errungen werden muss. Sind wir aber allen Gott dankbar, dass wir nochmals zur Freiheit bestimmt sind. Liebe Bürgerinnen und Bürger, fasst mit mir mit allen Händen nach diesem höchsten Gut der Menschheit. Helft durch rege Arbeit, jeder auf seinem Posten, unseren Ort Garmisch-Partenkirchen wieder zu Ansehen zu bringen. Die Voraussetzungen sind dazu da. Wir sind wie durch ein Wunder von größeren Kriegsschäden verschont geblieben. Steht jetzt geschlossen hinter mir, bis wir auch den letzten Tyrannen bei uns unmöglich gemacht haben. Reißt unsere Jugend, das beste noch verbliebene Kapital für die Zukunft, zurück von dem Abgrund, an den sie fanatische, politische Eitelkeit geführt hat. Mein Ziel ist, unsere Gemeinde zu Frieden und Eintracht zu bringen, die besten Garanten für Freiheit und Wohlstand. Ich rufe alle Freunde, Gönner und Gutgesinnte auf, helft und folgt mir auf diesem Wege.“  Es war ein beschwörender Appell an seine Mitbürgerinnen und Mitbürger, wieder den Weg der Demokratie und des Friedens zu gehen. Zahlreiche Funktionäre der NSDAP und von ihnen eingesetzte Amtsträger hatten sich zunächst ihrer Verantwortung entzogen - nicht selten durch Flucht in die Berge.

Eine der ersten Verfügungen des Bürgermeisters vom 14. Mai 1945 galt der Entfernung von NS-Zeichen und Bildern: „Die Dienststellen und Gemeindeanstalten sind daraufhin nochmals zu überprüfen, dass Bilder, Hoheitszeichen, Aufschriften und sonstige Gegenstände, die mit der Geschichte und dem Bestehen des 3. Reiches verknüpft waren, entfernt und vernichtet werden.“

  1946 - Karikatur "Das Wespennest" 1946 - Kopie des Meldebogens für die Entnazifizierung  
   
Beginn der "Schlussstrich"-Debatte "Entnazifizierung" der Straßennamen

Bilder konnte man einfach abhängen, das große Hakenkreuz vor dem Eingangsportal mit dem Meißel abschlagen – aber was sollte man mit Menschen machen, die den Nationalsozialisten gläubig gedient hatten und jetzt immer häufiger denunziert wurden? Ein Beispiel: Ende Mai 1945 schrieb ein Handwerksmeister an Schütte und beschwerte sich über einen Mitarbeiter der Bauverwaltung als „eine in den weitesten Kreisen der Bevölkerung so verhasste Persönlichkeit, dass sein Verbleiben in der Stadtverwaltung keinen Tag länger geduldet werden dürfte.“ Oder ein Vereinsvorsitzender wurde beschuldigt, „die gesamten Veteranen u. Kriegervereine unseres Kreises an die Nazis ausgeliefert“ zu haben. Die Tonlage solcher Schreiben war nicht selten  denunziatorisch und wenig hilfreich. Das mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass Schütte die dringend notwendige Entnazifizierung ganz vorsichtig angehen wollte und vor verleumderischer Verdächtigung warnte.

  Dienstanweisung des Bürgermeisters vom 14.05.1945 zur "Entfernung" aller Bilder, Hoheitszeichen und sonstiger Gegenstände
 im Rathaus Garmisch-Partenkirchen, die mit der Geschichte und dem Bestehen des Dritten Reiches verknüpft waren.
 

 

 

6. Kommunales Notprogramm für Garmisch-Partenkirchen

Im Marktarchiv liegt ein umfangreiches
19.06.1945 - Vorschlag für eine Geschäftsordnung
 Papier mit Eingangsstempel von Bürgermeister Schütte. Es listet alle Beschwerlichkeiten der Zeit auf, sozusagen ein Grundsatzprogramm der kommunalen Aufgaben nach Diktatur und Krieg. Hier soll es in den wesentlichen Passagen wiedergegeben werden:

„Der Krieg ist zu Ende und hat uns ein schreckliches Vermächtnis hinterlassen. Wir stehen vor Trümmern, Hunger und Auflösung. Trotzdem dürfen wir es nicht unterlassen, mit letzter Energie und ganzer Kraft uns einzusetzen, die Schwierigkeiten beim richtigen Ende anzufassen:

1. Ernährung - Die Ernährung im Ort ist total unzureichend und es muss daher mit Sofortmaßnahmen begonnen werden. Tüchtige Geschäftsleute der Lebensmittelbranche sollen beauftragt werden, Lebensmittel herbeizuschaffen und einzukaufen, wo ihnen dies nur gelingt…

2. Schlangenstehen - Die langen Reihen der Versorgungsberechtigten vor den Verteilungsstellen ist ein furchtbares Übel, das soweit möglich verkürzt oder behoben werden muss…
Lebensmittelkarte 1950

3. Verteilung durch das Ernährungsamt - Gewisse Anzeichen sind vorhanden, dass sich in diesem Amte noch Beamte befinden, die strenge Mitglieder der Partei waren und heute noch die selbe Gesinnung beibehalten

4. Milchablieferungspflicht - Es muss hier an dieser Stelle ganz besonders hingewiesen werden aus dem Grunde der Menschlichkeit, dieser Pflicht gewissenhaft nachzukommen... 

5. Fremdarbeiter - Die Fremdarbeiter sind für die Gemeinde Garmisch bestimmt eine drückende Last. Es ist für die Gemeinde ganz dringlich, dass wir an den Abtransport dieser Fremdarbeiter denken.

6. Wohnungen - Durch den Abzug der Fremdarbeiter und Evakuierten werden Wohnungen, Zimmer oder Baracken frei. All diese Räume sind sofort amtlich zu erfassen.

7. Weitere Wohnungen - Beamte und Angestellte, die von ihren Ämtern entlassen wurden und Dienstwohnungen innehatten, haben dieselbe freizugeben… Die Bildung eines Wohnungsamtes ist sehr dringlich.

8. Säuberungsaktionen - Eine gründliche Aussortierung in allen Ämtern von unzuverlässigen Beamten und Angestellten ist ohne Verzug zu bewerkstelligen

9. Organisation der Hilfspolizei - Die Polizei, die nur als Hilfspolizei funktionieren kann, muss sehr sachlich und vertrauensvoll geprüft werden. Ehemalige freiwillige Anhänger der Nazi-Partei haben dort keine Anstellung zu erwarten.

10. Verkehrsangelegenheiten - Die Straßen und Wege sind nach Möglichkeit wieder in Stand zu setzen… Die Führung der Straßenarbeiter muss unbedingt einem kundigen Fachmann anvertraut werden.

11. Realbesitz der Gemeinde - Eine Verlegung einiger weniger Fremdarbeiter in eine Baracke macht das Mädchenschulhaus in Garmisch frei, so dass mit dessen Instandsetzung für den Schulbeginn angefangen werden kann…

12. Prüfung über die Nützlichkeit des Gemeindebesitzes - Verpachtungen irgendwelcher Art, ob als Grundstück oder Geschäftsverpachtung oder als Mietshaus, können nur durch den Gemeinderat vollzogen werden.

13. Arbeitsamt - Das Arbeitsamt muss vom Gemeinderat als ganz wichtig betrachtet werden. In erster Linie ist dort eine Auswechslung der Angestellten unbedingt notwendig und kann nur im demokratischen Sinn weitergeführt werden.

14. Ortskrankenkasse - Die Allgemeine Ortskrankenkasse liegt im Interessenbereich der örtlichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und ist dort eine Säuberung vorzunehmen.

15. Gemeindebauamt - Es ist auch dieses Amt von Personen, die dieser Untergangspartei angehörten, restlos freizumachen.

16. Schulfrage - Die Schulen sind baldmöglichst zu öffnen… Die Lehrkräfte dürfen nur aus einwandfreien, politisch nicht unzuverlässigen Personen bestehen.

17. Religion - Die Religionsausübung ist frei und darf nicht gestört werden. Dieselbe erhält unseren Schutz, sofern dort keine Politik getrieben wird.“

Schütte hat diese Aufgaben Punkt für Punkt angepackt, Lösungen gesucht und gefunden – zusammen mit dem Zweiten Bürgermeister und dem Gemeinderatsgremium.

   
  St. Irmengard-Schulen 1936 Hochland-Bote 17.11.1945  

 Oberrealschule für Jungen 1950
 (heute Werdenfels-Gymnasium)
Bericht des Hochland-Boten
 vom 31.10.1945        
Parade der US-Armee vor dem Rathaus Garmisch-Partenkirchen Mai1945 Gesetz zur Entnazifizierung 1946

 

 

7. Die SPD in Garmisch-Partenkirchen nach dem Zweiten Weltkrieg

Am 3. September 1945 beantragten David Frischmann und Georg Schütte bei der „Militärregierung Garmisch-Partenkirchen Det. 236“ unter dem Betreff „Wiederaufbau der Sozialdemokratischen Partei Bayern“ die Zulassung der politischen Tätigkeit des SPD-Ortsvereins. Der Antrag lautete: „Wir beabsichtigen in Garmisch-Partenkirchen wie auch in allen anderen Gemeinden des Kreisgebietes Ortsgruppen der SPD Bayern wiederaufleben zu lassen und erbitten hierfür die Genehmigung der Militärregierung. Hierzu ist notwendig, dass wir Freiheit zur Abhaltung politischer Versammlungen, für die Werbung in Wort und Schrift oder Druck, das Anschlagen von Werbeplakaten, das Drucken und die Verteilung von Aufnahmeformularen usw. erhalten. Der Zeitpunkt der politischen Versammlungen und der Wortlaut aller Veröffentlichungen wird selbstverständlich in jedem Einzelfall der Militärregierung bekannt gegeben und zur Genehmigung vorgelegt werden.“

Die US-Militärregierung anerkennt die SPD als erste politische Partei in Garmisch-Partenkirchen und im Landkreis

 

Die Bemühungen, den nationalsozialistischen Ungeist aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen, führten auch in Garmisch-Partenkirchen zur Gründung eines Antifaschistischen Ausschusses. Im Gasthof Alpengruß trafen sich ab November 1945 Mitglieder der KPD, der SPD, der Christlich-Sozialen Union und der Liberalen. Der der KPD nahestehende Kunstmaler Rolf Cavael warnte bei der Gründungsversammlung vor der „Gefahr des geheimen Weiterlebens“ der ideologischen Grundsätze des Nationalsozialismus und schlug vor, auch die zu entnazifizieren, die sich der NSDAP nicht durch Mitgliedschaft verbunden hatten. Bürgermeister Georg Schütte, SPD, warnte dagegen vor einem „allzu stürmischen Tempo“ der Denazifizierung und mahnte, sich „nicht durch Leidenschaften beeinflussen zu lassen.“ Bei den Zusammenkünften des Antifaschistischen Ausschusses Garmisch-Partenkirchen war die SPD mit Peter Maier, Alois Bauer und Franz Heiß vertreten, die Christlich-Soziale Union mit Altbürgermeister Kaspar Ostler, Josef Hellweger und Josef Rottenwallner, die Liberalen mit Friedrich Cassardt, Hans Huber und Friedrich Hossfeld, die KPD mit Max Gmeinwieser, Josef Wunder und Max Ammann.

Im Dezember 1945 nahmen mehr als 1000 Sozialdemokraten an einer
   
Josef Seifried (1892-1962)
Versammlung in Garmisch-Partenkirchen teil, in der der bayerische Innenminister Josef Seifried und Bürgermeister Georg Schütte sprachen. Seifried war führender Kopf in der bayerischen Gewerkschaftsbewegung und von 1928 bis 1933 SPD-Abgeordneter im Bayerischen Landtag. Zwischen 1933 und 1945 wurde Josef Seifried zweimal von den Nationalsozialisten interniert. Die letzten beiden Kriegsjahre verbrachte er trotz seiner Körperbehinderung als Zwangsarbeiter in München. Nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligte Seifried sich maßgeblich am Wiederaufbau Bayerns. Zwischen Oktober 1945 und September 1947 übte er das Amt des Bayerischen Staatsministers des Innern aus. Damit gehörte er zum vorbereitenden Verfassungsausschuss, der 1946 von der amerikanischen Besatzungsmacht eingerichtet wurde, um die Verfassung des Freistaates Bayern zu erstellen. Von 1948 bis 1949 war er Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949 zudem Mitglied der ersten Bundes-versammlung. 1950 schied er aus dem Bayerischen Landtag aus.

Vermutlich wurde Schütte von Seifried zur Landtagskandidatur ermuntert, sozusagen als Einstieg in die große Politik, mit der sich die Probleme der Zeit wie Flüchtlingsfragen, Wohnraumsorgen, Wiederherstellung und Sicherung von Arbeitsplätzen über die kommunale Ebene hinaus besser lösen ließen.

 

8. Stimmungsberichte für die Militärregierung

Bürgermeister und Landräte wurden schon kurz nach dem Beginn der Besatzungsherrschaft dazu angehalten, Berichte zu schreiben über die Situation in ihren Gemeinden und Landkreisen.

Schütte legte dabei größten Wert auf eine ungeschminkte Darstellung der Realität nach dem Krieg: „Die allgemeine Lage in Garmisch-Partenkirchen ist gekennzeichnet durch die Auswirkungen der hinter uns liegenden umwälzenden Ereignisse… Die Tatsache, dass Garmisch-Partenkirchen von allen äußeren Zerstörungserscheinungen verschont geblieben ist, hat dazu geführt, dass ein ungeheurer Strom von


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Flüchtlingen und Obdachlosen aus zerstörten Gebieten sich hier zusammenballt. Dies führte zeitweise zu ernsten Besorgnissen in Bezug auf die Versorgung der Gesamtbevölkerung mit Lebensmitteln.“ Dann charakterisierte er die politische Situation: „Das politische Leben läuft hier langsamer als anderswo an. Dies ist zurückzuführen auf eine allgemeine politische Uninteressiertheit, die nach der überstandenen Enttäuschung durch den Nationalsozialismus Platz gegriffen hat. Die ansässige Bevölkerung ist im Grunde genommen konservativ eingestellt und politisch uninteressiert. Bisher trat lediglich die sozialdemokratische Partei in die Öffentlichkeit. Sie wurde durch die Militärregierung als erste politische Partei zugelassen.“ Die Wohnraumfrage in Garmisch-Partenkirchen, so schrieb er, sei völlig unbefriedigend: „Der Stopppreis liegt aus dem Jahre 1936, als in Garmisch-Partenkirchen die Winterolympiade stattfand, zugrunde, wodurch eine Preisüberforderung vorausging… Der ortsübliche Preis für eine Wohnung, bestehend aus einer Küche und zwei Zimmer, beträgt 70.- RM bis 130.- RM, also für einen Arbeiter oder Angestellten unerschwinglich.“ Auch die Verkehrsverhältnisse schilderte er: „Es verkehren täglich zwei Züge nach und einer von München.“ Das Verhältnis der Bevölkerung zur Besatzungstruppe spielte eine wichtige Rolle: „Die Erlasse und Gesetze der Militärregierung, die wöchentlich der Bevölkerung durch ein Nachrichtenblatt der Militärregierung und durch die Presse zugängig gemacht werden, werden voll respektiert. Vorkommende Übergriffe werden in der Hauptsache von nichtortsansässigen Elementen, vorwiegend Ausländern und Flüchtlingen aus ganz Deutschland, verübt. Es handelt sich meistens um Diebstähle von Bedarfsgut wie Kleider, Lebensmittel usw. Anlass zu ernsten Besorgnissen geben vor allem die hierher geflüchteten weiblichen Personen, die sich ohne Arbeit hier aufhalten und sich durch Prostitution ihren Unterhalt verschaffen. Dies führt zu einem erheblichen Anwachsen der Geschlechtskrankheiten.“ Der größte Prozentsatz unter den Flüchtlingen wird von der Jugend gestellt, „die angeblich auf der Suche nach ihren Eltern und Angehörigen sind.“ Gerüchte werden verbreitet, die dem Bürgermeister Sorgen machen - etwa das Gerücht von einem kommenden Krieg. Die Atombombe gab Anlass zu abwegigstem Gerede. Die Mehrzahl dieser Gerüchte wurde durch Personen ausgestreut, die dem Nationalsozialismus sehr nahestanden.

Im Juni 1945 nahm Bürgermeister Schütte zusammen mit Landrat Hans Ritter und US-Gouverneur Allen S. Lund teil an der Wiedergründung der seit September durch die NSDAP verbotenen Vereinigung der Rotarier Garmisch-Partenkirchen.

 

US-Militärgouverneure in Garmisch-Partenkirchen 1945 und 1946:

1945 Major Hubert L. Snapp   1945 Major Kenneth A. McIntire 1946 Major Melvin W. Nitz
   
   Verbot von Handel mit US-Waren  Erlaubnis zur Ausübung eines Berufes - z.B. Filmvorführer  
   
  Einzelerlaubnis der Militärregierung
 zum Fahrradfahren 1945
Bekanntmachung der US-Militärregierung über Straßen, auf denen es verboten ist, mit dem Fahrrad zu fahren

 

 

9. Endlich wieder freie Presse - Lizenz Nr. 2 für den "Hochland-Boten"

Das Garmisch-Partenkirchner Tagblatt konnte das Anfang Mai 1945 von der US-Militärregierung für die gesamte Besatzungszone verhängte Verbot aller deutschen Zeitungen um knapp zwei Monate bis Ende Juni 1945 überstehen. Die Begründung des ersten US-Militärgouverneurs in Garmisch-Partenkirchen Major Herbert L. Snapp: „Weil die Zeitung so gut war“  und "weil man keine starken Verbindungen zum Nationalsozialismus erkennen" konnte. Erst im Oktober 1945 folgte die Neugründung eines lokalen Presseorgans unter dem Namen Hochland-Bote. Den Redaktionsstab bildeten Anton Lutz als Herausgeber, Dr. Werner für die Kulturredaktion und Hans Ebert für die Druckerei. Der Festakt fand am 8. Oktober 1945 im Rathaus statt. Bürgermeister Schütte sagte zur Eröffnung: „Hinter uns liegen sechs Jahre Krieg, Millionen beste deutsche Jugend ist auf den Schlachtfeldern geblieben. Die gleiche Zahl ist kriegsversehrt oder durch KZ-Haft an Leib und Seele ruiniert.“ Nach dem Ende der Zeit, in der jede Regung von Meinungsfreiheit unterdrückt gewesen sei, solle nun wieder das freie Wort zur Geltung kommen. Die amerikanische Armee habe „dem Herzenswunsch des größten Teiles des deutschen Volkes nach Freiheit auch nach dieser Richtung Rechnung getragen, dass wir wieder eine freie Presse erhalten.“

Bericht des Hochland-Boten über die Lizenzerteilung am 12.10.1945 
mit v.l.n.r. Oberst McMahon, Oberst Mane, Bürgermeister Schütte und Dr. Dunner

Im Rahmen der Jahresschlussfeier der Oberschule für Jungen dankte Josef Höllerer – 1943 von den Nazis aus dem Amt des Schulleiters entfernt, 1945 wieder eingesetzt als Studiendirektor und Schulleiter – dem US-Erziehungsoffizier Andersen dafür, dass die Anstalt als eine der ersten Oberschulen Bayerns in Betrieb genommen werden konnte. Er hielt Rückschau auf die Nazi-Zeit, die nun glücklich überwunden sei und zitierte einige drastische Fälle, die den Kampf der Schule gegen den HJ-Geist nachwiesen. Unterstützt worden sei er darin von der Mehrzahl seiner ihm auch heute treu zur Seite stehenden Lehrkräfte, deren Standhaftigkeit auch auf die Schülerschaft vorbildlich gewirkt habe. „Umso schmerzlicher sind die Verluste, die der unsinnige Krieg forderte: sind doch mehr als hundert Schüler und drei Lehrer der Anstalt gefallen und auch einzelne vermisst.“ Bürgermeister Schütte beleuchtete den Entwicklungsgang der Schule vom Realschulverein 1914 bis zur staatlichen Schule. Er sprach von einer „Ära Höllerer, die viele brauchbare, charakterfeste Männer heranbildete und dem zersetzenden Hitlergeist die Spitze bot.“

Am Ende des Jahres 1945 verband Schütte die Rückschau mit einem Neujahrsgruß: „Das in der Geschichte unseres Volkes schlimmste Jahr liegt hinter uns. Eine Ideologie, welche unter betrügerischer und verbrecherischer Ausnützung des Nationalgefühls eines Volkes aufgebaut wurde, ist zerstoben. Übriggeblieben sind Millionen enttäuschte, kranke Seelen. Fast in jeder Familie ist irgendein Leid. In diesem Jahr der Tränen hatte ich mich entschlossen, im Auftrage der Militärregierung das Amt des Bürgermeisters zu übernehmen. Ich glaubte, aus Liebe zu Garmisch-Partenkirchen und im Gedenken an unsere Gefallenen mich diesem Rufe nicht entziehen zu dürfen.“

 

 

© Alois Schwarzmüller 2019