Victor Auburtin, Partenkirchen

 

 

 

 

Victor Auburtin kam als Nachfahre französischer Emigranten aus dem Elsass 1870 in Berlin zur Welt und wurde nach dem Studium der Kunst und der Literatur Korrespondent und Feuilletonist in berühmten Blättern wie dem „Berliner Tageblatt“, bei der „Berliner Börsenzeitung“ oder beim „Simplicissimus“. Bekannt wurde er als Essayist und als „Meister der kleinen Form“. Alles, was er schrieb, „war ohne Lärm“, lebte von der „Beobachtung und Darstellung des Kleinen und Nebensächlichen.“ Seine Glosse „Partenkirchen“, erschienen am 17. Januar 1922 im „Berliner Tageblatt“, gibt einen guten Eindruck von seiner Kunst des feinen Blicks auf Menschen und Dinge und ihrer liebevoll-ironischen Beschreibung. Victor Auburtin ist am 28. Juni 1928 in Partenkirchen gestorben.

Eine Auswahl seiner Werke:
Die goldene Kette u. anderes … (1907); Der Ring d. Wahrheit, Märchenspiel (1910); Das Ende, Schauspiel (1910); Die Kunst stirbt, Essay (1911); Die Onyxschale (1911); Was ich in Frankreich erlebte (1918); Pfauenfedern (1921); Ein Glas mit Goldfischen (1922); Nach Delphi (1924); Einer bläst d. Hirtenflöte, Skizzen (1928);

Quellen:
- Emil Dovifat, Auburtin, Victor, in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 427 f. [Onlinefassung];
- http://www.elektrischer-verlag.de/auburtin-victor.html
- http://de.wikipedia.org/wiki/Victor_Auburtin

 

Wie man hinreist

„… Und in der Tat, sobald der Abendstern über München zu leuchten beginnt, wird es klar, dass neunzig Prozent der Einwohner dieser Stadt gesonnen sind, mit dem selben Zug wie ich nach Partenkirchen zu fahren. Von allen Stadtteilen her bewegen sie sich auf den Starnberger Bahnhof zu, jeder hat einen Rucksack und ein paar Skis bei sich, und an der Bahnsperre gibt es ein gewaltiges Gedränge. Gedränge aber, bei denen Rucksäcke und Skis mit im Spiel sind, pflegen verwickelt zu sein…

 

Zwischenstufen

Auf dem Weg zum Sportplatz von Partenkirchen begegnet mir inmitten der weiten Schneefelder ein menschliches Wesen, das ich aus der Entfernung für ein etwa zehnjähriges Hirtenknäblein halte.

Nirgendwo täuscht das Auge sich so wie in der Schneelandschaft. Als ich den Hirtenknaben kreuze, stellt es sich heraus, dass es eine ältere Patrizierin ist, die am Kurfürstendamm in Berlin zu Hause sein dürfte….

Oft begegnet dir ein vollständig gleich gekleidetes Paar, bei dem man nur an der Zigarette das Geschlecht ungefähr erkennen kann: wer von den beiden die Zigarette raucht, das ist immer die Dame…

 

Sport

Die große Skibahn ist noch wenig besucht und sie sieht auch gefährlich genug aus; aber in dem ebenen Gelände rings herum wird schon geübt. Ich sehe ein Fräulein, das den ganzen Vormittag folgendes anstellt: sie kriecht langsam und mühselig eine kurze Strecke hinaus, rutscht dann schnell herunter, fällt dabei und fängt wieder von vorne an. Wie ein Marienkäferchen an der Fensterscheibe immer wieder hinaufklettert und immer wieder hinunterfällt, ebenso zwecklos und ebenso anmutig.

Und die Berge stehen im Kreise rings in ihrem weißen Stolz, und die Sonne scheint und wir freuen uns des Lebens, weil dies der erste Wintersportsonntag ist.

 

Preise usw.

Wer in Partenkirchen beim Maier zu den drei Mohren absteigen will, der bekommt für 25 Mark ein gutes und geheiztes Zimmer und für 16 Mark einen genügenden Kalbsschlegel. Und mehr als Zimmer, Ofen und Kalbsschlegel braucht der Mensch zum Leben eigentlich  nicht.

Biedere und einfache Leute verkehren in solchen Gasthöfen, Intellektuelle auch und dann die wirklichen Sportmenschen, die ins Gebirge hinauf wollen, wo der Schneeschuhlauf eine Gefahr ist und wo das Rodeln ohne Telefon betrieben wird.

Wer dagegen beim Jeschke absteigt – im früheren Wiggerschen Sanatorium - der befindet sich am anderen Ende der sozialen Leiter. Dort bezahle ich für ein Abendbrot, ohne besondere Sprünge zu machen, 300 Mark oder mehr, und das ist nicht einmal viel, denn das Essen ist vortrefflich und wird mustergültig serviert; auch dürfen wir hinterher tanzen.

Dies ist das teuerste Haus am Orte und es wird von den reichsten Leuten besucht. Viel wirkliche und geborene Eleganz, etwas exotisch Buntes und Aufgeregtes darunter; aber auch hier und da Gestalten, denen man es ansieht, dass sie diese erlauchten Sphären erst vor kurzem durch eisernen Fleiß, geschäftliche Tüchtigkeit oder so etwas Ähnliches erreicht haben. Ich zähle von meinem Platz aus acht Damen, die zur schillernden Abendtoilette einen Hut aufgesetzt haben und diese Kombination offenbar kolossal vornehm finden.

Mit einem Wort: Wer sich einschränken will, der kann auch in Partenkirchen billig leben; wer nicht will, … Und meistens will man eben leider nicht.

 

Der Ort

All diese Pracht und dieser Luxus haben den beiden alten Gebirgsdörfern Partenkirchen und Garmisch nichts anhaben können. Die feinen Hotels stehen weit draußen am Hang (das neue Kurhaus wird hoffentlich auch da hinaus gelegt werden), und die fashionablen Damen mit den Hosen gehen nur selten in den Ort oder fahren im Automobil hindurch.

Das sind zwei verschollene Marktflecken wie die alte Zeit, bevor die Schnelligkeit erfunden wurde. Schwer gehen die Stiere vor dem Schlitten und schlafen im Gehen, der heilige Sebastian steht bunt bemalt in der Nische und zeigt uns seine Pfeile, in den schummerigen Kneipen sitzt es sich gründlich, und endlos läutet der Angelus durch die Dämmerung.

Und über all dem als das Köstlichste der erste Hauch von Italien her, der berauschend wirkt wie ein schwerer Wein. Der Empfindliche fühlt die Nähe des südlichen Landes hier immerfort: weil die Morgensonne größer blickt, weil der Kutscher auf dem Bock leise vor sich hinsingt, und weil sich hier und da eine strengere Linie zeigt, sei es im Gesims der Kirche oder in der Augenbraue eines Mädchens.

Denn hier ist, bevor die Eisenbahn kam, die Tür des großen Reiches da unten gewesen, und die Straße, die unter meinem Fenster vorbeiführt, das ist die zweitausendjährige Straße der Völker, und diese Straße sind all die Träumer entlang gezogen, die ein Sehnen nach Rom im Herzen trugen, der Goethe und der Dürer und der Kaiser Rotbart.

Hier haben sie zum ersten Mal das Land des ewigen Heimwehs geahnt und die blauen Augen weit aufgemacht."

 

Aus: Berliner Tageblatt, 17. Januar 1922 - Für den Hinweis danke ich Franz Wörndle, Archivar des Marktes Garmisch-Partenkirchen

 

 

© Alois Schwarzmüller 2012