Aus dem Briefwechsel von Richard Strauss mit Hugo von Hofmannsthal

 

 

 

 

Der Komponist Richard Strauss (1864-1949) und sein Librettist, der Lyriker und Dramatiker Hugo von Hofmannsthal (1874-1929), haben das Musiktheater der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ganz wesentlich beeinflusst und gestaltet. Der umfassende Briefwechsel zwischen Strauss und Hofmannsthal in den Jahren zwischen 1900 und 1929 führt an den Schreibtisch zweier großer Künstler und Persönlichkeiten. Ganz im Mittelpunkt der Briefe steht die Erschaffung der Opern "Elektra", "Der Rosenkavalier", "Ariadne auf Naxos", "Die Frau ohne Schatten", "Die ägyptische Helena" und "Arabella". Die Kommentierung zeitgeschichtlicher Erfahrungen nimmt dagegen nur geringen Raum ein. Wie Richard Strauss den Ersten Weltkrieg aus der Perspektive seines Garmischer Wohnsitzes gesehen hat, das soll hier gezeigt werden.
 

 

Der Krieg beginnt für von Hofmannsthal mit der Mobilmachung der Österreichischen Armee im Juli 1914 nach dem Ultimatum an Serbien. Strauss erkundigt sich bei der Frau des Dichters besorgt nach dessen Verbleib, kommentiert die Ereignisse ironisch-sarkastisch, wünscht sich aber im gleichen Atemzug die deutsche Hegemonie über Europa:

 

Garmisch, 31.07.1914 – an Gerty von Hofmannsthal

„… Wohin ist Hugo (von Hofmannsthal) denn abgerückt? Muß er zur aktiven Armee oder bleibt er Landsturm weit vom Schuß? Dichter könnte man wirklich zu Hause lassen, wo sonst so reichlich Kanonenfutter vorhanden ist: Kritiker, Regisseure mit eigenen Ideen, Molièrespieler etc. ... Ich bin auch heute noch fest überzeugt, dass es erstens keinen Weltkrieg gibt, dass die kleine Rauferei mit Serbien bald beendigt sein wird und dass ich den III. Akt meiner „Frau ohne Schatten" doch noch bekomme. Die verdammten Serben soll der Teufel holen!"

Garmisch, 22.08.1914 – an Gerty von Hofmannsthal

„...Ich habe die seelischen Depressionen der ersten Zeit des Krieges (jetzt wo die großen Siegesnachrichten kommen, ist der ekelhafte Zustand so wie so überwunden) wacker durch unaufhörliches Arbeiten bekämpft und war so fleißig, dass ich am Tage des großen Sieges der bayerischen Armee, bei Metz 20. August, den Schlusspunkt unter die III., vollständig ausgearbeitete Skizze des fertigen I. Aktes der „Frau ohne Schatten" setzen konnte…. Hugo (von Hofmannsthal) hat die verdammte Pflicht, den Tod fürs Vaterland nicht zu sterben, bevor ich meinen III. Akt habe, der ihm, hoffe ich, noch mehr Ehre einbringen wird, als eine schöne Todesanzeige in der „Neuen Freien Presse". Aber Scherz beiseite - es ist eine große herrliche Zeit und unsere beiden Völker haben sich wirklich großartig gehalten; man schämt sich nachträglich jedes bösen kritischen Wortes, das man je über dies brave, starke deutsche Volk gesagt hat. Man hat das erhebende Bewusstsein, dass dies Land und Volk erst am Anfang einer großen Entwicklung steht und die Hegemonie über Europa unbedingt bekommen muß und wird.

Meiner Familie geht es gut, Bubi kommt wahrscheinlich ins Kloster Ettal bei Oberammergau (879 M. überm Meer) ins Gymnasium."

In den ersten beiden Kriegsjahren schwankt Strauss zwischen Siegeseuphorie ("Siegen müssen wir ja"- "Mit den Russen wird es bald zu Ende gehen.") und Untergangsszenarien ("das sterbende Österreich"). Dass auch den Künstlern materielle Opfer auferlegt werden, erbost ihn und dass der Krieg ein mörderisches Handwerk ist, formuliert er lange vor Tucholsky. Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse ja - aber ohne Christentum.

Garmisch, 08.10.1914

„… Inmitten all des Unerfreulichen, das – ausgenommen die glänzenden Taten unsrer Armee – dieser Krieg bringt, ist fleißiges Arbeiten die einzige Rettung. Sonst käme man um vor Ärger über die Tatenlosigkeit unserer Diplomatie, unserer Presse, des Kaisers Entschuldigungstelegramm an Wilson und all die Würdelosigkeiten, die man sich zuschulden kommen lässt. Und wie behandelt man die Künstler: der Kaiser reduziert die Gagen am Hoftheater, die Herzogin von Meiningen setzt ihr Orchester auf die Straße, Reinhardt spielt Shakespeare, das Theater in Frankfurt spielt „Carmen", „Mignon", „Hoffmanns Erzählungen" – wer wird aus diesem deutschen Volk klug, dieser Mischung von Talentlosigkeit und Genie, Heroismus und Bedientenhaftigkeit.

Hoffentlich diktiert den Frieden Hindenburg und nicht Jagow. Wie ist denn die Stimmung in Wien? Man hört hier soviel von Mutlosigkeit und Verrat, dass man sich nicht recht auskennt! Siegen müssen wir ja, und dass dann alles wieder verpfuscht wird, das wissen die Götter!"

Berlin, 16.01.1915

„… dass es Ihnen nicht gut ginge, dass Sie sich über das sterbende Österreich so viel schwere Sorgen machten. Ist das richtig? Wollen wir uns nicht auf die Hoffnung beschränken, dass das deutsche Kulturland Österreichs erhalten und einer neueren, schöneren Zukunft zugeführt werde, dass in Gottes Namen das übrige dahin gehe, wohin es wohl gehört, in´s wilde Asien. … es wäre doch schöner, Sie an ewigen Kulturwerten (Sie sehen, ich habe trotz allem die Hoffnung an eine bessere Menschheit noch nicht aufgegeben, vielleicht wenn einmal das Christentum von der Erde verschwunden ist) mithelfen zu sehen und den Kampf mit dem Vergänglichen den vielen Anderen zu überlassen? ... wenn nicht bald und dauernd und regelmäßig Besserung in München erfolgt – kriegt München die „Frau ohne Schatten" nicht zu sehen. Ich statuiere da mal ein Exempel! Doch vielleicht interessiert Sie das gar nicht – aber schließlich kann man nicht immer vom Kriege reden.

Meiner Schwester Bedienter schrieb aus dem Felde: verehrte Frau Generalin, ich hätte jetzt genug! So geht´s mir auch, aber wer kann ein Ende ersehen? Sollen wir nie mehr den Louvre, nie mehr die National Gallery sehen? … Bei Reinhardt gibt es erstklassige Sachen: „Stella", „Alpenkönig und Menschenfeind"…

Ich versichere Ihnen, wenn man diese Deutschen sieht, kann einem der Humor nicht vergehen. Ein famoses, starkes Volk, noch sehr wenig von Kultur beleckt, aber kräftig und heldenhaft. Daß einem in Wien die Lebenslust vergehen kann, begreife ich wohl…"

Berlin, Februar 1915

„… Traurig genug, dass wir gereiften, ernst und künstlerischen Idealen treu arbeitenden Künstler solche Rücksichten nehmen müssen auf Menschen, denen die große Zeit nur Vorwand ist, um ihre eigenen mittelmäßigen Leistungen an die Oberfläche zu bringen, die gute Gelegenheit sehen, wirkliche Künstler als hohle Ästheten und schlechte Patrioten zu verschreien, die vergessen, daß ich in Friedenszeiten mein «Heldenleben», den «Bardengesang», Schlachtlieder, Militärmärsche geschrieben habe, jetzt aber den großen Ereignissen gegenüber ehrfurchtsvoll stillschweige, während sie, die «Konjunktur» nützend, unter dem Deckmantel des Patriotismus das dilettantischste Zeug lancieren - es ist widerlich in den Zeitungen von der Regeneration der deutschen Kunst zu lesen, wo man noch vor zwanzig Jahren dem deutschesten aller Künstler: Richard Wagner, «romanische Brunst» vorgeworfen hat, zu lesen, wie Jung-Deutschland gereinigt und geläutert aus diesem «herrlichen» Krieg zurückkehren soll, wo man froh sein kann, wenn die armen Kerle erst von Läusen und Wanzen gereinigt und von allen Infektionen geheilt und erst wieder des Mordens entwöhnt werden müssen. Wenn man sich bewußt ist, wie ernst man es immer mit seiner Kunst genommen hat (auch wenn man wirklich mal ein Ballett zuerst in Paris aufgeführt hat), dann faßt einen ein wahrer Ekel vor all der Heuchelei und Ignoranz. Genug davon! Was den Krieg selbst betrifft, so haben wir, glaube ich, allen Grund, froh in die Zukunft zu blicken. In unserer Marine herrscht eine unglaubliche Zuversicht, mit den Russen wird es bald zu Ende gehen und in England selbst soll die Volksstimmung schon höchst flau sein. Was wird der 18. Februar bringen?"

Der Strausssche Sarkasmus sucht im Krieg neuen Stoff - Strauss sieht sich auf dem Weg von der Tragödie zurück zur Komödie:

Garmisch, 05.06.1916

"... Aus den Prachttypen, die in diesem Kriege sich herausgeschält haben: der Wucherer als Mäzen, der Spion, der Diplomat, Preuße und Österreicher gegeneinander und doch miteinander - ließe sich doch eine herrliche Komödie machen, und Sie haben dafür Talent: das beweist Ihr «Rosenkavalier», Ihre «Cristina». Darüber wollen wir im Juli ausführlich plaudern: vielleicht bringen Sie mir von der Warschauer Reise schon einen Stoff mit. Studieren Sie doch den jüdischen galizischen Dolmetsch und Vermittler an Ort und Stelle: auch eine Prachtfigur."

Das Ende des Krieges wird absehbar. Strauss entdeckt die Vernunft, die Völker verbindende Natur der Musik - seiner Musik -, und die Sorge um das Wohlergehen seines Sohnes:

Garmisch, 07.02.1917

„… In der Schweiz habe ich die sympathischsten Grüße aus dem Ausland erhalten: so von Romain Rolland, … der schönen Gräfin Piccolomini aus St. Moritz, von Ottone Schanzer aus Rom, es ist ein Labsal zu wissen, dass es auch jenseits der Grenzen noch ein paar Menschen gibt. In den Schweizer Aufführungen waren reichlich Franzosen und Russen! Gebe Gott, dass die ganze Welt wieder mal vernünftig wird."

Garmisch, 11.05. 1917

„… Uns geht es sonst gut, aber mein Bube [sic] muß wahrscheinlich bald zum Militär."

Garmisch, 23.05.1918

„… Mein Sohn ist bei der letzten Musterung für Ao-Heimat erklärt worden und damit so gut wie militärfrei, wodurch mir eine schwere Sorge vom Herzen genommen ist. Er kann nun ruhig auf der Universität weiterstudieren und seine schwache Gesundheit kann gepflegt werden…"
 

Alle Zitate von Richard Strauss aus:

Richard Strauss / Hugo von Hofmannsthal, Briefwechsel - Herausgegeben von Willi Schuh (München, 1990)

 

 

 

© Alois Schwarzmüller 2007